Ueber einen Zusatz zu c. XI der goldenen Bulle Karls IV.

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Autor: Karl Zeumer
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Titel: Ueber einen Zusatz zu c. XI der goldenen Bulle Karls IV.
Untertitel:
aus: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte / Germanistische Abteilung. Bd. 23 = 36 , 1902, S. 264-274
Herausgeber: E. I. Bekker, L. Mitteis, R. Schröder, H. Brunner, U. Stutz
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Erscheinungsdatum: 1902
Verlag: Hermann Böhlaus Nachfolger
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Erscheinungsort: Weimar
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Quelle: Digitalisat Max-Planck Institut für europäische Rechtsgeschichte, Kopie auf Commons
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[264]
VI.
Ueber einen Zusatz zu c. XI der goldenen Bulle Karls IV.
Von
Herrn Prof. Dr. Karl Zeumer
in Berlin.

In zwei Exemplaren der goldenen Bulle, in einer alten Abschrift und einigen der ältesten Drucke findet sich ein Zusatz zu c. XI, welcher bisher weder völlig correkt gedruckt vorliegt, noch diejenige Beachtung und eingehende Würdigung gefunden hat, welche er wegen seines Inhalts verdient.

Ueberliefert[1] ist er im böhmischen Original B, in der Nürnberger Ausfertigung N und im Codex Wenceslai. In B steht er, äusserlich bereits als späterer Zusatz erkennbar, am Rande zu c. XI nachgetragen. In N ist er dagegen dem Texte selbst am Schluss des Kapitels eingefügt und ebenso im Codex Wenceslai. Aus N ist er in mehreren älteren Nürnberger Drucken, aus dem Codex Wenceslai in Senckenbergs Ausgabe und bei Olenschlager gedruckt.[2] Neuerdings hat [265] ihn O. Harnack nach B abgedruckt, dabei aber nicht nur einen störenden Lesefehler der älteren Ausgaben wiederholt (agat de talibus statt agatur de talibus) sondern noch einen neuen den Sinn völlig zerstörenden Fehler eingesetzt (privilegium duella contra se agi permittere statt p. d. coram se a. p.). Beide Fehler sind auch von Altmann und Bernheim in den Abdruck des Zusatzes in der 2. Auflage ihrer Sammlung übernommen.[3]

Ich lasse nun zunächst den emendirten Text des Zusatzes folgen, welcher eine Erläuterung zu dem in c. XI selbst enthaltenen Privileg de non evocando und de non appellando für die 6 Kurfürsten ohne den König von Böhmen giebt.

Hanc autem legem propter quedam dubia, que ex ea suborta fuerunt, de illis dumtaxat feudalibus, vasallis et subditis debere declaramus intelligi, qui feuda, bona et possessiones a principibus electoribus ecclesiasticis et secularibus dependentes, que de temporali ipsorum iurisdictione consistunt, obtinere noscuntur et actualiter ac realiter resident in eisdem. Si vero tales electorum principum vasalli et homines ab aliis eciam archiepiscopis, episcopia sive principibus similia feuda possident et larem fovent in illis, extunc, si iidem archiepiscopi, episcopi vel principes ab imperio bannum habent et privilegium duella coram se agi permittere, apud illos agatur de talibus; alioquin ad [266] imperialis curie iudicis examen super hiis decernimus recurrendum.

Wann ist dieser Zusatz hinzugefügt? Die erhaltenen Ausfertigungen für Mainz, Cöln, Trier und Pfalz (M. C. T. P.), welche wahrscheinlich unmittelbar nach der Vollendung des ganzen Gesetzes auf dem Reichstage zu Metz Ende 1356 entstanden sind, enthalten ihn nicht, ebensowenig die erst 1366 in den Besitz der Stadt Frankfurt gelangte Ausfertigung F. Dagegen findet sich der Zusatz bereits in der Ausfertigung für Nürnberg N, welche mit dem Majestätssiegel Karls IV. besiegelt ist und deshalb nicht nach 1378 ausgefertigt sein kann. Harnack setzt deshalb den Zusatz in die Zeit von 1366 bis 1378.[4]

