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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

heilt JEsus mit einem Worte. Um den Aussatz unsrer Seele auszufegen, muß der Mensch Gewordene, muß Gott der HErr dreiunddreißig Jahre leibhaftig auf Erden wandeln unter Müh und Kummer, muß Er mit gewaltiger, Creaturen unerfaßlicher Liebesarbeit nach einem Tode ringen, den ER als Gelingen und Vollbringen preist, den wir aber für den allerschmählichsten erkennen müßen! Und wir könnten bei dem allen kalt bleiben? Es kann, es kann, sag ich, es kann Menschen geben, die das vergeßen, die von der Erinnerung davon verlaßen werden können? Die neun Undankbaren sind gebrandmarkt durch Gottes Wort, aber wie brandmarkt uns Gottes Wort, wenn wir „eine solche Seligkeit nicht achten?!“ − Wahrlich, man könnte irre werden an dem, was man erlebt, man könnte es für einen Traum halten, man könnte es einen Augenblick für eine Unmöglichkeit halten, daß unter Christen Undank wohnen könne! Aber man könnte es auch nur einen Augenblick; denn:

 4. anstatt daß man die große Ursache des Dankes für ein Hindernis des Undanks hielte, anstatt daß man durch sie zum Danke getrieben sein sollte, anstatt daß man die meisten Menschen dankbar finden sollte, findet man nichts Selteneres als den Dank und nichts Gemeineres als Undank − gegen Gott und natürlich, in nothwendiger Folge auch gegen Menschen. Denn wer Gott nicht dankt, deß Dank wird auch gegen Menschen ein geringer sein. Unter zehen Geheilten waren neun Undankbare. Die Hilfe ist reich und groß, aber der Dank ist gering gewesen; der Undankbaren waren viele, aber der Dankbaren sind nur wenige gewesen, Einer dankte. Gebeten haben sie alle, aber danken kann nur Einer unter zehen, und der Eine ist ein Samariter, von welchem man es am wenigsten vermuthet hätte. Was geht daraus hervor? Daraus geht hervor:

 a. daß Gott sehr freundlich ist, aber wir sind sehr unfreundlich gegen Ihn. Wenn wir gleich recht dankbar wären in Gedanken, Worten und Werken, so wäre es doch immer zu wenig. Nun sind wir aber so undankbar, daß wir alle Tage in Gottes Wohlthaten waten, ja daß wir im Meere Seiner Güte schwimmen, ohne daß wir mit dem Samariter Gott preisen. Ach unsre Schuld, unsre Schuld! ER ist so reich und gütig, und wir sind so undankbar! − Ja, wir sind undankbar, denn:

 b. wir wißen, daß wir von Gott abhängen, daß wir ohne Ihn nichts haben, − wir bitten zwar nicht so viel und so sehr wir sollen, aber wir bitten doch oft. Wir werden in tausend und aber tausend Bitten täglich erhört (denkt nur an alle die zahllosen Bitten, welche aus der vierten Bitte des Vaterunsers aufsteigen); wir leben von der Erhörung unsers Gebets. Aber wir merkens nicht − und gegen die wenigen Bitten sind doch wieder unsre Danksagungen unvergleichlich wenige! Ach, unsre Schuld, unsre Schuld, unsre große Schuld! Wir bitten so viel, wir werden so oft erhört − und wir danken nicht. Ach unser undankbares Herz! Ja wir haben ein undankbares Herz, denn

 c. Samariter danken für leibliche Heilungen im tiefen Staube; und wir, wir, die wir mit Wohlthaten mehr als mit Sünden beladen sind, wir, die wir vom himmlischen Lichte und Belehrung über Gottes Liebe in Christo JEsu umleuchtet sind, wir, die wir eine höhere, tiefere, weitere Erkenntnis und Erfahrung der gnädigen Liebe Gottes gegen Menschenkinder haben, − wir stehen, wir schweigen, wir gehen an unserm Helfer vorüber, wir danken nicht, wir fallen nicht nieder! Ach wir kalten, faulen Lastträger göttlicher Wohlthaten! Ach wir unseligen, demuthlosen, liebelosen, undankbaren Seelen!

 Ach, wie ein köstliches Ding ist es danken, danken können, wißen, wofür man danken soll! Wir könnens nicht, es ist zu himmlisch, zu selig, zu demüthig, zu liebreich! Es muß von Dir gegeben werden, der Du die Heiligung unsrer Seelen bist! Ach sieh von Deinem Throne, sieh aus der Umgebung zahlloser, dankbarer Auserwählten auf uns, die wir unsern Undank fühlen! Nimm den Undank von uns − gib uns ein dankbar Herz, ein gut Gedächtnis und Bekenntnis Deiner Liebe! O den Aussatz des Undanks nimm uns − und gib uns das gesunde, reine Wesen des Dankes! Sprich Ein Wort, so werden wir rein! Heiß uns Dank − befiehl uns etwas, wie den Unreinen, da Du sie heimlich und unvermerkt auf dem Wege des Gehorsams reinigen wolltest! Sprich, o HErr, so genesen wir! JEsu, JEsu, Du alleine kannst uns heilen, kannst erhören, wirst erhören, o JEsu! Amen.




Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 091. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/430&oldid=- (Version vom 24.7.2016)