Wo kommen unsere gefiederten Hausfreunde her?

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Autor: Dr. Karl Ruß
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Titel: Wo kommen unsere gefiederten Hausfreunde her?
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 491–494
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Wo kommen unsere gefiederten Hausfreunde her?

Schilderung von Dr. Karl Ruß.

Vor nahezu zwei Jahrzehnten schrieb mir Herr Karl Hagenbeck in Hamburg, Inhaber der größten Handelsmenagerie der Welt, zum ersten Mal, ich möge an einem bestimmten Tage im Monat Mai dort eintreffen, weil dann ein großes Schiff von Australien mit reicher Ladung an Schmuckvögeln anlange. Seitdem habe ich fast Jahr für Jahr einer derartigen Ankunft beigewohnt, und eine solche ist in der That bedeutsam und anregend genug, daß es sich wohl verlohnt, um ihretwillen eine Reise nach Hamburg zu unternehmen.

Je nach der Gegend, beziehentlich dem Welttheil, aus welchem das Schiff hergekommen, ergiebt sich der Anblick jedesmal als ein absonderlicher. Hier haben wir gegen zwei Dutzend große, stattliche Kakadus, in verhältnißmäßig engen Kasten zusammengedrängt, vor uns, und wenn wir ihnen zu sehr nahen oder durch eine rasche Bewegung sie erschrecken, so klappen sie ihre blutfarbigen Federschöpfe helmartig auf, und ihre ausdrucksvollen dunkeln Augen blicken so sprechend, daß wir uns wahrlich nicht zu wundern brauchen, wenn diese Vögel menschliche Worte verlauten lassen. Dort schwirrt und tobt es stürmisch durch einander; es sind rothe Cardinäle, deren sonst so sauberes, purpurnes Gefieder jetzt recht abgestoßen und angeschmutzt erscheint und unser Bedauern erregt. Jenen Versandkäfig bevölkern Hunderte von Prachtfinken, welche auf stufenweise angebrachten Stangen vor uns sitzen, uns sämmtlich die Köpfchen zuwenden und förmlich erwartungsvoll anschauen. Wiederum in einem andern Kasten kommen uns die Insassen, sobald wir nahen, schnatternd und meckernd entgegen; es sind keine Sittiche, Schmalschnäbel und Andere, und wehe uns, wenn wir die Hand hinein halten wollten, sie würden sofort alle vereinigt auf den Feind losgehen und uns mit ihren Kneifzangenschnäbeln gar empfindlich zusetzen. Vor einer besonders werthvollen Vogelsendung stehend, wird uns die Liebhaberei zunächst arg verleidet; Graupapageien empfangen uns nämlich mit solchem durchdringenden schrillen Geschrei, daß ungewöhnlich kräftige Nerven dazu gehören, um es ertragen zu können.

Jedes Schiff bringt, natürlich seinem Abfahrtsort entsprechend, verschiedene Arten von Vögeln mit, ja manchmal ganz unerwartete, denn die einander begegnenden Schiffe treiben, wie mit mancherlei anderen Dingen, auch mit den lebenden Vögeln unterwegs Kauf und Tausch. So habe ich selber gesehen, daß ein von Brasilien zurückkehrender Dampfer Webervögel aus Südafrika, ein Schiff von New-York Sonnenvögel aus China mitführte etc. Darin liegt erklärlicher Weise für den Liebhaber und Kenner ein ungemein [492] großer Reiz, ein gleicher Ansporn aber auch für die Händler. Wenn seltene Widafinken vom Cap, Papagei-Amandinen von Ostindien, besonders schöne und kostbare Prachtfinken von Afrika oder von Australien oder die seltensten Plattschweifsitiche und andere beliebte kleine Papageien zu erwarten sind, da giebt es einen gar erregten Wettstreit, und die Händler fahren dem Dampfer wohl viele Meilen weit in die See entgegen, um einander nicht allein den recht hübschen Ertrag, sondern auch die Ehre der Einfuhr streitig zu machen.

