Wie man Deutsche in Italien behandelt

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Autor: C. Dempwolff
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Titel: Wie man Deutsche in Italien behandelt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 15–16
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[15] Wie man Deutsche in Italien behandelt. Es war an einem der letzten Tage des verflossenen Novembers. Mild und warm schien die Sonne auf die gesegneten Fluren der Riva di Ponente, und zu der herrlichen Terrasse der Villa Pallavicini in Pegli, auf der ich im Anschauen der unvergleichlichen Scenerie, die von dort sich entfaltet, verloren stand, drangen mit dem leichten Luftzuge, der hin und wieder vom Meere her lässig wehte, ganze Wogen des köstlichsten Rosenduftes aus den unten liegenden Gärten herauf.

Da fiel etwas laut klatschend vor mir auf den weißen Marmorboden nieder, unwillkürlich bückte ich mich – es war ein Band von Baedeker’s Italien, diesem ewigen Reisebegleiter aller in Italien wandernden Deutschen.

Schon stand aber auch der Eigenthümer des Buches, ein hochgewachsener kräftiger, blonder junger Mann vor mir, der seine deutsche Abkunft nicht verleugnen konnte. Der Ton seines Dankes, mit dem er das Buch entgegen nahm, verrieth den Norddeutschen; ich konnte den Accent von jenseits des Harzes natürlich auch nicht verleugnen; eine gegenseitige Selbstvorstellung erfolgte, und bald wanderten wir lebhaft plaudernd zusammen durch die märchenhaften Wunder, die hier eine ausschweifende Phantasie, unterstützt von unbeschränktem Reichthum, aufgehäuft hat.

Diese in der ganzen Welt einzig dastehende Villa Pallavicini näher zu beschreiben, ist heute nicht der Zweck dieser Zeilen. Nach dreistündiger Wanderung durch ihre Herrlichkeiten winkte uns endlich die Ruhe bei einem guten Diner, welches wir zusammen in der Bahnhofsrestauration von Michel in Pegli einnahmen und zu dem sich noch ein weitgereister, sehr liebenswürdiger älterer Herr, ein Amerikaner, eingefunden hatte. Wir sprachen lachend davon, mit welchem Stolze er hinter seinem Namen das U. S. (United States) in das Fremdenbuch der Villa Pallavicini eingezeichnet hatte und wie mein Landsmann natürlich nicht gezögert, hinter seinem Namen nicht minder stolz ein N. B. (Norddeutscher Bund) einzutragen, und ich sprach den Herren gegenüber denn doch meine auf meiner gegenwärtigen Reise in Italien gemachte Erfahrung aus, daß man als Deutscher jetzt erst im fremden Lande sich zu fühlen beginne und daß man doch von den Italienern ganz anders behandelt würde als vor dem Jahre 1866.

„Leider habe ich da einen ganz eclatanten Beweis vom Gegentheil in der Tasche,“ sagte mein Landsmann, „und wenn es den Herren recht ist, so werde ich Ihnen einige wenige Zeilen vorlesen, aus denen Sie mit Entrüstung vernehmen werden, was Alles heutzutage noch möglich ist und wie man in diesem gesegneten Lande gegen Deutsche verfährt. Wenn Sie erlauben, beginne ich ohne weitere Einleitung und behalte mir lediglich vor, noch einige Erläuterungen zu geben, aus denen hervorgehen mag, in welcher Beziehung ich zu dem eigenthümlichen Vorfall stehe.“

Er nahm aus seiner Brieftasche ein Papier und begann zu lesen wie folgt:

