Streifzüge bei den Kriegführenden/6. Beim Bombardement

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Autor: Paul d’Abrest
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Titel: Streifzüge bei den Kriegführenden - 6. Beim Bombardement
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aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 477–480
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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6. Beim Bombardement.
Im Bahnhof von Giurgewo. – Militärische Begrüßung der Kriegscorrespondenten. – Eine Bekanntschaft. – Giurgewo bei Sonnenaufgang. – Die Völkerwanderung auf der Landstraße. – Deutsche Philosophie in Rumänien. – Master „Schani“, der Dragoman. – Ein Blick nach Rustschuk.


Wir hatten beinahe eine Stunde Aufenthalt in Fratesti. So heißt die Station vor dem Donauhafen Giurgewo. Auf dem zweiten Geleise stand ein Zug, aus einem Hofwaggon und mehreren Lastwagen bestehend, und als unser Train einfuhr, betrachtete denselben ein rumänischer Officier, der ganz gemächlich seine Cigarre rauchte. In dem Zwielichte der Dämmerung erkannte ich Fürst Carol; derselbe kam eben von Giurgewo und hatte daselbst dem zweiten Bombardement beigewohnt. Er war sogar in durchaus nicht geringer Gefahr, da eine Bombe ungefähr zwanzig Schritte von ihm im Augenblicke geplatzt war, als er das Lazareth betreten wollte, worin man einige Civilverwundete untergebracht hatte. Wie gesagt, wir mußten eine gute Stunde warten, und da in diesem Augenblicke in ziemlich weiter Entfernung im türkischen Gebirge ein Wetter losgebrochen war, so hielten selbstverständlich die mit einer reichhaltigen Phantasie ausgerüsteten Passagiere die in regelmäßigen Pausen aufeinander leuchtenden Blitze für ebenso viele Kanonenschüsse. Die Pfiffigsten, welche ja immer das Gras wachsen hören, versicherten sogar, daß sie die russischen und türkischen Schüsse unterscheiden könnten. Schließlich mußten sie sich aber doch auf die Aussage des Telegraphenbeamten hin beruhigen, der versicherte, er hätte soeben telegraphirt und die Antwort erhalten, seit zwei Stunden sei kein einziger Schuß gefallen. Es hatte also wohl Kanonade gegeben, aber für diesen Tag kamen wir entschieden zu spät.

Lautlos, ohne einen einzigen Pfiff glitt der Zug endlich zwischen einem Spalier Soldaten in den Bahnhof ein. Der Begleiter des Trains, ein Mann in vollständiger Civilkleidung, sperrte mit einem Sicherheitsschlüssel die hermetisch versperrten Wagen auf; wir waren angelangt, durften aber vorläufig nicht weiter, als in das Revisionsbureau des am Bahnhofe commandirenden Obersten. Derselbe recognoscirte unsere Photographien, erbat sich die Visitenkarten und reichte uns zum Schlusse die Hand. Jetzt durften wir uns frei bewegen, das heißt in der Stadt auf eigene Gefahr die Nachtlager aufsuchen – wie sie eben bei der Hand waren. Wir wanderten die breite Straße, welche durch ganz Giurgewo bis an das Donau-Ufer führt. Tiefes Geheimniß lagerte auf der sonst ziemlich rührigen Hafenstadt; sämmtliche Häuser, mit der einzigen Ausnahme einer kleinen jüdischen Branntweinbude, waren verschlossen, die Läden verhängt; kein Licht flackerte auch nur hinter einer einzelnen Fensterscheibe. Der schalkhafte Mond glitzerte auf die blanken Zinkkuppeln der Kirchen, deren Giurgewo drei aufzuweisen hat. Bald zeigte uns der eigenthümliche Geselle die Spuren türkischer Liebenswürdigkeit.

