Zedler:Vortrag der Wahrheit

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Vortreffliche Pomade Kräutermanns

Band: 50 (1746), Spalte: 1323–1328. (Scan)

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Vortrag der Wahrheit, ist die Bemühung, da wir die von uns erkannten Wahrheiten mit solchen Worten ausdrücken, welche mit unsern Gedancken [1324] und Regungen bey einer Sache übereinstimmen, damit bey andern, die uns hören oder unsere Sachen lesen, gleiche Gedancken und Regungen entstehen. Denn weil die Wahrheiten denen Menschen überhaupt sehr heylsam sind, so ist es nicht genung, daß wir Wahrheiten vor uns besitzen, sondern wir sind auch verbunden, selbige andern Menschen mitzutheilen. Es kan aber dieses Mittheilen nicht anders als durch sinnliche Zeichen geschehen, worzu die Worte angenommen worden sind. Wenn man nun seine erkannten Wahrheiten einem oder vielen andern durch Worte so zu erkennen giebt, daß sie von selbigen überzeugt seyn können; so heisset man solches die Wahrheit andern vortragen. Man hat dabey auf folgende Puncte fleißig Acht zu haben: 1) Auf den Gegenstand, davon wir reden; 2) auf die Gedancken, welche wir davon haben; 3) auf die Regungen, welche wir dabey vernünftiger Weise empfinden; 4) auf die Worte; 5) auf die Beschaffenheit der Zuhörer und Leser und der damit verknüpften Umstände. Wer also diese Dinge in eine gute Uebereinstimmung bringen kan, der kan seine Gedancken wohl vortragen, und heist, wenn er eine Fertigkeit darinnen besitzt, beredt und ein Redner. Hauptsächlich hat man dabey auf die Sachen zu sehen und auf den Ausdruck derselben. Die Sache will entweder erwiesen, oder erläutert, oder beweglich vorgestellet seyn. Zu dem Beweiß gehören alle Regeln von der Wahrheit, sowohl der unstreitigen als wahrscheinlichen, den Erfahrungen, Begriffen, Sätzen, Schlüssen, Erklärungen, Eintheilungen und so fortan, ingleichen die Regeln der Wiederlegung. Zu den Erläuterungen gehören die Erklärungen, Eintheilungen, Gleichnisse, Beyspiele, Zeugnisse uud Gegen-Sätze. Zu den Bewegungs-Gründen die Caussal- und Practischen Schlüsse, die Politische und Practische Wahrscheinlichkeit. Der Ausdruck gründet sich auf die Lehre von Worten und Wort-Schlüssen, die Grammatick, den Gebrauch und die Regeln der Klugheit, dabey man auf die eigenthümlichen, entlehnten, figürlichen Worte und Redens-Arten zu sehen hat. Will man aber andern Wahrheiten zur Ueberzeugung vortragen, so wird nothwendig erfordert, daß man selbige erst gründlich begriffen habe. Denn wie ist es möglich, einen andern zu überführen, da man selbst keine Gründe erkennet, zumahl keine Ueberführung und kein Beweisen statt hat, wo keine Gründe von einem Satze können angegeben werden. Folglich muß man andern keine Wahrheit eher vorzutragen anfangen, als man selbst die Sache verstehet, und in dem vernünftigen Nachdencken recht geübt ist.

Regeln des Vortrags:

Soll durch den Vortrag der Wahrheiten eine Ueberzeugung von demselben zuwege gebracht werden; und soll man deßwegen alles in einer natürlichen Ordnung beweisen; so fliessen hieraus von selbsten folgende Regeln:

I. Daß dasjenige in der Philosophischen Lehr-Art müsse vorher abgehandelt werden, woraus das folgende könne erkannt und begriffen werden.

II. Man müsse nichts als eincn Grund anführen, wo es nicht an sich wahr, oder auch vorher sattsam bewiesen worden. [1325]

III. Man muß keinen Satz anführen, der nicht aus sattsam bewiesenen Gründen sich deutlich begreiffen läßt.

IV. Endlich: daß man bey den geschlossenen Sätzen die Gründe derselben entdecke, damit man wissen könne, wo selbige bewiesen und erkläret sind.

Der Vortrag erfordert richtige Worte.

