Ueber die Niedrigkeit der Temperatur in den unterirdischen Steinbrüchen des Petersberges, bei Mastricht, in Bezug auf die mittlere Temperatur der Luft

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Annalen der Physik und Chemie
Band LXIII, Heft 9, Seite 166–173
Jacques Guillaume Crahay
Ueber die Niedrigkeit der Temperatur in den unterirdischen Steinbrüchen des Petersberges, bei Mastricht, in Bezug auf die mittlere Temperatur der Luft
Sint Pietersberg
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[166]
XIX. Ueber die Niedrigkeit der Temperatur in den unterirdischen Steinbrüchen des Petersberges, bei Mastricht, in Bezug auf die mittlere Temperatur der Luft; von Hrn. J. G. Crahay.
(Uebersandt vom Hrn. Verfasser aus dem Bullet. de l’acad. roy. de Bruxelles, T. VII.[WS 1])

In einer Abhandlung über die Meteorologie, welche in die Nouveaux Mémoires de l’académie de Bruxelles, T. X,[WS 2] eingerückt ist, habe ich die von mir im Petersberge, bei Mastricht, gemachten Thermometerbeobachtungen veröffentlicht. Die Resultate derselben, die mit denen in demselben Steinbruch von Van Swinden i. d. J. 1782 und 1792 erhaltenen ziemlich übereinstimmen, haben mich zu dem Schlusse geführt, daß die Temperatur dieser unterirdischen Steinbrüche etwa 1½ Grad niedriger ist, als die mittlere Temperatur der äußeren Luft an demselben Ort[1]. In meiner Abhandlung warf ich die Frage auf, ob man nicht dieses Minder der Erkaltung zuschreiben müsse, die durch die unausgesetzte Verdunstung an den Wänden der Steinbrüche verursacht wird: „Das Wasser der oberen Schichten, fügte ich hinzu, indem es durch die poröse Masse des Gesteins sickert, verwandelt sich in den Gallerien in Dampf und erhält die Luft fortwährend nahe auf dem Punkte äußerster Feuchtigkeit, wie mir mein Haarhygrometer zeigte, das daselbst 98°,9 angab. Das Entweichen dieses Dampfes nach Außen durch [167] die zahlreichen Oeffnungen, welche den unterirdischen Raum mit dem freien in Verbindung setzen, bedingt eine ununterbrochene Verdunstung. Diese Verdunstung geschieht zwar nur sehr langsam, aber da sie unausgesetzt erfolgt, so reicht sie vielleicht hin, um den Unterschied zwischen der Temperatur des Innern und der Oberfläche des Bodens zu erklären.“

Das Neue physikalische Wörterbuch Gehler’s erwähnt dieser Beobachtungen im Artikel: Temperatur, Bd. IX S. 291[WS 3], bei Gelegenheit der von Hrn. Quetelet i. d. J. 1834, 1835 und 1836 zu Brüssel in verschiedenen Tiefen gemachten, wobei bemerkt wird, daß in 0,58 Fuß Tiefe die mittlere Temperatur, hergeleitet aus dem Maximum und Minimum, geringer sey als die sowohl über dem Boden als in größeren Tiefen. Der Verfasser des erwähnten Artikels fügt hinzu: „Es ist merkwürdig, daß auch Hr. Crahay in den Höhlen des Petersberges bei Mastricht eine geringere Temperatur fand, als die mittlere der Luft daselbst.“ Nachdem er das Detail meiner Beobachtungen gegeben, fährt der Verfasser fort: „Hr. Crahay findet die Hauptursache dieser Anomalie in der starken Verdunstung als Folge der daselbst vorwaltenden Feuchtigkeit; allein da der gebildete Wasserdampf durch Luftzug nicht fortgeführt wird, so müßte das Gleichgewicht bald wieder hergestellt seyn. Mir scheint der Grund darin zu liegen, daß die specifisch schwerere kalte Luft in solche unterirdische Höhlen hineinfließt, die leichtere warme aber wohl ausströmt, aber nicht wieder hineinsinkt.“

Aus dieser Stelle sieht man deutlich, daß der Verfasser des Artikels: Temperatur, eine irrige Vorstellung von der Gestaltung der Höhlen des Petersberges hat; er denkt sich die Oeffungen, durch welche sie mit dem Aeußern gemeinschaften, als Schächte, wie in den meisten Steinbrüchen, während in dem Petersberge keine solche Schächte sind. Alle Eingänge sind zu beiden Seiten [168] an den Abhängen des Berges angebracht. Sie sind söhlig mit dem Boden der Strecken, der überall fast wagerecht ist, so daß die mit Pferden bespannten Karren mit größter Leichtigkeit in das Innere gelangen und es seiner ganzen Ausdehnung nach durchfahren können. Hiernach kann nicht die Rede davon seyn, daß kalte Luft vermöge größerer Dichte austrete, um nicht wieder einzudringen. Die Erklärung also, die der Verfasser jenes Artikels giebt, paßt nicht auf diesen Fall, und man muß eine andere suchen.

