Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Erster Theil/Zweytes Buch

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[77]
Zweytes Buch.
Wesen der Liebe, als dauernde Anhänglichkeit betrachtet. [1]


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Gespielen meiner Jugend! Ihr, von denen ein Theil mir noch gegenwärtig die ungemischtesten Freuden des Lebens bereitet; ein anderer, durch Tod und weite Entfernung von mir getrennt, mein Herz mit wehmüthigen und dennoch süßen Erinnerungen erfüllt! – Brüder, edle Brüder! ihr, mit denen ich lange die Pflichten und die Freuden des Hausgenossen theilte, Hand in Hand die Bahn verfolgte, welche die Würde, einem Stamme guter Bürger anzugehören, vorschrieb, und denen ich jetzt bey der ehrenvollen Bestimmung, fürs Vaterland zu kämpfen, nur mit meinen Bekümmernissen und meinem Zurufe folgen kann! – Vor allen aber du, [78] mir selbst gewählter Vater, erster meiner Freunde, Führer, Leiter meiner Jugend, Stütze meines reifern Alters! Euer Andenken soll besonders in meiner Seele herrschend seyn, während daß ich liebende Anhänglichkeit von der bloß liebenden Aufwallung unterscheide.

Zuneigung ist das Werk eines Augenblicks, aber Anhänglichkeit setzt Angewöhnung zum Voraus, unsere Zuneigung auf eine bestimmte Person zu richten.

Schon Thiere machen uns aufmerksam auf diesen Unterschied. Seht das freundliche Windspiel an, wie es durch Anschmiegen und reitzende Wendungen hüpfender Spiele jedem Vorübergehenden zu schmeicheln, und Freude um sich her zu verbreiten sucht! Dagegen beißt der mürrische Hund des Hirten jeden Fremden von sich ab, nimmt Speise und Liebkosung nur von der Hand des angewöhnten Herrn, begehrt wehklagend nach dessen Gegenwart bey der kleinsten Trennung, und wird selbst durch die härteste Begegnung nicht von ihm zurückgewiesen. Ja! man erzählt, was unser Herz so geneigt ist zu glauben, daß Thiere dieser Art, gleich trostlosen Geliebten, ihr Leben auf dem Grabe des geraubten Freundes geendigt haben. [2] Eine gleiche Verschiedenheit [79] zeigt die Natur gewisser Geflügel. Der Haushahn ist unstreitig einiger sympathetischen Gefühle, die liebenden Aufwallungen ähneln, gegen die ihm zugelaufenen Weibchen fähig. Er kratzt für sie das Körnchen auf, dessen Genuß er selbst entbehrt, und zu dem er sie herbeylockt. Aber jedes neue Weibchen kann das verlorne ersetzen, wenn der mörderische Stahl die angewöhnte Gattin von seiner Seite gerafft hat.

Wie ähnlich ist die Verschiedenheit der Charakter der Menschen, diesen verschiedenen Anlagen der Thiere! Wie viele giebt es unter ihnen, denen die Natur viel Sympathie, viel allgemeines Wohlwollen ins Herz gelegt hat, und die bey dem stets regen Wunsche, daß Alles froh und zufrieden um sie her sey, sich an keine einzelne bestimmte Person hängen können! Wie viele, die eben so unfähig sind, die stärkeren Pflichten zu erfüllen, welche engere Verbindungen auflegen, als ihre höhern Süßigkeiten zu genießen! Wie wenig beweiset auf der andern Seite die stärkste Anhänglichkeit an eine bestimmte Person für allgemeine Menschenliebe! Man pflegt zu sagen; Allmanns Freund Niemands Freund! Laßt uns mit eben dem Rechte sprechen: Freund der Person, fremd der Art! So selten geht beydes neben einander.

[80]
Zweytes Kapitel.
Begriff der Anhänglichkeit; nicht jede ist liebend.

Anhänglichkeit überhaupt heißt angewöhnte Stimmung unsers Wesens, von der Vorstellung unsers Verhältnisses zu einer bestimmten Person zu Gefühlen von Lust gereitzt zu werden.

Sie kann höchst eigennützig seyn, diese Anhänglichkeit; oft kann Wonne der Selbstheit, oft Wonne des Beschauungshanges hauptsächlich bey ihr zum Grunde liegen. In beyden Fällen ist sie nicht liebend. Auch Handlungsgenossen können an einander hängen, weil sie sich angewöhnt haben, auf die Kenntniß ihrer wechselseitigen persönlichen Geschicklichkeit und Arbeitsamkeit die Hoffnung eines Antheils am gemeinschaftlichen Gewinnste zu gründen. Es giebt Anhänglichkeiten, die auf einem feineren Eigennutze beruhen. So hängt oft der anschreitende Ehrgeitzige dem Manne von gegründetem Rufe an, um durch ihn in die Laufbahn des Ruhmes eingeführt zu werden. So der Helfer an dem Hülfsbedürftigen, weil er es selbst ist, der hilft. Ja! man hängt sich oft an, um sich durch Anhänglichkeit auszuzeichnen! Was sagen wir von den Anhängern gewisser Häupter von Religionssekten, von politischen Parteyen, von Schulen in der Philosophie? Liegt nicht oft bloße Bewunderung des Außerordentlichen ihrer Lehrsätze und ihrer Handlungsweise dabey zum Grunde? Haben nicht zuweilen selbst die blutdürstigsten Tyrannen bloß darum Anhänger gefunden, weil sie ausgezeichnet hassenswerth und von seltener Abscheulichkeit waren?

[81] Es giebt also viele Anhänglichkeiten, die nicht liebend sind. Es giebt aber andere, die es sind; und dieser Natur will ich jetzt entwickeln.


Drittes Kapitel.
Jede Anhänglichkeit, selbst die liebende, ist ein Gewebe der allerungleichartigsten Affekte.

Es ist zweifelhaft, ob es irgend einen Akt von Wohlthätigkeit, wozu uns der Affekt der Liebe unmittelbar auffordert, geben könne, der nicht bereits eine Mischung von Reitzungen der Selbstheit und des Beschauungshanges in sich fasse. Es ist zweifelhaft, ob während der Dauer, welche alle Mahl vorauszusetzen ist, wenn wir das wonnevolle Bestreben, einen andern zu beglücken, durch Handlungen äußern, nicht unvermerkt der Eigennutz und der Sinn des Edeln und Schönen mit ins Spiel kommen.

Wer wagt es zu entscheiden, ob während der Zeit, worin ich den Wanderer mit Liebe in meinem Hause bewirthe, oder die muntern Spiele mir unbekannter Schnitter mit Liebe zu befördern suche, ob, sage ich, nicht zugleich die Vorstellung in mir entsteht, in ähnlichen Fällen hast du auf gleiche Wohlthaten zu rechnen; ob nicht die Form frohgesinnter Menschen unmittelbar als Bild auf Sinne und Einbildungskraft wirken? Wer, frage ich, will dieß entscheiden? Genug, daß die Wonne der Liebe dergestalt in diesem Zeitraume hervorsticht, daß die Reitzungen des Eigennutzes und des Beschauungshanges darunter verschwinden.

[82] Aber während der Anhänglichkeit an einer bestimmten Person, welche schlechterdings eine Stimmung von längerer Dauer voraussetzt, ist es nicht mehr zweifelhaft, sondern gewiß, und sogar nothwendig, daß neben den Affekten der Liebe auch Affekte des Eigennutzes und der Beschauung ihre Wirksamkeit deutlich an unserm Wesen äußern. Jede Anhänglichkeit überhaupt ist ein Gewebe der ungleichartigsten Triebe, welche ihre Richtung auf eine bestimmte Person genommen haben, und von dieser gereitzt und begünstigt werden.

