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44.

„Vernunft, Vernunft!“ ruft man den armen Verliebten zu.

Im Jahre 1760, in der bewegtesten Zeit des siebenjährigen Krieges, schrieb Grimm (III, 107): „Es unterliegt keinem Zweifel, daß der König von Preußen den Ausbruch dieses Krieges durch den Verzicht auf Schlesien hätte vereiteln können. Wieviel Unglück hätte er dadurch verhütet! Ist das Glück eines Königs vom Besitz eines Stück Landes abhängig? War der große Kurfürst nicht ein sehr glücklicher und sehr geachteter Herrscher ohne den Besitz Schlesiens? Nach den Gesetzen der gesündesten Vernunft hätte sich der König also anders verhalten können. Aber vielleicht hätte sich Friedrich dann die Verachtung der ganzen Welt zugezogen, während er sich so, indem er alles andere dem Willen, Schlesien zu halten, opferte, unsterblichen Ruhm erwarb.

Der Sohn Cromwells hat zweifellos das Klügste getan, was ein Mann machen kann; er hat die Zurückgezogenheit und Ruhe der Aufregung und Gefahr, über ein finsteres, ungestümes und stolzes Volk zu herrschen, vorgezogen. Dieser Weise ist von seinen Zeitgenossen und von der Nachwelt verachtet worden, während sein Vater im Urteile der Völker ein großer Mann geblieben ist.

Die ‚schöne Büßerin‘ ist ein beliebter Stoff im spanischen Drama, der in den englischen und französischen Bearbeitungen durch Otway und Colardeau verhunzt worden ist. Calista ist von Lothario, den sie anbetet, vergewaltigt worden. Er ist durch den ungestümen Ehrgeiz seines Charakters hassenswert, aber durch seine Begabung, seinen Geist und seine Anmut verführerisch.

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_275.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)