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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Wer im Namen des Königs etwas thut, ist in diesem Thun ein Stellvertreter des Königs, er muß auch als ein solcher anerkannt werden, und, wofern er es nicht wird, sieht es der König an, als wäre er selbst verschmäht. So ist, wer in JEsu Namen betet, ein Stellvertreter JEsu; sein Gebet soll als ein Gebet JEsu angesehen werden; wird er erhört, so ist JEsus erhört; wird er nicht erhört, so ist JEsu Gebet verschmäht. Du merkst also wohl, lieber Leser, daß es mit dem Beten in JEsu Namen ein großes Ding ist. Kein Mensch dürfte es auf eigenen Einfall hin wagen, in JEsu Namen vor den Vater zu treten, noch viel weniger, als du oder ich es wagen dürfen, auf eigenen Einfall hin etwas in des Königs Namen zu thun. Nur wer vom König dazu Auftrag und Befehl hat, darf in seinem Namen handeln, wer seine Vollmacht nicht zeigen kann, wird verspottet und gestraft werden. So darf auch nur der in JEsu Namen beten, der von JEsu Selber dazu Auftrag und Befehl hat. Die Jünger empfangen von JEsu dazu die Vollmacht und der allwißende Vater weiß auch, so oft sie vor Ihn treten, daß sie bevollmächtigte Boten Seines Sohnes sind, Er nimmt daher alle ihre Gebete mit der Liebe und Ehre auf, wie Er Seinen betenden Sohn aufnimmt. Wie ist es nun aber mit uns Spätlingen? Dürfen auch wir – und welche unter uns dürfen es wagen, in JEsu Namen zu beten? Daß es auch zu unserer Zeit erlaubt sei, in JEsu Namen zu beten, ist gewis, da ja der HErr ein Heiland aller Menschen ist – und allen sagt, was Er Seinen Jüngern sagt. Gleichen wir Seinen Jüngern, so gilt uns auch das an die Jünger gesprochene Wort Seiner Vollmacht. Wir kennen die Jünger, daß sie nicht sündlose Heilige waren; sündlose Heiligkeit wird also nicht erfordert, um im Namen JEsu beten zu können. Wohl aber heißt es Vers 27.: „Er Selbst, der Vater, hat euch lieb, darum, daß ihr Mich liebet und glaubet, daß Ich von Gott ausgegangen bin.“ Liebe zu JEsu und Glaube an Seinen göttlichen Ausgang, an Seine göttlich-menschliche Person, an Sein göttlich-menschliches Werk – sind also Erfordernisse, um im Namen JEsu beten zu dürfen. Nicht von einer vollkommenen Liebe, nicht von einem dem Schauen völlig gleichen Glauben ist die Sprache, sondern von Lieb und Glauben in dem Maaße, wie die Jünger sie in der Nacht besaßen, da JEsus verrathen ward, d. i. von einem herzlichen Anfang des Glaubens und der Liebe zu JEsu, welcher in sich selber wie die innige Sehnsucht, so auch die gewisse Bürgschaft der Läuterung und des Wachstums trägt. Freilich gerade diejenigen, welche so viel Glaube und Liebe in sich tragen, sind verschämt und schüchtern und wagen trotz der Erlaubnis nicht wohl das herrliche Gebet im Namen JEsu. Sie bedürfen dazu gleich den Jüngern (Vers 26.) noch einer besondern Ermächtigung, einer besondern Stärkung durch den heiligen Geist, der Pfingstgnade. Diese Ermächtigung wird ihnen aber auf ihr Seufzen durch die Kräfte des gütigen Wortes Gottes immer mehr mitgetheilt. Der Geist leitet stufenweise und stille von einer Klarheit und Zuversicht zur andern, bis man es wagt, von der Erlaubnis des HErrn Gebrauch zu machen und in JEsu Namen zu beten. Da erfährt man denn zur tiefsten Beugung der Seele, was es für eine große Ehre und Gnade ist, mit Beten JEsu Stelle zu vertreten. Die vollkommene Freude Seiner Kinder wird man inne – und es wird einem schon um des einzigen Grundes willen, daß man in JEsu Namen beten darf, leicht, die Scheidung von der Welt und alle damit verbundene Entsagung und Pein zu tragen. – Alles betet – ach, HErr, mein Gott, das Gebet, das Deine Kirche von aller betenden Heerschaar unterscheidet, verleihe auch mir! Das Gebet im höhern Chor verleihe mir!


Am Himmelfahrtstage.
Marc. 16, 14–20.

 ALs Elias gen Himmel fuhr, ließ er mit Bewilligung des HErrn seinen Mantel dem Propheten Elisa, seinem Nachfolger, welcher dann nicht wenigere oder geringere Werke wirkte als er selbst. Als der HErr gen Himmel fuhr, was ließ Er den Aposteln und allen den Seinigen?

 Wenn ich die Erzählung der Himmelfahrt vor mir hätte, wie sie am Ende des Evangeliums Lucä

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 356. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/364&oldid=- (Version vom 1.8.2018)