Weihnachtsträume

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Autor: Carl Busse
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Titel: Weihnachtsträume
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aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 821–823
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[821]

Weihnachtsträume.

Ein Idyll von Carl Busse.

Der Abend kam. verlorner Schellenklang
Scholl manchmal freundlich ins durchwärmte Zimmer,
Das Kätzchen schnurrte, und der Pendel schwang,
Und durch den Thürspalt kam schon Lampenschimmer.

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So schummrig war’s; kaum zuckten dann und wann

Noch im Kamin die halb verglomm’nen Kohlen –
Des Hauses Herrin aber saß und sann
Und strich ihr Haar und lächelte verstohlen.

’s war Christnacht heut’. Erfrischend her und hin

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Zog Nadelduft durch die vertrauten Räume,

Da ward auch ihr so wunderlich zu Sinn
Und sie versank in alte Weihnachtsträume.
An beiden Händen zog ihr junges Glück
Sie lächelnd fort in ihre Backfischtage,

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Und heimlich surrend trieb mit einem Schlage

Gemach der Zeit bewegtes Rad zurück.
Sie sah sich selbst im kurzen Mädchenkleid,
Sah sich im Kreis zerzauster Nachbarsjungen,
Wie sie den Ball hoch in die Luft geschwungen

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Und barfuß lief in lieber Sommerzeit.

Oft kam sie heim, mit Schrammen im Gesicht,
Das Haar verwirrt, der Zopf war aufgegangen,
Denn galt’s den Wettlauf mit den tollsten Rangen,
Hei, wie sie flog! Die Letzte blieb sie nicht!

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Ganz hoch im Birnbaum, wo das Kästchen war,
Das Brütekästchen, saß sie oft verschwiegen
Und sang ihr Lied und sah die Schwalben fliegen
In Licht und Luft –- so ging es Jahr um Jahr.
Bald war sie groß ... und scholl zur Sommerzeit
Auch noch so hell das frohe Finkenschmettern,
Sie seufzte nur -- sie trug ein langes Kleid
Und durfte nicht mehr nach den Nestern klettern.

So kam der Herbst, das müde Laub ward falb,
Sie saß allein und sang die alten Lieder,
Sie lachte laut, bald weinte sie auch wieder,
Und quälte sich, und wußte nicht, weshalb.
Doch endlich dann – es war ihr erster Ball,
Im braunen Haar lag die Kamelienblüte,
Ihr Herz ging auf, ihr ganzes Köpfchen glühte,
Die Lust war groß und süß der Walzerschall.
Da sah sie ihn im alten Burschenband,
Voll Jugendkraft, im Glanz der Girandolen,
Und ihre Lippen bogen sich verstohlen
Und zitternd fiel der Fächer aus der Hand.
Dann tanzten sie. Wohl war sie kurz, die Zeit,
Da sie so schwebten, Brust an Brust mitsammen,
Doch lag ein Glanz drauf wie von goldnen Flammen
Und ihre Herzen wurden wach und weit. –
Spät fuhr sie heim; ihr roter Mädchenmund
Sprach süß und irr noch vor dem Schlafengehen,
Sie sah im Glas auf ihrer Augen Grund
Ein großes Leuchten, das sie nie gesehen.
Schwer schlief sie ein und träumte bunt und viel
Und sprach im Traum und ihr Gesichtchen glühte,
Derweil im Schrein auf matt gewordnem Stil
Verloren welkte die Kamelienblüte.

 *  *  *

Es schien ein Stern in nie geseh’ner Pracht,
Es war ein Glanz vor ihren Mädchenblicken,
Sie hörte selig jede neue Nacht
Den Herzschlag gehn, die heisre Stutzuhr ticken.
Wohl schlug die Nachtigall nicht mehr im Baum
Und an die Scheiben fuhr Dktoberregen,
Doch voll in Blüten stand ihr Liebestraum
Und ihre Seele beugte sich vor Segen.
Kein Morgen ging, wo sie zu Gott nicht bat,
Daß ihre Wege sich zusammenfänden,
Und daß sie still und mit verschlungnen Händen
Hinwandeln dürften ihren Erdenpfad.
Und einst geschah’s – sie floh’n die dichten Reih’n,
Den weiten Saal, das grelle Licht der Kerzen,
Und was so wild ersehnten ihre Herzen,
Das fügte Gott: sie sahn sich bald allein. –
Im Wintergarten unter Palmen war’s,
Die schmalen Blätter bogen schwül sich nieder,
Sacht mischten in den Duft des Mädchenhaars
Sich Parmaveilchen und gefüllter Flieder.
Fern scholl gedämpft die Walzermelodie,
Die war so süß, und plötzlich bangte jedem,
Da hielt er sie und wollte zitternd reden
Und fand kein Wörtchen – und er küßte sie.

