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Mädchen zwanzigmal verschmitzter ist, als ein gleichaltriger Junge. Warum ist aber eine Zwanzigjährige dumm, linkisch, schüchtern und fürchtet sich vor einer Spinne, während der Knabe dann ein gebildeter Mensch geworden ist?

Die Frauen wissen nur das, was sie nicht wissen sollen, und was sie durch ihre eigene Lebenserfahrung lernen. Deshalb sind die Frauen im Nachteile, die aus einer reichen Familie stammen; anstatt mit Menschen in Berührung zu kommen, die mit ihnen natürlich umgehen, sind sie von Kammerzofen und Gesellschafterinnen umgeben, die das Geld verdorben und unnatürlich gemacht hat. Am unglücklichsten ist eine Prinzessin daran.

Die jungen Mädchen haben in Erkenntnis ihrer Sklaverei die Augen beizeiten offen, sie sehen alles, wenn sie auch zu unwissend sind, um richtig zu sehen. Eine Französin hat mit dreißig Jahren nicht die Kenntnisse, die ein Knabe mit fünfzehn Jahren hat, und mit fünfzig Jahren nicht den Verstand eines halb so alten Mannes. Frau von Sévigné hat bekanntlich an Ludwig dem Fünfzehnten die sinnlosesten Handlungen bewundert und Frau von Epinay ist in ihrem Urteile durchaus unreif.[1]


58. Einwände gegen die Erziehung der Frauen

„Die Frauen sollen ihre Kinder ernähren und pflegen.“

Den ersten Teil dieses Einwandes bestreite ich, dem zweiten stimme ich zu.


  1. [356] Vergl. u. a. die Memoiren von Collé.
Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_219.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)