Diese Ansetzung ist aber nicht richtig. Harnack übersieht, dass die 1366 von der Stadt Frankfurt erworbene Ausfertigung nicht erst nothwendig damals angefertigt zu sein braucht, sondern schon vorhanden gewesen sein kann, und dass, auch wenn sie erst 1366 hergestellt sein sollte, das Fehlen des Zusatzes in diesem Exemplar noch keineswegs beweisen würde, dass derselbe damals überhaupt noch nicht vorhanden war. Selbst wenn das Frankfurter Exemplar nach dem böhmischen als Vorlage geschrieben sein sollte, dürfte man aus dem Fehlen des Zusatzes in F noch nicht schliessen, dass er auch in B damals noch nicht gestanden habe. Eine solche Randnotiz brauchte gewiss auch bei einer offiziellen Abschrift nicht nothwendig in den neuen Text aufgenommen zu werden. Es kann aber F kaum auf einer Abschrift von B beruhen, da F in c. XXVII die im böhmischen Exemplar durch ein Versehen ausgelassenen Worte 'remittet super equo' bis 'ipsi cancellario' richtig bietet.[5]

[267] Wir besitzen aber auch ein positives Zeugniss dafür, dass jener Zusatz zu c. XI viel früher vorhanden war, indem er bereits in ein Privileg Karls IV. für den Bischof von Strassburg vom 3. März 1358 aufgenommen ist. Das Stück ist nur abschriftlich überliefert und erst in neuerer Zeit bekannt geworden durch den Abdruck im Urkundenbuche der Stadt Strassburg V, 1, S. 386 f. Es enthält ein Privilegium de non evocando et non appellando gemäss dem c. XI der goldenen Bulle mit Hinzufügung eines Zusatzes, welcher mutatis mutandis wörtlich dem des böhmischen Exemplars entspricht und wie folgt lautet:

Hanc autem praesentem nostram declaracionem et sanccionem cesaream propter quedam dubia, que ex ea possent suboriri, de illis dumtaxat feudalibus, vasallis et subditis deberi declaramus intelligi, qui feuda, bona et possessiones ab episcopo Argentinensi dependentes, que de temporali ipsius jurisdictione consistunt, obtinere noscuntur et actualiter et realiter resident in eisdem. Si vero tales episcopi Argentinensis vasalli et homines ab aliis eciam archiepiscopis, episcopis sive principibus similia feuda possident et larem foverint in illis, extunc si iidem archiepiscopi vel principes ab imperio bannum habent et privilegium duella coram se agi permittere, aput illos agant de talibus; alioquin ad imperialis curie judicis examen super hiis decemimus recurrendum.

Man könnte vielleicht auf den Gedanken kommen, dass nicht der Zusatz die Quelle der Strassburger Urkunde, sondern umgekehrt diese die Vorlage für den Zusatz im böhmischen Exemplar gewesen sei. Doch spricht dagegen sehr entschieden, dass der Zusatz in B eine Norm giebt, aus der die Ordnung eines besonderen Falles in dem Strassburger Privileg abgeleitet ist, ebenso wie auch der vorhergehende [268] Text im Strassburger Privileg aus dem des c. XI selbst abgeleitet und für einen besonderen Fall zurecht gemacht ist. Auch aus der starken Hervorhebung der temporalis iurisdictio darf man nicht folgern, dass das für einen geistlichen Fürsten bestimmte Privileg die Vorlage war. Diese Hervorhebung erklärt sich in dem Zusatze völlig genügend daraus, dass in ihm, wie in c. XI selbst, die geistlichen Kurfürsten in erster Linie berücksichtigt sind.

Damit ist die Entstehungszeit des Zusatzes begrenzt auf die Zeit von der Publikation des c. XI mit dem ersten Theile der goldenen Bulle am 10. Januar 1356 bis zur Ausstellung des Strassburger Privilegs vom 3. März 1358. Dr. Edmund Stengel bemerkt nun in seiner oben S. 265 erwähnten Mittheilung über den Zusatz in B, derselbe sei am oberen und seitlichen Rande mit schwärzerer Tinte, aber von derselben Hand, welche den Text schrieb, hinzugefügt. Ist die Hand wirklich dieselbe, so dürfte dieser Umstand sehr dafür sprechen, die Entstehungszeit mehr an den Anfangstermin heranzurücken. Unmittelbar nach der Publikation des c. XI dürfte aber der Zusatz nicht verfasst sein, weil die Zweifel über die Bedeutung der fraglichen Bestimmung, welche den Zusatz veranlassten, wahrscheinlich doch erst bei der praktischen Durchführung hervorgetreten sind.