Denkt euch, meine Freunde, die engere Genossenschaft zweyer Spitzbuben, die sich um ihres wechselseitigen Beystandes willen zum gemeinschaftlichen Raube mit einander auf längere Zeit verbinden; glaubt ihr, daß während der Dauer dieser Verbindung bloße Affekte des Eigennutzes sie an einander halten? Gewiß nicht! sie werden in die Anlagen, in die Ausführung ihrer verderblichen Plane eine gewisse Feinheit und Gewandheit legen, welche ihnen wechselseitig das Gefühl des Schönen einflößt; jeder wird für sich eine gewisse Festigkeit des Charakters, eine gewisse Consequenz von Gesinnungen und Handlungen zeigen, welche wechselseitig das Gefühl der Vollkommenheit bey ihnen erweckt: selbst das Ausgezeichnete der Bosheit des einen kann dem andern die Wonne der Beschauung des Seltenen und Außerordentlichen gewähren. Und sympathetische Wonne, Wonne der Liebe wird hinzutreten. Die Thräne, welche Angelo um seinen erschossenen Gesellen vergoß, ward halb dem verlornen Beystande, und halb dem bewunderten und geliebten Mitbruder gezollt.

Jener Liebhaber des Schönen, welcher dem Apollo im Belvedere, oder dem Gemählde des Raphaels schwärmerisch [83] anhängt, wird nicht durch bloße Affekte des Beschauungshanges belebt. Er ist es, er selbst, der diese Werke so vollkommen fühlt als kein anderer, er selbst, der sie so lange studiert hat, er selbst, der ganz in ihren Geist eingedrungen ist. Und seine Phantasie belebt diese todten, in sein persönliches Interesse verwickelten Kunstschönheiten. Ihre Existenz, ihr Schicksal, ihr Wohlbestehen wird ihm theuer; das bessere Licht, in welches man sie stellt, die Sorge, welche man für ihre Erhaltung trägt, erfüllen ihn mit einer Wonne, welche derjenigen gleich kommt, mit der ein anderer das Wohlbefinden seines Freundes erfahren würde; ihr Leiden rührt ihn sympathetisch mit, und vielleicht würde er ihre Zertrümmerung nicht überleben.

Eben so verhält es sich mit der wirklich liebenden Anhänglichkeit! Der Gatte, der mit der größten Aufopferung das geliebte Weib zu beglücken sucht, macht doch zuweilen einen Halt in seinem liebenden Bestreben, um sich der Wonne zu überlassen, von andern so geehrt zu seyn in seiner Wahl, von ihr, der Geliebten, als Wohlthäter anerkannt zu werden. Er wird beym Schweigen der Begierden sich zuweilen in Beschauung derjenigen Vorzüge seiner Gattin verlieren, die er, unabhängig von aller Beziehung auf sein Verhältniß zu ihrer Person, an dem Bilde einer völlig Unbekannten bewundern würde.

Edler, verfeinerter, sittlicher Eigennutz; unsträfliche Wonne der Beschauung; mit der Liebe bestehend, Liebe verstärkend; aber doch von Liebe noch verschieden!

Ich sage mehr! Es sind nicht bloß Wonnegefühle, welche uns an die Person eines andern Menschen ketten. Oft trägt die Lust des Genügens am befriedigten Bedürfnisse dazu bey, die Bande zu verstärken; oft [84] Furcht, Zwang, kluge Ueberlegung! Es beruht auf ausgemachter Erfahrung, daß Personen, die wir anfänglich bloß als Mittel betrachtet haben, um einen gewissen Zweck zu erreichen, uns mit der Zeit um ihrer persönlichen Individualität willen theuer geworden sind. So ist es möglich, daß ein Mensch, dessen Gesellschaft uns lange gleichgültig gewesen ist, bloß dadurch, daß wir durch die Trennung von ihm in unserer gewöhnlichen Lage gestört werden, ein Bedürfniß nach seiner Gegenwart erwecke, unserm Herzen näher trete, und die Verbindung mit seiner Person uns schätzbar mache. So können wir anfänglich bloß aus Eitelkeit liebende Affekte heucheln, und der Mensch, den wir zufällig zum Gegenstande dieses Eigennutzes wählten, kann uns wirklich an eine liebende Stimmung gegen seine Person gewöhnen. Die Erfahrung lehrt es, daß wir strengen Vorgesetzten oft stärker anhängen, als nachgiebigen um unser Wohl bekümmerten Liebhabern. Nicht als ob eine üble Behandlung unmittelbar anzöge; sondern weil durch den Zwang unsere Triebe sich allmählig zu einer gewissen Richtung nach einer bestimmten Person hingewöhnen, und Wonnegefühle der Liebe, der Beschauung und des Eigennutzes sich anschließen.

So entsteht bey dem schwächeren Menschen, der von dem Manne von strengem Charakter beherrscht wird, leicht Achtung für Gerechtigkeit und Festigkeit. So versetzt uns die Aufmerksamkeit auf uns selbst in Gegenwart von Personen, deren Beyfall schwer errungen wird, in eine angenehme Spannung, und die Vorstellung des Schutzes gegen Beleidigungen, und des Anspruchs auf Ansehn, deren wir bey dem Mächtigen genießen, dient dazu, die Bande zu verstärken. Bald [85] vergessen wir, warum wir anhängen: wir fühlen nicht mehr die einzelnen Glieder, aus denen unsere Kette zusammengesetzt ist; ja! wir fühlen sie nicht mehr als Kette, es sind Rosenbande, mit denen wir umschlungen werden. Wonne der Liebe mischt sich zur Wonne von anderer Art; wir hängen der Person an und streben für ihr Wohl. Aber nun treten Augenblicke ein, in denen wir kälter fühlen, in denen Selbstheit und Beschauungshang mit dem Herzen streiten. Hier tritt wieder Furcht, und Zwang, und Bedürfniß und Pflicht hinzu; wir fühlen die Kette, aber sie hält uns, und weil sie uns hält, so gewöhnen wir uns wieder daran, und empfinden bald wieder Anhänglichkeit an der Person, fühlen Liebe!

So verwickelt, aus so mannichfaltigen, oft so widerstreitenden Bestandtheilen ist das Gewebe zusammengesetzt, das uns umstrickt! Alles kommt darauf an, daß unsere Triebe nach Zusammenseyn, gleichviel von welcher Art sie sind, eine gewisse Bewegfertigkeit erhalten, sich nach einer gewissen Person hinzurichten; daß diese Angewöhnung von einigen Wonnegefühlen begleitet werde, und daß wir zuletzt in die Lage kommen, ohne Nachdenken, ohne Ueberlegung, folglich instinktartig, au dieser Person hängen zu können.

Aus dem Ganzen dieser sich unter einander verstärkenden, in einander verwebten Triebe entsteht natürlicher Weise das gewisse Etwas, das je ne sçais quoi, welches der große Haufe Liebe, und welches ich überhaupt Anhänglichkeit an der individuellen Person nenne. Es scheint sogar nothwendig, wenn die Anhänglichkeit nun liebend wird und anhaltend und stark seyn soll, daß der Liebende während der Dauer der Verbindung zuweilen deutlich daran erinnert werde, daß sein Selbst dabey [86] gewinnt, und daß der Gegenstand seiner Liebe auch bey der bloßen fernen Beschauung ihm Wonnegefühle einflößen könne. Ich sage: das Bewußtseyn des begünstigten Beschauungshanges und der befriedigten Selbstheit muß in einem gewissen abgemessenen Verhältnisse mit dem Bewußtseyn des interessierten Herzens stehen: es ist nicht genug, daß sich jene Gefühle ihm unwissend mit einschleichen.

