Zur 75jährigen Jubelfeier der deutschen Burschenschaft

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Autor: Georg Winter
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Titel: Zur 75jährigen Jubelfeier der deutschen Burschenschaft
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aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 528–533
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Zur 75jährigen Jubelfeier der deutschen Burschenschaft.

Von Georg Winter.


Das fröhliche und doch zugleich ernste Fest, welches in diesen ersten Augusttagen die alten und jungen Burschenschafter aller deutschen Universitäten in dem anmuthigen Musensitze an der Saale, dem poesieumwobenen Jena, begehen, ist nicht nur für das deutsche Universitätsleben von Bedeutung, es ist zugleich ein nationales Erinnernngsfest für das ganze deutsche Volk. Das geistige Leben an den deutschen Hochschulen ist zu allen Zeiten in gewissem Sinne ein Spiegelbild des deutschen Volkslebens gewesen; alle großen geistigen Bewegungen, von Huttens und Luthers Tagen bis auf unsere Zeit, sind entweder unmittelbar von den deutschen Hochschulen ausgegangen oder haben doch in ihnen einen lebhaften Widerhall, gleichsam den geistigen Brennpunkt gefunden. Niemals aber ist das in höherem Maße der Fall gewesen als in jener großen Entwickelungs- und Erziehungsperiode, deren das deutsche Volk bedurfte, ehe es sich zur nationalen Einigung hindurchrang, in den Jahrzehnten nach den Freiheitskriegen, da der von den Regierungen mit Hohn zurückgewiesene und mit allen Mitteln der Gewalt niedergehaltene nationale Einheitsgedanke trotz aller Bedrückungen in den Besten des Volkes fortlebte und erstarkte und so die feste ideale Grundlage wurde, auf welcher der größte Staatsmann unseres Jahrhunderts den hehren Bau der deutschen Reichseinheit errichten konnte, indem er den im Volke lebenden idealen Kräften den festen Rückhalt der staatlich-politischen Macht hinzugesellte. Daß an dieser Vorbereitungsarbeit, an dieser Erweckung und Erhaltung des nationalen Gedankens der vor nunmehr 75 Jahren auf der Hochschule zu Jena gegründeten deutschen Burschenschaft ein hervorragender Antheil gebührt, daß in ihr das von den bestehenden Gewalten mit rücksichtsloser Strenge verfolgte nationale Einheitsstreben die hauptsächlichste Zufluchtsstätte fand, wird heute von keinem gerecht urtheilenden Geschichtschreiber mehr geleugnet. Nur über Maß und Bedeutung dieses Verdienstes der in den Burschenschaften zusammengefaßten studierenden Jugend Deutschlands kann jetzt noch Meinungsverschiedenheit obwalten. Während mancher eifrig schwärmerische Verehrer der burschenschaftlichen Bestrebungen geneigt ist, das dereinst inmitten der Aufregung des Kampfes um den nationalen Gedanken gesprochene kühne Wort: „Die Geschichte der deutschen Burschenschaft ist die Geschichte des deutschen Volkes“ vollkommen wörtlich zu nehmen, fehlt es auf der andern Seite auch heute noch nicht an solchen, welche in der leidenschaftlichen Theilnahme der studierenden Jugend an der Frage über Sein oder Nichtsein der deutschen Einheit nur ein Ueberschreiten der den akademischen Kreisen gezogenen Grenzen erblicken, welche nur das Ueberschwängliche der in ihrem Grundtriebe edlen und idealen Bewegung wahrnehmen wollen und daher mehr oder minder geneigt sind, in der alten Burschenschaft einen Bund von radikal politischen Verschwörern zu sehen.

Scheidler als Student.
Nach einem der „Arminia“ gehörigen Bilde.

Ohne alle Frage aber muß es doch jetzt, da wir auf die Gründung der deutschen Burschenschaft als auf ein längst vergangenes Ereigniß zurückblicken, da wir die Einheitsentwickelung von ihrem verwirklichten Zielpunkte bis zu ihrem Ausgange übersehen können, möglich sein, zu einer gerechten geschichtlichen Auffassung über die Bedeutung der Burschenschaft für die Entwickelungsgeschichte des deutschen Nationalbewußtseins zu kommen. Zu diesem Zwecke müssen wir den Leser bitten, sich mit uns die Haupterscheinungen dieser Geschichte des nationalen Gedankens zu vergegenwärtigen.