Harnack hat den Zusatz als kaiserliche Interpretation bezeichnet und damit dessen Bedeutung richtig gekennzeichnet. Der Kaiser entscheidet in dem Zusatz die entstandenen Zweifel; (vgl.: legem ... de illis ... debere declaramus intelligi; apud illos agatur; decernimus recurrendum). Von einer Vereinbarung mit den Fürsten oder Kurfürsten ist nicht die Rede, ebensowenig von einem über diese Frage eingeholten Reichsurtheil, und deshalb dürfen wir annehmen, dass der Kaiser die Erläuterung selbständig ohne Mitwirkung anderer Organe der Reichsverfassung gegeben hat.

Authentische Interpretation der Gesetze ist Gesetzgebung. Sie steht dem Gesetzgeber zu. Der Gesetzgeber war aber in jener Zeit theoretisch wohl unbestritten der König oder Kaiser. Noch ruhte die Fülle der Reichsgewalt in der Hand des Kaisers. Er konnte aus der Fülle dieser [269] Gewalt heraus Verfügungen treffen, soweit er nicht durch Gesetz und Gewohnheit beschränkt war. Karl IV. hat die goldene Bulle als einseitiges kaiserliches Gesetz erlassen. Von einer Zustimmung der Kurfürsten oder anderer Reichsstände ist nicht die Rede, nur ihrer Anwesenheit und einer vorgängigen Berathung erwähnt der Eingang des Gesetzes, um dann um so nachdrücklicher hervorzuheben, dass das Gesetz de imperialis plenitudine potestatis erlassen sei, und die Hervorhebung der plenitudo potestatis des Kaisers als Grundlage des Gesetzes wiederholt sich bei den einzelnen Bestimmungen immer wieder. Auch die privilegia de non evocando und de non appellando, welche der Kaiser in c. XI ertheilt, beruhen, wie am Schluss ausdrücklich hervorgehoben wird, auf der kaiserlichen Machtfülle. Diese Auffassung war begründet in dem Wesen des deutschen Königthums; bestärkt und erweitert aber wurde sie durch die Aufnahme römischer Rechtsgedanken, welcher ja gerade Karl IV. starken Vorschub leistete. Soweit es die politischen Verhältnisse zuliessen, wird er gern den Grundsatz Justinians: tam conditor quam interpres legum solus imperator (Cod. I, 14, 12) durchgeführt haben.[6]

Dass Karl IV. sich das Recht der Interpretation einer Bestimmung seines eigenen Gesetzes, welche noch dazu ein Privileg enthielt, dessen Ertheilung sein unzweifelhaftes Recht war, beilegte, ist durchaus erklärlich; merkwürdig aber ist die Form, in der diese Interpretation verlautbart wurde: die Hinzufügung am Rande des am Kaiserhof aufbewahrten Exemplars der goldenen Bulle. Man kann das kaum als Publikation ansehen, sondern eher als Vorbereitung einer solchen. Man mochte das für genügend ansehen, um die Anwendung der in der Erläuterung enthaltenen Grundsätze [270] für die Zukunft zu sichern. Auf die Publikation derselben als Novelle zur goldenen Bulle verzichtete der Kaiser vielleicht deshalb, weil ihre Sätze durchaus vernünftig und billig erscheinen mochten, vielleicht auch, weil er fürchtete, bei den Kurfürsten auf Widerstand zu stossen. Man begnügte sich, die Bestimmungen gelegentlich, wie das Strassburger Beispiel zeigt, in ein nach dem Vorbild des c. XI neu ertheiltes Privileg aufzunehmen und in später nach dem böhmischen Exemplar gefertigte Exemplare oder Abschriften den Zusatz als Schluss des Kapitels anzufügen, wie im Nürnberger Exemplar und im Codex Wenceslai.

