Seite:Ueber die Liebe 234.jpg

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Ein großer Vorteil der Schule (im Gegensatz zum Unterricht zu Hause) ist der, daß die Kinder von ihren Schulgefährten unwillkürlich die Kunst lernen, wie man in der Welt lebt und für seinen Vorteil sorgt. Ein kluger Lehrer sollte den Kindern ihre kleinen Streitereien und Freundschaften vor Augen führen und damit den Unterricht über die Moral beginnen, statt mit der Geschichte vom goldenen Kalbe. Ich möchte, daß die jungen Mädchen wie die Knaben das Lateinische erlernten. Das Lateinische ist vortrefflich, weil es lehrt, was Langeweile ist. Daneben Geschichte, Mathematik, Pflanzenkunde, die sich namentlich auf die Nähr- und Arzneipflanzen zu erstrecken hätte, Logik und Ethik. Der Unterricht im Tanzen, in der Musik und im Zeichnen müßte mit fünf Jahren beginnen.

Mit sechzehn Jahren muß ein junges Mädchen daran denken, sich einen Mann zu suchen, und von seiner Mutter eine richtige Vorstellung über die Liebe, die Ehe und die Untreue der Männer erhalten.


60. Von der Ehe

Eheliche Treue ohne Liebe ist offenbar naturwidrig.

Man hat den Versuch gemacht, sie gegen die Natur durch die Furcht vor der Hölle und durch religiöse Gefühle zu erzwingen. Bis zu welchem Grade das geglückt ist, zeigt das Beispiel Italiens und Spaniens.

In Frankreich hat man es durch die öffentliche Meinung erreichen wollen. Es ist das zwar der einzige wirkliche widerstandsfähige Damm, aber man hat ihn schlecht gebaut. Es ist widersinnig, einem jungen

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_234.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)