Kein anderes der neuzeitlichen Kulturvölker hat einer so langen und kämpfereichen Erziehung bedurft, um zur staatlichen Einheit zu gelangen, als das deutsche. Wohl hatte die Zerrissenheit und Ohnmacht des einst in der alten Kaiserzeit so mächtigen Vaterlandes schon lange vor dem Beginne unseres Jahrhunderts einzelne erleuchtete Geister mit Scham und Entrüstung erfüllt. Schon im 17. Jahrhundert hatte Samuel von Pufendorf in patriotischem Schmerze die deutsche Reichsverfassung für ein eines großen Volkes unwürdiges „Monstrum“ erklärt. Aber das Streben nach einer Besserung dieses Zustandes war doch eben nur in wenigen vorhanden; die Masse des Volkes hatte sich durch jahrhundertelange Gewöhnung in die Ohnmacht und Zerstückelung des Gesammtvaterlandes hineingefunden. Es fehlte ihr vor allem an einem gemeinsamen geistigen Besitzthum, nachdem die große Errungenschaft Martin Luthers in kleinlichen theologischen Zänkereien verzettelt worden war. Erst im 18. Jahrhundert erwuchs dem zertretenen und von allen anderen Nationen als Spielball der Politik benutzten Volke in der reichen Blüthe der Litteratur jenes gemeinsame Besitzthum, das ihm gemangelt hatte. Zu gleicher Zeit aber bildete sich in dem von einem genialen Herrscher geleiteten preußischen Staate der Grundstock einer staatlichen Macht, an die sich eine nationale Entwickelung hätte anlehnen können.

Die beiden Grundelemente einer solchen, ein großer, gemeinsamer geistiger Besitz und die Machtmittel eines kräftig sich regenden Staatswesens, waren vorhanden, aber sie fanden noch nicht die gemeinsamen Berührungspunkte, die ein Zusammenwirken hätten ermöglichen können. Wohl regte sich auf beiden Seiten eine Ahnung von der inneren Zusammengehörigkeit, von dem nationalen Kern, welcher beiden gemeinsam sei. Der junge Goethe äußerte, durch die großen Heldenthaten Friedrichs sei der deutschen Litteratur erst ein nationaler Lebensinhalt gegeben worden, und lebhaft schildert er in seinen Lebenserinnerungen die Begeisterung, welche in weiten Kreisen seiner Vaterstadt für den großen Preußenkönig herrschte. „Wir waren Fritzisch gesinnt; denn was ging uns Preußen an?“ In diesen Worten liegt doch ohne Frage eine Ahnung der Erkenntniß, daß das Wirken und Schaffen Friedrichs des Großen nicht bloß Preußen, sondern der ganzen Nation zu gute komme. Auch Friedrich selbst hat von seinem nationalen Beruf, wie von der Bedeutung eines gemeinsamen literarischen Besitzes für die politische Entwickelung des deutschen Volkes ein klares Bewußtsein gehabt. Wohl hat er, der die bestimmenden Einflüsse seines Lebens vor dem Morgenroth der neuen Litteratur in sich aufgenommen hatte und infolgedessen naturgemäß ein Verehrer der Litteratur des westlichen Nachbarvolkes geworden war, dem neuerwachenden geistigen Leben keine Beachtung und Theilnahme gewidmet, aber in seiner Schrift „Ueber die deutsche Litteratur“ vergleicht er sich selbst mit Moses, der nur von fern das gelobte Land habe schauen dürfen, und spricht die Zuversicht aus, daß nach ihm eine Zeit kommen werde, in der es auch dem deutschen Volke vergönnt sein werde, Großes und Edles auf litterarischem Gebiete zu leisten. Daß diese Zeit, als er dies niederschrieb, bereits längst angebrochen war, hat er nicht geahnt. Zum ersten Male erscheint uns hier jener tragische Zug in unserer nationalen Entwickelung, daß die beiden großen Grundformen derselben, die nationale geistige Bewegung und die in der Bildung begriffene politische Macht, unverstanden nebeneinander hergehen.

Den großen, wenn auch sehr unfreiwilligen Dienst, eine erste Annäherung dieser beiben Wurzeln der deutschen Einheit zu ermöglichen, hat Napoleon I. dem deutschen Volke geleistet. Der frevelhafte Plan einer auf der Vernichtung bez. Unterdrückung der einzelnen Nationalitäten aufgerichteten Weltherrschaft rief einen nationalen Gegenschlag hervor, welchem der gewaltige Verächter der geistig sittlichen Kräfte des Volkslebens erlegen ist. Die furchtbare Schmach der Fremdherrschaft verlieh der bisher rein litterarisch-geistigen Bewegung die Fähigkeit, sich in eine sittlich-politische zu verwandeln. Aus dem gemeinsamen litterarischen Besitz wurde ein stark ausgeprägtes, klar erkennbares Nationalbewußtsein, [529] welches jetzt zum ersten Male die Massen des Volkes ergriff. In einem leidenschaftlichen Kampfe voll innerer Kraft und Wahrhaftigkeit wurden die schmählichen Fesseln der Fremdherrschaft gebrochen. In diesem heiligen Kampfe erwachte das Bewußtsein der nationalen und politischen Zusammengehörigkeit ganz Deutschlands zu einer Kraft und Stärke, die sich nie mehr völlig unterdrücken ließ.