Das Wesen der Sympathie ist wonnevolles Streben nach gemeinschaftlichem Daseyn und Wohl mit einem für sich bestehenden Wesen. Während des einzelnen Affekts, während des einzelnen Akts von Wohlthätigkeit kann es hinreichen, daß wir das Gefühl unsers eigenen Daseyns und Wohls bloß durch das Bewußtseyn erhalten; ich bin froh, weil es mir gelingt, mein anderes Selbst, mein Du, froh zu wissen. Das Bewußtseyn enthält zugleich die doppelte Vorstellung von meinem Selbst und seinem Selbst, von meinem Daseyn und Wohl und von dem seinigen.

In der Höhe der Leidenschaft, worin man sich völlig in den geliebten Gegenstand zu verwandeln strebt, ist es gleichfalls möglich, daß der Liebhaber sich für alle Aufopferung seines eigenen Daseyns und Wohls bloß durch die Vorstellung, der Geliebte sey beglückt, auf eine längere Zeit schadlos halte. Aber in der liebenden Anhänglichkeit, in der bloß zärtlichen Verbindung, ist diese Voraussetzung Chimäre, welche dem Wesen der Liebe sogar gefährlich werden könnte. Wenn wir nicht zuweilen durch das Bewußtseyn: der Geliebte begünstigt meinen Eigennutz, an unser Selbst erinnert werden, so läuft die Verbindung Gefahr, in eine bloße Beschauungsanhänglichkeit, oder gar in ein schwaches [87] Wohlwollen überzugehen; wenigstens artet sie dann in eine bloße Anhänglichkeit an die Gattung aus, und die individuelle Person wird uns gleichgültig.

Gesetzt, ich habe gar nichts von einem abwesenden Helden oder Staatsmanne als dieß, daß ich ein wonnevolles Bestreben fühle, ihn glücklich zu wissen. Seine Siege, das Gelingen seiner Plane, sein zunehmendes Ansehn erfreuen mich, aber das ist auch der ganze Vortheil, den ich aus meiner Verbindung mit ihm ziehe; so isoliere ich ihn nach und nach völlig von mir, und sehe ihn nur als einen Gegenstand aus der Ferne an, dessen Glück meine Aufmerksamkeit als etwas Schönes, Vollkommenes oder Seltenes hervorstechend auf sich zieht, und wobey ich mein Daseyn und Wohl völlig vergesse. Ich hänge ihm folglich an, aber ich liebe ihn nicht, weil ich nicht an ein gemeinschaftliches Daseyn und Wohl auffallend genug erinnert werde.

Gesetzt, ich lebe in der Gesellschaft eines Menschen, der so glücklich organisiert ist, daß er sich über nichts ärgert, über nichts trauert, stets in einer gewissen Gleichmüthigkeit lebt, die ihn für sein Individuum höchst zufrieden mit seinem Zustande macht; ich empfinde Wonne über sein Glück, aber übrigens ist mir der Mensch durchaus in meinen persönlichen Verhältnissen zu nichts nützlich; wird hier das wonnevolle Bestreben, ihn in seinem glücklichen Zustande zu erhalten, auf die Länge wohl ein engeres Band zwischen uns knüpfen? Gewiß nicht! Jene Ordensbrüder und Ordensschwestern, welche vermöge ihrer Bestimmung das Schicksal der Nothleidenden erleichtern, und unter denen es viele giebt, für die es wahre Wonne ist, einem ihrer Mitmenschen in vollem Gefühle der wiedergekehrten Gesundheit das Hospital [88] verlassen zu sehen, hängen gewiß nicht an der Person. Sie hängen an der Gattung. Jeder gerettete Kranke gehört ihnen auf gleiche Art an.

Auf der andern Seite ist es auch nicht genug, wenn das Bewußtseyn der befriedigten Selbstheit neben liebenden Affekten erweckt wird; man muß auch den Beschauungshang begünstigt fühlen, wenn die Anhänglichkeit an der Person wirklich liebend seyn soll. Ich muß fühlen, daß derjenige, an dem ich hänge, etwas an sich trage, das ihn als schön, als edel, als vollkommen, wenigstens als selten auszeichnet, und welches ich, wenn der Mensch mir bloß im Bilde erschiene, mit Wonne oder wenigstens mit Genügen anschauen möchte. Kurz, es muß etwas vorhanden seyn, das meine Aufmerksamkeit zuweilen darauf zurückführe: der Mensch, dessen Daseyn und Wohl dich mit Wonne erfüllt, ist nicht dein Selbst, ist nicht ein Mittel zur Verbesserung desselben. Es giebt Menschen genug, die sich wirklich stark an diejenigen anhängen, denen sie Gutes thun. Aber wenn diese letzten nichts als Gegenstände ihrer Wohlthätigkeit sind, wozu jeder andere Mensch eben so gut dienen könnte; so wird sehr bald das ganze eigennützige Bewußtseyn herrschend werden, daß die Person nur ein Mittel sey, unsere sympathetischen Triebe zu befriedigen, und Selbstheit wird auf Liebe geimpft werden.

Diese Bemerkungen liegen bey den Behauptungen zum Grunde, welche man sehr oft im gemeinen Leben hört: ohne Gegenliebe sey keine dauernde Liebe, ohne Achtung sey keine Liebe. Sie lassen sich schwerlich in der Maße rechtfertigen, wie sie da aufgestellt sind. Aber diese Wahrheit liegt unstreitig darin: daß ohne ein gewisses abgemessenes Verhältniß von befriedigter Selbstheit [89] und begünstigtem Beschauungshange keine dauernde Anhänglichkeit an der Person Statt finden könne.


Viertes Kapitel.
Liebend ist nur diejenige Anhänglichkeit, worin liebende Affekte prädominiren.

Nach diesen Voraussetzungen darf man freylich vom großen Haufen nicht erwarten, daß er bey Beurtheilung der Verbindungen, deren Aeußerungen er im gemeinen Leben wahrnimmt, die liebenden Anhänglichkeiten von den eigennützigen und beschauenden unterscheiden werde. Er nennt jede engere Verbindung Liebe, worin das Wohl des Geliebten sich mit dem des Angehängten verträgt, besonders wenn er sieht, daß dieser letzte sogar thätig zu dem Wohl des ersten beyträgt. Darüber ist ihm auch gar kein Vorwurf zu machen. Denn wie gesagt, Selbstheit und Beschauungshang und Herz müssen in einem gewissen abgemessenen Verhältnisse zu einander stehen, wenn der Begriff der liebenden Anhänglichkeit gegründet werden soll. Und wie kann man von dem gewöhnlichen Beobachter erwarten, daß er ein sicheres Urtheil darüber fällen werde, ob das Herz hier oder dort den überwiegenden Antheil an dem Wohl des Verbündeten nehme?

Demohngeachtet wird jeder einzelne, aufs Gerathewohl aus diesem großen Haufen herausgewählt, wenn er nur seine eigene Lage zu demjenigen, mit welchem er zusammenhängt, unbefangen prüft, und anders nur ein Herz, und die Fähigkeit zum Nachdenken überhaupt hat, gar leicht gewahr werden, ob er geliebt werde und wieder liebe.

[90] Wir dürfen nur die Summe der Gefühle, welche uns eingeflößt werden, und die wir einflößen, reflektierend aufnehmen, und die Menge und die Stärke ihrer verschiedenen Arten gegen einander in Anschlag bringen, um das Resultat über die wahre Natur unserer Anhänglichkeit zu finden.

Allerwärts wo die Summe schwacher Willensregungen, daß es dem andern wohl gehen möge, über die Summe der stärkeren Gefühle, womit uns sein Wohl und sein Uebel afficiert, die Oberhand gewinnt; – da ist gewiß keine Liebe vorhanden, sondern nur ein Wohlvertragen. (Wir vertragen es wohl, daß es dem Andern gut geht.) Unter diesen Begriff passen die meisten Verbindungen, welche in der großen Welt für gute Freundschaften gelten, in den Zirkeln der örtlichen Gesellschaft gestiftet werden, und stark genug sind, um den wechselseitigen Wunsch zu erregen, lieber die alten Gesichter als neue, und die ersten lieber froh als traurig an den Eß- und Spieltischen wieder zu finden.

