Seite:Ueber die Liebe 226.jpg

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Schicksals kommt, das Studium, das ihre gewöhnliche Beschäftigung bildet und ihr täglich eine ansehnliche Menge von Glück beschert, zu verbergen? Nebenbei will ich ihnen ein Geheimnis offenbaren. Wenn man sich ein Ziel gesteckt hat, zum Beispiel wenn man sich ein klares Bild der Verschwörung des Fiesco in Genua im Jahre 1547 schaffen will, so wird auch das langweiligste Buch interessant. Ebenso ist es, wenn wir lieben, mit der Begegnung eines gleichgültigen Menschen, der eben mit der geliebten Person gesprochen hat. Und dieses Interesse wächst mit jedem Tage, bis man die „Verschwörung des Fiesco“ wieder beiseite legt.

„Das beste Feld der Frauentugenden ist das Krankenzimmer.“

Dann müßte man die göttliche Güte bitten, die Häufigkeit der Krankheiten zu verdoppeln, um unseren Frauen Beschäftigung zu geben. Sonst hieße es auf Ausnahmen rechnen.

Überdies behaupte ich, daß eine Frau täglich ihre drei bis vier Mußestunden ausfüllen muß, wie ein verständiger Mann sie ausfüllt.

Eine junge Mutter, deren Sohn die Röteln hat, würde, auch wenn sie wollte, keinen Genuß am Lesen von Volneys „Reise in Syrien“ finden, ebensowenig wie ihr Gatte, ein reicher Bankier, im Augenblick eines Kraches mit Genuß über Malthus nachdenken kann.

Die geistige Überlegenheit ist der einzige Punkt, in dem sich reiche Frauen von gewöhnlichen unterscheiden. Dadurch haben sie naturgemäß auch verschiedene Empfindungen.

„Wollen Sie aus der Frau eine Schriftstellerin machen?“


Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_226.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)