Studien zur Geschichte des Papstes Leo X.

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Autor: Heinrich Ulmann
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Titel: Studien zur Geschichte des Papstes Leo X.
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aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 10 (1893), S. 1–13; Bd. 11 (1894), S. 90–113.
Herausgeber: Ludwig Quidde
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1893/1894
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. Br.
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[1]
Studien zur Geschichte des Papstes Leo X.
Von
Heinrich Ulmann.


I.
Das Breve an Cajetan vom 23. August 1518.

Im politischen Leben wiederholt sich nicht selten die Erscheinung, dass erst durch energisches Bemühen aus Interessentenkreisen die Regierungen Stellung nehmen zu gewissen Fragen, selbst dann wohl, wenn es sich um Sein oder Nichtsein eines herrschenden Zustandes handelt. So und nicht anders geschah es in der Kirche, als gegenüber den durch die Lutherische Reformation hervorgerufenen Gefahren das Papstthum Jahrzehnte lang gleichgültiger, als man erwarten möchte, sich bewies oder wenigstens nur ruckweise Energie entwickelte. Die kurze Ausnahmestellung des Germanischen Fremdlings Hadrian ist nur ein indirecter Beweis mehr für die Erscheinung, dass bis zu einer bestimmbaren Zeitgrenze die Antriebe zum Handeln der Curie jedesmal erst aus dem Gebiet der bedrohlichen Bewegung und dem Kreis der theologischen Gegner des Deutschen Reformators zugekommen sind. Gerade auch die jüngsten Veröffentlichungen aus päpstlichen Papieren haben diesen Eindruck verstärkt, so dass in gewisser Beziehung als eine Zeitrichtung innerhalb des Papstthums aufgefasst werden könnte, was bisher meistens als eine persönliche Eigenthümlichkeit Leo’s X. erschienen war. Dennoch wird dadurch die Spannung kaum verringert werden, welche von jeher mit der Frage verknüpft war, ob der in Plänen universalpolitischer Führerschaft, dynastischen Hausinteresses und ästhetischen Schwelgens befangene Medicäer überhaupt für den [2] Bruder Martin Zeit und Gedanken nicht gehabt hat, oder ob an Stelle kalter Gleichgültigkeit ein lebhafteres, wenn gleich leicht ablenkbares, Interesse zur Sache anzunehmen ist. Die Historie kann sich der Pflicht der Würdigung des persönlichen Elementes überhaupt nicht und am wenigsten in unserem Fall entschlagen.

Auf solchem Hintergrund muss auch die Untersuchung über die Echtheit eines einzelnen Breve zu dieser Angelegenheit für solche Bedeutung gewinnen, denen etwa Details über den Römischen Process wider Luther minder wichtig dünken mögen. Uebrigens handelt es sich um ein Actenstück, das seit langem im Mittelpunkt lebhafter Erörterungen der Historiker und Kirchenhistoriker gestanden hat, ohne dass man sich näher gekommen wäre. Vielleicht mit desswegen, weil man in der Hauptsache sich begnügt hat, die Stösse des Gegners kunstgerecht zu pariren, statt ihn selbst zu entwaffnen und die Waffe unbrauchbar zu machen.

Von folgendem Thatbestand ist auszugehen: Im Juli 1518 ist Luther durch den päpstlichen Fiscal wegen Verdachts der Ketzerei belangt und ihm seitens der vom Papst eingesetzten Richter die Ladung, binnen 60 Tagen sich in Rom zu stellen, zugefertigt worden. Dieses – verlorene – Actenstück ist am 7. August in den Händen des Wittenberger Professors gewesen. Während nun die gesetzte Frist noch nicht zur Hälfte verstrichen sein konnte, ist, wenn anders die Vertreter der Echtheit Recht haben, am 23. August von Rom aus ein weiterer Schritt in dieser Angelegenheit unternommen worden. An den Cardinal Thomas de Vio aus Gaeta, Dominikanerordens, der damals in Augsburg sich befand, um die Deutschen Stände aus allen Kräften zur Beisteuer für den von Leo X. mit wahrer Leidenschaft betriebenen Türkenkrieg zu entflammen, ist an genanntem Tag ein päpstliches Breve[1] ergangen, folgenden Inhalts: Weil Luther, in Missachtung der päpstlichen Güte, die bei der früheren Ladung väterlich nur Besserung bezweckt habe, neue Schriften mit neuen irrthümlichen und ketzerischen Behauptungen veröffentlicht hat, wird, zur Schonung der Schwachen und weil die Sache beim Papst tum ex fama tum ex facti permanentia notorisch und unentschuldbar sei, dem Legaten strengstens auferlegt, ohne Verzug [3] Luther, hereticum per praedictum auditorem jam declaratum, mit Hilfe des weltlichen Arms zur persönlichen Stellung zu zwingen und ihn, bis auf weitere Befehle zur Vorführung in Rom, in Haft zu halten. Komme Luther freiwillig mit reuiger Bitte um Gnade, so sei dem Legaten verstattet, ihn wieder in den Schooss der Kirche zuzulassen: bleibe er aber in hartnäckiger Verachtung des weltlichen Arms fern, so möge Cajetan ihn sammt seinen Anhängern für ketzerisch, gebannt und verflucht erklären und öffentlich ausschreiben. Die weiteren eingehenden Bestimmungen gewähren Handhaben von grösster Schärfe gegenüber den etwa widerwilligen Landesgewalten (der Kaiser[2] ist ausdrücklich ausgenommen) und Klerikern.

Das Original ist nie an den Tag gekommen, auch in den päpstlichen Brevenregistern des vaticanischen Geheimarchives hat sich kein Concept auffinden lassen. Das Actenstück ist von Luther selbst in seinen Acta Augustana veröffentlicht. Nach seinem Ausspruch wird man wohl anzunehmen haben, dass der Legat in Augsburg davon gegenüber dem Kurfürsten Friedrich Gebrauch gemacht hat. Luther selbst erhielt es Ende October auf der Rückreise von Augsburg in Nürnberg durch Zusendung Spalatin’s, der ihm schon vorher wiederholt darüber Mittheilung gemacht hatte. Luther hat[3] damals wie später das Breve mit aller Entschiedenheit für untergeschoben gehalten. Er mass in dem von der Sächsischen Censur geschwärzten Eingang seiner postilla super breve die Fälschung dem Cardinal selbst bei[4]. Seine Argumente werden uns später beschäftigen.

Den zeitgenössischen Geschichtsschreibern wie Anshelm, Scheurl, Sleidan hat das Breve als erwünschtes Material gedient. Aus den Briefen des Juristen Chr. Scheurl, der bei Luther’s Durchreise in Nürnberg Kenntniss erhalten hatte, geht hervor, dass er seine Zweifel keineswegs billigte[5].

[4] Der erste neuere Historiker, der, meines Wissens wenigstens, Luther’s Zweifel getheilt hat, war kein geringerer als Ranke. Ihm sind O. Waltz und Maurenbrecher[6] gefolgt, während (mit Ausnahme Plitt’s) die Kirchenhistoriker und speciell die neueren Biographen Luther’s[7] an der Echtheit des Actenstücks festgehalten, bezw. sich wieder davon überzeugt haben.

Die genannten Profanhistoriker, deren Ansicht, da es sich hier nicht um Polemik handelt, füglich zusammengefasst werden darf, haben vor allem gleichfalls Anstoss genommen an der „Verdammung“ als erklärter Ketzer am 23. August unerachtet des noch in Rom anhängigen Rechtsverfahrens. Ferner daran, dass mit dieser „Verdammung“ die Sache doch im Rom hätte zu Ende sein müssen, während noch im October Cajetan dem erschienenen Luther, sowie nachher dem Sächsischen Kurfürsten mit Fortsetzung des Verfahrens in Rom gedroht und thatsächlich[8] auf eine solche gedrungen hätte.

Das Auffallende der Fristverletzung hat Kolde zugegeben, aber nicht für entscheidend erachtet, dagegen sammt Köstlin hervorgehoben, wie die in Augsburg von Cajetan wider Luther geschleuderten Drohungen[9] im Einklang ständen mit den Weisungen des Breve. Von der gleichen Seite wurde versucht, Luther’s Zweifel an der Echtheit durch Analogieschlüsse zu entkräften, und (durch Kolde) das durch das gleichzeitige Breve an den Sächsischen Kurfürsten gegebene Moment berührt. Dem letzteren Argument hat er nachher dadurch noch eine weitere Stütze verliehen, dass er in der Lage war, gleichzeitige und gleich harte Massregeln, die auf Veranlassung des Papstes der Generalvicar der Augustiner in Rom angeordnet habe, nachzuweisen[10]. Die Zweifel von Waltz an der Echtheit auch dieses Actenstücks darf [5] man auf sich beruhen lassen. Aber nicht zu verkennen bleibt, dass der Angriff der Kirchenhistoriker eine Hauptstütze der gegnerischen Ansicht, nämlich die Unvereinbarkeit der „Verdammung“ vom 23. August mit dem in Rom eingeleiteten und fortgesponnenen Verfahren, höchstens gestreift, keineswegs erschüttert hat.

Während über die Inquisitionsprocesse der Dominikaner aus den verschiedensten Ländern eingehende Belehrung uns zu Theil geworden ist, hat sich in neuerer Zeit meines Wissens noch Niemand Mühe gegeben, die Formen zuverlässig festzustellen, unter denen in jenem Zeitraum in Rom selbst kirchliche Censuren erlassen wurden. Was wir wissen von dem Verfahren im Fraticellenprocesse, ferner wider Savonarola, Reuchlin und etwa noch gegen den Grafen Johann Pico von Concordia, reicht nicht hin[11], um von vornherein mit einem festen Massstab der Kritik an das aus dem Breve vom 23. August zu reconstruirende Vorgehen heranzutreten. Vielleicht werden sich im weiteren Verlauf gewisse, wenigstens negative, Kriterien ergeben: zunächst wird ein anderer Weg der Untersuchung einzuschlagen sein.

Wir gehen aus von dem merkwürdigen Paralleldocument, dem päpstlichen Breve an Friedrich von Sachsen[12] vom 23. August 1518, in welchem, bei gleichem Verlangen der Auslieferung Luther’s nach Rom, derselbe als anrüchig der Ketzerei und Sohn der Bosheit bezeichnet wird. Die Echtheit dieses Actenstücks ist zweifellos, nachdem das Concept sich im päpstlichen Geheimarchiv vorgefunden[13]. Dasselbe weist insofern Abweichungen vom gedruckten Text auf, als die Vorlage des letzteren erst durch Randzusätze und Drüberschreiben von Worten und Sätzen unter [6] Ausstreichung der ursprünglichen Fassung hergestellt ist. Die Bedeutung dieser Correcturen kann keinen Augenblick zweifelhaft sein: durchweg sind sie bestimmt, eine mildere Anschauung durch eine strengere zu ersetzen. Da sind Z. 12 des Löscher’schen Drucks die Worte iniquitatis filium erst durch Ueberschrift hinzugefügt, ebenso Z. 14 quae in humilitate et obedientia consistit. Für jactare se tanquam (Z. 15) stand j. s. et asserere, ebenso ist das anmassende adhuc Z. 21 erst nachträglich drübergeschrieben. Statt impia et heretica (Z. 26) stand heresin sapientia. Vor allem jedoch hatte ursprünglich Z. 31 hinter commisimus (im Concept committimus) gestanden: qui [Cajetanus] si eum non aberrare deprehenderit insuper cum aliquo munere est remissurus, si vero errantem quidem sed ad poenitentiam paratum reverti invenerit, nos nobilitati tue spondemus, clementiam nostram et gremium misericordie neque illi neque cuique clausuros. Quae res et causa ut melius decidatur (nun wird Friedrich beschworen) ut is Martinus in presentiam et judicium predicti cardinalis legati nostri deducatur[14].