Die Kämpfer aber, die zum heiligen Streite hinauszogen, meinten in demselben nicht bloß die Unabhängigkeit des engeren Vaterlandes von fremder Willkürherrschaft zu erringen, sondern auch die innere Selbständigkeit und staatliche Einheit des Gesammtvaterlandes. Indem sie ihr Alles, Gut und Blut, einsetzten für die gemeinsame Sache, glaubten sie, gestützt auf die Versprechungen der Fürsten, denen sie ihre Selbständigkeit wiedererringen halfen, sich ein Anrecht darauf erworben zu haben, an den staatlichen Angelegenheiten des geeinten Vaterlandes selbstthätigen Antheil zu nehmen. Hatte doch der große Kampf selbst gezeigt, was eine lebendige Theilnahme aller an den Geschicken des Vaterlandes vermöge. Niemals vielleicht im Verlaufe der ganzen Weltgeschichte war die Macht sittlicher Ideen in so greifbarer Gestalt zu Tage getreten, als in diesem heiligen Kriege. Mußten die, die ihn geführt hatten, nicht glauben, daß auch die Fürsten aus den Erfahrungen der Vergangenheit eine Lehre ziehen und einsehen würden, daß ein wahrhaft nationaler Staat in gewaltigen äußeren Gefahren nur bestehen könne, wenn er getragen sei von der lebendigen Theilnahme der Gesammtheit?

Die Gründer der Burschenschaft „Arminia auf dem Burgkeller“.
Nach einem der „Arminia“ gehörigen Bilde von C. Bräunlich.

Mit froher Zuversicht kehrten die Kämpfer in die Heimath zurück, hoffnungsvoll und gespannt harrten sie der Lösung der großen, die Zukunft des deutschen Volkes entscheidenden Frage, welche soeben auf dem Wiener Kongresse verhandelt wurde. Und welches war die Antwort auf jene Frage? Nur zu schnell ward es vergessen, daß die großen kriegerischen Erfolge der ungestümen Begeisterung verdankt wurden, mit der sich das ganze Volk wie Ein Mann erhoben hatte. In den Kreisen der hohen Diplomatie, in der Fürst Metternich die alles beherrschende Stellung einnahm, gewöhnte man sich sehr bald an eine spöttische Verkleinerung jener Volksbegeisterung. Nicht sie, die vielmehr nur geschadet habe, sondern der Gehorsam des Heeres gegen die angestammten Fürsten habe den großen Erfolg gezeitigt. Sehr bald erscholl das Metternichsche Wort von der „verruchten Idee einer deutschen Einheit“. Mit Recht ging ein Sturm der Entrüstung durch das ganze Volk, als das Ergebniß der Wiener Verhandlungen bekannt wurde. Hoch und niedrig, die Besten des Volkes, waren einig in dieser Empörung. Der alte Blücher fluchte und wetterte auf die „verfluchten Diplomaten“, die alles wieder verdorben hätten, was das gute deutsche Schwert geschaffen habe. Die Entrüstung der treuen Patrioten war nur zu berechtigt. „Man muß es gestehen,“ so urtheilt Heinrich von Sybel in seinem großen Geschichtswerke über die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I., „niemals ist einem großen, mit frischem Siegeslorbeer gekrönten Volke eine kümmerlichere Unverfassung auferlegt worden, als es damals dem deutschen Volke durch die Bundesakte geschah. Die mächtigen Gedanken, welche Preußens Wiedergeburt und damit Deutschlands Befreiung vorbereitet hatten, waren hier in ihr Gegentheil verwandelt.“ Der nationale Einheitsgedanke, der soeben erst im Kampfe mit der Fremdherrschaft mit ursprünglicher Gewalt erwacht war, wurde von den deutschen, zunächst nur für ihre Gebiete und Rechte besorgten Fürsten zurückgewiesen, ja, wo er sich zeigte, verdächtigt und verfolgt. Aufgabe des deutschen Volkes mußte es sein, ihn zu bewahren und trotz aller Verfolgungen und Bedrückungen in faßbarer und durchführbarer Form den Nachkommen zu überliefern.