Zunächst wollen wir aber unsere Blicke in die Wildnisse lenken, in denen die Vögel gefangen oder sonst wie erbeutet werden. Die meisten von ihnen, wie die großen Schwärme von Wellensittichen, manchen Plattschweifsittichen, vielerlei Prachtfinken, auch kleinere Schaaren von Cardinälen, Staarvögel in zahlreichen Arten und andere mehr werden mit Netzen vornehmlich an der Tränke oder bei anderen Gelegenheiten eingefangen. Große, sprechenlernende Papageien, der Jako, die vielartigen Amazonen und andere werden von den Eingeborenen aus den Nestern gehoben oder doch als ganz junge Vögel aufgegriffen, dann, bis zum völligen Flüggewerden, besonders mit gekautem Mais aus dem Munde, aber auch mit Bananen und allerlei anderen Früchten aufgefüttert. Im Uebrigen betreibt man den Vogelfang in den fernen Gegenden mit all den Vorrichtungen und Hülfsmitteln, welche bei uns im Gebrauch sind; also mit Vogelleim, Schlingen, Netzen, Fallen. Manche kleine Papageienarten lassen sich dupfen, das heißt sie sind so harmlos, daß man vermittelst einer an eine Stange gebundenen Schlinge oder Leimruthe einen nach dem andern herabholen kann, ohne daß die übrigen verscheucht werden, bis die ganze Schaar im Käfig sich befindet. Die eingefangenen oder aus den Nestern geraubten und aufgefütterten Vögel werden sodann nach den Küstenstädten zum Verkauf gebracht. Wo es sich verlohnt, harren ihrer besondere Aufkäufer, die sie in möglichst großer Anzahl nach Europa bringen, so erwirbt man z. B. die Graupapageien in Afrika und die Wellensittiche in Australien. Ueberall anderwärts aber hängt der Handel vom Zufall ab. Das Schiffsvolk, die Matrosen, der Steuermann, der Koch und selbst die Officiere, ebenso die Reisenden, Jeder erhandelt in den Küstenstädten, beziehungsweise den verschiedensten Plätzen des Handelsverkehrs überhaupt, allerlei Gefieder. Nach den Hauptpunkten des derartigen Verkehrs senden heutzutage die Großhändler von Europa aus schon ihre Agenten, und dieser ganze Vogelhaudel entfaltet eine Rührigkeit, die man in der That mit Staunen betrachten muß.

Hoch obenan unter den Großhändlern des Thierhandels im Allgemeinen steht Karl Hagenbeck und neben ihm seine Schwester Christiane Hagenbeck, welche schon seit einer langen Reihe von Jahren den Vogelhandel dieses Geschäfts in der Hand hat. Dann folgen in ziemlich gleicher Bedeutung Chs. Jamrach[WS 1], A. H. Jamrach und I. Abrahams in London, William Croß in Liverpool, H. Fockelmann[WS 2], H. Wucherpfennig und H. Möller in Hamburg, J. H. Dieckmann in Altona, N. Welsch in Bremerhafen. E. Reiche in Alfeld bei Hannover, welcher einen großartigen Canarienausfuhrhandel nach Nordamerika betreibt und eine Filiale in New-York besitzt, importirt amerikanische Vögel in großer Anzahl, und ähnlich, wenn auch nicht in demselben Maße, L. Ruhe, gleichfalls in Alfeld. Dazu kommen dann noch eine Anzahl von Händlern, welche von den west- und südamerikanischen Hafenstädten aus Vögel importiren, so namentlich mehrere Firmen in Bordeaux, Marseille und G. Singer in Triest. Weiter führen die Händler, welche alljährlich in mehr oder minder großer Anzahl Canarien nach Rußland verhandeln, auch wiederum Vögel von dort, wie Lafurmeisen, Carmingimpel, Hakengimpel und andere mehr, mit. Den Beschluß in diesem ungemein regsamen Verkehr machen die sächsischen und böhmischen Händler, welche Singvögel aus dem Südosten zu uns nach dem Norden und Nordwesten alljährlich in beträchtlicher Anzahl überbringen, so Stein- und Blaudrosseln, Orpheus- und andere Grasmücken, dann namentlich Sprosser, Nachtigallen, Schwarzköpfchen und andere.