Also vor dem 23. August, in einem Moment, in dem man von Friedrich’s Wunsch, die Sache Deutschen Richtern übertragen zu sehen, noch nichts wissen konnte, hat man dort von selbst daran gedacht, den Fall wenigstens in Deutschland, wenn auch durch den Legaten, schlichten zu lassen[15]. Darin muss man doch wohl eine augenblickliche Wendung zur Milde gegenüber der im Juli erlassenen Citation nach Rom erkennen. Um den 23. August, dessen Datum auch das Concept trägt, muss ein abermaliger Umschlag erfolgt sein, in Folge dessen die Verschärfungen des Breve an Friedrich hinsichtlich der Tonart in Verwerfung Luther’s und hinsichtlich der Feststellung der erforderlichen Schritte eingetreten sind. Hier hätten wir also das persönliche Moment, aus dem heraus auch das gleichfalls vom 23. August datirte Breve an Cajetan erlassen sein müsste. Wenn beide noch Unterschiede aufweisen, so sind diese doch nahezu selbstverständlich im Hinblick [7] auf das von beiden Adressaten, dem Reichsfürsten und dem Cardinallegaten, seitens der Curie zu Erwartende.

Es war ein von Vertrauten wohl beobachteter Zug Leo’s X., dass er trotz einer an sich milden Natur ins Gegentheil umschlug, wenn er durch erneute Uebertretungen solcher, denen eben verziehen war, gereizt wurde[16]. Von eigentlicher Vergebung ist in unserm Fall nun nicht die Rede; immerhin muss ein gewisses Schwanken zwischen schärferer und milderer Auffassung, nach dem oben ausgeführten, angenommen werden, dem der Natur des Pontifex entsprechend durch vermeintliche Halsstarrigkeit Luther’s[17], durch wiederholte ketzerische Publicationen ein jähes Ende bereitet wurde.

Evers ist nicht verlegen gewesen, die Ursache dieser Aufwallung, zu der Leo’s Seele sich hingerissen sah, zu erkennen. Nichts anderes habe Schuld getragen, als die schriftstellerische „Agitation“ Luther’s zu Ungunsten des vom Papst gerade beim Deutschen Reichstag erstrebten Beschlusses eines Türkenkriegs. Und wenn Leo nachher die hitzig ergriffene Massregel rasch wieder habe fallen lassen, so sei das veranlasst durch seine Abneigung, sich der Hilfe Maximilian’s zur Unterdrückung Luther’s zu bedienen, um sich dem Kaiser nicht etwa hinsichtlich der Wahl seines Enkels Karl von Spanien verpflichten zu müssen[18]. Zum Beweis seiner Grundbehauptung hat Evers aus dem gleichen Brevenband, in dem das Schreiben an Friedrich von Sachsen steht, zwei an sich recht interessante Breven an die Legaten in Deutschland vom 22. und 23. August 1518 abdrucken lassen. In diesen wird zur äussersten Anstrengung unter den widerhaarigen Reichsständen angespornt und vom Papst jeder Schatten von Eigennutz oder Ehrgeiz bei seinem kriegerischen Vorhaben abgewehrt[19]. Aber der Versuch, aus diesen Actenstücken irgend einen Bezug auf eine agitatorische Thätigkeit Luther’s nach jener Seite [8] hin herauszufinden, muss als ein ganz halsbrechendes Unternehmen bezeichnet werden. Davon kann um so weniger die Rede sein, als Luther bis dahin hinsichtlich des Türkenzugs höchstens mit ganz gelegentlichen Anspielungen sich hervorgewagt hatte[20].

Wenn es erforderlich ist, den Punkt zu suchen, an welchem Luther’s deutsche und ausserdeutsche Gegner den Hebel angesetzt haben mögen, um den unsicher schwankenden Papst aufzuhetzen und zu einschneidenden Massregeln fortzureissen, so wird man wohl an innerkirchliche Machtfragen denken müssen. Anfang Juli hatte Luther seine (erst später gedruckte) Predigt über die Excommunication gehalten. Bald waren aber von fremder Hand in Thesenform daraus zusammengestellte Sätze in Umlauf gebracht worden, deren einschneidende Anschauungen über das Verhältniss von Heil und Kirche dem kühnen Prediger, nach seiner wie Spalatin’s Ansicht, mancher Orten, besonders auch auf dem Augsburger Reichstag, viele Widersacher erweckt hatten[21]. Man muss annehmen, dass jene Sätze von dort nach Rom befördert sind[22], wo sie, zusammentreffend mit anderen Hetzereien, sehr wohl als Mittel des dominikanischen Verfolgungseifers wirksam gemacht sein können. Da war in der That die ganze Stellung der Kirche, wie sie bisher aufgefasst war, ins Wanken gebracht. Aber wenn obige Vermuthung auch nicht zuträfe, so lag auch sonst hinlängliches Material vor, Luther mit neuer Schuld belastet erscheinen zu lassen, um nicht zu der Annahme seiner zur schleunigen Repression herausfordernden „Agitation“ gegen den Türkenzug greifen zu müssen. Beiläufig passt [9] das Breve selbst, wie mir scheint, nicht zu der Vorstellung, dass ein Vorkämpfer des nationalen Widerstandes gegen die päpstliche Finanz- und Kriegspolitik darin mit kirchlichen Censuren heimgesucht werden solle. Wie kann man den päpstlichen Staatsmännern damals die Absicht zutrauen, als Helfer Luther’s oder Verweigerer der Handreichung zu seiner Vernichtung etwa drei Viertheile von Deutschland unter Interdict zu stellen!

Die Sache steht also nach zweifellos authentischer Quelle so, dass am 23. August der Papst den Kurfürsten von Sachsen gewarnt hatte, eine haeresis perniciosissima in seinem Land aufkommen zu lassen und dass er – trotz der noch längst nicht abgelaufenen 60tägigen Stellungsfrist – Luther’s Auslieferung nach Rom verlangt hatte. Nun ist der Grundzug des angefochtenen Breve an Cajetan doch die hierbei gleichsam in voller kirchlicher Waffenrüstung gestellte Forderung, den Ketzer in die Gewalt des päpstlichen Stuhls zu bringen. Mir erscheint es als ein Beweis mehr für diese Absicht des Schriftstücks, dass gleichzeitig noch in anderer Weise durch Luther’s derzeitigen Ordensvorstand auf päpstliches Geheiss der gleiche Zweck angestrebt wurde. Nicht die „Nullität“ des einmal eingeleiteten Verfahrens dürfte somit als unmittelbare Folge des neuen Erlasses betrachet werden, als vielmehr das durch Verschärfung des Conflicts hervorgerufene Bestreben, den Verlauf des Verfahrens zu sichern durch Sistirung des Angeschuldigten. Dafür spricht, dass das Breve gerade an dem Tag ausgefertigt wurde, an dem im Brief an Friedrich das ursprüngliche Verlangen einer Stellung vor Cajetan ersetzt wurde durch das der Auslieferung nach Rom. Ferner lief der Process thatsächlich fort, wie die Drohungen des Legaten gegenüber Luther und die Aeusserung im Brief an Sachsen, dass Rom die pestilenzische Angelegenheit weiter verfolgen werde, andeuten[23]. Unter diesem Gesichtspunkt wird auch Cajetan’s consequente Weigerung erst recht verständlich, richterlich vorzugehen[24]. Man weiss ja, wie sehr die von ihm beliebte Betonung [10] seines väterlichen Verhaltens Luther’s Spott herausgefordert hat.

Passt insoweit das Breve zu den Umständen, so ergeben sich allerdings aus seinem sonstigen Inhalt Anstände, welche seit Ranke bemerkt, aber wohl zu einseitig in den Vordergrund der Beurtheilung gestellt worden sind.

Einmal nicht wegzuleugnende Unregelmässigkeiten, um nicht zu sagen, die Willkür des gesammten Processverfahrens. Aber wie, wenn es dafür eine ausreichende Erklärung gäbe? Hinsichtlich solcher curialer Gepflogenheiten, heisst es nämlich in einer bisher nicht beachteten Stelle eines Schreibens des oft genannten Juristen Scheurl an Luther[25]: „Es ist Recht, dass du verlangst, gehört zu werden; aber bei Rechtsunkundigen, bei denen die verkehrte Ordnung die höchste Ordnung ist, ist es im Fall der Notorietät nicht erforderlich, ordnungsgemäss vorzugehen. Und es liegt in der Hand der Machthaber, zu erklären, was notorisch sei, denn das Recht beruht auf der Macht“ (eigentlich auf den Waffen).

Durch diese für Nichtjuristen wenig schmeichelhafte Stelle ist soviel gewiss, dass der fachmässig gebildete und praktisch erfahrene Zeitgenosse gerade an den Punkten des Breve kein ernstes Bedenken fand, die Luther so vor den Kopf stiessen und Neueren Anlass zum Bestreiten der Echtheit wurden. Scheurl kannte das Aktenstück, auf das ohne Zweifel hier angespielt wird, seit Monaten: er hatte Zeit gehabt, seine Ansicht zu prüfen. Offenbar erschien ihm aus seiner Kenntniss der Verhältnisse heraus die im Breve als Grund für die abgeänderte päpstliche Entschliessung selbstherrlich angenommene Notorietät der neuesten literarischen Sünden Luther’s als hinreichender Anlass zu der in Rom beliebten Nichtachtung der processualischen Frist.

Eine volle Sicherheit der Authentie ist freilich auch durch [11] diese Hinwegräumung des hauptsächlichsten Anstosses nicht erreicht. Sehr kritische Geister hätten Erlaubniss zu finden, dass ein Irrthum Scheurl’s nicht ausgeschlossen sei; insbesondere da andere, in seinem Ausspruch nicht berührte Schwierigkeiten bestehen blieben. Zum Glück ist es möglich, diese letzte Ausflucht, irre ich mich nicht ganz, zu versperren. Am 7. October 1518 hatte der päpstliche Vicekanzler Julius de Medici an den Cardinal Cajetan in einer Weisung, in der die Auslieferung der goldenen Rose an Friedrich von Sachsen abhängig gemacht wurde von dessen Verhalten in Sachen Bruder Martin’s, folgendes[26] angeordnet: „Und in der genannten Sache Bruder Martin’s halte sich E. H., wie es ihr gut scheint; und hinsichtlich der Ausfertigung, welche E. H. übersandt wurde, kann sie den Ausweg einschlagen, welchen sie für passend erachtet. Und in Betreff ihrer (d. h. der Ausfertigung) ward geurtheilt, dass in notorischen oder offenbaren Sachen keine weitere Förmlichkeit oder Ladung stattfände.“

Daraus erhellt erstens unwidersprechlich, dass eine Verfügung von Rom aus ergangen war, worin, ganz wie im Breve vom 23. August, wegen Notorietät der Sache von der förmlichen Ladung (d. h. der Ansetzung eines Verhörs) abgesehen war. Warum beide nicht identisch sein sollten, ist schlechterdings nicht abzusehen.

Weiter ergibt sich aus der hier zum ersten Mal verwertheten Stelle, dass man hinsichtlich dieses Breve von Rom aus schon in einem Zeitpunkt den Rückzug beschlossen hatte, da Luther noch gar nicht vor Cajetan’s Antlitz getreten war. Auch für die gesammte Stellung des Papstes ist dieser abermalige Wandel von hohem Interesse.

Nur verhältnissmässig Weniges bleibt noch hinzuzufügen. Da das Breve als echt von Rom selbst anerkannt ist, wird man sich mit den „Enormitäten“ seines Inhalts eben zurechtfinden müssen, wobei allenfalls der Trost bleibt, dass die Art der Ueberlieferung kleinere Textentstellungen wenigstens nicht ausschliesst. [12] Ein Hauptanstoss ist ja seit Ranke gewesen, dass der eben erst citirte Luther dem Breve bereits als haereticus declaratus gilt. Nach der angeführten Aeusserung des Vicekanzlers, des späteren Clemens VII., dürfte das nicht mehr so erstaunlich sein. Von einem förmlichen Urtheil, einer „Condemnation“, wie Ranke sagt, dürfte freilich um so weniger die Rede sein, als ja nur einer[27] der beiden in der Ladung vom Juli designirten Richter, der Auditor, Bischof Hieronymus von Ascoli, als Urheber jener Declaration im Breve bezeichnet wird. Aber wie man auch eine solche Glaubensentscheidung auffassen will, sie kann nach dem bereits Feststehenden keinen Grund zur Verdächtigung des Aktenstücks mehr abgeben. Vielleicht wird man folgenden Weg für gangbar erachten, um über die Schwierigkeit hinwegzukommen. Wenn man die Bannbulle von 1520 gegen Luther und seine Anhänger zu Hülfe nimmt, so zeigt sich, dass sie eine Unterscheidung kennt zwischen der Erklärung als Ketzer und der Verurtheilung: hereticos – – – fuisse et esse declarantes, eosdem, ut tales, horum serie condemnamus etc.[28]. Aleander selbst hat das wohl so aufgefasst, wenn er um den December 1520 erklärte, chel Santissimo, vero judice, havea judicato et condemnato[29]. Das nachweisliche Drängen Cajetan’s auf Verurtheilung Luther’s im Spätjahr 1518 darf allerdings nicht zur Bestätigung dieser Anschauung gebraucht werden. Denn man weiss ja jetzt, dass seit dem 7. October der Standpunkt des Breve in Rom so gut wie verlassen war.

