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Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Der Wichtlein Überfahrt

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Wichtlein im unteren Werrathale Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Der Elbel
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[112]
71.
Der Wichtlein Ueberfahrt.

Im Spatenberge ohnweit und unterhalb Spichra, am rechten Ufer der Werra, öffnet sich eine kleine Höhle, die Wichtelkutte geheißen, in welcher schon vor undenklichen Zeiten Wichtlein hausten. Es war ein zahlreiches Völklein das da sein Wesen trieb, und war, obgleich stets neckelustig gesinnt, den Menschen doch gut und hülfreich. Nun war oder ist dort noch eine Fähre vom rechten Ufer zum linken, und der Fährmann hieß Beck, zu dem kamen eines Abends zwei kleine Männlein, und verlangten übergefahren zu werden. Alle drei gingen zum Flusse und bestiegen die Fähre, als sie jedoch darinnen waren, baten die Männlein den Fergen, noch ein wenig zu warten, es komme noch jemand. Es kam indeß niemand, gleichwohl senkte sich die Fähre tiefer und tiefer in das Wasser, als ob sie schwerer und schwerer werde. Da niemand kam, stieß der Ferge endlich vom Ufer ab, aber es wollte ihm bedünken, noch nie sei die Fähre so schwer gewesen. Als man nun am andern Ufer anlangte, fragte einer von den Uebergefahrenen den Fährmann: Sage, welchen Lohn begehrst Du? Willst du das Fährgeld nach der Kopfzahl, oder ist [113] ein Scheffel Würz (Salz) Dir lieber? Da besann sich der Ferge nicht lange, sondern sagte: Ein Scheffel Würz wäre mir absonderlich lieber, als die paar Pfennige für eure zwei kleinen Köpfe. – Sollst die Würze haben, da Du den Witz nicht hast – entgegnete das Wichtelmännlein, doch wärest du besser gefahren, wenn Du nach der Kopfzahl den Fährlohn begehrt hättest. Siehe mir einmal über die Schulter! – Der Ferge that, wie das Männlein ihm gesagt, da sahe er ein wimmelnd Volk, das von der Fähre herab an das Ufer sprang, ganz unzählbar, und das Land gewann und erklimmte. Nun stiegen auch die beiden Männlein aus, und plötzlich verschwand alles vor den Blicken des Fährmanns, aber auf der Fähre stand ein gehäufter Scheffel weißen Salzes, und dieses selbige Salz offenbarte später die angenehme Eigenschaft, sich immer wieder im Scheffel zu ergänzen, und kein Ende zu nehmen, so viel dessen auch davon hinweggenommen wurde.

Damals sind die Wichtlein aus der Gegend hinweggezogen, weil es ihnen nicht mehr gefiel unter den Menschen zu wohnen, weil das Glockengeläute, Hammerwerk und auch die Pferdezucht sich so sehr mehrten. In den Höhlen um Spichra, besonders aber in dem großen Erdfalle am Spatenberge, findet man noch fein geränderte, zarte, platte, zirkelrunde Steinchen, eins so groß wie das andere, die nennen die Leute Wichtelpfennige.

Diese Sage wiederholt sich in und außer Deutschland an mehreren Orten; es ist ein gemeinsamer Zug der Wichtlein und Zwergensage überhaupt, und giebt viel zu denken.