Allerwärts wo die Summe der Affekte des Genügens am Daseyn und Wohl des andern stärker ist, als die Wonnegefühle über eben diese Vorstellung, – da ist keine Liebe vorhanden, sondern nur ein Gernleiden. (Wir leiden es gern, daß der andere mit uns wohl sey; es macht uns Vergnügen, weil Bedürfniß, Klugheit, Pflicht, u. s. w. uns dazu auffordern.) Unter diesen Begriff passen die mehrsten Verbindungen unter Gatten, welche auf wechselseitiger Convenienz beruhen, und in der Welt für gute Ehen gehalten werden, weil die Verbündeten fühlen, daß sie bey ihrem gemeinschaftlichen Daseyn und Wohl ihren Zustand erträglicher fühlen, als [91] bey der Trennung von einander, oder bey wechselseitigem Leiden.

Allerwärts, wo die Summe der Wonneaffekte der Selbstheit oder des Beschauungshanges an Menge und an Stärke größer ist, als die des Herzens, – da ist keine liebende Anhänglichkeit, sondern nur eine eigennützige oder beschauende vorhanden. Dieser Unterschied ist freylich in manchen Fällen fein und schwer zu fassen, aber nie Subtilität. Wenn Rousseau sich für ein Ideal begeistert, und den Gegenstand in der Natur, unbekümmert um sein individuelles Wohl, vernachlässigt, sich bloß an dem Bilde in seinem Kopfe labet; – – so ist dieß keine Liebe, sondern nur eine beschauende Anhänglichkeit. Wenn der eitle Floricourt im tout ou rien von Marmontel dem Vogel, der seine Geliebte erfreuete, erdrücken wollte, weil er ihr jedes Vergnügen mißgönnte, welches ihm nicht das Bewußtseyn gab, daß er selbst es sey, der sie beglückte; – so ist dieß keine Liebe, sondern nur verfeinerter Eigennutz.

Also nur diejenige Anhänglichkeit ist Liebe, worin ich ohne Rücksicht darauf, ob der Mensch meinen Beschauungshang oder meine Selbstheit befriedigt, in den meisten Augenblicken des verbündeten Lebens wonnevoll nach der Ueberzeugung strebe, daß er sich glücklich fühle; – worin ich selbst in Fällen, wo verschiedene Triebe mit einander in Streit gerathen könnten, den liebenden wonnevoll huldige; – worin die angewöhnte Fertigkeit zu liebenden Affekten gegen eine bestimmte Person bey weitem die herrschende ist, und der Stimmung im Ganzen den Ton, den Charakter des einzelnen liebenden Affekts giebt.

[92] O! Freund meiner Seele, daß deine Bescheidenheit mir nicht in den Weg trete, indem ich die Natur der wahren liebenden Anhänglichkeit durch einen Rückblick auf unsere Verbindung zu entwickeln suche! Ich fühle alles, was ich durch die Vereinigung mit dir gewonnen habe und noch täglich gewinne! die Veredlung meines Charakters, die Erhöhung über mein niedriges Ich; – den Stolz, Dir vor den Augen der Edlen anzugehören, von Dir geachtet, von Dir gebilligt und geliebt zu werden; – sogar die Freude, daß ich es bin, der Dir Freude machen kann; – kurz, eine Menge eigennütziger Wonnegefühle und Begünstigungen meiner Selbstheit, deren ich mir wohl bewußt bin, an die ich oft erinnert werde, ketten mich an Dich. Aber in andern Augenblicken fühle ich auch deutlich, daß die Vorstellung von Deiner Menschenkenntniß, von Deinem unaufhaltsamen Streben nach Wissen und Erkennen, von Deiner Thätigkeit, von Deiner Aufopferung für die Ausbreitung der Wahrheit, für die Bildung des Menschengeschlechts, – von Deinem lichtvollen treffenden Blick, von Deiner Aneignungskraft der entferntesten Verhältnisse, womit Du verschiedene Zeitumstände der Geschichte, so wie die Lage der Dinge um Dich her, gleich treffend hervorzauberst, gleich richtig beurtheilst; – endlich von jener moralischen Strenge gegen Dich selbst und von Deiner liebevollen Beurtheilung anderer; – ich fühle, sage ich, daß alle diese verschiedenen Vorstellungen von Dir mich oft mit Affekten des Schönen und des Edeln erfüllen. Ich fühle, daß sie mich auch dann damit erfüllen würden, wenn Du mir nicht bekannt wärest, wenn eine bloße Darstellung der Geschichte Dich mir im Bilde eines längst verstorbenen Menschen aus der Ferne zeigte. [93] Das weiß ich, aber ich weiß auch, daß in den meisten Augenblicken des zwanzigjährigen Zeitraums, worin ich an Dir hänge, diese Affekte des Eigennutzes und der Beschauung unter denjenigen, welche Du mir eingeflößt hast, bey weitem die geringste Summe ausgemacht haben! Ich bin mir bewußt, daß in den Augenblicken, worin Du mir minder liebend, minder vollkommen scheinst, mein wonnevolles Streben für Dein Daseyn und Dein Wohl nicht abgenommen hat. Ich bin mir bewußt, daß ich Deinen Schmerz mit Dir theilen kann, daß das Glück, was Dir widerfährt, mich entzückt, wenn ich es auch nicht mit Dir theile, und wenn es auch nicht von mir herrührt! Bist Du ein größerer Mann dadurch geworden, weil bey minderer Anstrengung Deine Gesundheit sich gestärkt hat? Habe ich mehr von Deiner Liebe, weil Du an Weib und Kindern hängst? Und dennoch, wie habe ich mich gefreuet, als ich Dich neulich so ruhig, so ausgefüllt im Schoße Deiner Familie fand! Ja! mein Freund, ich fühle es, ich sage es mit innerer Ueberzeugung: könnte die Welt Dich verkennen, könnte Krankheit der Seele und des Körpers Dich in die Klasse gewöhnlicher Menschen zurückschieben; könntest Du sogar – mit Schaudern denke ich daran, – könntest Du mich verkennen und mich von Dir stoßen; meine Thränen würden hauptsächlich die Trauer andeuten, daß Du durch Ungerechtigkeit Dir Reue und Unzufriedenheit mit Dir selbst bereiten würdest. So denke ich heute; so bin ich sicher bis ans Ende zu denken. Auf meinem Todtenlager, wenn ich Dich nicht mehr bewundern kann, beym Uebergange in die Zeit, worin Du mir nicht mehr nützlich seyn wirst, wird dennoch mein Herz von dem warmen Wunsche nach Deinem Glücke überfließen!

[94] Und das sind Gefühle, welche auch der Gatte, der Waffenbruder unter den Wilden haben kann und hat, wenn gleich seine Vorstellungen über Nutzen, Vollkommenheit und die Form der Handlungen, womit er seine Liebe äußert, verschieden seyn sollten.


Fünftes Kapitel.
Endlicher Begriff der liebenden Anhänglichkeit und des Herzens.

Das Wesentliche, das Charakteristische der liebenden Anhänglichkeit kann nicht in der Stärke des Bandes gesetzt werden, welches uns an eine andere Person anknüpft. Die Handlungen von Wohlthätigkeit, welche wir gegen sie äußern, beweisen nichts für ihr Daseyn. Bedürfniß, Pflicht, Zwang, Wonne des feineren und gröberen Eigennutzes können eben diese Wirkungen hervorbringen. Bloß die Oberherrschaft, welche die Affekte des Herzens, die liebenden Gefühle über alle anderen nehmen und behaupten, welche der verbündete Gegenstand zugleich erwecken kann, und deren Mitwirkung sogar zur Verstärkung des Bandes nöthig scheint; diese allein begründet den Begriff der Liebe als Anhänglichkeit betrachtet.

