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Meistens dauern solche Liebesverhältnisse fünf bis sechs Jahre, mitunter länger. Am Ende verläßt man sich, wenn man sich nichts mehr zu sagen weiß, und nach einem Monat des Bruches verliert sich alle Bitterkeit.

Die alte Mode der „cavalieri serventi“, die in Italien durch Philipp den Zweiten mit dem spanischen Stolz und den spanischen Sitten eingeführt wurde, hat sich in den großen Städten ganz verloren. Napoleon hat in Oberitalien und selbst in Neapel der Sittenlosigkeit ein Ende gemacht.


46. Von der deutschen Liebe

Wenn der Italiener, der immer zwischen Haß und Liebe schwankt, von der Leidenschaft und der Franzose von der Eitelkeit lebt, so leben die guten einfachen Nachkommen der alten Germanen von der Phantasie. Kaum sind sie aus den unmittelbarsten und für ihren Lebensunterhalt nötigsten sozialen Interessen heraus, so sieht man mit Erstaunen, wie sie sich in ihre Philosophie vergraben. Es ist das eine Art von sanfter, liebenswürdiger und vor allem unschädlicher Narrheit.

Als Begleiter von Männern mit zügellosem Ehrgeiz, die sich bei den Paraden von Schönbrunn um einen Blick des Kaisers oder einen Baronstitel stritten, schildert der Apotheker Napoleons die deutsche Liebe (Seite 188) folgendermaßen:

„Nichts ist gefälliger und süßer, als eine Österreicherin. Bei ihr ist die Liebe ein Kultus, und wenn sie zu einem Franzosen eine Neigung fühlt, betet sie ihn mit grenzenloser Inbrunst an.


Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_156.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)