Wir wenden uns nunmehr dem Inhalte des Zusatzes zu. C. XI der goldenen Bulle bestimmt, dass Vasallen und Unterthanen der Kurfürsten weder vor ein fremdes Gericht gezogen werden noch von den kurfürstlichen Gerichten an ein auswärtiges Gericht appelliren dürfen mit Ausnahme der Berufung an das Reichs-Hofgericht im Falle der Justizverweigerung. Der Zusatz beschränkt nun diese Bestimmungen auf diejenigen Lehnsleute und Unterthanen, welche solche Lehen und Besitzungen haben, die von den Kurfürsten abhängen und deren weltlicher Gerichtsbarkeit unterstehen; knüpft aber die Geltung der Bestimmungen für sie an die weitere Bedingung, dass sie auch wirklich ihren persönlichen Wohnsitz auf diesen Besitzungen haben. Haben sie aber zugleich solche Lehen von anderen Fürsten (similia feuda, d. h. Lehen, über welche diesen Fürsten die weltliche Gerichtsbarkeit zusteht), so unterliegen sie nicht dem kurfürstlichen Privileg de non evocando und de non appellando, sobald sie auf diesen Lehensgütern ihren Wohnsitz nehmen. Sie sollen dann ihren Gerichtsstand vor diesen anderen Fürsten haben, falls diese im Besitz einer gewissen höheren Gerichtsgewalt sind, andernfalls vor dem königlichen Hofrichter.

Die höhere Gerichtsgewalt derjenigen Fürsten, deren Gerichtsbarkeit diese Vasallen unterstehen sollen, wird nun in doppelter Weise gekennzeichnet: sie sollen einmal den Bann vom Reiche haben (ab imperio bannum habent) und ausserdem das Privileg Zweikämpfe vor sich abhalten zu lassen (privilegium duella coram se agi permittere).

[271] Nach Zallingers grundlegenden Untersuchungen über den Königsbann[7] ist nicht mehr zu bezweifeln, dass im 13. und 14. Jahrhundert die hohe Gerichtsgewalt, welche namentlich auch die Blutgerichtsbarkeit umfasste, als Königsbann oder auch schlechtweg als Bann bezeichnet wurde. Nur die Verleihung des Königsbanns befähigte den Richter zur Ausübung der hohen Gerichtsbarkeit. Der Fürst, welcher den Bann vom Könige erhalten hatte, besass in seinem Territorium die volle hohe Gerichtsgewalt. Er konnte sie selbst üben und seinen Richtern weiter verleihen, ohne dass diese zu ihrer Handhabung noch der unmittelbaren Beleihung mit dem Bann durch den König bedurften. Diese hohe Gerichtsgewalt, welche man deutsch Bann nannte, bezeichnete man seit dem 13. Jahrhundert gern mit den zum Theil umgedeuteten römischen Rechtsausdrücken nach Dig. II, 1, 3 als merum imperium und gladii potestas ad animadvertendum facinorosos.[8] Im anerkannten Besitz dieser Gewalt befanden sich aber seit Rudolf von Habsburg alle „grösseren und hohen“ Reichsfürsten (maiores principes, sublimes Romani imperii principes).[9]

Zu diesem Erforderniss soll dann noch jenes andere, der Besitz des Kampfrechtes, hinzutreten. Nur vor einem Fürsten, welcher das Recht hatte, Zweikämpfe zum Zweck des gerichtlichen Beweises, Kampfgerichte abzuhalten, sollten die Vasallen ihren Gerichtsstand haben. Der Beweis durch Zweikampf, der nach der Theorie der älteren Rechtsbücher noch nicht auf einen einzelnen Stand beschränkt war, war durch Privilegien, welche den Städtebürgern gegen die kämpfliche Ansprache ertheilt wurden, und durch die Durchführung des Ebenbürtigkeitsprinzips frühzeitig zu einem Vorrecht der ritterlichen Classen geworden. Von einer Beschränkung des Rechts, solche gerichtliche Zweikämpfe abzuhalten, auf einzelne Gerichte weiss der Sachsenspiegel [272] noch nichts. Schon um die Mitte des 13. Jahrhunderts aber begegnet uns dieses Recht als ein Privileg einzelner Fürsten.

