Seite:Ueber die Liebe 119.jpg

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sie in langen Zwischenräumen. Sie wurde immer hartnäckiger und schlug die glänzendsten Partien, selbst einen Titel und eine große Stellung am Hofe Ferdinands des Siebenten aus. Die ganze Stadt sprach von dem Unglück der beiden Liebenden und von ihrer heroischen Ausdauer. Endlich nahte sich die Mündigkeit Donna Dianas; sie gab ihrem Vater zu verstehen, daß sie von dem Rechte, über sich selbst zu verfügen, Gebrauch machen werde. Die Familie war nun in ihre letzten Verschanzungen zurückgedrängt und begann die Heiratsverhandlungen; als sie halb abgeschlossen waren, schlug der junge Mann bei einer feierlichen Zusammenkunft beider Familien nach sechs Jahren Ausdauer Dianas Hand aus.

Eine Viertelstunde später merkte man Diana nichts mehr an. Sie war getröstet. Hatte sie aus Eigensinn geliebt? Oder ist sie eine große Seele, zu stolz, um mit ihrem Schmerze der Welt ein Schauspiel zu bieten?

Oft läuft die Liebe aus Leidenschaft nur dann glücklich aus, wenn der Ehrgeiz der Eigenliebe mithilft. In diesem Falle erfüllen sich scheinbar alle Wünsche, so daß Klagen lächerlich und sinnlos erscheinen. Aber der Liebende hat niemanden, dem er seinen unglücklichen Zustand anvertrauen könnte. Er fühlt und vergegenwärtigt sich sein Unglück unaufhörlich. Das Geschehene ist, wenn ich so sagen darf, verflochten mit schmeichelhaften Umständen und Tatsachen, die eine berückende Illusion geben können. Aber in den köstlichsten Augenblicken zeigt das Unglück sein Medusenhaupt, wie um den Liebenden herauszufordern und ihm das große Glück, von einem reizenden Geschöpf

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_119.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)