Noch jetzt bin ich der Meinung, daß die Ursache der niederen Temperatur dieser Gallerien, wenigstens zum Theil, in der fortwährenden Verdunstung des Wassers liegt, welches das ungemein poröse Gestein durchsickert, abgesehen von den Regenwässern, die bisweilen in solcher Menge in die Steinbrüche dringen, daß gewisse Strecken ganz davon überschwemmt sind[2].

Obgleich in den von den Ausgängen entfernten Strecken kein Luftzug wahrnehmbar ist, so verhält es sich [169] doch anders mit denen, die den Ausgängen nahe sind; in diesen letzteren beobachtet man wirklich einen Luftzug, der desto stärker ist, je näher man dem Tage kommt. In allen Fällen zeigt die Theorie der Dämpfe, daß wenn zwei Räume von ungleicher Dampfsättigung, bei gleicher Temperatur, mit einander in Verbindung kommen, sich ein Dampfzug von dem feuchteren zum trockneren Raum einstellt und in desto größerer Stärke, als der Unterschied im Sättigungsgrade größer ist. Da nun das Innere des Berges durch die einsickernden Gewässer beständig der äußersten Feuchtigkeit sehr nahe gehalten wird, während die freie Luft sich nur selten auf diesem Punkt befindet, so folgt, daß, bei Gleichheit der Temperatur, die Gallerien fortwährend durch die an vielen Orten angebrachten Ausgänge Dampf nach Außen senden. Die Erkältung, die hieraus entspringt, wird sich überall in dem Innern verpflanzen, denn wegen der schwachen Wärmeleitung des porösen Gesteins kann sich durch dieses hin das Gleichgewicht der Temperatur nicht wieder herstellen. Wenn im Winter die Temperatur daraußen niedriger ist als drinnen, so wird der Austritt des Dampfs begünstigt seyn; wirklich ist er auch dann bedeutend, und bei großen Kälten zeigt er sich schon von weitem in Gestalt eines dichten Nebels, der zu den Oeffnungen austritt. Im Sommer dagegen könnte es geschehen, daß die äußere Luft, selbst wenn sie vom Sättigungspunkt entfernter wäre als die innere, eine größere Menge Dampf enthielte als die letztere, so daß, wenn die Temperatur der äußern Luft auf die der innern erniedrigt würde, ein Theil des Dampfs sich niederschlüge. In diesem Falle würden die Gallerien keine Feuchtigkeit nach Außen senden, sondern dagegen davon empfangen. Es giebt indeß einen Umstand, der die erwärmende Wirkung dieses rückfließenden Luftstroms schwächen, wenn nicht überwiegen muß. Er besteht darin, daß während der Sommerwärme ein sehr bemerklicher Luftstrom zu [170] den Gallerien hinaus über den Boden hinwegstreift, der sich in sehr beträchtlichen Entfernungen von den Ausgängen durch seine Kräfte, seine Feuchtigkeit und durch seinen, den Höhlen eigenthümlichen Geruch verspüren läßt. Der Austritt dieser Luft scheint mir durch deren Dichtigkeitsüberschuß über die äußere Luft veranlaßt zu seyn, und er muß durch die Lage der Ausgänge an den Abhängen des Berges begünstigt werden, weil diese das Hinabsinken der Luft in die Thäler erlaubt. Auch dehnt die Temperatur des Aeußern, indem sie durch die Oeffungen in das Innere dringt, die Luft daselbst aus, und macht, daß ein Theil derselben sich in die Atmosphäre verbreitet. Hienach ist zu glauben, daß selbst im heißesten Sommer noch ein Theil der Dämpfe des Innern nach Außen gezogen werde. Auch folgt aus unseren Beobachtungen, daß, trotz aller erwärmenden Ursachen, die im Sommer wirken, die Temperatur der Luft in den Höhlen, in der Tiefe des Berges, nur um 0°,4 höher ist als die, welche daselbst im Winter herrscht.

Untersuchen wir, unter welchen meteorologischen Umständen das Innere Dämpfe von Außen empfangen könne.