Es sei gestattet, noch mit einem Wort auf den Sprachgebrauch des Schriftstücks einzugehen. Luther in seiner Postille zum Breve hat es für unmöglich gehalten, dass der Papst seinem Cardinallegaten den Titel dilecto filio (statt fratri venerabili) gegönnt hätte. Es ist das ein Irrthum, denn die Cardinäle wurden in dieser Beziehung gleich den Fürsten behandelt[30].

[13] Dass antikisirende Wendungen in einem Schriftstück aus der Zeit dieses Papstes, obendrein wenn sie von Sadolet ausgefertigt sind, Bedenken nicht erwecken können, halte ich für selbstverständlich[31]. Trotzdem habe ich mich eifrig bemüht, einen besonderen, in der Geschichte der Wiederentdeckung des Alterthums gegebenen, Anlass aufzuspüren für folgende der Feder des päpstlichen Sekretärs entflossene Phrase: Tibi [Cajetano] – – – eum [Lutherum] – – – et sequaces, etiam per edicta publica, ad instar illorum, qui [sic!] olim in Albo praetorio scribebantur, pro haereticis, excommunicatis, anathematicatis et maledictis publicandi – – – concedimus facultatem. Doch selbst die angerufene Unterstützung eines der hervorragendsten Rechtshistoriker hat nicht weiter geführt. Aber die Heimath solcher Gelehrsamkeit wird, wie die Dinge liegen, kein ruhig Urtheilender ausserhalb Roms suchen wollen.

[90]
II.
Das Räthsel seiner Politik.

„Veranlassung zu neuer Verwirrung (der Italienischen Angelegenheiten) gaben die, welche in höherem Maass als andere zur Erhaltung des Friedens verpflichtet, öfter als andere ihn stören, und absichtlich mit all ihrer Kraft das Feuer entzünden, welches sie, wenn andere Mittel nicht ausreichen, mit ihrem eigenen Blut zu löschen bedacht sein sollten,“ so lautet das Urtheil eines zeitgenössischen Patrioten, der jedoch zugleich ein hochgestellter päpstlicher Beamter war, über die Politik Leo’s X. Bekanntlich sind in den mehr als 300 Jahren, seit Guicciardini[32] diesen Vorwurf, der durch den durchsichtigen Hinweis auf den Stifter des Christenthums noch einschneidender wird, zugespitzt hat, gar mannigfach andere Schlüssel versucht worden, um in das Geheimniss einzudringen.

Dass hoher Ehrgeiz, gelindert durch fürchtende Berechnung, und eine starke Unentschlossenheit Hauptzüge sind im Charakter dieses noch jungen Papstes, den starkes Familienbewusstsein und der Wunsch, das Zutrauen seiner Wähler zu rechtfertigen, vorwärts trieben, wird als zugegeben angesehen werden dürfen. Die Schwierigkeiten erheben sich erst, wenn man sich mit diesen zu Tage tretenden Zügen seines Wesens nicht begnügt. Was hat es auf sich mit seiner Familienpolitik, wie stellte er sich zu den [91] Zielen seines Vorgängers, was ist Glück und was ist Schuld in seiner Laufbahn? Speciell ist es ein vor etwas länger als Jahresfrist erschienenes Buch, das zu einem erneuten Versuch der Beantwortung Anlass geboten hat[33]. Die archivalischen Funde Nitti’s, eines bewährten Kenners jener Zeit, haben alle Zweifel, die die Forschung von Ranke bis Baumgarten nicht völlig hatte heben können, beseitigt hinsichtlich des doppelzüngigen Charakters der Staatskunst Leo’s. Es steht fest, dass dieser Papst mit Vorliebe nicht etwa nur mit zwei Gegenparteien zugleich geraume Zeit hindurch zu verhandeln verstanden hat. Nein, er hat es sogar fertig gebracht, mit Rivalen wie Franz von Frankreich und Karl von Spanien gleichzeitig zum Abschluss von Verträgen zu gelangen, deren geheime Ziele, wenigstens im Sinne der beiden Könige, sich ausschliessen mussten.

Einem solchen Meister der Verstellungskunst in die Karten zu blicken, ist allerdings kein leichtes Stück. Ist doch den Handlungen wie den Worten eines Mannes, der es instinktmässig darauf anlegte, unerrathen zu bleiben, gleich schwer der innerste Gedanke abzunehmen. Obendrein hat er wenig Schriftliches im diplomatischen Verkehr selbst entworfen, und das Vorhandene steht eben auch unter dem Zeichen der ihm geläufigen Anschauung, dass man beim Abschliessen mit einer Partei nicht aufhören dürfe, mit der anderen zu verhandeln[34]. Das muss vorsichtiger machen gegenüber den reichlicher fliessenden Briefen und Depeschen seines Vetters und Staatssekretärs, des Cardinals Giulio de’ Medici. Dieser, später als Papst zu seinem Unglück über sein Können hinausgewachsene, Prälat war von der klugen und geschmeidigen Art, die sich vortrefflich zur Führung verwickelter und langwieriger Unterhandlungen eignet. Nach dem Zeugniss Guicciardini’s, welcher den feineren Passionen ergebenen Leo „allzusehr den Geschäften entfremdet“ nennt, müsste man annehmen, dass Giulio „Mitwisser aller seiner Geheimnisse“[35], [92] die eigentliche Seele der Geschäfte, gewesen wäre. Doch hat hierbei der sonst über päpstliche Dinge wohl unterrichtete Gouverneur von Reggio und Modena die Verhältnisse wohl zu sehr von aussen gesehen. Es scheint sicher, dass in allen halbwegs wichtigen Fragen der Cardinal zuvörderst des Papstes Meinung einholte, und dass er somit in allem Wesentlichen ausführendes Organ war. Da beide sich, trotz mancher verschiedenen Begabungen, trefflich verstanden, nimmt es nicht Wunder, dass sie jezuweilen die beiden verschiedenen Gesichter der päpstlichen Politik angelegt hatten[36].

Für unsere Zwecke genügt das Gesagte, einerseits, um Leo’s Verantwortlichkeit annähernd festzustellen, andererseits, um in Erinnerung zu behalten, dass in Giulio’s Mittheilungen an vertraute Organe über des Papstes Ansichten und Entschlüsse zwar schwerlich ein Getäuschter, aber manchmal ein zur Erregung von Täuschungen Angestifteter das Wort haben könnte.

Unter diesen Umständen wird man dem Unternehmen Nitti’s, Schritt vor Schritt die Schleichwege einer solchen Politik nachweisen zu wollen, doch mit einem gewissen Bedenken begegnen. Aber selbst wenn man darauf verzichtet und nur die Ziele der Bestrebungen zu fixiren versucht, gibt es Schwierigkeiten eigenthümlicher Art. Nitti hat diese mit kühnem Griff angepackt und vielfach mit Erfolg bei Seite geworfen. Aber nicht allen seinen Aufstellungen und Folgerungen dürfte man ohne weiteres beitreten, so bestrickend und unentrinnbar vielfach seine Darlegungen zu sein scheinen.

Nitti hat, wenn ich die Sache mit einem aus dem Italienischen Volksleben entlehnten Bild klarer machen darf, bewiesen, dass Leo es liebte, stets zwei Vögel in seiner Pfanne zu braten, um, wenn etwa der eine in’s Feuer fiele, an dem andern sein Genügen zu haben. Aber in gar manchen Einzelfällen bleibt nach wie vor die alles tiefere Verständniss bedingende Frage, welchen er eigentlich am liebsten verzehrt haben würde, offen oder dunkel.

[93] Unerlässlich dünkt es mir daher, ehe wir Stellung nehmen zu einigen Hauptergebnissen jenes Verfassers, den Versuch zum tieferen Erfassen der sittlich-politischen Persönlichkeit dieses, auch für uns Deutsche so interessanten, Papstes zu wagen.

Kein Porträt, auch nicht das herrliche Raphael’s im Palazzo Pitti, vermag dem Beschauer die Gesammtindividualität des Mannes zu vergegenwärtigen. Sprechend tritt uns aus dem Rahmen der feine Genusssinn des Originals entgegen, das allgemeine Wohlwollen, die behagliche, ruheliebende Natur, überhaupt die persönliche Liebenswürdigkeit des an sich unschönen Mannes. Aber die Einwirkung des Landes und der Stellung, in die er eingetreten, kann höchstens angedeutet erscheinen, während gar Stärke und Art der politischen Begabung, weil sie in unserem Fall keine naturgewaltige Leidenschaft, sondern mehr eine durch das Leben eingepflanzte Gewohnheit war, der künstlerischen Ausprägung sich entziehen konnte. Und letzteres führt nun zu einer Reihe von Erwägungen, denen ich zur richtigen Beurtheilung Leo’s einen gewissen Werth beimessen möchte.

Der Papst Leo kann vollständig nur verstanden werden aus den Schicksalen und Gewöhnungen des Cardinals Giovanni de’ Medici. Gleich seinen Brüdern Piero und Giuliano hatte unser Giovanni nach dem vorzeitigen Tod des Vaters Lorenzo das wechselnde Schicksal eines buntbewegten Flüchtlingslebens durchmachen müssen. Missverständlich ist die Annahme[37], dass er, ganz anders geartet wie Piero, damals den Schein erstrebt habe, die Macht zu fliehen, sicher, dass sie ihm dadurch um so leichter zufallen werde. Es lässt sich beweisen, dass auch Giovanni Jahre hindurch die wider Florenz gerichteten Umsturzpläne des älteren Prätendenten mit Rath und That, durch Vorstreckung von Mitteln und durch persönliche Theilnahme unterstützt hat, dass er tief verstrickt war in alle Verschwörungen [94] und Ueberfälle, in alle Anzettelungen, selbst mit Cäsar Borgia[38]. Erst nach Piero’s jähem Tod, als, anderer vielleicht mitwirkender Motive der Lage zu geschweigen, Ebbe in der Kasse eingetreten war, hat er um 1503 für zweckmässig befunden, eine andere Miene aufzusetzen. Seitdem hat er, oft genug bis zur Erschöpfung seines Eigens, in Rom den gütigen Patron aller Florentiner gespielt, und sich in jeder Weise bemüht, wie man sagen könnte, moralische Eroberungen zu machen.

Auffallend genug erinnert das Verhalten des jungen Cardinals an das des Prätendenten Louis Napoleon, der auch zuerst durch Verschwörungen und Putsche in Frankreich die Gewalt zu erraffen gemeint hatte, dann jedoch, weiser geworden, in England den aufmerksamen Beobachter gespielt und emsig Freunde und Anhänger geworben hatte.

Gleich ihm, dem nachherigen Kaiser, hatte auch der spätere Leo X. als junger Mann Jahre lang das Gewerbe des Verschwörers getrieben. Die ihm eigenthümliche Lust zu täuschen, die Unbekümmertheit um unerfüllbare Versprechungen[39], die Geschicklichkeit im doppelten Spiel, die für einen Papst so auffällige Gleichgültigkeit gegen die Moralität seiner Werkzeuge, soweit sie nur brauchbar waren, erscheinen als nicht abzulehnendes Vermächtniss aus jener Periode des Flüchtlingstreibens.