Hat man aber aus der Ueberzeugung bey dem Vortrage der Wahrheiten bey andern auch auf die Erkenntniß der Sätze zu sehen, welche durch Wörter und Reden erhalten werden muß: so müssen nothwendig keine andere Wörter und Redens-Arten gebraucht werden, als wodurch solcher Endzweck am füglichsten erhalten werden kan. Da nun die gröste Tugend bey den Wörtern die Deutlichkeit ist, welche darinn besteht, daß selbige eine bekannte und gewisse Bedeutung haben; so ist nöthig, daß man bey allem Vortrage der Wahrheiten vollkommen deutliche und genau bestimmte Worte gebrauche. Wir geben dahero folgende Regeln:

I. Muß kein Wort in dem folgenden gebraucht werden, so man nicht vorher sattsam und deutlich erkläret hat.

II. Muß man nicht leicht uneigentliche, ungewohnte und zweydeutige, noch weniger aber hochtrabende und leere Wörter, noch auch gar zu sehr verworffene Redens-Arten gebrauchen.

III. Wir müssen unterschiedenen Begriffen, wo es möglich ist, auch unterschiedene Nahmen geben.

IV. Man soll einem Worte beständig, zum wenigsten in einer Disciplin, einerley Bedeutung und Begriff geben.

V. Man muß die einmahl angenommene Wörter bey einem Begriff nicht ändern; sollten sie aber nicht genau und deutlich bestimmet seyn, so hat man sie nur nöthig zu erklären.

VI. Man muß alle Oratorische Zierlichkeit und Schmincke vermeiden.

Wir gestehen gerne zu, daß diese gegebenen Regeln nur einen Weltweisen angehen; denn ein Redner hat mehr Endzwecke bey seinem Vortrage als ein Philosophe; daher dieser zwar wissen muß, sich deutlich auszudrücken und in so weit ein Redner zu seyn. Dabey aber sucht ein Philosoph nur eintzig die Ueberzeugung durch richtige Gründe; ein Redner aber sucht noch dabey durch seine Ausdrückungen zugefallen, und wo richtige Gründe allein nichts verfangen wollen, auch durch gewisse Kunst-Griffe etwas von seinen Zuhörern zu erhalten. Diejenigen, zu welchen dergleichen Oratorischer Vortrag geschicht, haben wohl in Acht zunehmen, was massen die Regeln scharffsinniger Beurtheilung erfordern, daß man zuförderst die Rednerischen Zierrathen, die Erregungen der Affecten, das eingestreuete Satyrische [1326] Saltz, die artigen Gleichnisse, die zur Erweckung eines Vorurtheils und Reitzung der Affecten angeführten Zeugnisse und Exempel und andere Mittel der Beredsamkeit von dem Zubeurtheilenden Satze sorgfältig absondere und ihm also nackend und an sich selbst nach den Regeln der Vernunfft-Lehre untersuche. Wenn dieses geschehen, so kan man sodann auch die obgedachten angebrachten Rednerischen Mittel vornehmen, und ob sie auf zuläßliche und kluge Art angebracht worden, aus den Gründen der Redner-Kunst und Sitten-Lehre beurtheilen.

Andere Umstände.

Bey der Art des Vortrags hat man entweder alleine oder mit andern zu reden. Redet man alleine, so geschiehet solches entweder schrifftlich oder mündlich