Die Vogelhandlung von Chr. Hagenbeck empfängt allein jährlich 50,000 bis 60,000 Köpfe fremdländischer Vögel, und mit ihr wetteifern alle übrigen genannten Großhandlungen, während noch zahlreiche keinere Händler in den Hafenstädten, unter denen ich wenigstens G. Lintz in Hamburg erwähnen will, im Ganzen sicherlich gleichfalls 50,000 Köpfe jährlich erlangen. Wenn wir sodann die in Frankreich, Holland, Italien und Südösterreich thätigen Importeure berücksichtigen und die Gesammteinfuhr überblicken, von den gemeinsten Prachtfinken, welche in Schiffsladungen zu 1000 Köpfen und mehr ankommen, bis zum seltensten Papagei, der in einem Exemplare zum ersten Mal herüber gebracht wird, so dürfen wir die alljährlich in den Handel gelangenden fremdländischen Vögel auf mindestens 500,000 Köpfe veranschlagen. Diesen außerordentlich großartigen Verkehr vermittelt für Deutschland, Oesterreich, die Schweiz und zum Theil auch für Holland und Belgien meine Zeitschrift „Die gefiederte Welt“ (Berlin, Louis Gerschel), für Frankreich „L’ Acclimitation“ (Paris, Deprolle), für Belgien „L’ Acclimitation Illustrée“ (Brüssel, Ed. de Wael); auch sämmtliche Geflügelzeitungen in Deutschland bringen beiläufig bezügliche Annoncen, dasselbe thun auch einige ornithologische Vereinsblätter und dann gelegentlich die englischen Sportzeitungen.

Bedeutsam für den Handel mit fremdländischen Vögeln, wie für den Thierhandel überhaupt, sind die alljährlich zweimal stattfindenden öffentlichen Versteigerungen der „Sociéte d’ Acclimitation“ von Antwerpen. Als Hauptorte des Vogelhandels zweiter Hand sind Berlin, Wien, Leipzig, Dresden, Prag zu nennen. Wenn ich beiläufig darauf hinweise, daß der Ertrag der Canarienvogelzüchtung in Deutschland im Durchschnitt jährlich 300,000 bis 450,000 Mark beträgt, daß dazu eine Summe von mindestens 20,000 bis 80,000 Mark als Ertrag der Züchtung von Wellensittichen, mancherlei anderen Papageien und namentlich mannigfachen Prachtfinken hinzukommt, so darf ich den Umsatz des gesammten Vogelhandels wohl zweifellos auf 800,000 bis 1,000,000 Mark jährlich schätzen.

Aber nothgedrungen müssen wir auch einen Blick auf die düsteren Punkte im Vogelhandel werfen. Gefahren und Trübsal beginnen für den Vogel von dem Augenblick des Einfangens an, dann folgen sie noch mehr beim Transport aus dem Inneren nach der Küste und im höchsten Maße während der langen Seefahrt. Aus dem Innern her werden die Vögel meistens auf weiten Reisen und unter großen Beschwerden in Behältern, in welchen sie nichts weniger als wohl sich fühlen können – so z. B. die Graupapageien in langen, röhrenförmigen Körben, welche die Neger über der Schulter tragen – nach den Hafenstädten gebracht. Hier sperren sie die Aufkäufer sodann meistens in schmutzige, enge Behälter, und noch viel schlimmer ist dieses Verhältniß in der Regel auf der Seefahrt. In recht ungeeigneten Versandvorrichtungen werden die Vögel übergeführt; aus einfachen Holzksten, die zum Verschicken von irgend welchen Waaren nach jenen fernen Ländern gedient haben, stellt man in der Weise Käfige her, daß die vordere Seite herausgeschlagen und durch ein Drahtgitter ersetzt wird, oder man hat auch besondere, aber nicht minder einfache Holzkisten aus rohen Brettern, ebenso blos an der Vorderseite vergittert. Damit die Vögel beim Füttern nicht entweichen können, werden ihnen die Schwingen an einem, manchmal auch an beiden Flügeln verschnitten. Dies geschieht fast regelmäßig bei den meisten Papageien, und bei ihnen gerade ist es besonders zu bedauern, weil die Federstümpfe schwer ausfallen und die neuen Schwingen sehr langsam nachwachsen. An den Versandkäfigen mangelt fast immer eine Vorrichtung zur Reinigung, nur bei wenigen ist an der Vorderseite eine bewegliche Leiste zum Oeffnen vorhanden, sodaß vermittelst eines eisernen Hakens der Koth herausgekratzt werden kann. Zu bedauern ist es auch, daß die meisten derartigen Versandkisten gar nicht einmal Futtergefäße haben, sondern daß die Nahrung für die Vögel ohne weiteres auf den schmutzigen Boden geschüttet wird. Aus alledem ergeben sich bereits Uebelstände, welche nur zu unheilvoll wirken.

