Seite:Wilhelm Löhes Leben Band 3.pdf/329

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wünschte, daß er im neuen Jahre wieder „laufen“ lernen möchte. So sehr war er in der letzten Zeit an Kraftlosigkeit dem Kinde gleich geworden, daß dieser Kinderwunsch bei ihm angebracht war. Als ein anwesender Freund meinte: dann könne er doch wieder frische Luft genießen, erwiderte er: da wäre es doch besser, wenn ich wieder predigen könnte; ein Beweis, wie seine Seele bis zum letzten Augenblick an seinem Berufe hieng. Es war eine liebliche Fügung Gottes, daß die Sitte des Neujahrs noch einmal so viele seiner Gemeindeglieder ihm vor Augen führte. Noch einmal wurde Gruß und Gegengruß zwischen Hirt und Heerde gewechselt, aber es war ein Abschiednehmen für diese Welt.

 Nach Tisch, als er sich eben zu kurzer Ruhe in seinen Stuhl zurückgelehnt hatte, rührte ihn die Hand des Todes. Er verlangte noch zu Bette gebracht zu werden, aber kaum war dies geschehen, so griff er mit beiden Händen nach dem Haupte und ließ sie dann über das Angesicht herabgleiten. Ein Schlaganfall hatte ihn getroffen, aus dessen Betäubung er nicht mehr erwachte: besinnungslos und regungslos lag er bis zum Nachmittag des folgenden Tages. Wie führt der HErr doch Seine Knechte so ganz anders durch das Todesthal als wir es meinen. Wir würden für Glaubensmänner und Gotteshelden einen Ausgang des Lebens erwarten, strahlend und herrlich wie ein majestätischer Sonnenuntergang. Aber des HErrn Wege sind andre gerade bei denjenigen, die man zu den Großen im Reiche Gottes zählen darf. Wie viel großartiger war doch auch Luther an dem Tage von Worms als auf seinem Sterbebette, wo von der Glorie des Bekenntnisses, von dem freudigen Trutz des über Welt und Tod triumphierenden Glaubens wenig wahrzunehmen war. Aber es genügt, wenn von Seinen Knechten gesagt werden kann, was der Apostel Paulus von sich sagen durfte, als er vor den Pforten der Ewigkeit stand: Ich habe Glauben gehalten.

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 3). C. Bertelsmann, Gütersloh 1892, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_3.pdf/329&oldid=- (Version vom 1.8.2018)