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geworden ist, sind sie gefühlvoll. Übrigens liegen die Verhältnisse seit 1789 zu gunsten der Nützlichkeit oder des individuellen Empfindens und gegen den Ehrbegriff oder die Herrschaft der öffentlichen Meinung. Die Parlamente geben ein Beispiel, alles zu diskutieren, selbst den Scherz. Indem das Volk ernster wird, verliert die Galanterie den Boden.

Ich muß als Franzose sagen, daß der Reichtum eines Landes nicht in einer geringen Zahl riesiger Vermögen besteht, sondern in der Masse der mittleren Vermögen. In Frankreich sind die Leidenschaften selten, aber die Galanterie ist anmutiger und feiner, daher hat sie auch mehr Glück zur Folge.

Ein römischer Künstler schrieb aus Paris:

„Ich fühle mich hier gar nicht wohl; ich glaube, es liegt daran, daß ich nicht nach Herzenslust lieben kann. Hier verbraucht sich die Empfindung tropfenweise, in dem Maße, wie sie hervorquillt, und in einer Weise, die bei mir wenigstens die Quelle schwächt. In Rom bei den wenig aufregenden täglichen Ereignissen und der Langeweile des Außenlebens sammelt sich die Empfindungsfähigkeit zu gunsten der Leidenschaften an.“


44. In Rom

Nur in Rom kommt es vor, daß eine anständige Frau, die Equipage hat, vor einer anderen, einer bloßen Bekannten, gelegentlich ihr Herz ausschüttet, wie ich es heute Vormittag erlebt habe. „Ach, meine liebe Freundin, verliebe dich nie in den Fabio Vitelleschi.

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_147.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)