Von den traurigen Wirkungen des Waldnachtschattens, (Atropa Belladonna Linnaci)

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Textdaten
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Autor: Joseph Nikolaus Thomann
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Titel: Von den traurigen Wirkungen des Waldnachtschattens, (Atropa Belladonna Linnaci)
Untertitel:
aus: Journal von und für Franken, Band 3, S. 340–346
Herausgeber: Johann Caspar Bundschuh, Johann Christian Siebenkees
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1791
Verlag: Raw
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Erscheinungsort: Nürnberg
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Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld, Commons
Kurzbeschreibung:
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V.
Von den traurigen Wirkungen des Waldnachtschattens, (Atropa Belladonna Linnaci.)
Beckers Noth- und Hülfsbüchlein ist als das nützlichste Volksbuch allgemein empfohlen, von vielen Landesherren und Obrigkeiten ihren Unterthanen angeschafft, und neuerlich erst von Seiner Hochfürstl. Gnaden zu Wirzburg und Bamberg, dem um das Wohl seines Landes so sehr besorgten Landesvater, in alle Gemeinden und Schulen zum Vorlesen ausgetheilt worden. Gleichwohl gibt es noch ganze Ortschaften im Wirzburgischen, welche davon noch gar nichts wissen. Einige Personen aus dem Orte Stetten bey Arnstein aßen Wolfskirschen im Gramschatzer Wald mit dem unglücklichsten Erfolg. Auf die Frage: ob sie diese giftige Frucht nicht aus dem Noth- und Hülfsbüchlein kennen gelernt hätten? gaben sie zur Antwort: daß dieses Buch ihnen gar nicht bekannt sey. Da es der Mühe wehrt ist, diese betrügerische Frucht und ihre Wirkungen recht genau kennen zu lernen, um fernern Unglück vorzubeugen: so schicke ich Ihnen beyliegenden Aufsatz eines hoffnungsvollen jungen Arztes, des| Herrn D. Thomann, Amtsphysikus in Arnstein, welcher vielleicht in Ihrem Journal einen Platz verdient. Ich bin etc.
Gokler, Cooperator in Gnezgau.


Es ist hinlänglich bekannt, daß Gifte oft unschädlich und heilsam, fast alle herrliche Arzneyen sind. Alle sind heilsam, wenn sie in der gehörigen Dosis gegeben werden. Oft sind Nahrungsmittel, die der Natur des thierischen Körpers angemessen sind, weit schädlicher, und könnten manchesmahl eher Gifte genennet werden; wo im Gegentheil jene unschädlich sind, so daß man zweifelhaft bleibt, was man eigentlich Gift nennen solle. Eben so ist der Nachtschatten ein bewährtes Mittel wider manche Uebel. Münch empfiehlt ihn im tollen Hundsbiß, in der Epilepsie; durch ihn heilte Stoll einen Veitstanz; Bromfield, Theden, Ziegler, geben ihn in Drüsenkrankheiten, Kropfdrüsen, Krebsknoten, krebsartigen Geschwüren, Flechten, alten Geschwüren; Buchhave im Keichhusten; Theden im Kopfgrind; Evers in Lähmungen, Verstopfungen; W. Greding bey der Fallsucht und bey der Gelbsucht; Unzer zum Austreiben der Krätze; Gulbrand in Krämpfen des Augapfels. So heilsam aber der Nachtschatten auch immer ist, so sah ich doch kürzlich auf den häufigen Genuß seiner Beere den Tod erfolgen. Ein starkes gesundes Bauernmädchen, aus Stetten bey Wirzburg, von ungefähr 20 Jahren, aß in Menge von den schwarzen Beeren dieser Pflanze. Bald