Diese schwierige und große Aufgabe, ohne deren Lösung die dereinstige Verwirklichung der nationalen Einheit selbst mit den größten Machtmitteln niemals gelungen wäre, ist es, der sich die deutsche Burschenschaft von Anbeginn an mit vollem Eifer und voller Begeisterung gewidmet, an deren Lösung sie unter den schwierigsten Verhältnissen, unter der drohendsten Gefährdung des persönlichen Daseins jedes einzelnen, in hervorragendster Weise mitgewirkt hat. Durch die Begründung der deutschen Burschenschaft wurde dem nationalen Gedanken in den Kreisen eine Stätte bereitet, die dereinst berufen sein sollten, als Lehrer, Geistliche, [530] Aerzte und Richter des Volkes thätigen Antheil an seinen Geschicken zu nehmen. Vergegenwärtigen wir uns, wie diese Gründung sich vollzog, wie die Burschenschaft der Aufgabe, die sie sich bei ihrer Begründung stellte, gerecht wurde.

Die studierende Jugend Deutschlands hatte, so sehr auch sie gleich dem deutschen Volke vorher in kleinstaatlicher Sonderthümelei begriffen war, doch sogleich beim Beginn des großen Befreiungskampfes mit heiligem Eifer zu der nationalen Sache gestanden. Alle Spaltungen und Parteiungen waren vergessen; nicht bloß an den Hochschulen des preußischen Staates, in welchem die Wogen der Begeisterung am höchsten schlugen, sondern auch an denen der Kleinstaaten, deren Fürsten zum Theil noch mit dem korsischen Eroberer verbündet waren, strömten die Studenten in hellen Scharen den Fahnen zu, welche zur Vertreibung und Besiegung der Fremdherrschaft entrollt wurden. In Jena trat mehr als die Hälfte aller Studierenden dem Lützowschen Freicorps und anderen mit größter Schnelligkeit sich bildenden Freiwilligenscharen bei. Mitten im Feldlager hielten sie an ihren akademischen Gebräuchen fest und sangen wohl am Vorabend der Schlacht mit andächtiger Begeisterung die weihevollen Klänge des Landesvaters. Hier lernten sie in ernster Stunde die Unterordnung der Persönlichkeit mit allen ihren Interessen und Bestrebungen unter eine große, gemeinsame Sache. Alle waren sie erfüllt von dem frohen und stolzen Bewußtsein, eine große Zeit mit durchlebt, an ihrem Theile mitgewirkt zu haben an einer großen und heiligen Aufgabe.

Von solchen Gesinnungen durchdrungen, kehrten sie in die Universitäten, in die Hörsäle zurück. Hier aber fanden sie sich plötzlich von dem alten Treiben, das sie in den großen vergangenen Stunden für überwunden gehalten hatten, umgeben, hier fanden sie wieder jene alten Landsmannschaften, welche, auf dem Grundsatz der engeren Landesangehörigkeit der Mitglieder beruhend, so recht ein Abbild der Zerklüftung und Zerspaltung des Volkes waren. Noch herrschten die alten, rohen Sitten, der Pennalismus und die Renommistrei, das traurige Erbtheil vergangener Jahrhunderte, in denen unter dem politischen Elend der Nation auch in der studierenden Jugend ein freier Gemeinsinn sich nicht hatte entwickeln können. Jetzt aber war in dem großen einheitlichen Gefüge des Heeres, welches den Fremdherrscher zu Boden geworfen hatte, jener Geist der Spaltung überwunden, das Gefühl der Zusammengehörigkeit im Volke mächtig geweckt worden. Mußte das nicht auch auf das akademische Leben zurückwirken? Durfte in jener großen Zeit der alte Geist der Zerfahrenheit bestehen bleiben, wie er in den bisherigen geselligen Vereinigungen der Hochschulen seinen Ausdruck gefunden hatte?

Diese Eindrücke waren es, welche auf die aus dem Felde Zurückkehrenden mit zwingender Gewalt einstürmten. Sie wurden durch die politischen Enttäuschungen, die man erntete, verstärkt. Der Gegensatz zwischen den Idealen, für welche man gekämpft hatte, und der Wirklichkeit, welche man im staatlichen wie im akademischen Leben vorfand, war zu schroff, als daß er nicht zu einem Versuch der Ausgleichung, zu dem Bestreben, die Wirklichkeit dem Ideale entsprechend umzuwandeln, hätte führen müssen. Diesem Bestreben verdankte die Burschenschaft ihre Entstehung.