„Wir Endesunterzeichnete, auf einer Reise nach Rom begriffen, dabei Bologna passirend, gingen am 9. September 1869 vor das Stephansthor dort, um uns einen daselbst befindlichen schönen Palast anzusehen. Nachdem wir das Bauwerk betrachtet hatten, setzten wir uns an der Straße in das Gras, um zu frühstücken. Zwei Carabinieri, die vorbeigingen, kamen zu uns heran und fragten nach unseren Pässen, und nachdem sie diese für richtig und gut befunden hatten, nach Waffen. Vor unserer Abreise hatten [16] wir uns jeder zur Bewaffnung mit einem kleinen Dolchmesser versehen, und nicht ahnend, daß dieselben in Italien verboten seien, hielten wir ihnen diese lachend hin. Sie sehen und confisciren war bei den Carabinieri eins; doch erklärten wir uns damit nicht einverstanden und gingen, da wir die Messer auf unsere Bitten nicht zurückerhielten, mit ihnen nach Bologna in das Bureau derselben zurück. Einer ihrer Officiere schrieb dort unsere Namen, Alter etc. auf und schickte uns in Begleitung von zwei Mann nach der Präfectur. Hier steckte man uns in einen finstern, feuchten Kerker, wo sich außer uns noch drei zerlumpte Individuen befanden.

Es dauerte ein, zwei Stunden und wir wurden nicht freigelassen, wir lärmten an der Thür, aber erst halb elf Uhr Abends wurde geöffnet, doch nicht zur Freiheit, wie wir geglaubt, sondern wir wurden jetzt erst in das ‚eigentliche Gefängniß‘, in den ‚Carcer Torrone‘ geführt. Hier mußten wir uns, nachdem der Vorsteher unter verschiedenen groben Redensarten unser Signalement aufgenommen, bis auf das Hemde entkleiden, um uns visitiren zu lassen, dann wurden wir ungeachtet alles Protestirens und Sträubens Jeder in einen andern Kerker abgeführt.

Hier mußten wir ruhig volle vierzehn Tage lang sitzen, stündlich unsere Freiheit erwartend, ehe wir nur zu Protokoll vernommen wurden, und auch dann erfuhren wir noch nicht, was eigentlich mit uns geschehen sollte. Erst am 29. September, also nach zwanzig schrecklichen Tagen, erhielten wir eine Vorladung vor das Tribunal zum 13. nächsten Monats, des October.

Alle Bitten, die wir während dieser Zeit an das Personal richteten, um den Präfecten zu sprechen, waren umsonst. Die Briefe, die wir geschrieben, gingen nicht ab; und welche Behandlung erfuhren wir während der ganzen fünf Wochen! Welcher Aufenthalt, welches Essen!

Noch nicht der italienischen Sprache mächtig, waren wir mit den größten Verbrechern der Provinz zusammengesperrt. Rinau mit einem Bandenführer Marani, der vierundsechszig Einbrüche und mehrere Morde begangen hatte; Schultz mit einem gewissen Vecchio, der ihm mehrfache Anträge à la Zastrow machte, kurzum, wir waren mit den gemeinsten Creaturen zusammen gesperrt, die sich ihrer Schandthaten noch rühmten und freuten, und wir wurden von ihnen gehänselt und gefoppt.

In Kerkern ohne Fenster, dem Wind und Regen zugänglich, ohne jegliches Zerstreuungsmittel, wie Lecture u. dgl., fünf Wochen hindurch täglich von zwei kleinen Brödchen und einer schlechten Wassersuppe lebend, mußten wir bis zum 13. October harren, an welchem Tage wir in Ketten, respective in Daumschrauben wie die furchtbarsten Verbrecher gefesselt, von zwei bewaffneten Carabinieri vor das Tribunal geführt wurden. Hier wurden wir, wie der Bericht einer italienischen Zeitung über unsere Verhandlung sagt, ‚gemäß den Grundsätzen der Wissenschaft und der Gesetze freigesprochen‘; wir wurden dann herausgelassen, mußten uns unsere Pässe und unsere Effecten zusammen suchen und konnten gehen. Wir wandten uns nach Florenz, wo der Herr Gesandte, entrüstet über die uns widerfahrene Behandlung, so freundlich war, ein Protokoll darüber aufzunehmen und die italienische Regierung auf Schadenersatz zu verklagen. Von Florenz fuhren wir nach Rom, wo man uns Arbeit zugesagt hatte; leider fanden wir, daß dieselbe, da wir so lange nichts hatten von uns hören lassen, anderweitig vergeben worden war. Auch in Neapel, wo wir Beschäftigung zu finden hoffen durften, fand sich nichts, und so fuhren wir denn mit dem Rest unseres Geldes nach Genua und Mailand.
 Alexander Koch,   J. Rinau,   E. Schultz,
 Bautechniker.  Monteur.   Bautechniker.“

So weit hatte mein Landsmann gelesen, dann faltete er das Blatt wieder zusammen.