Still war es rings; nur der Fontäne Strahl
Stieg auf und fiel mit immer gleichem Laute,
Und sacht verklang die Tanzmusik im Saal,
Da sie ihm gläubig in die Augen schaute.
Und Wort um Wort drang jubelnd jetzt hervor,
Sie wußte nichts, als still ihm zuzuhören,
Noch lag ein Walzertakt in ihrem Ohr,
Der schwoll in ihr zu ew’gen Jubelchören.
Und ihren Handschuh gab er ihr vom Fest,
Den sie verloren und den er gefunden,
Und sprach davon, wie er in stillen Stunden
Ihn tausendmal an seinen Mund gepreßt.
Sie aber hörte süß berauscht ihm zu,
Es klang in ihr: Lieb’ soll mit Liebe lohnen,
Da ging ein Rauschen durch die Palmenkronen
Und heißen Herzens scholl das erste Du!
Der Handschuh sank – so ganz vergessen heut’,
Ihm war es doch, als ob er Bess’res wüßte:
Wo ist der Narr, der einen Handschuh küßte,
Wenn warm und willig sich ein Mund ihm beut?!

 *  *  *

Und Weihnacht ward’s. Des Tages Lärm verscholl,
Die Magd war fort und Dämmrung schlich im Runde,
Da sprach sie stockend und mit scheuem Munde,
Was wochenlang ihr schon im Herzen schwoll.
Sprach wirr und zag, wie gut er sei und groß,
Wie nur in ihm ihr Leben und ihr Sterben,
Und barg des Hauptes purpurnes Verfärben
Um Segen flehend in der Mutter Schoß.
Die aber schwieg. Da ward ihr totenbang,
Ihr Herz schrie auf und wollte weh verzagen,
Doch Gott war treu, – und mächtig und getragen
Scholl ins Gemach der Weihnachtsglocken Klang.
Das war ein Läuten, groß und wunderlich,
Das rief vom Turm, das rief und nahm kein Ende,
Und wie bezwungen legten segnend sich
Auf ihren Scheitel fromme Mutterhände.
Kein Engelchor sang in der Höh’ zu Hauf,
Nicht Psalmen tönten und nicht Hirtenlieder,
Ihr aber ging das Heil des Himmels auf,
Und vor dem Christkind sank sie betend nieder.

 *  *  *

[823]