Während der heißesten Monate enthält die Atmosphäre, im Mittelzustande, eine geringere Menge Wasserdampf als die Luft im Berge. In der That können wir annehmen, daß der hygrometrische Zustand der Atmosphäre zu Mastricht nahe derselbe sey wie zu Paris; nun hat Bouvard durch 11jährige Beobachtungen, vier Mal täglich, nämlich um 9h M., Mittags, 3h und 9h Ab. angestellt, gefunden, daß der mittlere Stand des Saussure’schen[WS 6] Hygrometers während der Monate Mai, Juni, Juli und August in letzterer Stadt 69°,13 ist, und die mittlere Temperatur dieser vier Monate, aus denselben Tageszeiten abgeleitet, beträgt 19°,1 C. Mit diesen Angaben und mit Hülfe der Gay-Lussac’schen Hygrometertafeln findet man, daß unter den genannten Umständen die Spannung des Wasserdampfs nur 7,57 Millim. [171] ist, während der Sättigungszustand bei 19°,1 C. Temperatur eine Spannung von 16,39 Millim. verlangt.

Gesetzt nun die Luft, beladen mit Dampf bei 69°,13 des Hygrometers und 19°,1 C. Temperatur, werde bis zu 8°,7 C., der Temperatur der Steinbrüche, erkaltet. Ihre Dämpfe werden sich dem Sättigungszustand nähern, ihn aber nicht erreichen; denn der Temperatur 8°,7 entspricht ein Spannungs-Maximum von 8,75 Millim. Mithin gelangen die Dämpfe der erkalteten Luft nur auf des Spannungsmaximums, welches der Sättigung entspricht; und das Hygrometer wird nur bis 93°,8 steigen. Mithin wird sich beim Eintritt in die Steinbrüche nichts von diesem Dampfe niederschlagen, sondern, da drinnen das Hygrometer auf 98°,9 steht, wird die von außen kommende Luft verhältnißmäßig trocken seyn, den Steinbrüchen Dämpfe entziehen, und eine neue Verdunstung veranlassen, entsprechend der Spannung [3].

Für die übrigen acht Monate des Jahres ist das Mittel, aus den erwähnten vier Tageszeiten abgeleitet, beim Haarhygrometer 79°,9 und bei der Temperatur 8°,94 C. Daraus ergeben die Gay-Lussac’schen Tafeln für die mittlere Dampfspannung in freier Luft während dieser Zeit. Diese Spannung ist um niedriger als die in den Steinbrüchen, also noch mehr von ihr verschieden als in den heißen Monaten.

Die Theorie der Hygrometrie, immer mit Zugrundlegung der Gay-Lussac’schen Tafeln, führt also zu dem Schluß, daß damit während der vier heißen Monate, d. h. wenn die Temperatur 19°,1 ist, die äußere Luft beim Erkalten auf die Temperatur der Steinbrüche Wasserdampf fallen lasse, das Haarhygrometer über 75°,7 zeigen müsse, und sogar über 98°,5, wenn dieß während [172] der übrigen acht Monate, d. h. wenn die Temperatur 8°,94 C. ist, geschehen soll.

Aus Allem diesen folgt, daß bei mittleren Werthen der Temperatur und des Sättigungszustandes die äußere Luft eine geringere Menge Dampf enthält, als die Luft in den Steinbrüchen, und folglich, daß unter diesen Umständen die Dämpfe der letzteren sich nach Außen zu verbreiten streben.

Indem ich die Verdunstung als eine Ursache der Erniedrigung der unterirdischen Temperatur unter die mittlere der Atmosphäre betrachtete, habe ich nicht behauptet, daß sie allein diese Wirkung ausübe. Im Gegentheil habe ich in meiner Abhandlung hinzugesetzt: „Wenn es unzweifelhaft ist, daß eine Erkaltung das Resultat der in den Steinbrüchen stattfindenden Verdunstung seyn muß, so habe ich doch nicht behaupten wollen, daß der Unterschied ihrer Temperatur und der daraußen alleinig von dieser Ursache herrühre, und daß nicht eine andere bis zu einem gewissen Punkt dazu beitrage, nämlich die noch unvollkommen bekannte, welche in einigen Höhlen eine bedeutende Temperatur-Erniedrigung erzeugt und unterhält, selbst bis zum Gefrieren des Wassers und Bewahren des Eises das ganze Jahr hindurch.“

