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versprochene Bezahlung, für die sie sich etwas warmes Essen kaufen wollte.

Plötzlich stand der Kritiker, der gelangweilt Wodniecki bei der Arbeit beobachtet hatte, auf und trat dicht an die Erhöhung, auf welche der Bildhauer sein Modell gestellt.

Mit boshaften Blicken maß er dies vollenwickelte Weib, welches nur von den Hüften an in ein weißes Gewebe gehüllt war und von unten gesehen nur um so größer erschien.

Gesicht und Hals waren von der Sonne gebräunt und stachen grell ab von der übrigen Körperfarbe, wie auch die Arme bis zu den Ellenbogen mit ihrer Kupferröte, die sie von den so oft gescheuerten Kesseln und Kasserollen entliehen zu haben schienen.

Dies war allerdings nicht jenes Ideal mit Marmoroder Atlashaut, wie die Salonschriftsteller es so gern beschreiben. Wohl aber war es der Typus des vollentwickelten, wenn auch durch Not und Elend, Sinnengenuß und Mutterschaft stark mitgenommenen Weibes, mithin auch einer Mutter, jener Karyatide, die als Stütze der Gesellschaft zukünftige Geschlechter auf ihrem Nacken trägt.

So stand sie da im Frülingsglanze der Jugend, riesengroß und unverderbt trotz ihrer Nacktheit, während zu ihren Füßen jener Pygmäe mit dem kleinen Kopf und mit dem noch kleineren Hirn immer nur gedankenlos die Worte wiederholte: „Nur das Ideale muß man suchen in der Kunst.“

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Gabriela Zapolska: Käthe. Berlin o. J., Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zapolska_K%C3%A4the.djvu/390&oldid=- (Version vom 1.8.2018)