Seite:Ueber die Liebe 277.jpg

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das Gefühl, dem sie Ausdruck gegeben hat, ist echt. Die Existenz eines Mannes, den sie liebt und der ihr das Schlimmste antun konnte, muß ihr Leben vergiften, und lebte er am Ende der Welt. Allein sein Tod kann ihr die Ruhe wiedergeben, wenn es solche für unglücklich Liebende überhaupt gibt. Kurze Zeit darauf fällt Lothario und Calista hat das Glück zu sterben.

Viel Tränen und viel Geschrei um nichts! haben jene kalten Naturen, die sich mit dem Namen Philosophen schmücken, gesagt. Ein kühner, gewalttätiger Mann nützt die Schwäche, die eine Frau ihm gegenüber zeigt, aus. Was braucht man sich darüber aufzuregen, und warum soll uns der Seelenschmerz Calistas etwas angehen? Sie mag sich damit trösten, daß ihr Geliebter sie besessen hat. Und sie ist nicht die einzige anständige Frau, die ihren Trost in solchem Unglück findet.“

Richard Cromwell, Friedrich der Große und Calista können mit den Seelen, die der Himmel ihnen verlieh, ihre Ruhe und ihr Glück nur dann finden, wenn sie so handeln, wie sie gehandelt haben. Das Verhalten der beiden zuletzt Genannten ist außerordentlich unvernünftig und doch sind sie die einzigen, die man achtet.


45.

In Europa wird das Verlangen durch den Zwang entflammt, in Amerika durch die Freiheit erstickt.


46.

In Nordamerika muß man die Regierung und nicht die Gesellschaft bewundern. Anderswo ist die Regierung das Übel. In Boston hat man die Rollen getauscht,

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_277.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)