Zwar hatte Giovanni nicht sowohl für sich selbst, als für die Ansprüche des Hauses mitgearbeitet. Für einen am Gelingen so nahe interessirten Theilnehmer der Versuche zur „Wiedererlangung des Vaterlandes“ mussten die bleibenden Eindrücke jedoch nahezu die gleichen sein. Ohne eigentliche Grösse, selbst ohne die hohe Leidenschaft der Empfindung, die bei den politischen wie künstlerischen Bestrebungen Julius’ II. mit so elementarer Kraft herausgebrochen war, ein Mann von gutem Mittelschlag in jeder Beziehung war der Papst Leo so recht ein Kind des Glückes. Und das ist ihm seitdem treu geblieben [95] in dem, was es ihm gegeben nicht minder, als vielleicht in dem, was es ihm erspart[40]. Schon am Ende seines ersten Lustrums hatte er das von der Furchtlosigkeit seines Vorgängers berufene Lateranconcil zu einem der Erhöhung der Papstgewalt dienlichen Schluss geführt; durch den Gegensatz der in Rom zu seiner Zeit herrschenden Sicherheit zu den Wirren und Kriegen Norditaliens war die Hauptstadt zu erhöhter Blüthe herangereift; die Künste, denen doch vornehmlich die Willenskraft und das hohe Verständniss seines Vorgängers die Wege geebnet, erfüllten das tägliche Dasein Leo’s und die unter seiner Obhut stehende Kirche mit so unerhörtem Glanz, dass man noch nicht aufgehört hat, von einem Zeitalter Leo’s X. zu schreiben. Welches Bild endlich der Erfolg seiner auf Leitung der Europäischen Dinge gerichteten Friedens- und Türkenzugspolitik in den Herzen papalistischer Prälaten geschaffen hatte, kann ein Erguss lehren, den der an den Spanischen Hof um obiger Zwecke willen entsandte Cardinal Egidio gerade damals[41] an seinen Herrn gerichtet hat.

Nach einer Einleitung, dass aus Freude über einen Gerechten Gott der nur zu sündigen Welt verzeihe und dass Leo’s Güte, Redlichkeit, Barmherzigkeit, Heiligkeit und Gottesfurcht den Herrn versöhne u. s. w., heisst es: Jegliches Ding entspricht deinen Wünschen, neigt sich deiner Frömmigkeit, macht sich dienstbar deinen Gedanken und folgt deinen Anordnungen. Du befiehlst den Königen die Waffen niederzulegen und sich in Bündnissen zu vereinen, den Fürsten friedlich zusammen zu leben. Und kaum hast du das dafür eingesetzte Opfer dargebracht, so siegen schon im Süden die christlichen Fahnen, Barbarossa fällt[42] und ein auf die Christen sich stützender König übernimmt die Herrschaft gen Osten. Dir gehorsam gibt des [96] Kaisers Majestät eine sehr schwer wiegende Sache auf und lässt sich mit Venedig vereinen auf Bedingungen, welche von dir bestimmt sind. Der allerchristlichste König verbündet sich mit einem anderen erlauchten Herrscher nicht bloss durch Worte, sondern durch einen Ehevertrag – – –, während doch niemand zu hoffen gewagt hätte, dass sie sich zu Stillstand und Frieden würden erbitten lassen. Heute endlich, am 10. August, gibt sich dir mein katholischer König hin, nimmt deine Befehle an und führt sie aus. Und weiter am Schluss: „Der Götter und der Menschen Stimmen heischen, dass du hoch erhoben vor den Königen dahergetragen werdest. Dieser heutige Tag schenkte Gott einst die Spanische Ritterschaft und nunmehr seinem Stellvertreter, Spaniens König.“

In der That, der vollendetste Höfling vermöchte es nicht besser zu machen als dieser ob seiner Freimüthigkeit von der Eröffnung des Concils her gefeierte Augustinergeneral! Man meint fast die Luft zu athmen, in der es begreiflich wird, dass ein Leo es geschehen liess oder gar wünschte, seine Züge im Mittelpunkt der allegorischen und geschichtlichen Gemälde zu sehen, in welchen Raphael die Phasen der neuen kirchlichen und kirchenstaatlichen Entwicklung verewigte. Der einstige Flüchtling konnte es nicht handgreiflich genug vor sich sehen, dass die Wirklichkeit die kühnsten seiner Wünsche übertroffen hatte. Man braucht, um sich dessen recht bewusst zu werden, daneben nur ein Wort Vettori’s[43] zu erneuern, das den ungünstigen Wandel im Urtheil Nahestehender über Leo erklären soll: „Sicher ist es schwierig, weltlicher Herr zu sein und gleichzeitig für religiös gelten zu wollen. Denn diese beiden Dinge fügen sich nicht in einander. Wer aufmerksam in der heiligen Schrift liest, wird die Päpste, obwohl sie sich Statthalter Christi nennen, als Träger einer neuen Religion erblicken, welche von jener Christi nur den Namen hat. Jene heischt Armuth, sie wollen Reichthum, jene Niedrigkeit, sie Stolz, jene Gehorsam, während sie einem Jeden befehlen wollen.“

Papst Julius II. hatte für den Kirchenstaat den Wettlauf der mächtigeren Italienischen Staaten nach Vergrösserung erst mitgemacht, schliesslich aber das Ziel verfolgt, alle Fremden, Spanier [97] wie Franzosen, vom Boden der Halbinsel auszustossen. Sein Nachfolger, Leo X., der das Errungene selbstverständlich behaupten wollte, sah sich nach Kurzem zu schmerzlichen Verzichten genöthigt, denen er jedoch Klarheit über das allein aus eigener Kraft ihm Erreichbare verdankte. So wurzelecht uns durch die Beweiskraft von Jahrhunderten für damalige Verhältnisse der territoriale Papststaat scheinen möchte, vergessen wir nicht, wie oft er in den letzten Menschenaltern der Aufsaugung durch Mächtigere oder der Auflösung unter gierige Nepoten ausgesetzt gewesen war. Für Leo standen die Dinge so, dass bei jeder starken Veränderung der Gesammtlage der Halbinsel die Existenz des Kirchenstaats oder wenigstens wesentlicher Theile desselben kaum minder bedroht war als die des aufs engste mit ihm verbundenen Florentinischen Staatswesens. Zur Erklärung und Entschuldigung der Haltung Leo’s darf daher gleich hier auf die ungemein heikle Lage hingewiesen werden, in der er sich als weltlicher Herrscher zwischen Spanien-Habsburg auf der einen und Frankreich auf der anderen Seite erblicken musste. Der Vortheil, dass die Mächte in ihm das Haupt der Kirche zu respectiren hatten, wird ziemlich wettgemacht durch die stete Besorgniss, dass trotzdem erfolgende Einschränkungen des päpstlichen Staates auch seinem Ansehen als oberster Pontifex Eintrag thun könnten. Sollte er sich als kirchliches Oberhaupt solchen Gefahren gegenüber ganz auf geistige Abwehr beschränken, unter Verzicht auf Mittel, die im Treiben der Welt den Zeitgenossen für statthaft galten? War es sicher, dass eine Haltung thatsächlich und nicht bloss mit Worten der Predigt des Friedens geweiht, dass vollkommene Sprödigkeit gegenüber den Anerbietungen der rivalisirenden Kronen die Gefahr beseitigen würde, die vermieden werden musste, die einer Verständigung der Beiden ohne oder auch gegen das weltliche Interesse des Papstes und seines Hauses?

Man muss begreifen, dass von vornherein seine Politik war, keine von beiden Mächten in Italien zu stark werden zu lassen. So lange er die Spanier in Neapel wusste, konnte ihm nichts liegen an der Entfernung der Franzosen aus Mailand, das sie im Anfang seines Pontificats wiedererobert hatten[44].

[98] Vorbehaltlich der Prüfung der politischen Schritte im Einzelnen kann alle Abneigung gegen so ungeistliches Gebahren nicht hindern zu begreifen, dass weniger der jeweilige Papst als die Institution des weltlichen Papstthums überhaupt Schuld trug an der damaligen Nothwendigkeit einer Schaukelpolitik zwischen den Mächten. Auch höher begnadeten Naturen ist es in ähnlicher Lage nicht anders ergangen. Man denke z. B. an die unvermeidlichen Windungen des Kurfürsten von Brandenburg zwischen Polen und Schweden im Jahre 1655. Aber freilich gilt es auch dabei, dass es erst der Ton ist, der die Musik macht und nicht die Noten.

Trotz der Vorsicht, mit der in den vorangehenden Betrachtungen versucht ist, die Linien der politischen Haltung Leo’s anzudeuten, ist die Frage doch nicht überflüssig, ob sie nicht an einzelnen Stellen zu bestimmt oder gar irrig gezogen sind. Hat denn dieser Papst thatsächlich ein beherrschendes Interesse gehabt für die Bedeutung des Kirchenstaats?

Das ist’s, was Nitti insbesondere gegenüber Baumgarten[45] im bejahenden Sinn im ersten Abschnitt seines Buches zur Geltung gebracht hat, indem er zu beweisen sucht, dass Leo keineswegs seine Nepoten zu fürstlichen Ehren im grossen Styl, zu königlichen Stellungen, habe befördern wollen.

Nitti’s Ansicht ist jedenfalls die bestbegründete, die über diese Frage bisher vorgetragen worden ist. Seinen Grundanschauungen wird sich schwer widersprechen lassen und dies zugegeben, ist es nicht leicht sich den Folgerungen dieses Schriftstellers zu entziehen.

Nitti macht geltend, dass Leo’s Bemühen, im Jahre 1515 den König von Frankreich zum Verzicht auf seine Neapolitanischen Ansprüche zu drängen, nicht sowohl der Erhöhung seines Bruders Giuliano als der ewig ihn quälenden Sorge gegolten habe, dass der Gebieter Mailands auch der Neapels werden könnte. Nur Parma, Piacenza, Modena und Reggio seien dem Bruder zugedacht gewesen. Ferner sei nicht der Papst, sondern die ehrgeizige Mutter seines Neffen Lorenzo die [99] eigentlich Schuldige an dem schnöden Raubkrieg um Urbino. Leo habe sich auch dem Plan versagt, für Lorenzo in der Romagna einen Staat zu gründen. Und endlich hätten Giuliano und Lorenzo, was durch frappante Mittheilungen erhärtet werden soll, weder physisch noch moralisch-politisch das Zeug dazu besessen, grössere Staaten zu begründen und zu behaupten.

Allerdings scheint mir dieses Urtheil über die beiden letzten legitimen Sprösslinge des Hauses Medici, wenigstens hinsichtlich Lorenzo’s, nicht unbedenklich. Was wiederholt über dessen politische und militärische Unfähigkeit gesagt wird, vermag ich nicht zu vereinigen mit der recht eingehenden Charakteristik bei Vettori, dessen innige Vertrautheit mit dem Hause und seiner Geheimgeschichte Nitti selbst wiederholt zu rühmen hat[46]. Die von ihm verwerthete Thatsache, dass Lorenzo nach seiner Vermählung, also kurz vor seiner langwierigen Erkrankung, keine Lust bezeigt habe, seine Fürstenrolle in Urbino und die eines Bürgerhauptes von Florenz weiter zu spielen, läuft doch parallel der anderen, dass auch Giuliano von vornherein nicht hatte in Florenz bleiben mögen, wodurch Ferdinand von Spanien gerade zu der Ueberzeugung gebracht war, dass er Königsgelüste hätte[47]. Möglich immerhin, dass auch einen Zögling der Renaissance, wie jenen Lorenzo, einen Moment der Gedanke menschlich-einfachen Behagens angelächelt haben könnte, wie Vettori andeutet. Aber sind nicht auch andere Gründe als Mangel an Kraft oder grossem Ehrgeiz für einen solchen Entschluss denkbar? Was wissen wir denn davon, wie Leo in seinem Vollgefühl als Haupt des Hauses und Papstkönig die Stellung jener Nepoten bezüglich etwaiger eigener Einmischung geordnet hatte!