Es kommt auch bey der Festsetzung dieses Begriffs auf die Entstehungsart, auf die nothwendigen Bedingungen zum Daseyn der Sache selbst gar nicht an. Ob also gleich neben jenen liebenden Affekten die selbstischen und anschauenden allerdings als mitwirkend vorausgesetzt werden müssen, wenn wir eine liebende Anhänglichkeit als vorhanden annehmen sollen; so können wir [95] diese doch keinesweges mit in den Begriff aufnehmen, eben weil ihre untergeordnete Mitwirkung nur die liebenden Affekte unterstützt.

Liebende Anhänglichkeit ist folglich angewöhnte Stimmung unsers Wesens, nach der Beglückung einer bestimmten Person außer uns wonnevoll zu streben, um der Ueberzeugung willen, daß diese sich selbst glücklich fühle.

Das Wort Herz nimmt nun auch hier eine weitere, mit dem Begriffe dieser Liebe correspondierende Bedeutung an. Es heißt so viel, als die Fähigkeit, in der Liebe zu einer bestimmten Person, Fertigkeit zu erlangen. Es ist ein Talent von eigener Art, das nicht allen Menschen gegeben ist. Das menschenfreundliche Herz, die Fähigkeit, sich vorübergehend für das Wohl der Gattung ohne alle weitere Rücksicht zu interessieren, gehört, zum Besten der Moral, viel häufiger zum Gemeinsinn.


Sechstes Kapitel.
Uebergang zur Absonderung der liebenden Anhänglichkeit überhaupt von der Zärtlichkeit.

Wenn wir die verschiedenen Arten betrachten, wie leblose Körper mit einander verbunden werden können, so werden wir finden, daß einige sich bloß an einander schließen, ohne sich unter einander zu vereinigen. Die Schale, in welcher die Perle oder das Wasserthier hauset, der Granit, welcher den Porphyr in sich birgt, das unedlere Metall, welches das Gold umfaßt, [96] liefern Beyspiele einer solchen Verbindung durch Anschließung. (Adjunctio.) Dagegen giebt es auch eine Vereinigung lebloser Körper, (conjunctio,) entweder durch Vermengung; wenn ein Körper durch Zuwachs anderer Körper seiner Art vermehrt wird, an Menge seiner Bestandtheile zunimmt, ohne seine ursprüngliche Natur zu verlieren; oder durch Vermischung, wodurch zwey Körper bey ihrer Vereinigung einen neuen Körper von ganz anderer Art, jedoch von der nehmlichen Gattung, hervorbringen. Beyspiele von der Vereinigung durch Vermengung liefert der Anwachs von Land, der sich ans Ufer setzt, das zusammenwachsende Holz, u. s. w. Beyspiele von der Vereinigung durch Vermischung liefern die sauern und alcalischen Salzarten, welche durch ihre Verbindung einen neuen Körper hervorbringen, der ganz andere Eigenschaften erhält, als die vermischten Salze einzeln an sich tragen.

So auffallend es im Anfange klingen mag, so gewiß ist es doch, daß unter den Verbindungen, welche Menschen mit einander eingehen können, sich eine ähnliche Verschiedenheit antreffen lasse, und daß jeder von uns, der eine mehr, der andere weniger, Anlagen zu dieser oder jener Verbindungsart an sich trägt.

Als da giebt es unstreitig bloße Adjunctionen, Anschließungen des Persönlichen an die Person, wie bey den wechselseitigen engeren Verhältnissen zwischen Obern und Untergebenen; es giebt aber auch Conjunctionen, Vereinigungen der Naturen. Unter diesen letzten trifft man wieder Vermengungen gleichartiger Naturen an zur Vervollständigung eines Wesens, einer Art, die schon in jedem der vereinigten [97] Menschen isoliert existierte; Paarung Geschlechtsähnlicher Naturen. Es giebt aber auch Vermischungen ungleichartiger Naturen zur Hervorbringung eines vollkommenen Wesens, das im isolierten Menschen noch nicht existierte; Vermählung Geschlechtsverschiedener Naturen.

Ich werde zuerst den Unterschied zwischen der Anschließung des Persönlichen an die Person und der Vereinigung der Naturen auseinander zu setzen haben. Ehe ich aber weiter gehe, muß ich erst den Unterschied zwischen dem Persönlichen des Menschen und seiner Natur festzusetzen suchen.


Siebentes Kapitel.

Von dem Persönlichen des Menschen überhaupt, und von seiner Natur, seiner engsten Sinnlichkeit insbesondere.

Die Person des Menschen, sein Persönliches überhaupt, ist dasjenige, was den Begriff seines Individuums begründet, was ihn als einzelnen Menschen von allen andern Menschen unterscheidet. Hierbey wird die doppelte Vorstellung in Rücksicht genommen, theils wie andere ihn betrachten, theils wie er sich selbst ansieht. Beydes zusammen macht den Inbegriff seiner Eigenthümlichkeiten, seines Charakters, der Triebe seines Körpers und seines Gemüths, seiner Beschaffenheit, Lagen und Verhältnisse aus. Wie steht er in einem Augenblicke seines Lebens, gegen alle übrige die schon vorausgegangen sind, und die er noch als kommend voraussieht? Wie steht er mit seinem Ganzen gegen die Gegenstände [98] um ihn her? Das alles nimmt er zusammen, das alles schlägt er an, wenn er sich sagt: das ist meine Person, das ist mir persönlich. Ein sehr complicierter Begriff, den die Vernunft nie ganz entwickelt, nie ganz zusammen faßt, den aber das Selbstgefühl eines jeden Menschen sehr leicht verstehen wird!

Unter diesem Persönlichen giebt es aber nun Einiges, was dem Menschen so eng anzugehören scheint, daß er überzeugt ist, es nicht verlieren zu können, ohne daß seine Existenz zugleich mit verloren ginge. Dieß ist eigentlich seine Natur, die engste Sinnlichkeit seines Körpers und seiner Seele!

Freunde! verzeiht auch hier der Armuth der Sprache und der Unzulänglichkeit des Verstandes, wenn das Bewußtseyn von demjenigen, was zu unserer Natur gehört, mit keinem bestimmten Nahmen genannt, unter keinen allgemeinen Begriff gefaßt werden kann. Ich will nur einige Züge ausheben, woran ein jeder das Wesen seiner Natur an sich selbst wird erkennen können.

Der Inbegriff aller körperlichen Triebe, bey deren Kränkung oder Begünstigung der Mensch bis ins Innerste, oder, wie der gemeine Mann zu sagen pflegt, bis ins Mark angegriffen wird; wobey er durch Schmerz oder Wollust aus seinem Daseyn herausgehoben zu werden fürchtet, – dieser Inbegriff macht zuerst einen Theil unserer Natur, unserer engsten Sinnlichkeit des Körpers aus. In so fern die Vereinigung der Naturen in Rücksicht gezogen wird, gehört besonders hierher die körperliche Geschlechtssympathie.

