Seite:Ueber die Liebe 146.jpg

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erweckt die Leidenschaft für Musik eine der Liebe verwandte Seelenstimmung.

In Frankreich gab es gegen 1770 kein Mißtrauen; es gehörte zum guten Ton, öffentlich zu leben und zu sterben. Wie die Herzogin von Luxemburg mit hundert Freunden vertraut war, so gab es auch sonst weder eigentliche Vertrautheit, noch Freundschaft mehr.

In Italien, wo eine Leidenschaft kein sehr seltenes Vorrecht ist, hat sie auch nichts Lächerliches an sich und man hört in den Salons ganz laut allgemeine Liebesregeln entwickeln. Jedermann weiß Bescheid über die Symptome und den Verlauf dieser Krankheit und beschäftigt sich reichlich damit. Man sagt zu einem Verlassenen: „Sechs Monate werden Sie untröstlich sein, dann aber gesunden wie der und der.“

In Italien ist die öffentliche Meinung eine ergebene Dienerin der Leidenschaften. Der ungeschminkte Genuß übt dort dieselbe Macht aus, die anderswo in den Händen der Gesellschaft liegt. Einfach, weil die Gesellschaft dem Volke fast kein Vergnügen bereitet und dieses keine Zeit zur Eitelkeit hat. Die Gelangweilten tadeln zwar die Leidenschaften, aber man lacht sie aus. Südlich der Alpen ist die Gesellschaft ein Despot ohne Kerker.

In Paris, wo die Ehre gebietet, mit dem Degen in der Faust, oder – wenn man das kann – mit geistreichen Reden alle Tore eines jeden großen zugestandenen Interesses zu verteidigen, ist es weit bequemer, seine Zuflucht zur Ironie zu nehmen.

Einige junge Leute haben ein anderes Teil erwählt und sich zu Schülern J. J. Rousseaus und der Frau von Staël aufgeworfen. Seit die Ironie etwas Gewöhnliches

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_146.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)