Seite:Ueber die Liebe 230.jpg

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sie eine sogenannte Erziehung gehabt haben. Deshalb sind die Frauen Italiens und Spaniens den Männern so überlegen, und ich glaube, auch den Frauen der anderen Länder.


59. Weitere Einwände

Die ganze Kenntnis des Frauenherzens stammt in Frankreich aus dem Katechismus. Das Lächerlichste dabei ist, daß viele Leute diesem Buche keinen entscheidenden Wert beilegen, sobald es sich um fünfzig Franken handelt; aber sie hängen am Buchstaben und sind stumpfsinnig in Dingen, die bei der Eitelkeit unserer zeitgenössischen Sitten vielleicht von der größten Bedeutung für ihr Glück sind.

„Man braucht keine Ehescheidung, denn die Ehe ist ein Mysterium“ – und was für eins? „Ein Sinnbild der Vereinigung Christi mit seiner Kirche.“ Wie stände es aber um jenes Mysterium, wenn das Wort „Kirche“ zufällig männlichen Geschlechts wäre?

Wir wollen nicht weiter auf haltlose Vorurteile eingehen und nur auf eine merkwürdige Erscheinung hinweisen: die Wurzel des Baumes ist mit der Axt der Lächerlichkeit abgeschlagen worden, aber die Zweige grünen weiter.

Kehren wir zur Beobachtung der Tatsachen und ihrer Folgen zurück. Bei beiden Geschlechtern hängt das Schicksal des Alters davon ab, wie man seine Jugend verbracht hat. Bei den Frauen trifft das am richtigsten zu. Wie wird eine Frau von fünfundvierzig Jahren in der Gesellschaft behandelt? Auf harte und

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_230.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)