Auf dem Schiffe kommen nun noch weitere Beschwerden hinzu. In der Enge, in welche die bedauernswerten Vögel zusammengepfercht sind, entsteht zunächst eine unheilvolle Schwüle, welche im Schiffsraum, insbesondere auf den Dampfschiffen, durch die Hitze der Maschine, durch Qualm und Dunst gesteigert wird, oder die Vögel stehen ganz draußen auf dem Verdeck und sind allen Unbilden der Witterung preisgegeben. So lange die aus den Tropen mitgenommenen Futtermittel, welche die Vögel von Jugend auf kennen, ausreichen und in gutem Zustande bleiben, geht es noch, dann aber beginnt entweder die Einwirkung verdorbenen Futters oder die nur zu schwierige Gewöhnung an Ersatzmittel, welche den Thieren meistens nicht einmal zuträglich sind. Sodann macht sich auch der Einfluß des fremden Klimas geltend, und die nun beginnende Sterblichkeit erreicht den höchsten Grad, [494] sobald die Vögel bei den Händlern zweiter Hand und schließlich bei den Liebhabern an noch andere, wenn auch durchaus zuträgliche Futtermittel und an fremdes Trinkwasser gewöhnt werden.

Dies gilt im Wesentlichen nur von den großen sprachbegabten Papageien, insbesondere von dem Jako oder Graupapagei; alle übrigen Vögel oder doch fast alle, nur mit Ausschluß einer geringen Anzahl, ertragen die geschilderten Reisebeschwerden in wahrhaft staunenswerther Weise, sterben nur in verhältnißmäßig unbedeutender Anzahl, erholen sich dagegen, wenn sie auch noch so zerlumpt im Gefieder und beschmutzt ankommen, auffallend schnell, mustern sich auf das Beste heraus und beginnen nach überraschend kurzer Frist ihre höchste Lebensthätigkeit, eine fröhliche und erfolgreiche Brut.

Seit langen Jahren führe ich in meiner Zeitschrift „Die gefiederte Welt“ und in meinen Hand- und Lehrbüchern einen ernsten Kampf gegen die erwähnten unseligen Verhältnisse, aber nur allmählich läßt es sich erreichen, daß im Laufe der Zeit Bildung und Kenntniß und damit dann auch Humanität, milde und liebevolle Behandlung der Thiere bei jenen rohen Menschen, durch deren Hände der Handel mit unseren gefiederten Lieblingen geht, geweckt werden.

Eine unbegründete Voreingenommenheit herrscht übrigens im Allgemeinen gegen die Händler. Selbst in manchen naturgeschichtlichen Werken wird ihnen noch vorgeworfen, „daß ihre Buden von Schmutz starren, daß sie die Vögel roh und grausam behandeln und schlecht verpflegen“ – wer aber dergleichen behauptet, kennt die Verhältnisse nicht. Es würde in der That einem Händler große Verluste bringen und sein Geschäft nur zu bald dem Verfall entgegenführen, wenn er derartig verfahren wollte. Vielmehr ist es eine Lebensfrage für ihn, daß er die Vögel zweckmäßig halte und mit aufmerksamer Beachtung aller im Lauf der Zeit gewonnenen Erfahrungen verpflege. Eine andere Handlungsweise würde ihm, zumal die Concurrenz jetzt auf diesem Gebiet eine außerordentlich regsame ist, wohl schnell gründlich verleidet werden. In der That darf ich sagen, daß die Vogelhändler in Deutschland und auch in allen übrigen genannten Ländern die eifrigsten Leser meiner Bücher und folgsamsten Schüler meiner Anleitungen zur praktischen Vogelpflege sind. In Hamburg u. a. finden wir heutzutage bereits elegant und geschmackvoll ausgestattete Vogelhändlerladen, und selbst diejenigen, welche man als Schmierbuden zu bezeichnen pflegt, ergeben sich für den verständnisvollen Blick doch als zweckmäßig eingerichtet, mindestens aber werden in allen Fällen die Vögel gut behandelt und sorgfältig verpflegt.

In jeder Wochennummer der „Gefiederten Welt“ sehen wir im Anzeigenteil viele Dutzend Arten und Hunderte von Exemplaren ausgeboten und zwar so, daß jede Jahreszeit ihre bestimmten Vögel zur Geltung bringt. Ebenso bietet dieser Vogelmarkt zu regelmäßiger Zeit den massenhaften Ertrag der Canarienvogelzucht, ferner die Züchtungsergebnisse fremdländischer Finkenvögel und Papageien, sodann einheimische Vögel, von den Sprossern der Bukowina, den Nachtigallen, Schwarzplättchen und mancherlei anderen aus den östeereichischen Landen bei uns zum Verkauf kommenden vorzüglichen Sängern, den abgerichteten Dompfaffen aus Thüringen, bis zu Hänfling, Zeisig und Stieglitz aus dem nächsten Hain.