Ferner gehört zu unsrer Natur der Inbegriff gewisser Triebe der Seele, deren Kränkung und Begünstigung uns wieder bis ins Innerste angreift. Sie hängen mit den [99] ersten Grundzügen unsers Charakters, mit dem primitiven Stoff unsers Gemüths zusammen. Diese Natur macht dasjenige aus, was mit dem Menschen geboren zu seyn scheint, (was ihm vielleicht schon vor der Zeit der Selbsterkenntniß eigen war,) und was sich mit den stärksten Zwangsmitteln nicht völlig wieder austreiben läßt. [3] Sie ist jene Nacktheit meiner Seele, wie ich sie entblößt von allen erworbenen Fertigkeiten, von aller Bekleidung, womit Klugheit, Anstand, oft auch Pflicht sie im gemeinen Leben umhüllet, betrachte. Sie ist jenes Selbst, mit allen seinen Erbärmlichkeiten und elenden Neigungen, womit ich es im Augenblicke des Mißmuths erblicke. Sie ist jenes Selbst mit allen seinen Anmaßungen, womit ich es im Augenblicke des Uebermuths als mit eben so viel wirklichen Vorzügen geschmückt, bewundere! Zu ihr, dieser Natur, gehört jene Lage, worin ich mein Selbst zu andern Gegenständen denke, wenn ich im Augenblicke des ausgelassenen Frohsinns mich völlig gehen lasse, und alle Rücksicht auf bürgerliche und häusliche Convenienz vergesse. Kurz, sie ist das Innerste, das Mark meines Wesens, dessen Erschütterung mich vor Schmerz oder vor Wonne aus meinem Daseyn herauszuheben droht. –

Vielleicht läßt sich nun eine allgemeine Bezeichnung der Natur des Menschen geben. Sie ist seine angeeigneteste Reitzbarkeit, seine Sinnlichkeit im engsten Verstande; der Inbegriff derjenigen herrschenden Triebe, über deren Beleidigung hinaus er nur Vernichtung, als das Schlimmere, über deren Begünstigung hinaus er nur Vergötterung, als das Bessere, erkennt. –

[100] Diese Natur des Menschen wird nun auch oft sein Herz genannt, besonders in so fern wir die angeeignetsten Triebe des Gemüths darunter verstehen.


Achtes Kapitel.

Unterschied zwischen liebender persönlicher Ergebenheit oder Anschließung des Persönlichen an die Person, und Zärtlichkeit, oder Vereinigung der Naturen.

Es ist nun ein großer Unterschied, ob ich bey der Verbindung mit einer andern Person bloß etwas Persönliches an diese anzuschließen, oder gar meine Natur mit der ihrigen zu vereinigen strebe.

Der Obere, der seinem Untergebenen, und umgekehrt, der Untergebene der seinem Obern anhängt, beyde verbinden unstreitig sehr viel Persönliches mit einander, besonders wenn diese Anhänglichkeit wirklich den Charakter der Liebe annimmt, und beyde wechselseitig streben sich einander zu beglücken. Aber so lange beyde im Verhältnisse des Obern zum Untergebenen gegen einander bleiben, so lange suchen sie ihre Naturen nicht zu vereinigen, und sich durch diese Vereinigung zu beglücken. Wenigstens wird dieß Bestreben nicht ihre Verbindung charakterisieren.

Beyde, der Herr und der Diener, sorgen wechselseitig für ihren Wohlstand, ihr Ansehn, ihre Bequemlichkeit, die Fortdauer ihres Lebens u. s. w. und opfern dafür selbst vieles von demjenigen auf, was ihre eigene Person beglücken konnte: Ruhe, Vermögen, Leben u. s. w. Aber beyde rechnen weder darauf, sich einander so glücklich zu machen, wie sie es selbst seyn möchten, noch [101] darauf, in diesem Genusse gerade mit einander zusammenzutreffen.

Ihre Verhältnisse und ihr Geschmack sind sich einander nicht gleich. Der Herr, der dem Bedienten mit dem wonnevollen Bestreben, ihn zu erfreuen, ein Trinkgelag nach dessen Geschmack bereitet, für sein Auskommen durch eine einträgliche Bedienung sorgt, u. s. w. versetzt sich gewiß nicht dergestalt an dessen Stelle, daß er den Zustand seines Bedienten zu dem seinigen machen, folglich sich so beglückt sehen möchte, wie sein Bedienter beglückt ist. Umgekehrt, wird der Bediente, der mit dem wonnevollen Bestreben, den Herrn zu erfreuen, dessen Vermögen, dessen Ansehn, dessen Bequemlichkeit durch treue Aufwartung vermehrt, nicht daran denken, daß er die Folgen seiner Wohlthätigkeit mit ihm theilen möchte, daß der Herr gerade so glücklich seyn solle, als er für seine Person es zu seyn wünscht.

Eben dieß wird nun der Fall bey unzähligen Verbindungen seyn, die zwischen Personen von ungleichen Naturen und Verhältnissen Statt finden; zwischen Erziehern und Zöglingen, zwischen Fürsten und Unterthanen, ja, sogar zwischen Gatten, die in solchen Staaten leben, worin dem Manne eine große Präeminenz durch die Sitten eingeräumt wird, und die Ehe sich in Patronat und Clientel auflöset. Hier können einzelne Aufwallungen einer solchen Liebe entstehen, wobey der eine Verbündete mit dem andern wirklich in einem Genusse zusammentreffe, eine und dieselbe Begünstigung ihrer wechselseitigen Naturen zu theilen sucht; aber diese Aufwallungen sind nicht häufig genug, um der Verbindung im Ganzen den Charakter der Vereinigung der Naturen zu geben.

[102] Ich führe nur ein Beyspiel an: der Mann in den republikanischen Staaten der alten Griechen kannte kein höheres Glück, als das, sich vor den Augen seiner Mitbürger durch Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten auszuzeichnen. Dieß gehörte zu seiner Natur, zu seiner engsten Sinnlichkeit. Seine Gattin war ganz von diesem Genusse ausgeschlossen. Der Trieb darnach gehörte folglich nicht zu ihrer Natur. Konnte nun der Mann, wenn er seine Frau zu beglücken strebte, sie gerade in seinen Zustand hineinversetzen, und so den ihrigen theilen wollen? Unstreitig nicht! Er hatte noch andere Triebe, die zu seiner Natur gehörten, den Trieb nach traulicher unbefangener Unterhaltung in seinem Hause, nach Freude an seinen Kindern, nach Vermehrung seines Vermögens u. s. w. In allem diesen konnte er einen Genuß mit der Gattin theilen. Da aber diese Triebe dem Hange nach bürgerlicher Auszeichnung bey den Griechen untergeordnet waren, folglich der Haupttrieb seiner Natur in der Verbindung mit der Gattin keinen Genuß fand; so erhielt diese, wenn sie auch noch so liebend war, nie den Charakter einer gänzlichen Vereinigung der Naturen, die schlechterdings entweder Gleichheit oder Uebereinstimmung des Geschmacks und der Verhältnisse voraussetzt.

In den monarchischen Staaten unsers heutigen Europa, wo der Antheil an der Administration der Länder hauptsächlich um der Auszeichnung willen gesucht wird, die er in geselligen Zirkeln giebt, wo die Folgen derselben, Ansehn, Vermögen, Macht, von der Gattin mehr getheilt werden, wo die Natur beyder Geschlechter vorzüglich durch einen solchen Genuß gereitzt wird, an dem sie beyde ungefähr gleichen Antheil nehmen können, in diesen unsern heutigen monarchischen [103] Staaten ist die Vereinigung der Naturen zwischen Gatten eine viel häufigere Erscheinung.

Genug, der Unterschied zwischen den verschiedenen liebenden Anhänglichkeiten, nehmlich denjenigen, welche auf dem Triebe nach bloßer Anschließung des Persönlichen an die Person, und wieder denjenigen, welche auf jenem nach Vereinigung der Naturen beruhen, ist außer Zweifel. Beyde verdienen durch eigene Nahmen unterschieden zu werden. Ich nenne die erste persönliche Ergebenheit, die andere Zärtlichkeit.

Die persönliche Ergebenheit zeigt zwey Arten. Zuerst findet sie Statt zwischen Personen, die in ihren Verhältnissen und Neigungen sehr weit von einander abstehen, dergestalt, daß der Eine wie der Obere, der Andere wie der Untergeordnete erscheint. Die liebende Gesinnung, die dem Obern eigen ist, heißt treue Gunstgeflissenheit: (beneuolentia et studium, bienveillance) hingegen die liebende Gesinnung, die dem Untergeordneten eigen ist, heißt treue Dienstgeflissenheit oder Zuneigung. (Addictio, Devouement.) Das Verhältniß selbst kann man liebendes Patronat auf der einen, und liebende Clientel auf der andern Seite nennen.