Wir bekamen dieses Schauspiel am besten zu genießen, als wir beim ersten Hôtel von Giurgewo anlangten, um daselbst ein Nachtlager zu erbeuten. Wie es da aussah! An der eleganten Veranda, die durch eine stattliche Glasgalerie geschützt wurde, war keine Scheibe mehr ganz. An der Wand oberhalb des Eingangsthores gähnten zwei Löcher, so groß, daß man mit Kürbissen hätte hineinwürfeln können. Der Dachstuhl war auch an zwei oder drei Orten abgebrochen, und dem Hôtel gegenüber war eine kleine mit Stroh überdachte Hütte zu einem Scheiterhaufen zusammengeschossen worden. Aufrichtig gesagt, heimelte mich der Gedanke, in diesem zu sehr exponirten Hôtel den Türken als Zielscheibe zu dienen, sehr wenig an. Mein Beschluß war, vorläufig auf den Bahnhof zu retiriren. Es ging daher zurück an Kosaken vorüber, die auf ihren nervigen Pferden gespensterartig durch die Straßen huschten.

Das kleine Restaurationslocal des Bahnhofs war von russischen Officieren voll, welche, das Glas in der Hand, Ersatz suchten für den fehlenden Schlaf. Darunter zeichnete sich, meiner Wenigkeit gegenüber, ein alter, sehr treuherzig aussehender Major durch seine besondere Freundlichkeit aus. Derselbe, früher vom commandirenden Oberst beauftragt, uns den Weg nach der Stadt zu zeigen, hatte den ersten der sich verbeugenden Kriegs-Correspondenten mit kräftiger Faust beim Arm gefaßt und auf diese höchst bezeichnende Weise an die Luft spedirt. Die Uebrigen folgten nach. Als er mich wiedersah, wollte der gemüthliche Alte durchaus mit mir ein russisches Gespräch anknüpfen, leider war es mir aber nicht möglich Antwort zu stehn, worüber der würdige Mann sich äußerst zu grämen schien, bis wir uns durch das Anstoßen der Gläser wenigstens theilweise verständigten. Die Nacht war unter Geplauder und Gesundheittrinken mit den verschiedensten Vertretern der russischen Heeresmacht bald verstrichen. Mit den ersten Morgenstrahlen stellte sich aber in dem erwähnten Local eine Invasion ein, wie man sich dieselbe nicht ärgerlicher und lästiger vorstellen kann. Aus allen Winkeln und Ecken, aus den Fensternischen und Thürangeln entwickelten sich zahllose Schwärme von Fliegen, die weder dem Mund, noch den Augen, noch der Nase Ruhe ließen. Es war nichts anderes zu thun, als vor diesen Myriaden kleiner Peiniger die Flucht zu ergreifen. Aber wohin? Wir bestiegen den Dachstuhl des Bahnhofsgebäudes; von hier aus überblickt man die gesammte herrliche Umgebung viel besser als von dem Feuerthurm, welcher nach türkischer Sitte (Giurgewo war noch 1828 türkische Festung) den Mittelpunkt der Stadt einnimmt. Unmittelbar zu unseren Füßen dehnt sich auf einer verhältnißmäßig sehr großen Fläche die Stadt aus. Die meisten Häuser sind von gefälliger Bauart, reinlich, und tauchen aus dem üppigsten Grün empor. In der Mitte dieser niederen Cottagehäuser ragen die Kuppeln der Kirchthürme empor, das größte und stattlichste Haus aber ist die Schule, ebenfalls von den türkischen Bomben stark mitgenommen; daneben befinden sich die Präfectur, wo heute kein Präfect ist (die ganze Verwaltung hockt in Comana, dreißig Kilometer von hier), das Telegraphenamt und zwei oder drei Privatvillen. Ein langer weißer Streifen zeigt den Lauf der Donau. In der Mitte derselben steht eine mit starkem Gebüsch bedeckte Insel, auf welcher die Russen ebenfalls eine Batterie errichtet haben. Etwa zwanzig bis dreißig Maste ragen aus dem Wasser über die Häuser empor; es sind die Barkassen, die sich bei Beginn des Krieges in den Hafen von Giurgewo geflüchtet haben. Dicht an dem Hafen arbeitet die großartige Dampfmühle des reichsten Besitzers der Umgebung, eines Herrn oder Dom Bololesco, bei der beträchtliche Vorräthe aufgespeichert sind.