Man braucht gar nicht an aus besonderem Grunde so krasse Beispiele, wie die schiefe Stellung der Brüder Napoleon’s I. als Satrapenkönige zu denken, um sich zu sagen, dass gerade ein selbständiger Ehrgeiz in der Rolle eines von Oben und Unten zugleich gegängelten „Oberbürgers“ von Florenz (es fehlt noch an einer passenden Bezeichnung für die Sache) kein Behagen [100] finden mochte. Ein Beweis, dass dem so gewesen, lässt sich nicht führen, aber einzelne Anzeichen deuten darauf, dass Leo nicht gesonnen gewesen ist, seine Familienglieder als Fürsten ganz ihren eigenen Entschliessungen zu überlassen[48]. War dem so, so hängt dieser Zug mit einer anderen Richtung der Politik Leo’s zusammen, die ich, allerdings nur aus dem Zusammenhang der Vorgänge heraus und nicht nach ausdrücklichen Zeugnissen, zu ahnen meine. Ich vermuthe, dass die Vergrösserung des materiellen Einflusses des heiligen Stuhles ihm nicht ausschliesslich und gleichmässig zu allen Zeiten in der Form von Annexionen vor Augen stand. Ein Kirchenstaat in Mittelitalien von Meer zu Meer, vom Po bis eventuell zum Garigliano reichend, war weit schwerer zu begründen, als die Feststellung einer politischen Leitung zu Gunsten des Papstes über eine Mehrzahl von Gebieten. Wie das für Florenz feststeht, hat sich Leo noch im Höhepunkt seiner Erfolge im Jahre 1521 hinsichtlich Sienas damit begnügt. Eine solche, an den stark vergrösserten Kirchenstaat angelehnte Oberlehnsherrlichkeit, bezüglich diplomatische Leitung, des heiligen Stuhles hätte ohne Schwierigkeit auch die Nepotenstaaten mit umfasst. Man wäre dann stark genug gewesen, um, in Rechnung auf den unsterblichen Gegensatz der beiden Fremdmächte in Nord und Süd, jeder von ihnen die für Italien verderbenbringende Erhaltung von Heeren[49] ausserhalb ihres Territoriums und auf Kosten selbständiger Staaten zu wehren. Dieses, wenn ich so sagen darf, dritte Italien, neben einem durch Französischen und einem durch Spanischen Wink gefesselten, hätte dadurch der „Freiheit Italiens“ einen recht erheblichen Dienst geleistet[50].

Für diese Auffassung ist es gleichgültig, ob die durch Leo bei seinen internationalen Abmachungen für seine Anverwandten [101] erstrebten oder ausbedungenen territorialen Vortheile etwas grösser oder etwas kleiner gewesen sind. Aber es lässt sich meines Erachtens ohnedies der Einwand nicht zurückweisen, dass wir hierüber nicht hinlänglich genau unterrichtet sind zu abschliessendem Urtheil. Der Gedanke, dass Umfassenderes, als wir zur Zeit wissen, in geheimen Abmachungen niedergelegt sein könnte, findet Bestätigung im Text des Vertrages mit Franz I. von Frankreich vom 20. Januar 1519. Da heisst es an der Stelle, wo von dem Schutz Frankreichs für Florenz, das Haus Medici und speciell Lorenzo, hinsichtlich gegenwärtiger und zukünftiger Besitzungen, die Rede ist, ausdrücklich: prout in alio tractatu plenius continetur[51].

Die Ziele seiner grosskirchenstaatlichen Politik, soweit sie innerhalb seines Machtbereichs sich befanden, hat Leo mit diplomatischer Feinheit und Falschheit, oder auch, wenn erforderlich und thunlich, mit rücksichtsloser Gewalt verfolgt. Letztere war selbstverständlich ausgeschlossen bei den Beziehungen zu den grossen Mächten, auch dann, wenn es sich um Italienische Fragen handelte. Und diese standen meist im Vordergrund der Betrachtung: denn es ist eine scharfsinnige Beobachtung Nitti’s, dass die Gleichgewichtsbestrebungen des Papstes, im Gegensatz z. B. zu denen des Cardinal Wolsey, nicht sowohl das Schicksal Europas als vielmehr wesentlich das der Apenninischen Halbinsel zum Ausgangspunkt gehabt haben.

Das zeigt sich schlagend bei seiner Stellungnahme in dem grossen Wahlkampf um die Kaiserkrone.

Als Maximilian I. raschen Anlaufs im Sommer 1518 diplomatische Siege erfochten hatte, die seinem Enkel Karl von Spanien die Würde des Römischen Königs zu sichern schienen, war Leo gerade tief und ernsthaft in seine Waffenstillstands- und Friedenspläne zum Behuf eines gesammt-christlichen Aufgebots wider den Halbmond verstrickt. Ob so ausschliesslich, wie Nitti[52] meint, mag dahingestellt bleiben. Genug, er war überrascht, als er von der Zusage der fünf Kurstimmen zu Gunsten Karl’s erfuhr, und zwar um so mehr, als er nach den [102] ihm zunächst zugekommenen Nachrichten die Wahl Karl’s für unvermeidlich ansah. Daher darauf bedacht, sich für alle Fälle nach beiden Seiten zu decken, unterhandelte er so verschmitzt, dass um die Jahreswende beide Bewerber, Franz von Frankreich und Karl von Spanien, vertragsmässig zu seinem Schutz, auch wider einander, verpflichtet waren; und zwar beide dazu bewogen mittelst des durch keine übernommene Verpflichtung bestätigten, aber künstlich erregten Wahns, den Papst in der Wahlfrage für sich zu haben. Das alles und insbesondere die Thatsächlichkeit eines derartigen Abkommens auch mit Spanien sind gesicherte Resultate Nitti’s. Ferner hat Leo im Verlauf dieser diplomatischen Campagne nicht gewagt, dem mächtigen und in Neapel benachbarten König Karl unwillfährig sich zu beweisen. Anfang November 1518 war die päpstliche Bulle, welche für diesen Fall das Hinderniss der Unvereinbarkeit der kaiserlichen und der Neapolitanischen Krone aufhob, ausgefertigt und wurde nur auf Andringen Lorenzo’s noch geheim gehalten, um Franz I. nicht zu dem Glauben gelangen zu lassen, dass der Papst die Wahl seines Gegners nicht bloss nothgedrungen dulde, sondern im Gegentheil befördere[53].

Mit diesem Resultat Nitti’s stimmt nun trefflich die von mir vertretene Anschauung[54], wonach um die gleiche Zeit etwa Leo beim Kaiser die Erwartung begünstigt hat, dass er die vor der Königswahl Karl’s erforderliche oder doch wünschenswerthe Krönung Maximilian’s mit der Kaiserkrone an der Grenze, etwa in Trient, vorzunehmen oder vornehmen zu lassen bereit sei. Dass er damit ebenso dissimulirte, wie mit dem Dispens, ist ja klar: aber der verdiente Herausgeber der jüngeren Reihe der Reichstagsacten[55] hat doch durchaus fehlgegriffen, wenn er die Aussagen Maximilian’s für unwahr und ein von mir ans Licht gestelltes weiteres Zeugniss für eine blosse Fälschung zu Wahlzwecken [103] hat ansehen wollen. Im Gegentheil ist es Leo gewesen, der den von ihm selbst erregten Erwartungen aalglatt sich zu entziehen verstanden hat.

Nur sein Verhältniss zu Franz I. kann verständlich machen, warum er sich damals zu solchen Winkelzügen gedrängt glaubte. Dieser traute dem Papst nicht recht, seit er, mit Frankreich frisch verbündet, im Jahre 1516 der Erwartung, dass er zur Vertheidigung Mailands Unterstützung senden würde, nicht entsprochen hatte. Bester Beweis ist, dass Leo nur sehr unbestimmte Kenntniss hatte von der diplomatischen Arbeit des Französischen Königs zu Wahlzwecken: er hat bis nach dem Tod Maximilian’s nichts davon erfahren, dass Franz für den Fall der Vacanz verbriefte Zusagen von vier Kurfürsten in der Tasche hatte[56]. Ich möchte mir das so erklären, dass es Franz damals im Herbst 1518 nicht sowohl darauf ankommen konnte, seine eigene Wahl zu erreichen, als vielmehr darauf, den Nachfolgeplan Maximilian’s zu verschleppen und dadurch zu vereiteln, in der Berechnung nach dem Tod des kränkelnden Kaisers seiner Sache sicher sein zu dürfen. Darum genügte es ihm, im Papst die Unentschlossenheit hinsichtlich der Hebung der bezeichneten Wahlhindernisse für Karl zu verstärken, ohne ein thätiges Eintreten Leo’s für sich herauszufordern. Seine nicht verstandene Gleichgültigkeit und Zurückhaltung hat dem päpstlichen Politiker damals schwere Zeiten verursacht. Immer wieder wird auf demonstrative Beweise der Französischen Freundschaftsversicherungen gedrungen, und wenn heute Leo, durch schriftliche und mündliche Ergiessungen des Französischen Herrschers befriedigt, seiner Zuversicht entschiedenen Ausdruck gab[57], so kehrte morgen der nagende Zweifel zurück. Immer noch lieber wollte er die Wahl Karl’s durch Gewährung der beiden von ihm abhängigen Zugeständnisse befördern als sich [104] durch ihre Verweigerung ohne vorherige sichere Garantie der Wahrung seiner Interessen in Abhängigkeit von dem guten Willen Frankreichs bringen lassen.

Der unerwartete Tod des Kaisers, der eine neue Situation schuf, war daher ausgesprochenermassen eine Art Erlösung für ihn. Andererseits erschien eine Erhebung Karl’s, die diesen nun ohne die mit Vortheil auszubeutende Ungewissheit einer Wartezeit unmittelbar auf den Thron gesetzt hätte, als eine viel brennendere Gefahr für die Unabhängigkeit des heiligen Stuhls, denn vorher. Unbestreitbar ist es heutzutage, dass Leo jetzt von vornherein gegen seine Wahl gestimmt war und gewirkt hat. Der Papst wartete nicht einmal, bis die Kunde von der Vollziehung jenes zwischen ihm und Karl geschlossenen Schutzvertrags eingetroffen sein konnte, sondern las am 7. Februar 1519 dem jungen, bis dahin so ergeben auftretenden, Fürsten auf’s heftigste und kränkendste den Text. Karl hatte[58], gerade ehe er das Hinscheiden Maximilian’s erfahren, brieflich sowohl wie in einer Apostrophirung des päpstlichen Gesandten in ungeduldiger Erregtheit und mit eingestreuten Drohungen die Uebersendung der Kaiserkrone an seinen Grossvater gefordert. Besser als es das noch unbekannte Original vermöchte, legt das unten mitgetheilte, zum Theil wieder durchstrichene Concept bloss, wie tief der Stachel eingedrungen war. Karl seinerseits musste durch diese Antwort um so mehr erbittert werden, als die Erfüllung desjenigen Begehrens, das jetzt als [105] zur Infamie Leo’s gereichend bezeichnet wurde, früher in Aussicht gestellt gewesen war.

In der zwischen Beiden Platz greifenden Entfremdung ist Leo nach Nitti’s Ansicht verharrt bis Ende April. Nitti versucht auf scharfsinnige Weise den Satz zu erhärten, dass während dessen der Papst in keinem Augenblick ernstlich für die Candidatur Franz’ I. gewesen sei, sondern nur mittelst des von ihm unterstützten Französischen Ansturms habe Bresche legen wollen in die Habsburgische Stellung: alles in der Berechnung, dass Franz in der sich aufdrängenden Einsicht, für sich selbst nichts erreichen zu können, rechtzeitig für die Wahl eines Dritten mit gleicher Energie, wie für die eigene, eintreten würde. Erst die durch Erfahrungen in und ausserhalb Deutschlands in ihm erregte Furcht, dass es gegen den laut verkündeten Widerspruch des heiligen Stuhls doch, selbst seitens der geistlichen Kurfüsten und somit sichtlich unter Herabsetzung der päpstlichen Würde, zur Wahl des Königs von Neapel (und Spanien) kommen könnte, zwang den Papst zu einer Schwenkung. Dass diese in die Arme Karl’s und nicht zum Besten eines Dritten, eines Deutschen Fürsten, wie Friedrich von Sachsen, statt hatte, wird zwar nicht allein, aber ganz besonders dadurch bestimmt, dass Franz I. allzuspät sich zum Verzicht auf eigene Bewerbung und Beförderung eines Dritten entschliessen konnte.