Das liebende Patronat findet Statt zwischen Herrn und Diener, zwischen Fürsten und Unterthan, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Lehrern und Zöglingen, oft auch zwischen Gatten und sogenannten Liebenden und Freunden.

Die andere Art der persönlichen Ergebenheit findet Statt, wo die Verhältnisse gleich sind, zuweilen auch die Neigungen in einzelnen Stücken, nur daß der Vereinigung der Naturen nicht nachgestrebt wird. [104] Sie zeigt sich zwischen Mitgliedern einer Gesellschaft, eines Hauses, eines Staats, einer Familie, und wird daher von mir genannt: liebende Genossenschaft oder Brüderschaft. (Familiaritas, fraternité.) Ihr auffallendstes Beyspiel zeigt sich freylich in der Geschwisterliebe, in so fern diese nicht in Zärtlichkeit übergeht. Aber auch Gatten, sogenannte Liebende und Freunde, können nur treue Genossen seyn.

Von dieser persönlichen und liebenden Ergebenheit sondert sich bestimmt und deutlich ab: die Zärtlichkeit, jenes angewöhnte wonnevolle Bestreben, die Vereinigung der Naturen unserer eigenen und einer andern bestimmten Person, durch sie beglückend, aber auch durch sie beglückt zu theilen.

Die Zärtlichkeit hat dieß mit der einzelnen liebenden Aufwallung und mit der liebenden Anhänglichkeit gemein, daß wir die Person außer uns beglücken wollen: daß wir an diesem Bestreben unmittelbare Wonne empfinden. Sie ähnelt darin besonders der liebenden persönlichen Ergebenheit, daß es uns zur Fertigkeit geworden ist, unsere liebenden Affekte auf eine bestimmte Person zu richten. Aber darin unterscheidet sie sich deutlich von den beyden vorigen, daß der liebende Mensch angewöhnt ist, den Geliebten so beglücken zu wollen, wie er es selbst durch Begünstigung seiner engsten Sinnlichkeit zu seyn wünscht, und daß er dann mit ihm in einem Genusse zusammenzutreffen strebt.

Was wird leichter zur Lust und Unlust gereitzt, was aber auch mehr geschont, sanfter behandelt, eifriger geliebkoset, als unsere engste Sinnlichkeit, unsre Natur? Sie ist das Zärteste, was wir an uns tragen! Und wenn [105] wir dieß zärteste Selbst in einem andern fühlen, und uns in ihm beglücken wollen, wie zart werden wir ihn behandeln! Daher der Nahme der Zärtlichkeit.

Ich kenne drey Hauptarten von dieser Stimmung unsers Herzens, und von Verbindungen, die darauf beruhen: Freundschaft im eigentlichsten Sinn, Geschlechtszärtlichkeit und Aelternzärtlichkeit.

Die letzte liegt ganz außer meinem Plane. Nur zum Ueberfluß bemerke ich hier, daß die liebende Anhänglichkeit der Aeltern an ihren Kindern in den meisten Fällen nur liebende persönliche Ergebenheit, nicht Vereinigung der Naturen ist. Sie sind treue Gunstgeflissene, treue Genossen ihrer Kinder. Sie schützen, sie pflegen diese, sie nehmen sie in ihre Familienverhältnisse auf: kurz, sie verbinden sehr viel Persönliches mit der Person. Ja! die Verbindung kann große Aufopferungen hervorbringen. Demohngeachtet ist sie nicht immer, ja, nur in seltenen Fällen, Vereinigung der Naturen. Wenn sie es aber seyn sollte, dann lößt sie sich beynahe ganz in Freundschaft, und wohl gar in Geschlechtszärtlichkeit auf, und behält nur eine geringe Mischung vom treuen Patronat an sich, die dann dazu dient, der Verbindung einen besondern Charakter zu geben. Alles dieß wird sich in der Folge noch weiter entwickeln, wenn ich den Begriff der Freundschaft und Geschlechtszärtlichkeit näher bestimmt haben werde. Um so weniger brauche ich hier der Aelternzärtlichkeit eine weitere Erörterung zu widmen.

[106]
Neuntes Kapitel.
Endliche Bestimmung der Zärtlichkeit und eines zärtlichen Herzens.

Die Alten haben gesagt: Zärtlichkeit sey das Streben nach Vereinigung zweyer Personen zu einer: der zärtlich Geliebte sey unser anderes Selbst. [4]

Gewiß! dieser Begriff läßt sich rechtfertigen. Die Natur in jedem Menschen ist dasjenige, was er im engsten Sinne zu seinem Selbst rechnet, was daher seine Person am bestimmtesten von andern unterscheidet. Wenn er seine Natur mit der eines andern zusammenzusetzen strebt, so strebt er, das Wesentlichste seiner Person mit dem Wesentlichsten der Person eines andern zu vereinigen.

Inzwischen umfaßt doch der Begriff der Person bald mehr bald weniger als der der Natur, und dann fehlt bey jenem Begriffe der Zärtlichkeit die Bestimmung, daß die Vereinigung gesucht werden muß, um die andere Hälfte mit der unsrigen zu beglücken.

Verlangen wir eine kürzere Definition als diejenige, die ich schon gegeben habe, so laßt uns sagen: Zärtlichkeit sey das angewöhnte wonnevolle Bestreben nach beglückender Zusammensetzung zweyer Personen zu einer, durch Vereinigung der Naturen. Das zärtliche Herz ist die Anlage zu diesem Bestreben; es ist das Herz, das alle Seligkeit des Alleinseyns gern aufopfert, um seine Natur in der vereinigten zu verlieren.

[107]
Anhang zum zweyten Buche.

Excurs.
Ueber das Verhältniß der Selbstheit zur Uneigennützigkeit in der Zärtlichkeit.

Die Zärtlichkeit trägt unstreitig etwas an sich, welches sie dem Eigennutze sehr nahe bringt. Wir selbst gewinnen dabey eben so viel, als der zärtlich geliebte Mensch außer uns. Hier ist wahre Theilung eines und des nehmlichen Glücks. Zärtlichkeit setzt folgenden Gang der Gefühle zum Voraus: ich fühle mich mangelhaft in meinem isolierten Zustande, ich kann durch ein Wesen meines Geschlechts, oder nicht meines Geschlechts, aber meiner Gattung, vervollständigt, vervollkommnet werden. Der Mensch außer mir ist ein Wesen meiner Art, er hat gleiche Bedürfnisse, gleiche Ansprüche. Er sucht einen Freund, einen Gatten, wie ich sie suche, und dazu ist uns Beyden nicht jeder Mensch von gleichem Werthe. Nur derjenige, der eine Natur an sich trägt, welche mit der unsrigen im Wohlverhältnisse steht, kann unsern wechselseitigen Hang zur Vervollständigung, zur Vervollkommnung unsers isolierten Wesens befriedigen. Wir bieten uns einander an; die Vereinigung gelingt, und die Vervollständigung, die Vervollkommnung wird von beyden Seiten gefühlt. Wie ist es möglich, daß nicht ein jeder für sich darauf zurückgeführt werde, ich bin es, der beglückt; ich, mit meinem nächsten Selbst, mit meiner engsten Sinnlichkeit, mit meiner Natur! [108] Und nur meine Natur konnte ihn beglücken! Und was ich ihm bin, ist er mir! Ich ergänze, ich verbessere ihn; aber er ergänzt, er verbessert mich gleichfalls!

Dieß sind Gefühle, welche sich bey jeder Zärtlichkeit einfinden; und es ist gewiß, daß, von dieser Seite betrachtet, die Zärtlichkeit mehr Eigennutz enthalte, als die liebende Ergebenheit der Person an die Person.