„Wenn das Alles Wahrheit ist, so ist das wahrlich stark!“ rief der Amerikaner erregt und schlug auf den Tisch.

„Es ist die reine Wahrheit,“ sagte der Vorleser. „Die jungen Leute haben den Vorfall genau so niedergeschrieben, wie er sich wirklich ereignet hat. Die Bologneser Zeitung, welche über die fragliche Tribunalssitzung berichtete und die sich im höchsten Grade entrüstet über dieses barbarische Benehmen Fremden gegenüber äußerte, habe ich zu Hause bei meinen Papieren. Ich selbst habe die Pässe und die übrigen Papiere der jungen Leute in Händen gehabt, und wir haben sie sehr genau geprüft.“

„Es giebt in Italien viele Leute, die auf den gefüllten Geldbeutel ihrer eigenen Landsleute speculiren, ich selbst habe darin ganz eigenthümliche Erfahrungen in Rom gemacht,“ sagte der Amerikaner mißtrauisch.

„Und ich in Florenz,“ mußte ich leider hinzusetzen.

„Ich kann Sie versichern, meine Herren, daß hier jeglicher Gedanke an eine unwürdige Mystification schwinden muß,“ rief der junge Norddeutsche erregt aus. „Ich traf bei einem Spazierritt, den ich Anfangs dieses Monats November in der Umgegend von Lugano machte, drei junge, bescheiden aber doch sehr anständig aussehende Leute, deren Aeußeres die Deutschen nicht verkennen ließ. Ich war es, der sie zuerst anredete, und erst nach längerer Unterhaltung gestanden sie mir ihre Verhältnisse. Sie gaben sich zuerst, ihren ärmlichen Verhältnissen entsprechend, für deutsche Maurergesellen aus, und erst später, als sie mehr und mehr Vertrauen zu mir gewannen, wurden aus den ursprüglichen Maurergesellen zwei Bautechniker und ein Mechaniker, alle Drei sehr unterrichtete und sehr liebenswürdige Leute. Mein Entschluß, den Landsleuten zu helfen, stand natürlich sogleich fest, dennoch bin auch ich seit meinem längeren Aufenthalte in der Fremde gewitzigt genug geworden, und so behielt ich mir die eingehendste Prüfung ihrer Papiere vor, und zu dieser wurde nebst mehreren Gästen des Hôtels Park, Deutschen gleich mir, auch der menschenfreundliche, vielerfahrene Besitzer desselben zugezogen.

Es ergab sich Alles, wie ich erzählte, die Bologneser Zeitung hatte das Verfahren gegen die jungen Deutschen als ein barbarisches, der Nation wenig Ehre machendes bezeichnet, die Aussichten, welche die jungen Leute in Rom auf angenehme Engagements gehabt hatten, waren vollständig ruinirt durch das unvorhergesehene Zuspätkommen um anderthalb Monate, die Behandlung, welche unsere Landsleute im Gefängniß erdulden mußten, war nach ihren eigenen Aussagen, die ich zu bezweifeln nicht den geringsten Anlaß habe, und die mir sogar im Gegentheil eine verhältnißmäßige Ruhe und bewundernswerthe Objectivität zu haben schienen, eine geradezu schauderhafte, wie sie bei uns nicht den furchtbarsten Verbrechern zu Theil wird, ihre Mittel waren natürlich durch den Kerkeraufenthalt – sie mußten, wenn sie nicht verhungern wollten, die schlechtesten Lebensmittel zu enormen Preisen bezahlen – durch die zwecklosen Reisen nach Rom und Neapel vollständig aufgezehrt, so daß sie schon von Mailand aus zu Fuß die Weiterreise in die Heimath antreten mußten, weil sie die dritte Eisenbahnclasse nicht mehr bezahlen konnten.“ –

„Und das Resultat? Wie endigte die Affaire?“ fragte der Amerikaner.