König Alfons verlieh am 14. März 1259 zu Toledo dem Herzog Friderich von Lothringen mit fünf Fahnen die fünf Würden, welche dieser vom Reiche zu Lehen haben sollte (Reg. imp. V, nr. 5501, Calmet, Histoire de la Lorraine II, col. 481); es heisst: Primum vexillum damus tibi pro ducatu in feudum … Secundum vero vexillum damus tibi in signum, quod debes recipere duella commorantium inter Rhenum et Mosam, prout metae super hoc distentae dividunt. Dasselbe Recht hatte der Herzog von Lothringen sich im Jahre 1245 durch einen Vertrag von Seiten des Grafen Thiebald von Bar anerkennen lassen, Calmet II, col. 459. Der Graf gesteht dem Herzog u. a. zu; le droit des batailles des gentils hommes, qui sont entre Mueze et Rhin. Der Herzog von Lothringen besass also das Kampfrecht ausschliesslich in dem ganzen Gebiet zwischen Maas und Rhein. Der Graf von Bar aber, dessen Gebiet innerhalb dieser Grenzen lag, besass es nicht.

Dieselbe Unterscheidung ergiebt sich auch aus einem unter König Rudolf gefällten Reichsspruch vom 6. Dez. 1281 (Reg. imp. VI, nr. 1428; künftig Mon. Germ. Const. III). Dort heisst es: quilibet princeps imperii iurisdictionem obtinens temporalem, cuiuscunque condicionis existat, coram quo committi consueverint certamina duellorum. Den mit weltlicher Gerichtsgewalt ausgestatteten Fürsten, vor denen Zweikämpfe abgehalten werden, stehen offenbar andere gegenüber, vor denen das nicht geschieht; dass hier von einer Gewohnheit statt von einem Rechte oder Vorrechte die Rede ist, entspricht wohl insofern der Sachlage, als dieses Recht gewiss meist nicht auf Privileg oder Satzung, sondern auf Gewohnheit beruhte.

Neben den durch das Kampfrecht privilegirten Hofgerichten gewisser Fürsten war es das Hofgericht des Königs, in welchem der Beweis durch Zweikampf erbracht werden konnte.[10]

[273] Die Vasallen der Fürsten hatten als ritterliche Leute ein Interesse daran, ihren Gerichtsstand in einem Gerichte zu haben, in welchem sie ihr standesmässiges Beweisrecht üben konnten. Deshalb sollten sie nach unserm Zusatze ihren Gerichtsstand entweder im Hofgericht ihres Fürsten, wenn dieser das Kampfrecht besass, oder wenn das nicht der Fall war, im Hofgericht des Königs haben. Da dem Könige nach der Constitutio pacis Moguntina von 1235 c. 28 der persönliche Vorsitz nur in Sachen der „Fürsten und anderer hoher Leute“ (de principibus et aliis personis sublimis) vorbehalten war, und einfache Vasallen der Fürsten nicht zu den „hohen Leuten“ gehörten, so wies Karl IV. ihnen den Gerichtsstand vor dem königlichen Hofrichter an.

Es erhebt sich nun die Frage: enthielt diese Anordnung eine Ausnahme für diejenigen Vasallen der mit geringerer Gerichtshoheit ausgestatteten Fürsten, welche zugleich Vasallen der Kurfürsten waren ohne in deren Gebiet zu wohnen, oder kommt in ihr nur die allgemeine Kegel über den Gerichtsstand der fürstlichen Vasallen zum Ausdruck?