Die Mehrzahl der aus dem Felde zurückkehrenden Studierenden verschmähte es, in die alten landsmannschaftlichen Verbindungen, denen sie zum Theil vor ihrem Auszuge in den Krieg angehört hatten, wieder einzutreten: sie wollten den Sinn für ein gemeinsames Vaterland, das Streben, diesem mit allen Kräften zu dienen, wie sie es im Felde bewährt hatten, in ihr akademisches Leben mit hinübernehmen. Zu diesem Zwecke wurden zunächst die von Jahn mit Recht so warm empfohlenen körperlichen Uebungen auch auf der Hochschule beibehalten: es bildete sich noch im Winter 1814/15 eine Wehrschaft, eine Art akademischen Landsturmes, der die im Felde erlangten körperlichen Fertigkeiten zu bewahren und nicht allein durch Turnen, sondern auch durch Exercieren, Schießen, Anlegen von Schanzen und förmliche kleine Gefechtsübungen zu pflegen bestimmt war. Der Wunsch der eifrigsten dieser Jünglinge ging aber dahin, für diese Bestrebungen eine feste Ordnung zu finden, die, wenn möglich, die ganze Studentenschaft umfassen sollte. Eine kleine Zahl von ihnen, sämmtlich aus dem Felde zurückgekehrte Freiwillige, meist Lützower Jäger, trat zu diesem Zwecke mit den Leitern der vier in Jena bestehenden Landsmannschaften, von denen drei mehr oder weniger zu den neuen Bestrebungen hinneigten, in Verbindung, sie entwarfen einen Satzungsentwurf für die neue Vereinigung, die den Namen „Burschenschaft“ führen sollte, und erließen endlich am 10. Juni 1815 einen öffentlichen Aufruf an alle ehrenwerthen Jenenser Studenten, sich am 12. Juni vormittags 9 Uhr auf dem Markte zu Jena zu versammeln. Von den 11 Unterzeichnern dieses Aufrufs, die man als die eigentlichen Begründer der Burschenschaft ansehen kann, nennen wir den stud. Karl Horn aus Neustrelitz, der noch im Jahre 1858 dem 300jährigen Jubiläum der Universität Jena als ehrsamer Pastor beiwohnte und dort eine begeisterte und begeisternde Rede über das, was die Burschenschaft von 1815 Hohes und Heiliges erstrebte, gehalten hat, ferner Heinrich Niemann und den späteren Professor Scheidler aus Gotha, von denen freilich heute keiner mehr unter den Lebenden weilt. Am 12. Juni fand dann, wie angekündigt, die große Studentenversammlung statt, welche, von 113 Theilnehmern besucht, den Grund zu der Jenenser Burchenschaft legte. Die Landsmannschaften Vandalia, Thuringia und Franconia, die den Beschluß gefaßt hatten, sich aufzulösen, erschienen zum letzten Male mit hochgehaltenen Fahnen, die sich dann später zum Zeichen der Auflösung senkten. In feierlichem Zuge bewegten sich die Versammelten vom Marktplatze durch die Saalgasse, das Saalthor und über die Brücke zum Gasthause „Zur Tanne“. Hier wurde zum ersten Male das Arndtsche Bundeslied „Sind wir vereint zur guten Stunde“, zu dem stud. theol. Hanitsch die schöne, seitdem immer und immer wieder gesungene Melodie komponirt hatte, angestimmt und dann nach einer begeisterten Ansprache Horns die Gründung der Jenenser Burschenschaft vollzogen, die entworfene Verfassung vorgelesen und angenommen. Als Sinnbild der Vereinigung wurden die Farben Schwarz=Roth=Gold gewählt. Sie sollten hinfort das Banner werden, um das sich alle Anhänger des nationalen Gedankens Jahrzehnte hindurch geschart haben. Zum ersten Male erklang dann das ergreifende deutsche Einheitslied „Was ist des Deutschen Vaterland“, zu dessen Arndtschem Texte der stud. theol. Cotta aus Ruhla die Melodie komponirt hatte. Den Schluß bildete ein erster allgemeiner burschenschaftlicher Kommers mit feierlichem Landesvater.

Seit den Augusttagen von 1883 steht, von Professor Donndorf in Stuttgart gefertigt, aus dem Eichplatze zu Jena das Denkmal, welches diesem erhebenden Abschnitt deutscher Geschichte gewidmet ist. Auf hohem Sockel, an welchem die Widmung und die Bilder von Horn, Riemann und Scheidler angebracht sind, erhebt sich überlebensgroß, aus carrarischem Marmor, die Gestalt eines Burschen in der Tracht der Gründungstage.