Zwei Punkte sind hierbei zu beanstanden. Einmal muss der Entschluss zur Schwenkung später angesetzt, also doch etwas aus der unmittelbaren Einwirkung der durch Nitti vorgeschobenen Factoren weggerückt werden. Es hängt das zusammen mit der wohl stärksten Eigenmächtigkeit der Curie in dieser Angelegenheit. Man weiss ja, dass man sich in Rom, verblendet durch irrige Theorien, für berechtigt ansah, den Deutschen das Wahlrecht und damit thatsächlich das Kaiserthum wieder zu entziehen. Aber dass man als Mittel zum Ziel das Recht soweit umbiegen wollte, um aus einer Minderheit die Mehrheit hervorzuzaubern, ist doch sehr überraschend.

Aber es ist nicht anders. In einem Breve vom 4. Mai 1519 an Cajetan, das von Rom in die Hände Franz’ I. gelegt und von diesem abschriftlich auch in die des Kurfürsten von Brandenburg gespielt worden war, wird der Legat ausdrücklich bevollmächtigt, den durch die Stimmen dreier Kurfürsten Erwählten [106] sofort als gültig erhobenen zu proclamiren[59]. Der Sinn des Schrittes wird deutlich, wenn man sich erinnert, dass am 8. April der Kurfürst von Brandenburg versprochen hatte, für Franz I. zu stimmen, falls derselbe noch zwei vorher abzugebende Stimmen erhielte[60].

Leo hat sicherlich erst die Wirkung dieses neuesten Schrittes abgewartet. Und damit stimmt es auch, dass erst am 31. Mai der König Karl, der seit Wochen abermalige Unterhandlungen mit Rom angeknüpft hatte, die bestimmte Erwartung meinte hegen zu dürfen, dass der Papst auf seine Seite treten würde[61]. Gerade Nitti hat gezeigt, in welcher Weise hierbei erst am 17. Juni in Rom ein Abschluss erzielt worden ist.

Nachdem der Zeitpunkt der veränderten Entschlüsse Leo’s anders bestimmt werden musste, wird man von selbst zu der Erwägung geführt, in wie weit doch der Tod Lorenzo’s am 4. Mai mitwirkend gewesen sein könne für das Erkalten seines Oheims gegenüber Frankreich. Nitti hat das ebenso weit von sich gewiesen, wie Baumgarten es betont hat.

In Anknüpfung an früher Ausgeführtes sei hier zur Einschränkung der Ansicht des neuesten Darstellers an Folgendes erinnert. Unmittelbar nach seiner Erhebung zum Pontificat hatte Leo zu seinem Bruder Giuliano geäussert: „Geniessen wir das Papstthum, da es Gott uns gegeben“, und jetzt brach er gegenüber dem Boten der Todesnachricht in die Worte aus: „Wir sind nicht mehr vom Haus Medici, wir sind vom Haus Gottes“[62]. Mit dem Absterben des letzten legitimen Sprossen seines Geschlechtes ist eine Veränderung mit dem Papst vorgegangen. Nicht bloss sprechen es Vertraute, wie Vettori, offen aus, dass er nun für die Seinen keine Staaten mehr zu suchen brauchte: der Papst handelte fortan consequent und ohne hochfliegenden Ehrgeiz für die noch vorhandenen Bastarde in diesem Sinne. Lorenzo’s Besitz Urbino sammt Pesaro und Sinigaglia ward zum Kirchenstaat geschlagen und diesem galten fortan die [107] späteren Erwerbungen und Unternehmungen in Bezug auf Parma, Piacenza, Perugia, Fermo, Ferrara u. s. w. So gewagt es ist, die bewegliche und unzuverlässige Politik dieses Papstes in einzelnen Fällen auf durchgehende Grundgedanken zurückzuführen: hier in der That liegt eine tief einschneidende Linie, hier trifft man auf einen Punkt, dem man eine gewisse programmatische Bedeutung kaum absprechen kann: „Das Haus Gottes statt des Hauses Medici“. Es klingt wie eine Art Selbstanklage durch diesen Satz, der ein Gelöbniss für die Zukunft auszusprechen scheint.

Und nun wird man etwas weiter gehen dürfen. Da sich die Bedeutung Lorenzo’s als eines Mittelglieds für die Innigkeit der päpstlich-Französischen Beziehungen doch nicht wegwischen lässt, scheint es mir alles in allem doch richtiger dem Papst Glauben zu schenken, wenn er seit Januar 1519 in zahlreichen und nicht missverständlichen Erklärungen Franz als den ihm genehmsten Inhaber des Kaiserthums bezeichnet hat. Was ist denn jenes Breve vom 4. Mai anderes als ein hoher Einsatz des päpstlichen Partners selbst auf die mindest günstige Französische Farbe! Ein solcher Freundschaftsdienst, anderer zu geschweigen, verträgt sich doch wohl nur mit der Annahme eines wahren Interesses. Meines Erachtens durfte Leo von seinem Standpunkt aus ein solches haben, da Franz, thatsächlich im Besitz der ehemals kaiserlichen Rechte in Italien, hier durch die Kaiserkrone selbst nicht stärker wurde: im Gegentheil die Erwerbung dieses Diadems gab der Curie gerade in den eigenen Augen wichtige Waffen in die Hände wider die Französischen Ansprüche auf Neapel.

Dass ihm innerlich ein Dritter noch lieber gewesen wäre, wie er denn bei wachsenden Schwierigkeiten mit Nachdruck auf diesen Gedanken zurückkommt, wird nicht geleugnet. Aber da er seit seiner Kenntniss von den Versprechungen Deutscher Wähler für Franz dessen Erhebung für unvermeidlich halten musste, sollte nicht Karl durchdringen, so ist er eben ernsthaft für ersteren eingetreten.

Nicht eine Wendung zu Karl, der immer der wenigst Angenehme blieb, sondern nur den Rückzug in eine geschütztere Stellung für den entscheidenden Kampf bedeutet das Abkomnen Leo’s mit dem Spanischen Gesandten in Rom vom 17. Juni, [108] mittelst dessen das Hinderniss der Vereinigung der Kronen des Reichs und Neapels für diesmal beseitigt wurde, vorbehaltlich eines päpstlichen Veto gegen Spanische Ausbreitung in der Lombardei und Toscana. Der Papst erhielt dadurch für Ober- und Mittelitalien dasjenige, was man für Unteritalien auf Französischer Seite nicht zugestehen wollte! Wenn der Papst zufrieden war, so war es der junge Kaiser nicht, wenigstens hat er den Vertrag nie bestätigt[63].

Begreiflich, dass Leo daher die nie abgerissenen Fäden zum König von Frankreich alsbald wieder anknüpfte. Er suchte sich im Bund mit diesem sammt Venedig eine schützende Stellung zu schaffen, machte sich dies aber in Wahrheit selbst unmöglich, weil er mit allem Nachdruck die Genossen zur Preisgebung Ferraras zu verpflichten trachtete. Venedig hielt sich desswegen vorsichtig zurück, Franz I. willigte anscheinend schliesslich ein. Der Vertrag vom 22. October 1519[64] verband Papst und König, keine Allianz mit dem Kaiser einzugehen und den Papst, dem Kaiser die (noch ausstehende) Belehnung mit Neapel nicht zu ertheilen. Franz I. versprach seinen Schutz gegen alle daraus entspringenden Bedrohungen und Angriffe, ferner seine ausdrückliche Unterstützung gegen unbotmässige Vasallen und Unterthanen der Kirche.

Man muss überzeugt sein, dass Franz keinen Augenblick an Preisgabe eines so treuen und wichtigen Verbündeten gedacht hat, wie der Herzog von Ferrara war. Nur wenn er auch Herr Neapels und damit des Schicksals von Italien geworden wäre, hätte ihn der Verlust des Vertrauens unter den kleineren Potentaten, seit 1494 ein so wichtiger Factor für Frankreichs Macht in Italien, weniger unzulässig erscheinen dürfen. So nur versteht es sich, wenn bei der stärksten Lockung des Französischen Hofs auf das schwankende Gemüth Leo’s aus dem Spätherbst 1520, welche unter Ausschluss eines für den Kirchenstaat bestimmten Strichs bis zum Garigliano das Königreich Neapel als Französische Secundogenitur umfasst, offen [109] Lucca und Ferrara der päpstlichen Habgier geopfert werden sollen[65].

Ein Jahr hatte ausgereicht, um im Papst die Ueberzeugung wurzeln zu lassen, dass seine Stellung zwischen beiden Grossmächten die unbequemste aller Lagen war. Er verzweifelte daran, dieselben durch seine Schaukelpolitik fürder unter einander im Zaum zu halten und verkündete es als seine Staatsweisheit, dass man in solchem Fall sich auf die Seite des Schwächeren stellen müsste[66]. Angesichts des Zustandes des Heeres in Neapel, des Aufstandes in Spanien, des ungesicherten Verhältnisses zu Deutschland, angesichts endlich des scheinbaren Vorsprungs, den Franz I. in England gewonnen hatte, war Leo 1520 nicht im Zweifel, dass der Kaiser der Schwächere wäre. Aber kaum ein so doctrinärer Gesichtspunkt, vielmehr die durch Thatsachen befestigte Ueberzeugung, dass die Franzosen ebenso unerträgliche Bundesgenossen wie zu fürchtende Feinde wären, nach Nitti’s Wort die „fortwährende Unverschämtheit“ der Franzosen[67] hat in ihm den Entschluss eines vollständigen Bruchs gereift. Seit 1516 hatte Italien vor auswärtigen Angriffen (abgesehen von den im Krieg um Urbino betheiligten Söldnern) Ruhe gehabt. Jetzt war es der Papst, der geflissentlich den allerdings auf die Dauer schwerlich zu vermeidenden Krieg zwischen Franz I. und Karl V. beschleunigt und nach Italien gezogen hat. Sein Ziel war ein vollkommener Umschwung auch der Italienischen Besitzverhältnisse, als des einzigen Mittels, die Abhängigkeit von Frankreich nicht mit einer gleichen seitens Spaniens zu vertauschen. Darum hat Leo seit October 1520[68] [110] auf ein Offensivbündniss mit Karl wider Frankreich hingearbeitet, bei welchem dem Kaiser in Italien (abgesehen von der endlichen Belehnung mit Neapel) kein direkter Vortheil zufallen sollte, während an Stelle der Franzosen in Mailand und Genua unter kaiserlicher Lehenshoheit die Sforza und Adorni treten und der Kirchenstaat (dem die Französische Episode Siena, Perugia, Fermo eingetragen) noch mit Ferrara, Parma und Piacenza abgerundet werden sollte.

Der junge Kaiser hat sich lange gegen eine solche Politik gesträubt, so sehr ihm ein blosser Defensivbund mit dem Papst genehm gewesen wäre. Seine finanzielle und politische Lage gestattete ihm lange nicht den sofortigen Losbruch, auf den Leo drang; auch durfte er nicht als Angreifer erscheinen, wenn er nicht, nach dem Stand der Verhandlungen, England, um das die Rivalen wetteifernd sich bemühten, auf die andere Seite treiben wollte. Nitti hat das klar bewiesen und auch zahlreiche Lichter auf die diplomatische Meisterschaft fallen lassen, mit der die Curie, scheinbar unschlüssig und nur auf Täuschung bedacht, ihr Doppelspiel in jenen Monaten getrieben hat. Einen interessanten Ruhepunkt bieten die Vorverträge vom December 1520 und Januar 1521, durch welche Leo und Karl sich zusicherten, geheime Verabredungen mit Frankreich weder zu haben noch in den nächsten drei Monaten schliessen zu wollen[69].

