Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Von Paulinzelle

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Die kecke Magd Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band
von Ludwig Bechstein
Der Lintwurm
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358.
Von Paulinzelle.

In einem stillen Seitenthale der „Rinne“, zwischen Schwarzburg und dem Singerberge, liegt friedlich der Klosterort Paulinzelle und dicht daneben die schönste Kirchentrümmer Thüringens. Aus fernen Landen kam einst die fromme Tochter eines Grafen Moricho, welcher Truchses Kaiser Heinrich IV. war, nach Thüringen, um den Grafen Sizzo, der im Längwitz-Gau gebot, und zugleich ein Graf von Kevernburg und Schwarzburg war, zu besuchen. Nur von einer Zofe und einem Diener begleitet, verirrte sich Pauline in den weiten und wilden Forsten. Der Diener wurde auf Kundschaft ausgesendet, und kehrte nicht zurück, doch fand Pauline mit ihrer Dienerin in einer Köhlerhütte ein Nachtlager. Beide Jungfrauen hatten in dieser Nacht einen und denselben Traum, nämlich daß sie vor einem Altare in diesem Thalgrunde beteten. Am andern Morgen zogen beide weiter, doch gelobte Pauline, in dieser Einöde eine Zelle zu erbauen. Sie kamen in ein geringes Dörflein, das aufwärts nach dem Walde zu lag, und „Fischerau“ hieß, weil nur die Hütten einiger armen Fischerfamilien dasselbe bildeten. Pauline erfüllte ihr Gelübde, Graf Sizzo schenkte ihr die Ländereien jener Gegend, und so wurde die „Paulinen-Zelle“ begründet, welche aber nur so hieß, und keine Zelle, sondern eine herrliche Abtei wurde, erst ein Frauen- dann auch ein Mönchskloster. Ueberaus prachtvoll wurde die Kirche erbaut, und Pauline selbst leitete und beaufsichtigte den Bau, indem sie auf dem nahen Kienberge zu diesem Zwecke für sich ein Wohnhaus hatte aufführen lassen. Jeden Abend kam die Gräfin und trug Geld in [224] ihrer Schürze, die Arbeiter abzulöhnen, und ließ jeden eine Hand voll des Geldes nehmen, wobei sie die Bauleute zum Gebete ermahnte. Stets erfaßte jeder so viel Lohnes als ihm gebührte. Einer aber wollte mehr nehmen, als ihm gebührte, und that daher einen recht kecken und kühnen Griff, und freute sich des. Da er aber das Geld zählte, so hatte er nicht einen Heller mehr, als die andern Arbeiter auch.