Was politisch aus dem Wiener Kongresse durch das Uebelwollen der von Metternich geleiteten Diplomatie vereitelt wurde, eine Einigung für die große gemeinsame Sache des Vaterlandes, hier in Jena gelang es, in engerem Rahmen zwar, aber getragen von der jubelnden Zustimmung der Theilnehmer. Die Absichten und Bestrebungen der Begründer der Burschenschaft gingen ohne alle Frage auf hohe und ideale Ziele: auf gründliche wissenschaftliche und sittliche Ausbildung, Reform des akademischen Lebens im Sinne einer freien Gemeinsamkeit; über allem aber schwebte die große Idee des gemeinsamen Vaterlandes, in dessen Dienste alle durch die akademische Reform erreichten Erfolge verwerthet werden sollten, ohne daß man dabei zunächst an ein unmittelbares Eingreifen in das staatliche Leben gedacht hätte. Vielmehr galt es vor allem, die Mitglieder der neuen Vereinigung während ihres akademischen Lebens mit dem Geiste der Stifter zu erfüllen, Verständniß für den nationalen Gedanken in ihnen zu erwecken, damit sie dereinst, wenn sie ins praktische Leben eingetreten wären, alle ihre Kräfte und Fähigkeiten in zielbewußtem Dienste für das Vaterland aufwenden könnten.

Daß dieses Vaterland, um für alle Zeiten vor der Wiederkehr schmachvoller Fremdherrschaft gesichert zu sein, eine einheitliche, alle Kräfte zu seinem Dienste vereinigende Gestaltung erhalten müsse, galt dabei trotz der bitteren Erfahrungen, die man soeben auf dem Wiener Kongresse machte, als selbstverständliche Voraussetzung. In welcher Weise diese Voraussetzung verwirklicht werden sollte, darüber waren die Mehrzahl oder wohl sämmtliche Begründer der Burschenschaft, die diese Verwirklichung als Ziel aufstellten, ebenso im Unklaren wie die anderen Patrioten, die in dem Streben nach dem Ziel mit ihnen einig waren. Nur daß es anders werden müsse als bisher, darüber war man einig. Den meisten schwebte wohl als Ziel der nationale Einheitsstaat vor, aber die nothwendige Folge desselben, die Thatsache, daß derselbe nur durch eine [531] Vernichtung der Einzelstaaten erreicht werden könne, machte man sich so wenig klar, daß diese „Unitarier“ sicher in Entrüstung gerathen wären, wenn man ihnen zugemuthet hätte, sich ihrem Ziele zunächst durch Entthronung ihrer Landesfürsten zu nähern. Aus dieser Unklarheit über den Weg zum Ziele wird man aber der studierenden Jugend gewiß keinen Vorwurf machen dürfen. Theilte sie dieselbe doch mit den gereiften Männern der Zeit, selbst mit denen, welche sich berufsmäßig mit politischen Fragen beschäftigten. Noch hielt die staatsrechtliche Lehre mit ganzer Schroffheit an dem starren Begriff der vollen landesherrlichen Hoheit fest. Danach konnte es nur einen Einheitsstaat oder einen rein völkerrechtlichen Bund der in voller Selbständigkeit verharrenden Einzelstaaten geben. Einen Staat über Staaten, einen zusammengesetzten Staat, kurz den Bundesstaat kannte man noch nicht, obwohl er, wenn auch in namenlos verrotteter und verworrener Gestalt, schon in den Formen des alten Reiches bestanden hatte. Eben diese Form aber hatte, ihre Fehler für ihr Wesen haltend, dereinst Samuel von Pufendorf für ein Monstrum erklärt!

Die Frage der Zukunft schien also zu lauten: Einheitsstaat oder Bund der vollkommen selbständig verbleibenden Einzelstaaten? Da der letztere mit dem erwachten Einheitsbewußtsein unvereinbar erschien, so war es erklärlich, daß die meisten Verehrer des nationalen Gedankens der Lehre vom Einheitsstaate anhingen. Was alsdann mit den Einzelstaaten werden solle, vollends gar, wie in dem Einheitsstaate der verhängnißvolle Dualismus zwischen Preußen und Oesterreich überwunden werden solle, diese Frage sich zu stellen, daran dachten die Begründer der deutschen Burschenschaft ebensowenig wie die sonstigen politischen Führer der Nation. Diese Frage zu beantworten, die Theorie des zusammengesetzten Bundesstaates gleichsam wieder zu entdecken, das war die Aufgabe des nächsten Geschlechts, die Aufgabe, welche mit der der Erziehung des Volkes zur Einheit zusammenfiel.

