Seite:Ueber die Liebe 321.jpg

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168.

Nichts ist so interessant wie die Leidenschaft, weil in ihr alles unvorhergesehen ist und weil der, welcher sie hegt, ihr Opfer ist. Nichts ist so leicht wie die Galanterie, bei der alles Berechnung und prosaische Alltäglichkeit ist.


169.

Wenn eine feinfühlige Frau wissen will, ob der von ihr angebetete Mann sie aus Leidenschaft liebt, so muß sie die Jugend ihres Geliebten erforschen. Jeder hervorragende Mensch ist bei seinen ersten Schritten ins Leben ein lächerlicher oder erfolgloser Schwärmer. Ein Mann dagegen von fröhlicher und geselliger Gemütsart, der leicht glücklich zu machen ist, kann nie mit der Innigkeit lieben, nach der sich ihr Herz sehnt.


170.

Wenn wir eben die Frau gesehen haben, die wir lieben, stört uns der Anblick jeder anderen Frau und tut den Augen geradezu weh.


171.

Eine Frau gehört von Rechts wegen dem Manne, der sie liebt und den sie mehr liebt, als das Leben.


172.

Nur die durch eine wahre Leidenschaft geknüpften Bande sind immerdar legitim.


173.

In einer vorgeschrittenen Kultur ist die Liebe aus Leidenschaft genau so natürlich, wie bei den Wilden die Liebe aus Sinnlichkeit.


174.

Für die Seele eines großen Malers oder Dichters ist die Liebe etwas Göttliches, das die Grenzen und

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 321. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_321.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)