Ursprung der Sachsenhymne

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Das erste Dresdner lutherische Gesangbuch 1593 Ursprung der Sachsenhymne (1894) von Otto Richter
Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896)
Ausreißer im Hussitenkriege 1438
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Ursprung der Sachsenhymne.

Eine Anfrage des Liederforschers Prof. F. M. Böhme, der mit der Herausgabe einer kritischen Sammlung volksthümlicher Lieder beschäftigt ist, gab mir Veranlassung, der Herkunft der Sachsenhynne „Den König segne Gott“ nachzuforschen, die in den landläufigen Schul-Liederheften fälschlich Aug. Mahlmann, dem Dichter des Liedes „Gott segne Sachsenland“, zugeschrieben wird.

Es ist bekannt, daß das Sachsenlied ebenso wie die Preußenhymne „Heil dir im Siegerkranz“ seine Melodie dem alten englischen Volksliede God save the King entlehnt hat, während der Text beider nicht als dessen Uebersetzung, sondern nur als freie Nachdichtung gelten kann. Oeffentlich gesungen wurde das Sachsenlied zum ersten Male bei den Festlichkeiten, die man anläßlich der Rückkehr des Königs Friedrich August aus der Gefangenschaft im Juni 1815 in Dresden veranstaltete, und es findet sich in dem heute gebräuchlichen Wortlaute zuerst in der noch in demselben Monat erschienenen Schrift abgedruckt: „Des Königs Friedrich August des Gerechten Heimkehr und Empfang am 7. Juni 1815“ (S. 116).

Nach dem Berichte dieser Schrift (S. 9) fand am 5. Juni auf dem Kosel’schen Garten an der Elbe Konzert und Illumination statt. „Beim frohen Mahle wurden die Gläser unter Kanonenschlägen auf die Gesundheit des Königs und der ganzen Königlichen Familie geleert. Das schöne Sachsenlied: Den König segne Gott, den er zum Heil uns gab etc. ward darauf zur Bestätigung der gethanen frommen Wünsche auf die feierlichste Weise gesungen.“

Am 6. Juni abends hielt eine Gesellschaft ein Festmahl auf dem Lincke’schen Bade, bei dem nach dem Trinkspruche auf den König gleichfalls das Sachsenlied erklang. Ebenso sangen es am Abend des 7. Juni die Leipziger Studenten bei dem Fackelzuge, den sie dem König auf dem Schloßplatze darbrachten. Am Morgen desselben Tages hatte der Pfarrer von Leubnitz einzelne Zeilen des Liedes in seine Begrüßungsrede eingeflochten. Alles dies deutet darauf hin, daß das Lied schon eine ziemliche Verbreitung gefunden hatte. Allgemein bekannt war es aber sicher noch nicht, sonst könnte der damalige „Dresdner Anzeiger“ in seinem Berichte über den Fackelzug nicht so unbestimmt von „einem nach der Weise des bekannten brittischen Volksliedes von den Studenten intonirten Gesange“ sprechen.

Woher nun aber stammte das Lied? Diese Frage beantwortet J. Chr. Hasche, indem er in seiner Geschichte Dresdens Theil 5 Abth. 2 (Dresden 1822) S. 142 zu dem Berichte über die Festlichkeiten vom Juni 1815 folgende Anmerkung macht: „Das englische Volkslied God save the King (den König segne Gott) war dem deutschen Texte nach schon in Dresden bekannt, wenigstens bei den fliegenden Kapellen in den Trinkstuben, wo es der Harfenist Mecherlein spielte und sang, aber das Publikum nahm wenig Antheil daran. Der Kommerzien-Assistenzrath Richter, ein junges, zu früh verblühtes Genie, hatte uns eine deutsche Uebersetzung davon geliefert. 1813 aber ward es Musikfreunden angenehm. Vorher schon ließ Graf Marcolini die Musik bei Hilscher in Zinn stechen und sorgte für deren Verbreitung.“

Als Hasche dies schrieb, waren seit der ersten öffentlichen Aufführung des Liedes kaum sieben Jahre vergangen. Als Chronist, der seit Jahrzehnten den öffentlichen Vorgängen mit Aufmerksamkeit folgte, konnte er nach so kurzer Zeit kaum einen Irrthum begehen. Man darf daher seinen Angaben gewiß Glauben schenken, wenn er auch in nicht ganz zutreffender Weise von einer „Uebersetzung“ des englischen Volksliedes spricht.