Dennoch unterscheidet sie sich noch deutlich von der eigennützigen Vereinigung der Naturen, und ist von einer andern Seite betrachtet weniger eigennützig als die liebende Ergebenheit.

Der Mensch, der die Vereinigung der Naturen eigennützig genießt, bezieht alles, was er von dem Vereinigten erhält, nur darauf, wie sein isoliertes Individuum ergänzt und verbessert wird; das Bewußtseyn, daß der andere zugleich dabey gewinnt, ist nur Nebensache, Zufall. Die Vorstellung, daß der andere noch für sich, und isoliert von ihm, einer Zufriedenheit fähig sey, ist ihm sogar widerlich. Er gönnt dem Vereinigten nichts, was er nicht mit ihm theilt, oder was er ihm nicht unmittelbar giebt.

Der zärtlich Liebende hingegen nimmt bey jeder Theilung weit weniger für sich hin, als er dem andern zuzuwenden sucht, und dasjenige, was der andere erhält, erfreuet ihn weit mehr, als was er selbst genießt. Die herrschende Vorstellung bleibt bey ihm immer der Vortheil des Geliebten. Er gönnt dem Vereinigten auch gern jedes Glück, das er einzeln genießen kann; Reichthum, Ehre, Vermögen, Bequemlichkeit, Zerstreuung, Belehrung, Veredlung seines Charakters, kurz, alles, nur die Wollust nicht, welche unmittelbar aus der Vereinigung der körperlichen Naturen entspringt; nur die [109] Wonne nicht, die aus der Vereinigung des Herzens, der Naturen der Seele, fließt. Jene Zufriedenheit, die er einzeln genießen kann, mag ihm geben wer da will; jenes Glück, welches nicht von der Vereinigung der Naturen abhängt, mag er mit allen theilen! Aber diese? Nein! Was diese geben kann, das will er geben, das will er theilen! Und warum? Nur mit ihm kann es vollständig genossen werden! Es wäre selbst für den zärtlich Geliebten nur ein mangelhafter Genuß, wenn er die Vereinigung der Naturen bey einem andern, als bey dem zärtlich liebenden, für ihn ganz geschaffenen Wesen, aufsuchte!

Dieß ist der Eigennutz, dieß ist die Eifersucht der Zärtlichkeit! Welcher Freund wird dem Freunde mißgönnen, daß er sich in größeren Zirkeln von andern unterhalten finde, daß ihm von den Großen der Erde, vom Publico, Ehre bezeugt werde, daß ein Weib seine häuslichen Verhältnisse beglücke! Aber welcher Freund wird es gleichgültig anhören, daß ein dritter gleiche Rechte mit ihm habe, der Vertraute derjenigen geheimsten Gedanken und Empfindungen des Freundes zu seyn, welche der Mann nur dem zärtlich geliebten Manne, das Weib nur dem zärtlich geliebten Weibe anvertrauet! Kann denn ein anderer den Freund eben so verstehen, eben so fühlen? Und wie viel gerechtfertigter steht nicht noch in diesem Punkte der Eigennutz und die Eifersucht der Gatten!

Ach! es ist nur Rausch der Sinne und der Eitelkeit, wenn der zärtlich Geliebte die Umarmungen, die Freuden häuslicher Vertraulichkeit und geselliger Distinktion, bey einem dritten mit dem Gefühle vereinigter Naturen zu genießen glaubt: es ist kein dauerndes Glück! Nur der [110] zärtlich Liebende kann ihm dieß Gefühl, dieses Glück vollständig gewähren! Warum verdirbt er sich seine Freuden?

So denkt, so betrügt sich vielleicht nur die zärtliche Liebe! So stellt sich ihr Eigennutz, ihre Eifersucht vor ihr selbst als uneigennützig dar! Hingegen die wirklich eigennützige Anhänglichkeit ist eifersüchtig auf alles, was dem Vereinigten Gutes widerfährt, sobald sie nicht Antheil daran hat, sobald sie nicht wenigstens das Gefühl erhält: er hat’s von mir!

Die liebende Ergebenheit, welche nicht mit Zärtlichkeit verbunden ist, hat dieß zum Voraus, daß sie überhaupt nicht, oder weniger eifersüchtig ist. Der Diener gönnt dem Herrn jedes Glück, welches ihm nicht durch ihn widerfährt, welches er nicht mit ihm theilt; eben so das Kind seinen Aeltern; umgekehrt der Herr dem Diener, die Aeltern den Kindern, in so fern nehmlich die Anhänglichkeit dieser Personen nicht in Zärtlichkeit übergegangen ist. Dagegen aber opfern diese Personen auch weit weniger von ihrem Persönlichen auf, um den Geliebten zu beglücken; ihr Beytrag zu seiner Zufriedenheit wird nicht so von ihrem Innersten, Engsten, Nächsten genommen, wie bey der Zärtlichkeit. Wie ein mehreres geben der Freund, der Gatte, die zärtlichen Aeltern von ihrem isolierten Wohlstande, von ihrer isolierten Bequemlichkeit, Ruhe, Gesundheit, Vermögen, Erheiterung u. s. w. hin; wie viel näher nehmen sie es von ihrem Selbst weg, um es dem Geliebten zu geben! Gewiß, die Zärtlichkeit ist in diesem Sinne viel uneigennütziger als die liebende Ergebenheit!

Inzwischen nimmt die Zärtlichkeit doch einen besondern Charakter durch die Beymischung des ihr eigenen [111] Eigennutzes an. Sie läßt sich nicht bloß an derjenigen Theilung genügen, wodurch die liebende Ergebenheit die Wonne, den Geliebten glücklich zu wissen, zu ihrem Antheile erhält; nein, sie will zugleich durch Vereinigung der Naturen beglücken, und dabey ein und dasselbe Glück theilen; in einem und demselben Genuß mit dem Geliebten zusammentreffen.

Es ist wahr, die liebende Leidenschaft kann sogar so weit gehen, der Vereinigung der Naturen zu entsagen, nur um der Wonne des Bewußtseyns willen, den leidenschaftlich Geliebten beglückt zu haben. Allein dieser Fall, der den Charakter der Liebe, als wonnevolles Bestreben nach der Ueberzeugung von der Zufriedenheit eines Andern wieder begründet, gehört doch einem ganz andern und höheren Verhältnisse an.


  1. Hiermit kommt der Begriff des Griechischen Worts Φιλια, und des Lateinischen amicitia in dem weitläuftigeren Sinne überein, worin man es oft bey den Alten gebraucht findet.
  2. Unter mehrern Beyspielen solcher Anhänglichkeiten von Hunden an ihren Herrn, welche mehr oder weniger glaubwürdig sind, führe ich eins an, das mir von einem Augenzeugen erzählt ist, in dessen Wahrheitsliebe ich nicht den geringsten Zweifel setzen kann.
    In Landau lag ein Officier in Garnison, der einen häßlichen aber sehr treuen Hund hatte. Der Herr ward erstochen und heimlich verscharret. Der Hund fand den Ort aus und gab ihn durch sein Geheul und sein Kratzen denen zu erkennen, welche nach ihm suchten. Da der Officier im Duell erstochen war, so [79] konnte er kein ehrliches Begräbniß erhalten. Man begnügte sich also, ihn an dem Orte, wo er zuerst verscharret gewesen war, tiefer unter die Erde zu bringen. Der Hund war demohngeachtet nicht zu bewegen, die Stelle zu verlassen. Die Einwohner der Stadt wurden durch diese Treue gerührt. Man baute dem Thiere eine kleine Hütte, und brachte ihm täglich seine Nahrung. Der Hund blieb bis an seinen Tod auf der Stelle, welche die theuren Reste seines Herrn in sich faßte.
  3. Naturam expellas furca, tamen usque recurrit.
  4. Cic. de amicitia. c. 21.