Die verschiedenen Erklärungen, die bisher von dem Phänomen der natürlichen Eishöhlen gegeben worden sind, scheinen mir ungenügend. Die einen gründen sich auf schwer zu rechtfertigende Hypothesen, die andern sind örtlichen Umständen gewisser Eishöhlen angepaßt, und lassen im Stich bei anderen, wo diese Umstände nicht vorhanden sind. Die natürlichen Eishöhlen bieten indeß eine Eigenthümlichkeit dar, die ihnen gemeinsam ist, und eben deshalb wesentlich zu seyn scheint, nämlich die, daß sie alle in einem Gestein von poröser Beschaffenheit vorkommen, ein Umstand, der auch im hohen Grade vom Tuff des Petersberges gilt. Wirkt nun die [173] Porosität bloß auf die Leichtigkeit, mit welcher das Wasser das Gestein durchsickert und in den Höhlen verdampft; oder wirkt es zugleich abändernd auf die Wärmeleitung ein? Ist die chemische Natur des Gesteins hier von einiger Bedeutung? Diese Fragen sind noch nicht beantwortet. Der Einfluß der Lage der Oeffungen in Bezug auf die Richtung des Windes scheint groß zu seyn, reicht aber, wenigstens in mehren Fällen, nicht hin, zu erklären, wie das Eis, welches während der wenigen Frosttage unserer Klimate gebildet worden ist, das ganze Jahr hindurch bewahrt werde, und noch viel weniger, auf welche Weise, wie man versichert, das Eis in einigen Höhlen sich vermehre.

  1. Schon Van Swinden, so wie Faujas-Saint Fond, machte die Bemerkung, daß die unterirdische Temperatur des Petersberges 2°,5 R. oder 3°,12 C. niedriger sey, als die der Keller unter der Pariser Sternwarte, welche beständig 11°,82 C ist, während die mittlere Temperatur von Paris 10°,8 C beträgt.
  2. Diese Gewässer dringen in den Berg durch einige Mundlöcher der Strecken, vor allem aber durch jene natürlichen Schächte oder Röhren, die der Kreideformationen eigenthümlich, und im Petersberge in sehr großer Menge befindlich sind, von allen Dimensionen, von einem Decimeter bis zu zwei Meter und darüber im Durchmesser. Diese Röhren, welche bis in unbekannte Tiefen fortsetzen, beginnen an der Oberfläche des Gesteins, und sind gefüllt mit Geröll und Erde, welche beide in einer mehre Meter mächtigen Schicht den Tuff bedecken. Diese wenig zusammenhängenden Massen rutschen[WS 4] aus den meisten der Röhren, die von den Strecken durchschnitten werden, heraus, und sammeln sich in diesen an, bis der Gipfel des kegelförmigen Haufens, den sie bilden, das Gewölbe erreicht hat, und das Herabsinken des noch in den Röhren Gebliebenen verhindert. In Folge dieses Rutschens sinkt das obere Erdreich ein, und bildet mehr oder weniger große, trichterförmige Vertiefungen, welche das Regenwasser auffangen, und es durch den Grand, der fortwährend die Röhren verstopft, in die Steinbrüche hinabführen. (Eine weitere Beschreibung dieser Röhren oder geologischen Orgeln, wie man sie genannt, findet sich in Gilbert’s Annal. Bd. XXXXVI S. 402.[WS 5] P.)
  3. Angenommen, das Hygrometer stehe im Berge auf 98°,9, ist die entsprechende Dampfspannung 8,71 Millim., d. h. etwas geringer als bei der Sättigung, bei welcher sie 8,75 Millim. seyn würde.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. J.-G. Crahay: Notice sur l’infériorité de la température des galeries souterraines de la montagne de St.-Pierre, près de Maestricht, par rapport à la température moyenne de l’atmosphère. In: Bulletins de l’Académie royale des sciences et belles-lettres de Bruxelles. Bd. 7,1 (1840), S. 77–85 Biodiversity Heritage Library
  2. J. G. Crahay: Mémoire sur la météorologie. In: Nouveaux Mémoires de l’Académie royale des sciences et belles-lettres de Bruxelles. Bd. 10 (1837) GDZ Göttingen
  3. Temperatur. In: Johann Samuel Traugott Gehler’s Physikalisches Wörterbuch. Neu bearbeitet von Gmelin, Littrow, Muncke, Pfaff. Bd. 9,1. E. B. Schwickert, Leipzig 1838, S. 291 Internet Archive
  4. Vorlage: rutshen
  5. Mathieu / Gillet-Laumont: Entdeckung natürlicher Schächte oder Röhren, welche die Kalksteinbänke des Petersbergs bei Mastricht durchsetzen, und über den Ursprung derselben. In: Annalen der Physik. Band 46, Joh. Ambr. Barth, Leipzig 1814, S. 402–411 Quellen
  6. Vorlage: Saussere’schen