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ist, erscheint in Neapel wunderlich. Folglich ist etwas, das Genuß bereitet, nie tadelnswert. Mit dem Wegfall falscher Ehrbegriffe schwindet die halbe Komödie der Gesellschaft.


60.

Es ist ein Unglück, die italienische Schönheit kennen gelernt zu haben; man wird gefühllos. Außerhalb Italiens zieht man Gespräche mit Männern vor.


61.

Im Jahre 1821 waren Haß, Liebe und Geiz die häufigsten, und neben der Spielwut fast die einzigen Leidenschaften in Rom.

Die Römer erscheinen auf den ersten Blick bösartig, aber sie sind nur äußerst mißtrauisch und sie haben eine Phantasie, die beim geringsten Anlaß in Flammen auflodert.

Wenn sie einmal ohne Veranlassung bösartig sind, so geht es ihnen wie einem ängstlichen Manne, der bloß zu seiner Beruhigung seine Flinte abschießt.


62.

Der Römer empfindet die Schönheiten der Natur und der Kunst mit erstaunlicher Kraft, Tiefe und Richtigkeit. Aber es ist jammervoll, wenn er über das reden will, was er so stark fühlt.

Man ersieht daraus, warum die Künste außerhalb Italiens nur ein schlechter Scherz sind; man redet besser über sie, aber die Masse des Volkes empfindet sie nicht.


63.

Die Gewaltherrschaft eines Philipp des Zweiten hat die Gemüter seit 1530 so erniedrigt und lastet derart auf dem Garten der Welt, daß die armen italienischen

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_282.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)