I. Die bey dem schrifftlichen Vortrage zu haltende Methode hat einiger gemeinen und einiger besondern Regeln nöthig. Die Gemeinen oder Haupt-Regeln haben wir in vorhergehenden angeführet. Die besondern Regeln betreffen entweder den Vortrag, nach welchen gantze Disciplinen, oder nach welchen eintzelne Materien abzuhandeln. Nun schreiben die Disciplinen, 1) entweder Regeln vor, den Endzweck des Verstandes oder des Willens zu erhalten; 2) oder sie unterrichten nur den Verstand und bleiben in Betrachtung gewisser Wahrheiten bestehen. 1) Bey der erstern Art ist der natürlichste Vortrag, daß man erstlich den Endzweck, weil er in der That die Mittel und also auch die Regeln unter sich begreifft; hernach aber dasjenige, was dem Zweck entgegen stehet und daran hinderlich ist; endlich die Mittel die zu Abschaffung der Hindernisse und Erhaltung des Zwecks dienlich seyn, beschreibet. 2) Bey denen übrigen, die in blosser Betrachtung und Unterricht bestehen, gehet man füglich von der gemeinen Betrachtung auf die besondere (a generalioribus ad specialiora); ingleichen auch von der Sache selbst, so zu betrachten (a subjecto considerationis) auf ihre Gründe und Ursachen und von diesen auf ihre Eigenschafften. Jedoch solten wohl die Anfangs-Gründe der Erkenntniß (principia cognoscendi) von allen Disciplinen in den Anfangs-Lehren zusammen abgehandelt werden. Wenn eintzelne Materien abzuhandeln; so kommt es entweder auf eine gewisse Frage an, welche die Scholastischen Lehrer ein zusammengesetztes (conjunctum) Thema, oder auf die Ausführung oder Erleuterung einer gewissen Materie, ihrer Ursachen, Eigenschafften, auch wohl Würckungen an, welche dieselben ein eintzelnes (simplex) Thema, wiewohl nicht gar füglich zu nennen pflegen. a) Bey Abhandlung einer Frage muß 1) zuförderst dasjenige, wovon die Frage ist (status quaestionis) erörtert; hernach 2) die wahre Meynung mit guten Gründen bestätiget, und endlich 3) die dagegen etwan eingewendeten Schein-Gründe wiederleget werden. Je zuweilen kan auch die Wiederlegung vor dem Beweiß gesetzet werden. b) Wenn aber eine gewisse Materie abgehandelt werden solle, so halten einige dafür, daß man die Nahmens-Deutung der Sache [1327] (onomatologiam) nach dem Ursprunge, Gleichgültigkeit und Zweydeutigkeit (secundum Etymologiam synonymiam und homonymiam) zu erörtern; hernach aber entweder eine vorauszusetzende Beschreibung, darinnen die Ursachen der abzuhandelnden Sache angeführet, aufzulösen, und gleichsam zu zergliedern, und damit alle Ursachen nach einander zu erklären: oder aber aus denen abzuhandelnden Ursachen eine solche Beschreibung am Ende zusammen zu[WS 1] setzen. Die erstere Art heisset dahero methodus analytica oder die zergliedernde oder auflösende Methode davon siehe Analytische Methode, im II Bande, p. 38. u. f. und die andere Art aber methodus synthetica oder die zusammensetzende Methode davon siehe Methode (synthetische) im XX Bande, p. 1330 u. ff. Beyde Arten gehören zur Methodo causali, die von Erörterung der Ursachen ihren Nahmen hat, siehe überhaupt Methode, im XX Bande, p. 1291. u. f. Es ist aber hier noch zu erinnern, daß alles, was zur Sache nöthig, in denen oben angeführten Haupt-Regeln bereits enthalten. Insonderheit aber hat man bey der Nahmens-Deutung, wie auch bey der Ausführung der Gründe allen Ueberfluß zu vermieden und sich an dasjenige, was zum Zweck nicht erfordert wird, so genau nicht zubinden.

II. Wenn man den Vortrag mündlich und zwar alleine, ohne daß jemand anders mit zureden hat, thut; so lehret man und heisset dannenhero dieser Vortrag in gantz eigentlichen Verstande die Lehr-Art, welche wir an und vor sich selbst, wiewohl hier nur überhaupt, weil in besondern Artickeln davon schon Nachricht gegeben worden, erläutern wollen.

a) Bey der Methode zulehren selbst sind die Haupt-Tugenden eines Lehrers zu bedencken, 1) die Geschicklichkeit, nach welcher er kan und 2) die Treue, nach welcher er auch will die Lernenden von denen nöthigen Wahrheiten unterrichten und überzeugen. Zu der Geschicklichkeit wird erfordert, α) daß er selbst verstehe, was er andere lehren will; β) daß er die Gabe habe eine Sache deutlich zu machen (donum perspicuitatis) und γ) daß er der Vernunfft-Lehre genungsam kundig ist. Die Treue eines Lehrers läst sich theils in denen Dingen selbst, die er vorträgt, theils in der Art des Vortrags theils auch in dem Gemüthe gegen die Lernenden spühren. Doch wir wollen den ersten und letzten Verstand deswegen hier nicht ausführen, weil wir schon davon unter dem Artickel: Lehrer, im XVI Bande, p. 1498. u. ff. Unterricht gegeben. Wir bleiben hier bey dem mittlern Punct stehen, nehmlich der Art des Vortrags. Dieser erfordert 1) eine gute Ordnung, 2) eine angenehme Deutlichkeit, 4) eine gründliche Bindigkeit, damit so wohl dem Gedächtniß als dem Witz und Verstand (ingenio und judicio) der Lernenden gerathen werden; endlich auch 4) eine richtige Abmessung; daß er weder bey Dingen die es nicht erfordern, mit einer allzugrossen Weitläufftigkeit beschwerlich; noch auch bey andern, so schwerer seyn und eine ausführliche Erörterung nöthig haben, mit einer allzugrossen Kürtze undeutlich [1328] und dunckel fallen möge. Fabricii Logik, §. 499. u. f. p. 175. u. f. Peter Ahlwards von den Kräfften des menschlichen Verstandes und deren Gebrauch. p. 512. u. ff. Syrbii kurtze Anweisung zur Weisheit, p. 118. u. ff. August Friedrich Müllers Einleitung in die Philosophischen Wissenschafften, I Th. p. 616. Zur Erläuterung dieser Lehre und weiterer Erkenntniß derselben muß man alle die Arten der Methoden welche in verschiedenen Artickeln in dem XX Bande ausgeführet worden, nachschlagen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: zn