Der von Hasche genannte Dichter Georg Karl Alexander Richter war als Sohn des in Dresden-Neustadt wohnhaften Kaufmanns Georg Abraham Richter, der sich als Rathsherr durch die Errichtung des städtischen Leihhauses verdient gemacht hat, am 12.  Januar 1760 geboren, auf der Kreuzschule und den Universitäten Leipzig und Wittenberg gebildet, sodann Privatsekretär des Staatsministers Grafen von Löben gewesen, zuletzt als Assessor in der Landes-Oekonomie- und Kommerziendeputation mit dem Titel eines Hofraths angestellt und bei einer Reise nach Wien vom Kaiser geadelt worden. Er starb in Dresden am 2. April 1806. Eine Auswahl seiner Gedichte, mit Lebensnachrichten und seinem Bildniß, gab im Jahre 1807 sein Freund Theodor Hell (Winkler) heraus. Die Sachsenhymne ist darin nicht mit enthalten, aber Hell würde, wenn Hasches spätere Angabe über deren Verfasserschaft auf Irrthum beruht hätte, diesen in seiner „Abendzeitung“ sicherlich berichtigt haben. Allerdings ist erst nach Richters Tode, am 20. Dezember 1806, Sachsen zum Königreich ausgerufen worden. Man muß daher annehmen, daß sein Lied ursprünglich nicht vom König, sondern wahrscheinlich vom „Fürsten“ gesprochen, also „Den Fürsten segne Gott“ oder ähnlich [148] gelautet hat. In gleicher Weise ist ja in dem englischen Liede an die Stelle des King eine Queen gesetzt worden.

Auch abgesehen von Hasches Zeugniß läßt sich nachweisen, daß die Sachsenhymne schon lange vor ihrer ersten öffentlichen Aufführung vorhanden, wenn auch noch wenig bekannt war. In einem den neuen König feiernden Schriftchen („Die drei hohen Festtage des Friedens und der Königswürde Sachsens ... dargestellt von einem Patrioten“), das im Januar 1807 in Dresden erschien, wird der Königs noch mit dem englischen God save the King begrüßt (S. 28), aber einem zum 5. Januar 1808 in Druck erschienenen „Volkslied bey der Zurückkunft unsers geliebtesten Königs Friedrich Augusts in seine Residenzstadt Dresden, gesungen von einem sächsischen Patrioten“ (in der Königl. öffentl. Bibliothek unter Hist. Sax. C. 1248,41) ist als Motto bereits der Vers vorangestellt:

„Den König segne Gott!
Den er zum Wohl uns gab.
Ihn segne Gott!“

Die hieraus ersichtliche Unsicherheit des Wortlautes ist ganz erklärlich, wenn man mit Hasche annimmt, daß das Lied damals noch ungedruckt und nur bei Bänkelsängern in Gebrauch war.

Auch bei den Festlichkeiten im Juni 1815 war die heute geltende Richter’sche Fassung der Sachsenhymne noch keineswegs allgemein durchdrungen. So sang man z. B. in Wurzen damals ein Festlied:

„Den König segne Gott;
Der König lebe hoch;
Gott sei mit Ihm!“

und aus derselben Zeit giebt es einen Druck auf einem Oktavblatt, betitelt: „Der Sachsen Lied, Nachahmung des englischen Volksliedes God save the King“, das mit den Worten beginnt:

„Heil unserm König, Heil!
Gott! Ihm den besten Theil,
Dem König Heil!“

(Königl. öffentl. Bibliothek, Hist. Sax. C. 1213 m/. und 1211).

Der bekannte Schriftsteller Karl August Engelhardt (Richard Roos) hatte nach derselben Melodie ein Lied auf die Rückkehr des Königs gedichtet, beginnend:

„Den König segne Gott!
Ruft jeder Patriot,
Ihn segne Gott!“

das bei der am 21. Juni in Friedrichstadt abgehaltenen Feier und, nach dem Berichte des Dresdner Anzeigers, auch sonst „in diesen Tagen oft“ gesungen wurde und in der genannten Schrift über „Des Königs Heimkehr und Empfang“ (S. 117) mit abgedruckt ist. Wie Engelhardt im Dresdner Anzeiger vom 10. Juli 1815 bekannt machte, hatte er dann infolge einer ihm zu gegangenen Aufforderung dieses Gelegenheitslied in ein allgemeines, zu jeder Zeit singbares Sachsenlied umgewandelt, das mit dem Verse begann:

„Heil Dir im Eichenkranz,
Vater des Vaterlands!
Dich segne Gott.“

und das in dieser Form in die Sammlung seiner Gedichte (Bdch. 1, Dresden 1820, S. 21) aufgenommen ist.

All solchem Mitbewerb gegenüber hat sich aber schließlich die Richter’sche Sachsenhymne allein siegreich behauptet.

Dr. O. Richter.