[478] Drüben ziehen sich die herrlichen blauen Höhen des Balkans hin; die Landschaft ist hier schon großartiger und freundlicher zugleich, als bei Widdin. Rustschuk mit dessen Vorposten, dem am Donaustrande liegenden Bahnhof, streckt sich auf dem Rückgrat des Gebirges hin, wie eine nachlässige Odaliske auf dem Sopha im Serail. Vor und hinter Rustschuk, oberhalb und unterhalb der Stadt bezeichnen weiße Streifen die Stellen, von wo aus die türkischen Batterien die Stadt bestreichen können. In Giurgewo beginnt es sich nach und nach zu beleben. Jene Läden, deren Eigenthümer noch nicht Reißaus genommen haben, öffnen sich zur Hälfte. Ein paar Gestalten im Civilrocke schreiten durch die Straßen, und auf dem Rathhause, auf dem Hauptplatze wagt es sogar ein Zuckerbäcker und ein Kaffeehausbesitzer Stühle und Tische für die löbliche Kundschaft zu placiren.

Ruhig verging der Tag bis fünf Uhr Nachmittags; der Himmel selbst schien für unsere Annehmlichkeit zu sorgen, indem er einen höchst wohlthuenden, ebenso kurzen wie heftigen Platzregen niedersandte, der die Atmosphäre bedeutend abkühlte. Doch kaum war der Wasserfall vorüber, als der in Giurgewo commandirende General, ein Balte Namens Schmidt, erschien und den im Bahnhofe sich die Finger wundschreibenden Correspondenten avisirte, daß man sofort zu schießen beginnen würde. Das nämliche Aviso wurde zu derselben Stunde, aber in viel urwüchsigerer Weise den Einwohnern von Giurgewo zu Theil. Ein Officier mit einem Piquet von zwanzig Mann durchwanderte alle Straßen; er kramte im strengsten Sinne des Wortes alles zusammen, was er sowohl in den Häusern wie auf den Straßen an Weibern, Männern und Kindern antraf, und jagte sie förmlich hinaus. Die Leutchen begriffen wohl rasch, daß man in ihrem eigenen Interesse handelte, und ließen sich auch mit der größten Bereitwilligkeit hinausbefördern. So gab es denn auf der zu beiden Seiten mit Rebengeländer bepflanzten sehr schön angelegten Landstraße eine wahre Völkerwanderung. Es war ein seltsames Gewimmel von sommerlich-europäisch gekleideten Bürgersleuten (freilich in der Minorität) mit Familien, inclusive schmächtig aussehender Fräuleins, Bulgaren in weiten Tuchhosen mit kurzen Jacken und ein Messer in dem Gurt, langbärtigen Walachen, deren ganze Kleidung in einem bis auf die Fersen herabhängenden Wollhemde und Unterhosen bestand, während ihre Damen Kattunkleider, tiefblau oder hochroth gefärbt, trugen. Auch ein Transport rumänischer Dorobanzen, die ihrer zwölf einen Heuwagen escortirten, gehörte mit zum Tableau, da die Russen, die in Giurgewo allein militärisch Herr sein wollten, ihre rumänischen Waffenbrüder genau wie Civilpack behandelten. Hier und da tauchte eine der jetzt bei Allen, die mit der Armee ziehen, also auch bei den Kriegscorrespondenten, so beliebten weißen Tuchkappen auf; ja man hatte auch eine blaue Tuchkappe mit schweren silbernen Borten entdeckt. Dieselbe saß auf dem Kopfe meines Begleiters, Baron V., der dem holländischen Consulat in Bukarest beigegeben worden und erst vor wenigen Tagen aus seiner Heimath in Rumänien angelangt war. Baron V. hatte dem kaiserlichen Hauptquartiere zahlreiche und vermuthlich auch wichtige Depeschen (man kennt ja das Familienverhältniß zwischen den Höfen von Petersburg und Haag) zu überbringen. Der Zug, in welchem er sich befand, kreuzte oberhalb von Braila den kaiserlichen Extrazug, der den Czaren dem operirenden Heere näher brachte.