An eine Ausnahme zu denken, liegt kein Grund vor. Warum sollten die Vasallen solcher Fürsten der Gerichtsbarkeit des königlichen Hofrichters unterstellt sein, wenn sie zugleich Lehen von einem Kurfürsten hatten, andernfalls aber der ihres Fürsten, auch wenn dieser nicht Königsbann und Kampfrecht hatte? Der Vasall als ritterlicher Mann hatte einen Anspruch darauf, nur vor einem Richter, der die richterliche Gewalt unmittelbar vom Könige hatte, zu Recht zu stehen. Nur im echten Ding unter Königsbann haben die Schöffenbaren des Sachsenspiegels ihren Gerichtsstand, und die Constitutio in favorem principum befreit die sinodales, die Sendbarfreien von dem Erscheinen in den mit landesherrlichen Richtern besetzten Centgerichten. Das echte Ding des Landgerichts wird zum Adelsgericht und zum fürstlichen Hofgericht, in welchem vor dem Fürsten persönlich die Ritter des Territoriums ihren eximirten Gerichtsstand haben. Der Vasall bedurfte, wie bereits hervorgehoben, als ritterlicher Mann auch eines Gerichts, in welchem der Zweikampf möglich war. Aus diesen Gründen konnte ein Fürst, welcher nicht Bann und Kampfrecht besass, nicht ordentlicher [274] Richter seiner Mannen sein. Das war offenbar eine allgemeine Regel, die auch in dem Falle, aber nicht nur in dem Falle den Gerichtsstand des Vasallen im königlichen Hofgericht begründete, wenn dieser zugleich Vasall eines Kurfürsten oder eines mit der kurfürstlichen Gerichtshoheit privilegirten Fürsten war, ohne in dessen Territorium zu wohnen.

So können wir aus dem Zusatz zu c. XI eine Reihe wichtiger Schlüsse für die Gerichtsverfassung um die Mitte des 14. Jahrhunderts ziehen:

Der Wohnsitz des Vasallen, der Lehen von mehreren Fürsten hatte, war massgebend für seinen Gerichtsstand. Die Gerichtsgewalt war, auch abgesehen von den einzelnen ertheilten Evokations- und Appellationsprivilegien, nicht die gleiche bei allen Fürsten. Es gab noch Fürsten mit geringerer Gerichtsgewalt, ohne Bann und Kampfrecht. Deren Vasallen hatten nicht wie die anderer Fürsten ihren Gerichtsstand vor dem Fürsten, sondern vor dem königlichen Hofrichter.

Wir erhalten hier einen Einblick in die Entwickelung der landesherrlichen Gewalt, wie sie sich zur Zeit Karls IV. unmittelbar nach dem Erlass der goldenen Bulle gestaltet hatte, oder sich doch nach der am Kaiserhofe herrschenden Ansicht allgemein gestaltet haben sollte. Es wäre von Interesse, wenn die Richtigkeit dieser Ansicht an einzelnen Beispielen geprüft werden könnte.