Sie hörten oft, wie Glück und Glas zerbricht,
Wie früh der Liebe junge Freuden enden,
Doch Glück und Glas – bei ihnen brach es nicht,
Sie trugen es mit still bescheidnen Händen.
Noch fuhr der Märzsturm brausend durch das Land,
Da scholl die Lust und wehten Hochzeitsschleier,
Da bogen Myrten sich zur heil’gen Feier
Und am Altäre gab sich Hand in Hand.
Der alte Pastor segnete sie ein,
Das alte Kirchlein sah die Braut heut’ beten,
Darin sie einst in frommen Kinderreih’n,
Selbst noch ein Kind, zum Tisch des Herrn getreten.
Nur schlug das Herz heut’ unterm Hochzeitskleid
Noch voller fast, als damals es geschlagen:
Mas ihr beschert, sie wollt’ es tapfer tragen,
Mit ihm vereint, in Zeit und Ewigkeit.
Die nächsten Tage dann – sie wußt’ es kaum,
Daß sie vergingen, daß die Uhren schlugen,
Daß andre Menschen Not und Sorge trugen,
Die Wimper fiel – ihr war es wie ein Traum.
Und Hand in Hand, in Gattenglück und -stolz,
Sahn sie die Stürme brausend gehn von Norden
Und sahn, wie sacht, als Ostern es geworden,
Am Gartensteg der letzte Schneemann schmolz.
Dann kam der Frühling; mit bekränztem Haar
Und blauen Augen saß er an den Wegen,
Und wanderfroh zog eine Kinderschar
Mit Weidenflöten seinem Glanz entgegen.
Rings rankten Blüten über Kraut und Dorn,
Der Juniwind zog schläfrig seine Pfade,
Die Amsel sang – bald füllte sich das Korn
Und in den Scheunen wuchs die goldne Gnade.
Dann klang die Tenne, und die Welt ward grau,
Sein Nest verließ des Sommers letzter Sänger,
Auf feuchten Wiesen schlief die Nebelfrau,
Die Trauben reiften und die Nacht ward länger.
Doch: als das Christkind wieder dann durchs Land
Gezogen kam, da hielt es ein im Fliegen
Und ließ ein Püppchen in der Wiege liegen,
Ein Weihnachtspüppchen –, lächelte –- und schwand.
Das war ein Kerl! Wog seine sieben Pfund!
Schien für sein Alter ungemein verständig,
That sein Erscheinen wie ein Großer kund
Und machte gleich das ganze Haus lebendig!
Und mit der Brille kam die Großmama
Und schrie: potztausend, das ist ’mal ein Bengel!
So wunderhübsch und ganz wie der Papa,
Und Backen hat er wie Posaunenengel!

Der Vater aber bog in stillem Dank
Auf seines Weibes bleiche Stirn sich nieder,
Sein Mund blieb stumm, nur seine Seele klang,
Doch was die sprach – wie gäb’ ein Wort das wieder!
Ein fröhlich Herz voll Lebensseligkeit
Trug sie auch später über Alltagssorgen.
Ein jeder Tag war wie ein Hochzeitsmorgen,
Und manchesmal geschah’s zur Dämmerzeit,
Da stand sie auf und sprach: „Wenn ich so denk’,“
– Derweil in Treuen sie sich an ihn schmiegte
Und glückverklärt ihr holdes Köpfchen wiegte –
„Du warst ja doch mein bestes Christgeschenk!“

 *  *  *

Es ist ein Knistern im Kamin erwacht,
Das Kätzchen horcht, die Uhr holt aus zum Schlage,
Fern singen Kinder durch die heil’ge Nacht
Und rasch verwehn die Bilder früh’rer Tage.
Die Klingel tönt. Bist du’s? – Wer sollt’ es sein?
Und wie Knecht Ruprecht, pelzvermummt bis oben,
Die warme Mütze übers Ohr geschoben,
Den Bart bereift –- so tritt er pustend ein.
Und während sie noch nach dem Karpfenschmaus
Ein bißchen sieht, geht er rasch durch die Stuben
Und packt vergnügt die Heimlichkeiten aus
Für sie, für sich – das meiste für den Buben.
Dann brennt der Baum – sie schleppt das Kind herbei
Und freut sich selbst mit reinem Kinderherzen,
Und Fritzchen kräht mit hellem Jubelschrei
Und Füßestrampeln in den Glanz der Kerzen.
Sie sieht ihn an und winkt ihm lächelnd Ruh’,
Beginnt dann fromm den Festchoral zu singen;
Der kleine Fritz horcht auf das hohe Klingen,
Der große aber brummt den Baß dazu.
So feiern fröhlich sie den Heil’gen Christ,
In Kindereinfalt freu’n sie sich der Gaben
Und sagen sich, wie sie so lieb sich haben
Und wie die Welt voll Glück und Frieden ist.

Allmählich dann mit seinem Hampelmann
Schläft Fritzchen ein – es wird ganz still im Raume,
Und nur ein Licht tropft manchmal noch am Baume
Und eine Nadel knistert dann und wann.
Doch auch ein Rauschen scheint von fern und nah
Sie zu umziehn wie seliges Glockenläuten –
Wo kommt es her? Es kann sich’s keiner deuten –
Ich aber weiß: es waren Engel da!