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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

absichtlich dem Schlafe, aus Furcht, die Nacht in den Tod hinüberzuschlummern. Die da glauben an Den, der Seine Schlafenden kennt und ihnen wieder ruft, schlafen friedlich ein alle Tage und singen sich sterbend mit Freuden Simeons und M. Luthers Wiegenlied: „Mit Fried und Freud ich fahr dahin − der Tod ist mein Schlaf worden!“

 Doch harret! Noch einen Blick ins Evangelium, in welchem ein frommes Kind auf den Ruf des guten Hirten, den alle Schafe kennen, vom Schlafe erwacht. Der HErr geht hinein, das Volk drängt nach, Er treibt sie von dannen. Es wird nun feierlich stille. Draußen harrt dennoch begierig die Menge, obwohl sie den HErrn verlacht hatte. Des Vaters Herz schlägt höher. In ernstem Horchen und Schauen stehen die Jünger. Da ergreift der Lebendige, der aufweckt, welche Er will, die kalte Hand − und freundlich erschallt Sein „Talitha, kumi! Mägdlein, steh auf!“ Und das Mägdlein steht auf und der Beweis ist geliefert, daß Seine Heiligen vor Ihm nur schlafen. Der Vater ist wonnetrunken und anbetend, das Volk lacht nicht mehr und das Gerücht, daß Seine Todten leben, erschallt in dasselbige ganze Land. − Das Kirchenjahr geht zu Ende. Viel Heilige Gottes sind schlafen gegangen. Ja, schlafen gegangen! Ich strecke meine Hand aus über die Gräber, unter denen ich predige; ich nehme das heilige Töchterlein Jairi zum Zeugen, ich sags, ich behaupte, ich beschwöre es, wenn es sein soll, ich will mit Gott drauf leben und sterben, daß Seine Heiligen nur schlafen. Du HErr des guten Schlafes und Todes, Dir befehl ich meine Todten und mich! In Deine Hände befehl ich meinen Geist und meinen entschlafenden Leib. Du Auge sonder Schlummer, Du Herz voll Treue, Du allmächtiger Gott, Dein bin ich todt und lebendig! Amen.




Am fünfundzwanzigsten Sonntage nach Trinitatis.

Evang. Matth. 24, 15–28.
15. Wenn ihr nun sehen werdet den Greuel der Verwüstung, davon gesagt ist durch den Propheten Daniel, daß er stehe an der heiligen Stätte, (wer das lieset, der merke darauf!) 16. Alsdann fliehe auf die Berge, wer im jüdischen Lande ist. 17. Und wer auf dem Dache ist, der steige nicht hernieder, etwas aus seinem Hause zu holen. 18. Und wer auf dem Felde ist, der kehre nicht um, seine Kleider zu holen. 19. Wehe aber den Schwangern und Säugern zu der Zeit! 20. Bittet aber, daß eure Flucht nicht geschehe im Winter oder am Sabbath. 21. Denn es wird alsdann eine große Trübsal sein, als nicht gewesen ist, von Anfang der Welt bis her, und als auch nicht werden wird. 22. Und wo diese Tage nicht würden verkürzet, so würde kein Mensch selig; aber um der Auserwählten willen werden die Tage verkürzet. 23. So alsdann Jemand zu euch wird sagen: „Siehe, hier ist Christus, oder da“; so sollt ihr es nicht glauben. 24. Denn es werden falsche Christi und falsche Propheten aufstehen, und große Zeichen und Wunder thun, daß verführet werden in den Irrtum (wo es möglich wäre) auch die Auserwählten. 25. Siehe, ich habe es euch zuvor gesagt. 26. Darum, wenn sie zu euch sagen werden: „Siehe, Er ist in der Wüste,“ so gehet nicht hinaus; „Siehe, Er ist in der Kammer,“ so glaubet es nicht. 27. Denn gleichwie der Blitz ausgehet vom Aufgang, und scheint bis zum Niedergang: also wird auch sein die Zukunft des Menschen Sohnes. 28. Wo aber ein Aas ist, da sammeln sich die Adler.

 AM Ende des Kirchenjahres, bei hereinbrechendem Winter finden wir hinter einander mehrere Evangelien, die ans Ende des Lebens, an die Vergänglichkeit aller Dinge und an Gottes Gerichte erinnern. Das Evangelium des vorigen Sonntags erinnerte an jene Nacht, die unaufhaltsam für jeden kommt, an die Nacht des Todes, wo niemand nach Weise des zeitlichen Lebens mehr wirken kann, wo der Schlaf des

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/485&oldid=- (Version vom 31.7.2016)