Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Sagen vom Schlosse Krainberg

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Rothe Sechse Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Abt giebt Namen
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[98]
61.
Sagen vom Schlosse Krainberg.

Das Schloß Krainberg ist jetzt nur eine öde Trümmer, doch bietet es reizende Fernsichten dar in das Werrathal auf- und abwärts, auf das Rhöngebirge, auf den Thüringerwald, im Vorgrunde auf der Wartburg stattlichen Bau, und in das Hessenland, im Hintergrunde auf den langgestreckten sagenumklungenen Meissner. Diese Burg war es, welche der unglücklichen Landgräfin Margaretha von Thüringen, der Mutter Friedrichs mit der gebissenen Wange die erste schirmende Nachtrast auf ihrem Fluchtwege von der vier Stunden Weges davon entfernten Wartburg bot. Die Herren von Frankenstein sollen Schloß Krainberg erbaut, und dabei ein lebendes Kind in ein steinernes Särglein gelegt und mit eingemauert haben, weil man den Glauben hatte, daß dadurch eine Burg unüberwindlich werde, daher diese Sage sich auch bei sehr vielen Burgen wiederholt und mit mannichfaltigen Verschiedenheiten erzählt wird. Es soll wirklich beim Abbrechen einer Mauer der Ruine Krainberg das steinerne Särglein mit Kinderknochen gefunden worden sein. Vorher [99] habe man zum öftern im Burghofe ein leises Gewimmer vernommen, oder auch ein weißes Kind ganz allein daselbst mit Blumen spielen sehn.

Auch eine weiße Jungfrau wandelt in den Ruinen, und als Wunder- und Glücksblume blüht dort eine Tulipane. Der Tulipane erwähnt die Sage selten, meist ist es eine gelbe Schlüsselblume, eine blaue Glockenblume oder eine weiße, auch purpurrothe Lilie, die dem Glücklichen entgegenblüht, dem ein Schatz bescheert ist, und das kommt lediglich daher, daß das Volk die Tulipane nur als Ziergewächs der Gärten kennt, weil die in Deutschland wildwachsende kleine Tulpe (Tulipa sylvestris Linn.) nicht häufig angetroffen wird. Einem Schäfer, der innerhalb der Ruinen des Schlosses Krainberg die Tulipane fand, und dem die weiße Jungfrau erschien, begegnete gleich vielen andern das Mißgeschick, daß ihm im schätzegefüllten Kellergewölbe die Blume vom Hute fiel, daß er in ihr „das beste“ vergaß, und vom heftigen zuschlagen einer Eisenthüre am Gewölbeingang den Tod davon trug.