darauf bekam sie einen| heftigen Durst, und trank aus allen Quellen, wo sie vorüber gieng. Eben denselben Abend klagte sie über Brennen im Hals und Magen, über Magendrücken, hatte Ekel für Speisen und Kopfweh. Den andern Tag früh klagte sie über Durst und Magenweh. Bald nachher fühlte sie eine Schwere im Kopf, ward schwindlicht, wurde verwirrt, taumelte wie unsinnig hin und her, stürzte öfters betäubt vor sich nieder; das Gesicht und der Kopf lief ihr auf; sie verlor die Sprache, das Bewußtsein, und stürzte gleich darauf an schlagflüssigen Zufällen tod zur Erde. Zwey andere Mädchen, die eben auch von den Beeren, nur weniger, als die erstere gegessen hatten, brachen sich die Nacht über, und waren den andern Tag wohl. Vielleicht hätte ein geringes Mittel, wenn baldige Hülfe wäre angewendet worden, die erstere gerettet. Einige Stunden nach dem Tod lief ihr der Bauch und die Magengegend auf und spannte sich wie eine Trommel; das Gesicht war angeschwollen, blauroth, die Augen und der Hals hervorgetrieben. Die schleunig zugenommene Fäulniß, vermuthlich die Folge der Auflösung der Säfte, verstattete die Öffnung des Leichnams nicht. Noch eine Geschichte, die mir bekannt geworden ist, will ich hier erzählen: Vier Leute hatten die Beeren dieses Krauts aus Unwissenheit sehr häufig gegessen. Nach einer halben Stunde äusserten sich schon Schwindel und Zittern der Hände. Sie eilten nach Haus und hatten unterwegs Ekel, Üblichkeit und so heftigen Durst, daß sie ganze Ströme Sauerwasser, das in der Gegend quillt,| tranken. Einer von diesen, der die meisten Beere gegessen hatte, konnte nicht essen, weil ihm der Hals zusammen gezogen schien, taumelte im Gehen, war beängstigt, schwindelte und redete oft albern. Man brachte ihn zu Bett. Nach einigen Stunden fand man ihn fühllos, röchelnd und in einigen Zuckungen. Abends war er ganz betäubt, die untern Glieder steif, alle Hautgefäße sehr aufgetrieben, besonders auch das sonst magere und blasse Gesicht, das nun ungemein roth war, in großer Hitze, starkem Schweis, sein Puls äusserst voll und geschwind. Er schlief beständig. Endlich kamen vermehrte Zuckungen, und er starb noch denselben Abend. Die andern bekamen Zuckungen, redeten irre, hatten brennende Hitze, Schweiße, die Adern waren aufgetrieben, die Augen offen und starr, sie wüteten beständig, waren ängstlich, scheuten Flüssigkeiten. Nachdem man einem jeden einige Gran Brechweinstein mit Mühe eingeflößt hatte, brachen sie eine Menge der Beere aus, bekamen Leibesöffnung, waren nach einigen Stunden wieder bey sich, und wurden nach vielen Tagen völlig wieder hergestellet. So können die heilsamsten Mittel durch unmäßigen Gebrauch schädlich werden. Aufmerksam sollte man alle Menschen auf solche Kräuter machen, damit sie sich nicht durch die schöne und betrügerische Farbe und Gestalt ihrer Früchte verführen lassen, und aus Unwissenheit mit ihnen den Tod einschlucken. Kinder sollte man schon in den Schulen mit solchen Dingen bekannt machen, wo man sie zwar in dem Nützlichen zu unterrichten pfleget, das| Schädliche aber ihnen kennen zu lernen gewöhnlich verabsäumet; am wenigsten sie in der Natur, und in dem, was um sie ist, unterrichtet. Kein Wunder, wenn sie alsdenn aus Unwissenheit ihrem eignen Körper schädlich werden.
