Seite:Ueber die Liebe 187.jpg

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in seine Jagdtasche, riß ihm das Herz aus dem Leibe und tat es zu dem Kopfe. Darauf ging er zur Burg. Er ließ das Herz braten und seiner Frau zu Tisch vorsetzen und ließ sie es essen, ohne daß sie wußte, was sie aß. Als sie es gegessen hatte, stand Raimund auf und sagte seiner Frau, daß sie soeben das Herz des Herrn Wilhelm von Cabestaing gegessen habe, zeigte ihr das Haupt Wilhelms und fragte sie, ob ihr das Herz gut gemundet habe. Und sie hörte, was er sagte, und sah und erkannte das Haupt des Herrn Wilhelm. Sie antwortete ihm und sprach, daß niemals andere Speise und Trank ihrem Munde den Geschmack verderben solle, den das Herz Wilhelms darin zurückgelassen habe. Und Raimund ging mit einem Degen auf sie los. Sie entfloh, warf sich von einem Balkon herab und zerschmetterte sich das Haupt.

Dies wurde in ganz Catalonien und in allen Ländern des Königs von Aragon bekannt. Der König Alfons und alle Barone seiner Reiche empfanden großen Schmerz und große Traurigkeit über den Tod des Herrn Wilhelm und der Dame, die Raimund auf so häßliche Weise in den Tod getrieben hatte. Sie erklärten ihm den Krieg auf Leben und Tod. Nachdem der König Alfons von Aragon die Burg Raimunds genommen hatte, ließ er Wilhelm und seiner Dame ein Standbild vor der Kirche einer kleinen Stadt namens Perpignan setzen. Alle wahr Liebenden beteten für ihre Seelen zu Gott. Der König von Aragon nahm Raimund gefangen, ließ ihn im Kerker umkommen und verteilte alle seine Güter an die Verwandten Wilhelms und der Dame, die für ihn gestorben war.“


Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_187.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)