Nur ein Zweifaches hätte, nach Nitti, des Papstes Entschluss zu einem Angriffskrieg gegen Frankreich umbiegen können: eine absolute Weigerung des Kaisers oder die Begünstigung der lutherischen Ketzerei durch ihn. Trotzdem seien es lediglich die bekannten politischen Interessen, die bis Ende Januar 1521 das ausschlaggebende Motiv zu seiner Verbindung mit Karl V. abgegeben hätten: sorgfältig hätte er jede Beimischung innerkirchlicher Tendenzen in die Verhandlungen vermieden, um keines der Vortheile, die er in politischem Sinn daraus erhoffte, verlustig zu gehen.

Die Verbindung zwischen diesen anscheinenden Widersprüchen findet, wenn ich recht verstehe, Nitti in der Vorstellung [111] des Papstes, dass die Vollziehung der im Juni 1520 erlassenen Bannbulle wider Luther und seine Anhänger selbstverständliche und nicht zu bezweifelnde Pflicht des Kaisers sei. Erst als er zu seinem Schrecken durch Aleander darüber aufgeklärt wurde, dass Karl eine Vollziehung des in Rom gesprochenen Urtheils nicht ohne den Reichstag und, wie im Januar 1521 (!) in Rom bekannt geworden, nicht ohne Berufung Luther’s unternehmen werde, erst dann habe die Empfindung der furchtbaren dem Ansehen des heiligen Stuhls drohenden Gefahr den Papst während dreier Monate ganz in Anspruch genommen und alle seine Schritte beherrscht[70].

Wenn es nun schon ein gefährliches Stück ist, dass Nitti jeden Erfolg der doch bekanntlich so intimen Verhandlungen mit Franz I. während des Winters so gut wie ausgeschlossen betrachtet, so halte ich die hier gewagte Separation des politischen Processes vom kirchlichen für verfehlt[71]. Die auch sonst bemerkbare Freude an festen, klaren Ansätzen mittelst politischer Analyse hat den Verfasser hierbei über die Grenzen des Erweislichen allzuweit hinausgeführt. Nicht ohne Schuld an dem Missgriff ist meines Erachtens die zu geringe Berücksichtigung der neueren reformationsgeschichtlichen Literatur neben den Acten. Nitti hat es trotz aufgewandter Mühe hinsichtlich Luther’s und der durch ihn entfachten Bewegung doch nur zu einem unvollständigen und recht schiefen Bild gebracht.

Wer die Anfänge Luther’s, den Verlauf der früheren Schritte Roms zu seiner Vernichtung aufmerksam verfolgt, kann die seitens der Curie angenommene Miene, als ob die Ausführung des Spruchs vollkommen gesichert sei, nur als Maske verstehen. So geschwellt das Machtgefühl des Papstthums seit dem Erfolg der papalistischen Idee auf dem Lateranconcil auch war, die Vorgänge in Deutschland seit 1518 – das erweist auch meine erste Studie über Leo – mussten doch die Blicke für das was vorging geschärft haben.

Da nun Leo, so wenig der religiöse Kern des Streits ihn berührt hatte und berührte, spätestens seit Mai 1520 die, so zu [112] sagen, kirchenpolitische Seite der Sache klar würdigte und seit dem Juni seine Massnahmen darnach getroffen hatte, so wird es bis auf weiteres wohl bei der Anschauung sein Bewenden haben müssen, dass die kirchliche Frage, so wenig sie genannt wurde, mitspielte bei dem Bestreben enger Interessengemeinschaft mit dem Kaiser.

Wenn man mit Nitti und entgegen der durch Baumgarten vertretenen Anschauung der Meinung ist, dass dieser Mediceische Papst thatsächlich in seinen beiden letzten Jahren seine Kraft an die Stärkung eines in Italien ausschlaggebenden Kirchenstaats gesetzt hat, so ist sein Bemühen um Aufrechterhaltung des Ansehens des heiligen Stuhles dazu die natürliche Parallele. Wie Leo 1519 seine speciell Italienischen Interessen lieber im letzten Augenblick gefährdete, als dass er einer zu erwartenden Schmälerung der Autorität Roms durch die geistlichen Kurfürsten zusehen mochte, so hat er es, so weit wir zu urtheilen vermögen, auch jetzt nicht ausser Betracht gelassen, dem Spruch der Kirche durch seine Verbindung mit dem Kaiser die Ausführung zu sichern. Spät genug hat er auch so Einsicht und Kraft für diese doch nächste Aufgabe eingesetzt. Ein Beweis mehr für den ausgesprochen Italienischen Charakter dieses Papstes, der ja, wie hervorgehoben, auch bei seinen Gleichgewichtsbestrebungen von rein Italienischen Gesichtspunkten nur schwer zu den umfassenderen, durch Wolsey vertretenen, sich hat hinüberführen lassen. Dass die Schwankungen in Worms in der Behandlung der Luther’schen Angelegenheit durch die kaiserlichen Staatsmänner, die Phasen der politischen Verhandlung zwischen Kaiser und Papst widerspiegelten, wie Ranke annahm, hat schon Baumgarten bestritten. Zur Lösung einer Schwierigkeit, der ziemlich offenen Drohung Chièvres’ gegenüber Aleander, gewährt Nitti einen erwünschten Fingerzeig durch den Hinweis, dass Chièvres in Unkenntniss geblieben zu sein scheine über die bezüglichen Verhandlungen[72]. Ist das richtig, so ist es ein sehr ergötzlicher Gedanke sich zu vergegenwärtigen, wie die beiden Uneingeweihten, Chièvres und Aleander, lauernd um einander herumgegangen sind, beflissen, einander Geheimnisse abzulauschen.

[113] Ein Druck auf den Papst muss desshalb als ausgeschlossen gelten, weil dieser unverkennbar der Treibende war. Der Kaiser hat sich suchen lassen; noch in einem recht vorgeschrittenen Stadium musste sein vertrauter Kanzler Gattinara ihn festhalten gegenüber Englischen Stillstandsverlockungen. Eben desshalb ist man fast versucht das Dunkel, welches noch immer über die entscheidenden Verhandlungen Beider gebreitet ist, mittelst der Vermuthung zu erleuchten, dass Karl einen höheren Preis als das formale Zugeständniss der Belehnung mit Neapel für seine Bundesgenossenschaft zu erlangen beabsichtigt und darum den Papst so dilatorisch behandelt haben könnte. Denn dies scheint mir durchaus der Fall. Noch am 18. April bei der Entsendung Rafael’s de’ Medici aus Worms dürfte schwerlich von definitiver Entschliessung die Rede gewesen sein[73].

Das würde auch neben der tiefgewurzelten Unentschlossenheit am besten die immer neuen Schwankungen Leo’s in den letzten Wochen vor dem Abschluss erklären. Dass diesmal daran nicht wie manchesmal sonst das Gelüste nach grösserem Gewinnst die Schuld trug, hat Nitti fein bemerkt[74]. Denn Leo hat dem Kaiser gegenüber lediglich an seinen anfänglichen Bedingungen festgehalten, so sehr ihn in finanzieller Beziehung, wegen des Soldes für seine geworbenen Schweizer, die durch Karl geübte Hinhaltung empörte.

Der Vertrag, über den man sich, auf der am 8. Mai festgestellten Grundlage, am 26. Mai endgültig verständigte, hat dem päpstlichen Anstifter dieser Kriegspolitik angesichts der Welt unmittelbar vor seinem Tod einen mit voller Seele empfundenen Triumph eingebracht. Aber gerade ein Ende unter solchen Empfindungen kann das Urtheil über dies verweltlichte Papstthum nur verschärfen, dessen Politik alles andere eher war als würdig eines geistlichen Oberhauptes der Christenheit.