Als Baron V. erfahren, daß der kaiserliche Extrazug auf dem Geleise neben dem, in welchem er sich befand, stehen bleiben mußte, sprang er, halb angekleidet, aus dem „Sleeping Car“ und überreichte seine Depeschen dem diensthabenden Adjutanten. Dieser aber bemerkte, daß es Gebrauch wäre, solche Depeschen Ihrer Majestät eigenhändig zu überreichen, allein der Niederländer zeigte auf seine Toilette, die aus einem Nachthemde – und einem langen Capot bestand. Die betreßte Kappe saß allerdings auf dem Kopfe, aber das konnte nicht hinreichen, um der Nachttoilette einen salonartigen Stempel zu verleihen. So mußte denn der Adjutant die auf so originelle Weise zugemittelten Depeschen der Majestät vorlegen. Kaum in Bukarest angelangt, mußte Baron V. nach Giurgewo, um das niederländische Consulat hier in Augenschein zu nehmen und mit dem Consul zu conferiren. Letztere Mühe wurde ihm jedoch erspart, denn der Herr Consul hatte für seine Sicherheit gesorgt und war längst außerhalb des Bereiches der türkischen Kugeln, die für sein niedliches Häuschen eine ganz besondere Vorliebe hegten, denn nicht weniger als zwanzig derselben waren consequent theils in den Garten, theils in die Behausung selbst gefallen, so daß es mit der königlich niederländischen Staatsvertretung an der walachischen Donau sehr traurig aussieht. Wir wanderten, während mein Genosse mir seine Wahrnehmungen erzählte, in der Richtung nach Fratesti, um von einer kleinen Anhöhe der Vorstellung mit Muße und ohne Lebensgefahr beizuwohnen, als es schon zu krachen begann. Die russische Batterie am Donaugelände unterhalb des Promenadengartens hatte zwei Schüsse gegeben.

Ich weiß nicht, wie die Sachen drüben in Rustschuk gewirkt haben. Aber auf dieser Seite hatten sie das Resultat, ganze Schwärme von krächzenden Raben und Krähen aufzuscheuchen, die entsetzt davon flogen. Hier und da breitete inmitten der schwarzen Schaar ein Kranich sein buntes, weiß und roth bordirtes Gefieder aus. Die Vogel-Emigration mit der Menschen-Emigration. Folgen wir dieser ungefähr anderthalb Kilometer von der Stadt! Dort, wo die Gefahr aufhörte, haben sich am Wegesrande Hunderte von Neugierigen gruppirt. Sowohl die Aufmerksamkeit, mit der sie jedem Schuß folgen, wie die Sicherheit, mit der jeder Bauer anzugeben wähnt, wo die Bombe eingeschlagen hat und mit was für Erfolge, sind gleich merkwürdig. Des Erwägens und Folgerns in allen Sprachen giebt es kein Ende; griechisch, bulgarisch, walachisch wird durcheinander gesprochen, und dazwischen ertönen gar nicht selten deutsche Laute, die von jedem halbwegs gebildeten Städter an der Donau verstanden werden.

Einzelne Flüchtlinge haben ihre Anstalten für eine Uebernachtung im freien Felde getroffen. Das Bettzeug brachte man auf dem Rücken gleich mit; ein Leintuch wird zwischen zwei Baumästen gespannt und dient als Zelt. Andere raffinirtere Parteien, die dem Himmel als Zimmerdecke doch nicht ganz vertrauen, hatten sich artige Hütten erbaut und dieselben zu Schlafzimmern verarbeitet. Ebenso wurde für den Mundbedarf gesorgt. Ein speculativer Koch hat in die Erde ein Dutzend Löcher gegraben, und auf diesem sorgsam unterhaltenen Herd braten die landesüblichen Speisen, das knochige Paprikasch, die kleinen saftlosen Hühner, Gänse und kleine Kürbisse. Daneben wird rosafarbiger Landwein, in riesigen Korkflaschen verwahrt, ausgeschenkt, und als Leckerbissen giebt es noch zum Nachtisch saure Milch und eine Ladung allerdings schon stark beschädigter Apfelsinen. Die vernünftigen Familien jedoch verschmähen die Kost der Garküche; sie haben ihren Bedarf von zu Hause mitgenommen, suchen sich ein anmuthiges, schattiges Plätzchen aus, wohin sich nach sicherer Berechnung keine Haubitze verirren kann, und diniren hier auf dem Grase, als wäre das ganze Bombardement, welches hier Schlag auf Schlag erdröhnt, nur ein Feuerwerk, das zu einer Landpartie gehört.