Einstweilen war es bei aller Unklarheit über die Wege zum Ziel doch schon von großer Bedeutung, daß dieses Ziel selbst nicht mehr bloß von einzelnen geahnt, sondern voll einer großen Vereinigung der Besten der deutschen Jugend klar und scharf aufgestellt war, daß diese Vereinigung danach strebte, in ernster wissenschaftlicher und sittlicher Selbstzucht sich zur Mitarbeit an der Erreichung dieses Zieles vorzubereiten. Denn daran kann doch heut kein Zweifel mehr sein: nicht in dem, was die Burschenschaft als Studentenverbindung selbsthandelnd leistete, liegt ihre eigentliche Bedeutung für die Geschichte des deutschen Volkes, sondern in dem erziehlichen Einfluß, den sie auf ihre Mitglieder ausübte, in dem Geiste, mit dem sie ihre Mitglieder in der Studentenzeit durchdrang und den diese mit hinübernahmen ins praktische Leben, in welchem sie die Ideen zu verwirklichen strebten, die sie in der Universitätszeit in sich aufgenommen hatten. Aus der Burschenschaft ist ein großer Theil der Männer hervorgegangen, die dann die Lehrer, Erzieher und Führer ihres Volkes auf dem Wege zur staatlichen Einheit geworden sind. In diesem Idealismus, mit dem die Burschenschaft den nationalen Gedanken hochhielt, hegte und pflegte, liegt ihr größtes, ihr unbestreitbares Verdienst.

Die Ideen der neuen Vereinigung fanden begeisterte Zustimmung und schnelle Verbreitung, nicht bloß in Jena, sondern auch an den andern deutschen Hochschulen, wo ihnen zum Theil schon durch die Bestrebungen des Turnvaters Jahn vorgearbeitet worden war. In Jena umfaßte die Burschenschaft sehr bald wirklich den größten Theil der Studentenschaft, die alten Landsmannschaften lösten sich, wie wir sahen auf: eine Zeit lang hat es in der That in Jena außer der Burschenschaft keine studentische Vereinigung gegeben. Die akademischen Behörden wie der hochherzige, national- und freigesinnte Großherzog Karl August, der große Freund Goethes, duldeten die Burschenschaft nicht nur, sondern sahen ihr Wachsen und Gedeihen besonders gern. Denn sehr bald machte sich der sittlich ideale Einfluß derselben auf das akademische Leben deutlich bemerkbar. Das gesellige Leben wurde zugleich edler und freier, das wissenschaftliche Streben der Studenten, ihre Ehrerbietung und Verehrung gegen ihre akademischen Lehrer wuchsen zusehends. Und Karl August wäre der letzte gewesen, der den nationale Gedanken, der in der Burschenschaft lebte, mit Mißtrauen betrachten oder gar hätte unterdrücken wollen, wie das sehr bald die anderen deutschen Regierungen, namentlich Metternich, von ihm verlangten. War er doch der erste unter den deutschen Fürsten, der seinem Volke das Versprechen einer freisinnigen Verfassung voll und ganz erfüllte!

So konnte sich die Burschenschaft zunächst frei und ungehindert entwickeln, so konnte sie sich auf die andern Hochschulen verbreiten, so konnte schon zwei Jahre nach ihrer Gründung der Gedanke auftauchen, der erstrebten Einheit der gesammten Jugend der deutschen Hochschulen einen äußeren Ausdruck zu geben und so wenigstens an einem Punkte des deutschen Lebens die ideale Einheit zu verwirklichen. Es ist bekannt, daß das in dem vielberufenen und mit Unrecht verdächtigten großen Wartburgfeste, das von einem Zeitgenossen als „ein Silberblick deutscher Geschichte und als ein Blüthendurchbruch unserer Zeit“ bezeichnet wurde, geschah.