Anmerkungen

  1. Löscher, Vollständige Reformationsacta II, 437. – Kritische Gesammtausgabe II S. 23. Nach ersterem Abdruck citire ich im Folgenden.
  2. Sicherlich in Folge seines Schreibens vom 5. August. Vgl. meinen Maximilian I. Bd. 2, 728.
  3. Von anderen Aussprüchen abgesehen (s. Ranke, Deutsche Geschichte VI S. 62 f.) hätte er sonst unmöglich am 19. November dem Kurfürsten von Sachsen bezüglich des von Cajetan verlangten Widerrufs klagen können: quasi jam haereticus, apostata et extra ecclesiam essem declaratus. Luther’s Briefwechsel, hrsg. v. Enders I, 291.
  4. Kritische Gesammtausgabe II (Weimar 1884) S. 23.
  5. Briefbuch, herausgeg. von Soden und Knaake II, 58 u. 62.
  6. Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation VI, 62. – Waltz, Zur Kritik der Lutherlegende (Zeitschr. f. Kirchengeschichte, hrsg. von Brieger Bd. II), 623 ff. – Maurenbrecher, Geschichte der katholischen Reformation 391.
  7. Kolde, Luther’s Stellung zu Concil und Kirche 36 u. 115; Ders. Staupitz 411 und M. Luther I, 180 u. 379. – Köstlin, Luther I, 229 u. 787. Von katholischer Seite Evers, Luther II.
  8. Wie Waltz gezeigt a. a. O. 625.
  9. Löscher, Reformationsacta II, 489.
  10. Gabriel Venetus an Gerhard Hecker am 25. Aug. 1518 in Zeitschr. f. Kirchengeschichte II, 476 ff.
  11. Wenigstens ist es mir nicht gelungen in den Handbüchern des Kirchenrechts oder in den Werken von Kober, Der Kirchenbann (1857); Lea, A history of the inquisition of the middle age; endlich C. Henner, Beiträge zur Organisation und Competenz der päpstlichen Ketzergerichte (1890) entsprechendes zu finden. Vielleicht werden andere in der Beziehung glücklicher sein.
  12. Löscher, Reformationsacta II, 443. Auch in M. Lutheri opera latina (Wittenb. 1555) I, 204.
  13. Ich habe es entnommen aus Brevia Leonis, armar. 44 tom. 5 p. 121. Nachträglich habe ich gefunden, dass aus derselben Quelle schon Evers, Luther II, 129, eine unvollständige und nicht ganz genaue Mittheilung gemacht hatte.
  14. Der gesperrte Satztheil, der an Stelle des bei Löscher gedruckten: cum autem haec res etc. im Concept steht, ist von Evers nicht reproducirt.
  15. Mir scheint, als ob nur diese Wendung zu dem vorher im Text stehenden: legato commisimus, quid eum agere oporteat passe, während das jetzt im Text stehende Verlangen, Luther nach Rom auszuliefern, logisch zusammenhangslos ist.
  16. P. Jovii vita Leonis lib. IV. (vit. illustr. virorum, Basel 1567) Tom. II, 186.
  17. „Benignitate nostra abusus et audacior effectus“ im Breve kann ja Phrase sein, kann aber jedenfalls auch wie im Text verstanden werden.
  18. Evers, Luther II, 104; 124; 154. Das Letzte mit Bezug auf Raynald. an. eccles. XX S. 275, § 163: Ita disturbata tunc fuit Caroli electio nec Pontifex Maximiliani opera ad Lutherum opprimendum usus est.
  19. Evers II, 447 ff.
  20. So in den Lateinischen Resolutionen zu seinen Ablassthesen, conclusio V (Löscher II, 191, vgl. Köstlin I, 380). Walther, Luther’s Beruf (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte Nr. 31) S. 113, hat sich durch Evers gewinnen lassen, obwohl die päpstliche Anklage doch ausdrücklich gerichtet ist gegen nonnullos ex illo Germaniae conventu (Evers 449).
  21. Luther’s Briefwechsel von Enders 1, 212; 224; 232. Kawerau hat neuerdings (Zeitschrift f. Kirchengeschichte IX, 477) Sätze veröffentlicht, die er mit jenen Thesen identificirt. Doch ist, wie er die Freundlichkeit hatte mir brieflich mitzutheilen, die Erörterung darüber noch nicht abgeschlossen.
  22. Der Brief Maximilian’s an Leo vom 5. August, dessen Einfluss auf die Wendung kaum in Abrede gestellt werden darf (wie ich mich mehr und mehr überzeuge), beruft sich unter anderen: auf Luther’s Ansichten vom päpstlichen Bann. Hinsichtlich jenes Briefs siehe meinen Maximilian I, Bd. 2, 728.
  23. Löscher a. a. O. II, 509. Enders, Briefwechsel I, 271. Direct bezeugt der oft wohl unterrichtete Scheurl, dass „di obgemelten Commissarien zu Rhom wider in fur und fur procedirt heten“ (Geschichtsbuch der Christenheit, hrsg. von Knaake I, 125).
  24. „Facturum omnia paterne, non tamen judicialiter.“ Cajetan an den Kurfürsten bei Enders, Briefwechsel I, 270.
  25. Vom 20. December 1518: Si tu petis audiri, dignum est: at apud jure imperitos non oportet in notoriis ordine progredi, ubi praeposterus ordo summus est ordo; et declarare notorium apud potentes consistit, quippe fas est in armis. Scheurl’s Briefbuch, hrsg. von Soden und Knaake II, 72. Hieraus bei Enders, Briefwechsel I, 328. Gewisse Schwierigkeiten in Erklärung dieser Stelle, in der ironische Missachtung gegen den auch sonst in dem Brief schlecht wegkommenden Sylvester Prierias bemerklich ist, betreffen nicht den Punkt, auf den im Text Gewicht gelegt ist.
  26. Archivio storico Italiano ser. III, vol. 24 p. 23: Et in decta causa di Frate Martino, V. S. se ne governi come li pare; e per la expeditione che se li mando, quella potea tenere quel verso che la judicava expediente; et di qua fu judicato che ne le cose notorie et publiche non accadessi altra solennita o citatione.
  27. Gegen den anderen, seinen literarischen Gegner, Sylvester Prierias, hatte das Monitorium dem Angeschuldigten ein Einspruchsrecht eingeräumt. So berichtet, wie Waltz a. a. O. 624 bemerkt hat, der spätere Pallavicini, hist. concil. Trident. I, 6. 7.
  28. Bullarium Romanum III, pars 3 p. 492 (vgl. S. 495).
  29. Brieger, Aleander und Luther S. 34.
  30. Es genügt hier zum Erweis auf das Instructionsbreve für Cajetan vom 5. Mai 1518 hinzuweisen, das die gleiche Titulatur hat. Raynald, annal. eccles. XX p. 256.
  31. Vgl. auch Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom, 3. Aufl., VIII, 274.
  32. Storia d’Italia lib. XIV, Bl. 398 der Ausgabe von 1610, 4°. Venezia.
  33. F. Nitti, Leone X e la sa politica secondo documenti e carteggi inediti. Firenze 1892.
  34. So berichtet nach Hörensagen die Relation Soriano’s von 1531. (Relazioni degli ambasciatori Veneti ed. da Albèri VII, 290.) Aber die schon angeführten Thatsachen geben ihm Recht.
  35. A. a. O. Blatt 398b und 399a. Unter dem Einfluss dieser Stelle steht vielleicht Ranke, Päpste I, 58 mit der Ansicht, dass Leo sich um das Detail der Geschäfte nicht gekümmert, sondern sie nur im grossen angesehen habe, wobei es freilich darauf ankommt, wo man die Grenze gezogen denkt.
  36. Wie bei Nitti S. 316 zu lesen ist. Das Verhältniss Giulio’s zu seinem Herrn wird ausserdem bezeichnet von Minio und Gradenigo (Rel. Venet. VII, 64 u. 68).
  37. Mit Unrecht bezieht Villari, Macchiavelli, Deutsche Uebers. II, 120 die Worte Guicciardini’s in den storie fiorentine cap. 32 (opere inedite III, 369) auf den Charakter Giovanni’s, statt auf seine von einer gewissen Zeit an geübte Taktik. Im Weiteren macht er aus Gründen, die von Guicciardini nur erwägungsweise hingestellt werden, Charakterzüge (o perque per le ordinario fussino [Giovanni e Giuliano] di natura piu civile e umano o perque considerassino che i portamenti di Piero non erano stati a proposito).
  38. Das beweist das Zeugniss des über Leo sehr wohl unterrichteten P. Jovius in einer ganzen Reihe von Fällen. Jovius, De vita Leonis (in den vitae illustrium virorum (Basil. 1567) II, S. 56 und 71; vgl. 46; 60; 62.)
  39. Dieser Zug wird sowohl von dem Venetianer Gradenigo (Rel. VII, 72), als von dem mit den Medici nahe vertrauten Vettori hervorgehoben, Sommario della storia d’Italia im Archivio storico Ital., Append. tom. VI, 340; vgl. 297.
  40. Man denke dabei an das frühe Absterben seiner Nepoten und an den eigenen Tod gerade im Höhepunkt politischen Erfolges, sowie der durch das Verschwinden Luther’s auf der Wartburg gesteigerten Hoffnung auf Glättung der kirchlichen Fluthen.
  41. Cardinal E(gidio) an Leo X., Saragosssa 1518 August 10. Latein. Orig. in den lettere de’ principi des Vatican. Geheimarchivs. Ich gebe nur einen Auszug wieder. Die Antwort Arch. stor. ital. 3 ser. 23, S. 416.
  42. Bezieht sich auf die Kämpfe der Spanier in Oran. s. Sanuto Diari, Bd. 26, S. 58.
  43. Sommario della storia d’Italia dal 1517 al 1527, a. a. O. S. 304.
  44. „Mehr aus Furcht als aus Wahl“ hatte er deshalb sich 1515 der Liga wider Franz I. angeschlossen. Vettori a. a. O. 306; vgl. 313.
  45. Baumgarten hat übrigens in einer Besprechung des Nitti’schen Buches in der Deutschen Literaturzeitung 1893, Nr. 1 eingeräumt, dass er den Einfluss des Familieninteresses auf Leo allzu stark betont haben könnte.
  46. Vettori, Sommario 328. Vgl. Nitti, S. 19 u. 23.
  47. Vettori 303, s. 301 (grandezza eccessiva). Die in Florenz eingerichtete Regierung ist ihm un governo civile, del quale Lorenzo – – – capo.
  48. Abgesehen von der nachweislichen Abhängigkeit der Florentiner Regierung lässt sich anführen, dass er seinem Bruder Giuliano über Parma, Piacenza, Reggio und Modena (allerdings in zeitweis zum Theil zum Kirchenstaat unter Julius II. gehörigen Gebieten) nur ein vicariato o governo perpetuo zugedacht hatte. Guiccardini, Storia d’Italia, Bl. 349.
  49. Wie Ferdinand der Katholische fast unablässig gethan hatte. Vettori a. a. O. 299.
  50. Nach der von Nitti S. 38 durchgeführten Auseinanderlegung der Vorstellungen der Zeit würde es allerdings eher unter die Kategorie der servitù als die der libertà Italiens fallen.
  51. Capponi, Storia della republica di Firenze (2a ediz.) III, p. 359.
  52. S. 107 f. Dass ihm darüber die Abmachungen Frankreichs mit dem Kaiser zu Cambray seit dem J. 1517 bis zum Juli 1518 entgangen sein sollten, ist mir wenig wahrscheinlich.
  53. Nitti, S. 130 f.; vgl. 207, Anm. 1. Dazu ist vor wenigen Wochen noch die durch Karl im März 1519 dem Papst in’s Gesicht geworfene Erinnerung gekommen, s. Dt. RTA., Jüngere Reihe I, Nr. 182 (S. 485; vgl. S. 563).
  54. Kaiser Maximilian I., 2. Bd., S. 706. Nitti, dem meine Arbeit nicht vorgelegen, ist seinerseits zu gleicher Auffassung gekommen. S. 147.
  55. A. a. O. Einleitung S. 124 f. Es ist ein ungünstiges Zusammentreffen, dass Nitti’s Forschungen bei dieser grossen Publication nicht mehr benutzt werden konnten.
  56. Archivio storico Italieno, III. Ser., vol. 25, S. 377, s. 381. Wegen des Misstrauens des Königs vgl. Jovius 165.
  57. So z. B. Leo an Franz am 7. September 1518: Haec nos promissio et maximi regis voluntas contra omnes humanos casus, divino praeeunte auxilio, armatura est, ut non simus nec animo nec studio in defendenda nostra et hujus sedis amplitudine defecturi, etc. Brevia Leonis, Armar. 44, tom. V, p. 153. Vatican. Geh. Arch. S. Archivio stor. Ital. III. Ser., vol. 24, S. 10. Doch vgl. S. 24 die erneuten Versuche di sapere la mente del Christianissimo (am 14. October).
  58. Baumgarten, Die Politik Leo’s X. im Wahlkampf (in: Forsch. z. Dt. G. Bd. 23) S.548. Den fehlenden Brief Karl’s kann man z. Th. ergänzen aus der päpstlichen Antwort vom 7. Februar. (Brevia Leonis, Armar. 44, tom. V, p. 129 im Vatican. Geh. Arch.) „Noverit rex catholicus honesta postulare, nam nos quidem et novimus et audemus non honesta negare – – – Quod vero quadam in parte litterarum tuarum aliquanto commotius asseveras, te avo patrique tuo deesse non posse“, in der Beziehung rechne der Papst zur Ehre Gottes Erlittenes nicht als Strafe, sondern als Ehre sich an, „quamquam omnis minandi ratio a tua clementissima natura debet abesse, a nobis certe aberit, cum recte egerimus, timendi“. – Bezeichnend für die Stellung des Papstes ist sodann, dass derselbe Begriff „non honestum“ oder „dishonestum“, der hier für eine Kaiserkrönung ausserhalb Roms gebraucht wird, wieder im März 1519 gewählt ist für die Ansicht des Papstes über die Erhebung Karl’s zum Kaiserthum. Nitti 174.
  59. Dt. RTA. Jüngere Reihe, I, Nr. 271, S. 656; vgl. S.725. Noch am 7. Juni liess der Papst eine ähnliche Eröffnung an Friedrich von Sachsen gelangen; ebendas. S. 823.
  60. Nitti 204.
  61. Dt. RTA., a. a. O. S. 735, Karl an Margarethe.
  62. Relaz. Venet. VII, 51. – Nitti 209.
  63. Vom Vertrag hat abgesehen von einem Regest im Archivio stor. Ital. 3.ser., vol. 26, S. 198 zuerst Nitti 213 Kenntniss gegeben. Was der Stein des Anstosses für Karl war (s. Nitti 242, doch vgl. lettere de’ principi Ausg. von 1570, S. 69), mag hier übergangen werden.
  64. Nitti 258 ff. hat ihn aufgefunden.
  65. Nitti 348. Die Bedingungen sind jedoch fast dieselben, welche bis zu dem von ihm entdeckten Vertrag vom 22. Oct. 1519 als die eines päpstlich-Französischen Abkommens vom Spätjahr 1519 gegolten haben, Bergenroth calendar II, Nr. 267, S. 294. Vgl. De Leva, Storia docum. di Carlo V. tom. II, 12. Mir scheint es nicht ausgeschlossen, dass schon damals mit diesem Vorschlag gearbeitet worden ist, auf den man zurückkam, als der Papst sich hinsichtlich Ferraras nicht länger hinhalten lassen mochte.
  66. S. Nitti 301 f. 331.
  67. Nitti 329 f.; vgl. 340.
  68. Nitti 335. Die Frage, ob er, wie Giulio de’ Medici Guicciardini mitgetheilt (Storia d’Italia 399), im innersten Herzen davon geträumt, dereinst auch die Spanier den Franzosen nachschicken zu können, wird wohl nie mit Sicherheit gelöst werden. Es wäre daher müssig zu prüfen, wie sich ihm dann der Gedanke der „Freiheit Italiens“ gestaltet haben würde.
  69. Nitti 350 und 360.
  70. Nitti 368 und 387.
  71. Die Verdienste Nitti’s im Einzelnen, z. B. seine bessere Collation der zuerst durch Bergenroth benutzten wichtigen Depeschen Don Manuel’s aus Rom, bleiben dabei bestehen.
  72. S. 403, Note 1. Für das Vorangehende s. Ranke, Päpste I, 56; Baumgarten, Karl V. Bd. I., 437.
  73. Wie Nitti S. 403 meint; doch s. S. 413 und zum Datum Brieger, Aleander und Luther S. 151.
  74. Nitti S. 421.