Unter diesen Philosophen, welche es verstanden, einer fatalen Situation die heiterste Seite abzugewinnen, fand sich auch eine Gruppe von Schmausenden, in deren Mitte mir zwei Männer mit langen Bärten sofort als Urtypen deutscher Biedermänner erschienen. Ich irrte nicht; es waren der Posthalter und der Telegraphist von Giurgewo, Beide, wie viele andere Angestellte in dieser Branche hier zu Lande, Oesterreicher aus den Kronlanden. Sie saßen mit Weib, Kind und Großmutter bei einem sauber tranchirten Entenbraten mit Gurkensalat, den die Hausfrau, sorgsam verwahrt in einer hölzernen Schüssel, mitgebracht hatte. Mein sehr leutseliger Compagnon, der holländische Consul, knüpfte bald die Bekanntschaft an, und wir mußten durchaus „zugreifen“. Beide Herren, namentlich der Telegraphist, wußten Manches zu erzählen. Er war bereits während des früheren Krieges in Giurgewo gewesen, und bemerkte, daß es damals eben so ging wie jetzt. Den ganzen Tag über herrschte Ruhe; nur zwei Stunden in der Frühe und zwei Stunden Abends wurde geschossen. Die Einwohner waren avisirt, daß sie während dieser zwei Stunden die Stadt meiden mußten und richteten sich auch darnach ein. Man erkannte Abends recht gut den „letzten Schuß“, und sorglos ging Alles nach Hause. Der untere Theil war jedoch damals derjenige, in dem sich die türkischen Kugeln glimpflicher benahmen als jetzt; sie hatten es nicht so sehr auf die Häuser der Giurgewoner abgesehen. Der Telegraphist konnte überdies noch von Glück reden, daß er im Stande war, uns seine Erlebnisse mitzutheilen. Er arbeitete wie gewöhnlich am Sonntag in dem netten [480] Häuschen der Telegraphenstation, als er benachrichtigt wurde, man werde auf Giurgewo schießen und es wäre rathsam, Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen. „Pah,“ erwiderte der gemüthliche Oesterreicher, „die Kruzi-Türken werden doch nicht auf eine wehrlose Stadt schießen?“ Der Commentar zu dieser kriegsrechtlichen Vermuthung ließ nicht lange auf sich warten. Kaum hatten die russischen Batterien zu „schreien“ begonnen, wie sich eine Frau neben mir ausdrückte, die in Bulgarien das Deutsche entweder verlernt oder erlernt hatte, als eine erste Kugel gerade unter dem äußeren Balcon des Telegraphenamtes platzte. Fast das ganze Gitter wurde weggefegt. Das war aber blos eine Art Ankündigung, denn fünf Minuten später kamen hintereinander nicht weniger als sieben Bomben geflogen, welche in dem ganzen Amte die größte Confusion anrichteten. Nun wurde es immer lebendiger. Die Türken hatten offenbar das Telegraphenamt als Kugelfang auserkoren, denn in einer Stunde rauschten hundertundvier Bomben um dasselbe. Glücklicher Weise platzten die meisten nicht, aber trotzdem ist das ganze Gebäude jetzt unbrauchbar und wird das nächste Budget in den rumänischen Kammern einen ziemlich starken Posten für den Wiederaufbau der Telegraphenstation Giurgewo aufnehmen müssen. Der Telegraphist und ein ihm beigegebener russischer College blieben fünf Stunden lang mitten im schrecklichsten Eisenregen gefangen; der Russe war ganz außer sich über die Gleichgültigkeit und die Gemüthsruhe des Deutschen. Namentlich konnte er nicht begreifen, wie man in einem solchen Momente zu rauchen wagte. „Ja sehen's,“ erwiderte der Oesterreicher, „wann ich schon caput werden muß, so soll's wenigstens mit der Cigarr' im Maul geschehen.“ Aber es ging Keiner caput, denn es steckt ja in jeder Bombe ein Fünkchen Humanität. Sie vergreift sich an Dingen, läßt aber die Menschen ungeschoren. Die nämliche Ansicht theilten offenbar zwei englische Berichterstatter, die mitten im intensivsten Bombardement am Gitter des Telegraphenbureaus erschienen und mit der nämlichen Kaltblütigkeit eine Depesche aufgeben wollten, als hätten sie von Brighton nach London über die Geburt eines Seehundes im Aquarium der ersteren Stadt telegraphiren wollen.