Anmerkungen der Vorlage

  1. Die Nachrichten über die Ueberlieferung der goldenen Bulle liegen bisher am vollständigsten vor in O. Harnacks Buche, Das Kurfürstencollegium bis zur Mitte des vierzehnten Jahrhunderts. Giessen 1883. Diese und andere Ausführungen Harnacks sind als brauchbar und werthvoll anzuerkennen. Der in diesem Werke gegebene „kritische Abdruck“ der goldenen Bulle ist dagegen trotz des ihm bis in die neuere Zeit öfter leichtfertig ertheilten Lobes leider völlig verunglückt. Er bedeutet wegen der zahlreichen und groben Fehler den älteren Ausgaben Senckenbergs und Olenschlagers gegenüber einen entschiedenen Rückschritt. In dem Abdruck bei Altmann und Bernheim sind erst in der zweiten Auflage die Fehler des zu Grunde gelegten Harnack’schen Textes im Grossen und Ganzen beseitigt; gerade in dem hier behandelten Zusatze aber ist ein grober Fehler stehen geblieben. Harnacks Varianten-Apparat enthält aber viel Werthvolles.
  2. Senckenbergs Ausgabe findet sich in der „Neuen und vollständigeren Sammlung der Reichsabschiede“ (Frankfurt 1747, fol.) I, S. 45 ff.; die v. Olenschlagers in dessen Werke: Neue Erläuterung der Güldenen Bulle Kaysers Carls IV. Frankfurt u. Leipzig 1766. 4°.
  3. Dass coram für Harnacks contra einzusetzen sei, ergaben schon die älteren Drucke mit voller Sicherheit. Bei der Besprechung der Stelle im Berliner Seminar für deutsches Recht im Sommer 1902 wurde auch bereits agatur statt des unbrauchbaren agat vermuthet. Herr Dr. Edmund Stengel, der an den Uebungen theilnahm, erklärte sich bereit, auf einer Ferienreise wegen beider Stellen im böhmischen Exemplar im Wiener Hof- und Staatsarchiv nachzusehen. Derselbe theilt mir mit, dass B deutlich coram (corā) bietet. Leichter zu übersehen, aber vollständig sicher sei auch die Lesart agatur. Es steht agat mit dem bekannten Zeichen für ur. Dieses Zeichen ist deutlich erkennbar, aber, was in alter und neuer Zeit die Benutzer getäuscht hat, zum Theil durch das folgende d, welches wegen des beschränkten Raumes etwas zu nahe an das vorhergehende Wort herangerückt wurde, verdeckt. Eine der dankenswerthen Mittheilung beigefügte Durchzeichnung der Stelle verdeutlicht die Sachlage.
  4. Kurfürstencollegium S. 176.
  5. Die Worte fehlen auch in N und im Codex Wenceslai, die, wie auch die Aufnahme des Zusatzes zu c. XI in den Text zeigt, beide aus dem böhmischen Exemplar abgeschrieben sind. Seltsamer Weise hält Harnack diese Worte für ein „Einschiebsel“. Er sagt S. 177, Anm. 1: „Die eingeschobenen Worte charakterisiren sich selbst als eine Zuthat, welche die kaiserliche Kanzlei im eigenen Interesse in den für die Kurfürsten ausgefertigten Exemplaren in sehr geschickter Weise eingeflochten hat.“ Er übersieht, dass ihre Auslassung einen baaren Unsinn ergiebt, nämlich den, dass der Erzkanzler nach jedem feierlichen Hoftage das grosse Reichssiegel, [267] an dem er doch nichts zu verschenken hat, dem Reichshofkanzler schenken (elargire) soll, und zwar soll er das Siegel „durch einen seiner Diener“ (per aliquem de suis familiaribus) jenem „schenken“. Nach Harnacks eigener Angabe steht am Rande des böhmischen Exemplars zu dieser Stelle: ,nota defectum’. Die Stelle zeigt deutlich, dass wenigstens für den zweiten Theil der goldenen Bulle, die Metzer Beschlüsse, B keineswegs als „Original“ betrachtet werden kann.
  6. Von gesetzlichen Bestimmungen über die Interpretation der Reichsgesetze, wie sie im westfälischen Frieden getroffen wurden, findet sich in jener älteren Zeit nichts; auch war sicher kein Bedürfniss dazu vorhanden. Uebrigens wurde im Instr. Pacis Osnabr. Art. V, § 56; VIII, § 2 das ausschliessliche Recht, die Reichsgesetze zu interpretiren, dem Reichstage zugewiesen, nicht im Gegensatze zu einem vom Kaiser, sondern im Gegensatze zu einem von den Reichsgerichten beanspruchten Interpretationsrechte.
  7. Otto v. Zallinger, Ueber den Königsbann, Mittheilungen des Instituts f. österr. Geschichtsforschung II, S. 539 f., und Zur Geschichte der Bannleihe, das. X, S. 224 ff.
  8. S. Zallinger, Mitth. X, S. 238 ff. Ueber die Gleichstellung von Bann und gladii potestas namentlich die dort S. 239, A. 1 angeführte Urkunde König Albrechts I. von 1305.
  9. Privileg für den Erzbischof von Salzburg vom 4. Juli 1278, Böhmer-Ficker, Acta imperii I, S. 331 (Reg. imp. VI, nr. 981).
  10. Vgl. hierüber Franklin, Reichshofgericht II, S. 245 und Const. pacis Mog. von 1235, c. 24 (lat. Form), wo vom Zweikampf bei Majestätsklagen und zwar anscheinend gerade von solchen im Königsgericht die Rede ist.