Zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen der Schlaraffia

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Autor: Max Door
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Titel: Zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen der „Schlaraffia“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 715–716
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[715] Zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen der „Schlaraffia“. An einem Stammtische in der primitiv ausgestatteten Gaststube des Brauhauses „Zum Hopfenstock“ in Prag ging es am 10. October des Jahres 1859, also vor rund fünfundzwanzig Jahren, außergewöhnlich laut zu. Die Tafelrunde, zum Theil glattrasirte Charakterköpfe, zum Theil wildbärtige Karyatidenhäupter mit wallendem Lockenhaare aufweisend, hörte einen mit lebhaften Gesticulationen erstatteten Bericht zweier Genossen in größter Aufregung an. Eine geschlossene Gesellschaft in Prag hatte einige zur Aufnahme gemeldete Schauspieler der damals noch vereinigten deutschen und böhmischen Theater in der Ballotage durchfallen lassen. Tiefe Erregung gab sich in dem Kreise der zumeist aus Bühnenmitgliedern, Schriftstellern und Musikern bestehenden Zechgenossen kund, und man beschloß als Gegenzug die Gründung einer eigenen Vereinigung, die alles philisterhafte Element ausschließen solle. Dem Beschlusse folgte sofort die Ausführung, und der Stammtisch that sich als Verein „Prager Schlaraffia“ auf.

Dieser anspruchslose Vorgang bezeichnet den Ursprung des Schlaraffenbundes, einer großen Vereinigung, die sich heute über ganz Deutschland erstreckt, viele Hunderte von Mitgliedern zählt und sich nicht ohne Berechtigung als das Freimaurerthum des Humors bezeichnet. Die Seele, den Kitt dieses so merkwürdig herangewachsenen Bundes bildeten und bilden noch heute die Bühnenmitglieder. Bei dem Nomadenleben, das die meisten von ihnen zu führen gezwungen sind, ist den Schauspielern eine Vereinigung zur Nothwendigkeit geworden, die, wie die „Schlaraffia“, dem von weit her zugereisten Künstler ein gemüthliches Heim in der fremden Stadt bietet und zugleich die Brücke bildet, die ihn zu den künstlerisch und [716] phantasievoll veranlagten Elementen der bürgerlichen Gesellschaft hinüberleitet. Andererseits ist der Verkehr mit dem Bühnenvolke der nicht gering anzuschlagende Magnet, der wiederum die Bürgerkreise mächtig in die „Schlaraffia“ zieht.

Die Prager „Schlaraffia“ gedieh und entwickelte sich bald zum Brennpunkte des geistig übermüthigen Lebens Prags. Pflege des Humors und der Freundschaft war ihr Hauptzweck. Gesang, Deklamation, Vortrag der von den Bundesrittern verfaßten Humor- und auch zumeist geistvollen kleinen Dichtungen, extemporirte, mit Uebermuth durchgeführte Gerichtsverhandlung gegen Verbrecher am „Schlaraffenspiegel“, ihrem Gesetzbuche, füllten ihre Abende. Dies Alles übt, umwoben und glücklich verbunden mit einem parodistisch gehandhabten steifen Ceremoniell, einen eigenartigen Reiz.

Von den bekanntesten unter den Prager Stiftern des Bundes seien hier genannt: Redacteur Tobisch, der jetzt in Stuttgart lebende Schriftsteller Schmidt-Weißenfels, der Musikkritiker Ulm, Jahn, der jetzige Direktor der Wiener Hofoper, der böhmische Schauspieler und Dichter J. J. Kolár, die jetzigen Hofschauspieler Oberländer (Berlin), Hallenstein (Wien), in erster Reihe aber der Sänger und Operncomponist Eilers, zur Zeit in Darmstadt. Er war Solon und Homer der „Schlaraffia“ in einer Person. Er gab ihr eine Literatur, sang ihre Lieder und entwarf ihre Gesetze.

Auf der geistvollen Grundlage, die Eilers der „Schlaraffia“ geschaffen, entwickelte sich denn auch 1865 ein Tochterreich in Berlin, diesem zunächst das Schlaraffenreich zu Leipzig, dann zu Groß-Kanisza in Ungarn, Graz und endlich 1876 in Breslau. Von da ab gewinnt der schlaraffische Gedanke eine lawinenartige Entwickelung. Brünn, Köln, Stuttgart, Amsterdam, Hamburg thun sich in rascher Folge als Töchter und Enkelinnen der schlaraffischen Allmutter Praga auf. Heute verehrt man in 60 Städten den UHU, das Sinnbild des Schlaraffenthums. Die Stammrolle, ein stattlicher Band von 272 Seiten, weist gegen 1900 Mitglieder nach.

Zusammengehalten werden diese Filialen vor Allem durch ihre Unterordnung unter das Mutterreich Prag, durch das gemeinsame Ceremoniell, ein reichhaltiges Liederbuch, durch Concile, die von fünf zu fünf Jahren stattfinden, und endlich durch eine künstlerisch illustrirte Zeitung, die unter der Redaction Robert Zangenberg’s in Leipzig erscheint.

Gleichen Schritt mit ihrer Vermehrung hat aber auch der Wohlthätigkeitssinn der „UHU-Priester“ gehalten. Die „Schlaraffia“ unterstützt ihre hülfsbedürftigen Mitglieder auf’s Reichlichste, in einzelnen Fällen sogar durch Gewährung jahrelang ausgezahlter Pensionen. Auch darin ist Prag das Vorbild der übrigen Reiche. Für die Wittwe eines plötzlich verstorbenen Sängers brachte die dortige Vereinigung eine Unterstützung von über 15,000 Mark auf. Schon solch hervorragender Opferfähigkeit wegen sei dem fröhlichen Bunde ein weiteres Gedeihen gerne vergönnt und ihm nun, gelegentlich seines fünfundzwanzigjährigen Jubiläums, der Begrüßungsruf der Schlaraffen, ein kräftiges „Lulu“, zugerufen. Max Door.