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Man darf den Waldnachtschatten nur einmahl gesehen haben, so wird man ihn von allen andern Pflanzen leicht unterscheiden können. Er ist eine ausdauernde Pflanze, wächst in Deutschland in gebirgichten Wäldern, und wird gewöhnlich 4 bis 7 Schuh hoch. Der Stengel ist aufrecht, weich, glatt, 1 bis 3 Zoll dick und theilet sich in viele Äste. Seine Farbe ist röthlicht, die Äste aber sind meistentheils grün. Innerhalb scheint der Stengel ausgehöhlet zu seyn, und ein trockenes weiches Mark überziehet seine dünnen brüchigen faserrichten Wände. Die Blätter an den Ästen sind von verschiedener Größe, weich, eyförmig und laufen an beyden Enden spitzig zu; ihre Ränder sind gezähnt und weich. Sie haben weder einen besondern Geruch, noch Geschmack. Die Blüthe ist glockenförmig; ihre enge runde Mündung eingeschnitten und in 5 kleine Lippen getheilt; ihre Farbe spielet aus dem grünen ins rothe. Die Blüthe ist mit einem kurzen, einblätterichten Kelch bedecket, der eben auch fünfmahl eingeschnitten ist; die Lappen aber sind weit länger und laufen ganz spitzig zu. Ihre Wurzel ist lang, dick, theilet sich in viele Äste, inwendig ist sie weiß und saftig; ist ohne Geruch und Geschmack. Die Beere sind fleischicht, rund und schwarz, den gemeinen Kirschen ähnlich und enthalten| mehrere kleine weise nierenförmige Körner, die durch eine Scheidewand getheilet sind und an dem weichen Theil der Beere, gleichsam wie an einem Mutterkuchen, sitzen. Der Geschmack ist ohne Annehmlichkeit süßlicht. Die Pflanze blühet in Junius und Julius, und trägt im August und September ihre zeitige Frucht, die schwarzen Beere, Tollkirschen, Wutbeeren, Wolfskirschen genannt. Die beste und sicherste Hülfe, die man solchen Verunglückten ertheilen kann, ist: wenn man ihnen gleich nach dem Genuß dieser schädlichen Beere, so bald die geringsten Zufälle erfolgen, einige Grane Brechweinstein in Wasser aufgelöset, eingießt, ihnen häufige reizende Klystire gibt, um den Magen und die Gedärme von diesen Beeren auszuspühlen. Die besten Klystire zu diesem Zwecke sind die von Molken, denen viel Essig und einige Grane Brechweinstein mit etwas Öl oder Honig beygesetzt werden. Nach dem Brechen dienen häufige, säuerliche Getränke von lauwarmen Wasser mit Essigmeth versüßt, Molken, Essigwasser, Limonade, Wasser mit Weinstein säuerlich gemacht, Gerstenwasser, Buttermilch u. d. g. Um die Leibesöffnung zu befördern, so läßt man den Kranken einige Loth Cremer Tartari oder englisches Salz in Wasser aufgelöset mit etwas Essigmeth, auch Schwefelmilch, oder Ricinusöl nach und nach einnehmen. Hat der Verunglückte schon Betäubung, Schwindel, drohen schlagflüßige Zufälle, so muß, nebst den angegebenen Mitteln, besonders wenn seine Leibesbeschaffenheit und körperliche Anlagen es erfordern, eine| Ader geöffnet werden; doch erfordert dieses jederzeit Behutsamkeit. Man muß ihm Tücher, die in kaltes Wasser, in einer Auflösung von Salpeter und Salmiak, oder in Essig eingetaucht werden, nach abgeschornen Haaren über den Kopf schlagen. Beständig muß der Unglückliche in freyer Luft seyn, und sein Körper muß immer beweget werden. So bald der Magen und die Gedärme von dem Gift geleeret sind, so gibt man, um das ins Blut aufgenommene Gift durch alle Aussonderungswege hinauszuschaffen, abführende, Urin- und schweißtreibende Mittel, und setzet ihn in lauwarme Bäder; auch Blasenpflaster auf die Waden gelegt sind empfohlen worden. Um der Auflösung der Säfte durch das eingesogene Gift vorzubeugen müssen wieder eigene Mittel geordnet werden. Jederzeit erfordert es, um solche Unglückliche zu retten und die Mittel zweckmässig anzuwenden, die Gegenwart eines erfahrnen Arztes, ohne welchen sie gewiß der Raub des Todes werden.

 Arnstein den 15 Aug. 1791.

Thomann D.