Bei dieser Aufzählung erschrickt wohl mancher begeisterte Vogelfreund und empfindsame Thierschützer und schreit Ach und Wehe über den Vandalismus, der in solchem Vogelhandel liege – aber jedes Ding hat doch seine zwei Seiten, und bevor man ohne weiteres den Stab bricht, wolle man mir, der doch im Laufe von einem Vierteljahrhundert für den praktischen und tatsächlichen Vogelschutz gewirkt hat, einmal das Wort gestatten.

Vor Allem halte ich mich an den alten Ausspruch: Thatsachen reden – in diesem Falle nämlich haben wir die Thatsache vor uns, daß zunächst jene vielen Tausende der in den Handel gebrachten Vögel stets ihre eifrigen Abnehmer finden, ferner daß die Käufer die Vögel keineswegs mehr, wie es wohl in früherer Zeit geschah, lediglich als Spielzeug betrachten, denn dazu haben dieselben ja heutzutage doch zu hohe Preise, sondern sie vielmehr stets und überall liebevoll und mit Verständniß auf Grund ausreichender Kenntnisse verpflegen.

Sodann aber hat der Stubenvogel in der Häuslichkeit anerkanntermaßen einen hohen erziehlichen Werth, indem er den Sinn der Jugend zu naturgeschichtlichen Dingen hinlenkt, Neigung für die Natur erweckt und schließlich zum ernsten Studium führt. So bilden die Vögel nicht allein einen Schmuck, sondern auch einen beachtenswerthen Gegenstand der Anregung und Belehrung in der Familie. Ferner giebt es viele Leute, welche durch kenntnißvolle und erfolgreiche Züchtung von Stubenvögeln oder durch Zähmung und Abrichtung von sprachbegabten Papageien sich einen bedeutsamen Nebenerwerb zu verschaffen vermögen. Weiter sind die Vögel dadurch, daß sie zu geringen Preisen in ihren Heimathsländern eingekauft, dann hier durch zweckmäßige Behandlung am Leben erhalten, eingewöhnt und nun für hohe Preise verkauft werden können, zu einem wichtigen Handelsgegenstande geworden. Schließlich ist es gewiß nicht zu unterschätzen, daß einerseits durch den Vogelhandel zahlreiche Arten überhaupt erst zu uns und in die wissenschaftlichen Sammlungen gelangten, und daß andererseits durch die Züchtung solcher bisher kaum bekannten Vögel deren Lebensweise, Nest, Eier, Nest- und Jugendkleid, Winter- und Sommerkleid, Geschlechtsunterschiede etc. beschrieben und also Forschungen gemacht werden konnten, zu denen die Reisenden in den fernen Weltgegenden vielleicht noch in vielen Jahrzehnten nicht gelangt wären. Das zoologische Museum von Berlin hat im Laufe der Jahre aus meiner Vogelstube viele Arten im Jugendkleide und zugleich eine beträchtliche Anzahl von lebend eingeführten Vögeln, welche es überhaupt noch nicht besaß, empfangen.

Im fernen Westen Nordamerikas, tief in der Wildniß und weit ab von jeder Civilisation, haben sich eine Anzahl Deutscher versammelt, welche meistens aus großen Entfernungen herbeigekommen sind. Vor ihnen steht ein Vögelchen aus der alten Heimath, ein deutscher Dompfaff oder Gimpel, dessen eingelernte Lieder, „Die Wacht am Rhein“ und „Ein Sträußchen um Hute“ Erinnerungen wecken und den bärtigen Männern Thränen in die Augen locken. So trägt ein Vögelchen deutsche Gemüthlichkeit in die weite Ferne, stärkt den Sinn für deutsche Sitte bei Denen, die vom alten Vaterlande losgerissen und in die Prairie oder den Urwald verschlagen sind!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Johann Christian Carl Jamrach (1815–1891) war einer der führenden Wildtier-Händler im London des 19. Jahrhunderts.
  2. Heinrich Fockelmann eröffnete im Jahr 1868 in Hamburg die „Tierhandlung Heinrich Fockelmann“.