„Ich war ganz ‚paff‘,“ meinte der Telegraphist, als er dies erzählte, „und mußte die Herren fragen, wie sie überhaupt hierhergelangt waren. Sie zuckten die Achseln und schienen es durchaus nicht begreifen zu wollen, daß ich die Telegramme nicht expediren konnte.“

Vorläufig wurde Post und Telegraphie in der Privatwohnung des Beamten untergebracht – bis auf Weiteres. Je mehr der Abend herannahte, desto heftiger wurde auch die Kanonade. Die Türken waren am Anfange etwas nachlässig, aber sie animirten sich rasch. Nur – soviel es möglich war, überhaupt Beobachtungen anzustellen – ein wenig hatten sie sich der Stadt erbarmt. Dafür zielten sie mit Beharrlichkeit auf die oben erwähnte große Dampfmühle, das Eigenthum eines der reichsten, wenn nicht des reichsten Grundbesitzers der Umgebung, des ebenfalls schon genannten Herrn Bololesco, der sich vom Bauer zum dreifachen Millionär emporgeschwungen. Kaum dauerte das Bombardement eine Stunde, als eine starke Rauchsäule über die Mühle emporschlug. Die Leute zischelten wohl hier und da einander zu: „Feuer in Rustschuk!“, aber die Tiefe, aus der sich die Rauchsäule erhob, deutete darauf hin, daß der Feind diesmal nicht zu Schaden gekommen war. Die ungeheuren Mehlvorräthe, welche neben der Mühle aufgespeichert lagen, lieferten dem Brande nur zu rasch eine ausgiebige Nahrung; der röthliche Widerschein war bei Sonnenuntergang so gewaltig, daß die Anhöhe von Rustschuk uns wie in Tagesbeleuchtung erschien. Ein kleiner Hügel, auf dem sich das löbliche Publicum versammelt hatte, bot einen ausgezeichneten Beobachtungspunkt. Mein erster Blick schweifte hinüber, oberhalb des Bahnhofes, um zu entdecken, ob das kleine Wirthshaus noch dastehe, wo ich vor acht Monaten an einem Novembertage vierundzwanzig vergnügte Stunden zugebracht. Ja, es steht noch da, von seinem Garten umgeben mit der herrlichen Aussicht auf das ganze Donaugebiet. Aber daneben bemerkt man etwas Verdächtiges, wie die Schlünde einiger Kanonen. Diese Nachbarschaft konnte für das Häuschen verderblich werden, und ich zweifle, ob der Dragoman des Wirthes, der „Schani“, der Gatte der schönen Spaniolin, der ehemalige Polizei Agent, den Gästen, wenn es solche giebt, mit der nämlichen Seelenruhe den sammetnen Bulgarenwein kredenzt und mit der Genialität, die ich damals an ihm bewunderte, die Einkehrenden um kolossale Bakhschisch zu prellen versteht. Doch werden wir nicht bald persönlich dem Herrn Schani einen Besuch abzustatten in der Lage sein? Das wissen die Götter und der Chef des russischen Generalstabes, der aber eine hermetische Verschlossenheit an den Tag legt, die wohl mit den Wertheim'schen Cassen concurriren könnte. Wir hören nur gerüchtweise (von einem Zeitungsblatte ist hier keine Rede), daß die Donau bereits bei Braila überschritten wurde und es nicht lange dauern kann, bis sie auch hier überbrückt werden wird; so oft wir um die geringste Auskunft nachsuchen, erhalten wir Antworten, die nur darauf berechnet sind, uns unsere Indiscretion fühlen zu lassen. Man scheint nicht die geringste Ahnung zu haben, daß Kriegscorrespondenten sich auf die Beine gemacht haben und ihren Zeitungen – manchmal – ein Heidengeld kosten, eben um etwas in Erfahrung zu bringen.

Paul d'Abrest.