„Wir schossen natürlich zusammen im Hôtel Park, Niemand schloß sich aus, und so konnten wir die armen Menschen, die wohl für’s Leben an ihre Fahrt nach Italien denken werden, doch bis nach Bern spediren, wo ihnen die preußische Gesandtschaft die Mittel zur Heimkehr in’s Vaterland gewähren wird. Ich habe mir aber das, was ich Ihnen vorgelesen, von den jungen Leuten aufzeichnen und unterschreiben lassen, lediglich weil ich es für die Pflicht jedes anständigen Deutschen halte, nach allen Kräften dahin zu wirken, daß diese schändliche Geschichte durch die gesammte deutsche Presse geht. Denken Sie nur, wenn Ihnen etwas Derartiges passirt wäre, oder es wären drei Engländer gewesen, anstatt dreier Deutscher, welcher Schrei der Entrüstung wäre durch die amerikanische oder englische Presse gelaufen! Sie hätten Flotten nach Genua, Livorno, Neapel und Venedig geschickt. Das thun wir nun nicht, aber ich denke denn doch, daß seit 1866 die Zeit gründlich vorbei ist, wo der Deutsche im Ausland schutz- und rechtlos war und nach Belieben maltraitirt werden konnte. Daß die jungen Leute zu ihrem guten Recht kommen, daß sie entschädigt werden für die Opfer, die sie an Zeit, Geld und Gesundheit gebracht haben, dafür wird unser Gesandter in Florenz schon Sorge tragen.

Aber dafür, daß so etwas überhaupt jemals sich wiederholen kann, dafür bürgt nicht eine den armen Opfern gereichte Entschädigung, nicht die mögliche, doch wohl in sehr entfernter Aussicht stehende Bestrafung derjenigen Organe der Stadt Bologna, deren Faulheit, Lässigkeit, oder wie Sie es sonst nennen wollen, die jungen Leute, ohne sie anzuhören, in den Kerker steckte und gleichgültig darin schmachten ließ, sondern dafür bürgt allein der stärkste Ausdruck der allgemeinen deutschen Entrüstung, der sein Echo in der italienischen Presse finden wird und muß. Ist das der Fall, erfährt man nicht nur in Bologna, sondern in ganz Italien, daß die Behörden in Bologna sich gegen Deutsche auf die schändlichste, unverantwortlichste und unerhörteste, eines civilisirten Staates vollkommen unwürdige Weise benommen haben und dafür zur Rechenschaft gezogen worden sind, so werden sich italienische Carabinieri in Zukunft wohl hüten, junge deutsche Künstler, auch wenn dieselben zu Fuße reisen, zu arretiren, noch weniger wird man es wagen, je wieder Deutsche in der schmählichen Weise zu behandeln, wie dies die Behörden in Bologna zu ihrer Schande gethan haben. Und dazu muß jeder Deutsche die Hand bieten. Ich habe nur meine Ankunft in Nizza abwarten wollen, um an mehrere größere deutsche Zeitungen zu schreiben.“

„Das ist gar nicht nöthig,“ bemerkte ich, „eine einzige erfüllt den von Ihnen erstrebten Zweck viel sicherer und das ist die Gartenlaube. Wollen Sie mir die Aufzeichnungen der jungen Leute überlassen, so will ich diese mit der einfachen Erzählung des Vorganges, wie wir uns hier in Pegli so zufällig zusammengetroffen haben, einschicken, und ich bin überzeugt, die Gartenlaube wird es ebenso wie Sie und ich als Ehrenpflicht betrachten, diese Deutschen angethane Schmach zu veröffentlichen. Nur durch ihre Vermittelung kann das erreicht werden, was Sie vorhin bemerkten, nicht aber durch eine politische Zeitung, deren Wirkung jenseits ihrer Provinz schon aufhört.“

Das geschah aber zu Pegli bei Genua am 29. November 1869. Für die Richtigkeit der obigen Angaben steht mein Gewährsmann mit seinem bei der Redaction der Gartenlaube deponirten Namen ein; für die Richtigkeit meiner Niederschrift, so weit ich selbe aus dem Munde meines Landsmanns vernommen habe, bürge ich selbst mit meiner Namensunterschrift.

München, 14. December 1869.
C. Dempwolff.