In der That war es ein Fest voll idealen und nationalen Schwunges, voll hingebender Begeisterung für das gemeinsame Vaterland, das hier auf der altehrwürdigen Burg gefeiert wurde. Mit voller Absicht hatte man gerade diesen Ort und gerade den 18. Oktober für die Feier ausgewählt. Erblickte man doch mit Recht in der Wartburg eine geheiligte Stätte großer nationaler Erinnerungen. Hatte doch hier dereinst zur Zeit der ersten Blüthe der deutschen Nationallitteratur der kunstsinnige Landgraf Hermann von Thüringen die Edelsten unld Besten der Dichter- und Sängerschar um sich vereinigt, hatte doch hier drei Jahrhunderte später der große Reformator eine Zufluchtsstätte gefunden, von dem die größte befreiende Geistesthat der neueren deutschen Geschichte ausgegangen ist. Hier wollten sich die Burschen der deutschen Hochschulen zusammenfinden, um die Erinnerung an jene befreiende Geistesthat feierlich zu begehen. Den 18. Oktober aber hatte man gewählt als Gedächtnißtag an die befreiende Völkerschlacht bei Leipzig, in der Deutschlands Stämme zum ersten Male seit langer Zeit zu einem großen Zweck vereinigt sich in deutlich ausgeprägtem Einheitsbewußtsein gefunden hatten.

So kamen sie denn in den Tagen vor dem 18. Oktober 1817 aus allen Theilen Deutschlands, besonders zahlreich natürlich aus demt nahe gelegenen Jena, zusammen, die frischen, begeisterten Burschen der deutschen Hochschulen, um ein echt vaterländisches Fest zu begehen. Metternich freilich und die von ihm beeinflußten reaktionären Regierungen, die jedes Streben nach nationaler Einigung mit finsterem Haß beobachteten, standen dem Feste voll Mißtrauen gegenüber; sie hatten eifrig versucht, den Großherzog Karl August zu einem Verbot desselben zu veranlassen.

Aber der hochherzige Fürst war weit entfernt davon, sich diesem Ansinnen zu fügen. Im Gegentheil, er gab nicht nur die erbetene Erlaubniß, er beauftragte die Behörden, der akademischen Jugend vertrauensvoll sämmtltche Räume der Wartburg zur Verfügung zu stellen, er ließ für das Festmahl seine Fischteiche öffnen und schenkte sogar zu dem geplanten Freudenfeuer Holz aus seinen Forsten und eine Summe Geldes zur Bestreitung der Kosten.

Und wahrlich, sie verdienten das Vertrauen, welches der edle Fürst ihnen schenkte! Das Fest verlief in voller Ordnung und durchaus würdig. Hochangesehene Lehrer der Jenenser Hochschule wie der Hofrath Fries und der große Naturforscher Oken waren mit herübergekommen, um an der Feier theilzunehmen. Der letztere hat in seiner Zeitschrift „Isis“ berichtet, daß alle Anwesenden durch das Erhebende und Großartige der Feier zu Thränen gerührt wurden. Am Morgen des 18. Oktober bewegte sich der stattliche Zug, die Studierenden der verschiedenen Hochschulen zu zwei und zwei ohne jede landsmannschaftliche Gliederung, von der Stadt hinauf zur allehrwürdigen Feste. Dort wurde im großen Wartburgsaale, nachdem die Versammelten den Choral „Ein’ feste Burg ist unser Gott“ gesungen hatten, von dem mit dem Eisernen Kreuze geschmückten stud. theol. Riemann eine patriotische Festrede gehalten, die, voll vaterländischer Begeisterung, alle Anwesenden zu jubelndem Beifall hinriß. Darauf sprachen noch Oken und Fries anerkennende und ermunternde Worte zu der akademischen Jugend. Dann löste sich die Versammlung im Burghofe auf. Am Abend wurde auf dem der Wartburg gegenüberliegenden Wartenberge ein Freudenfeuer angezündet, um das sich die Festtheilnehmer in froher Jugendlust gruppirten. Hier war es dann, wo noch am späten Abend, nachdem die Jenenser Professoren und die Mitglieder des Festausschusses sich bereits entfernt haten, von einigen wenigen Festgenossen unter Führung des Berliner Studenten Maßmann in Erinnerung an die Verbrennung der päpstlichen Bannbulle durch Luther jenes von schäumendem Jugendübermuthe eingegebene Autodafé veranstaltet wurde, in welchem eine Reihe von politischen Schriften reaktionären Inhalts, darunter solche von Kotzebue, Schmalz und Kamptz, [532] ferner ein Schnürleib, ein „Pracht-, Prahl- und Patentzopf“ und ein großmächtiger Korporalstock verbrannt wurden. Dabei sangen die Burschen die Verse:

„Zuletzt nun rufet Pereat
Den schuft’gen Schmalzgesellen
Und drei Mal Pere-, Pereat,
So fahren sie zur Höllen!
Auf, auf, mein deutsches Vaterland,
Ihr Brüder, reichet Euch die Hand
Und schwört: So woll’n wir’s halten!“

Die ganze Scene hatte sich ohne Vorwissen des Festausschusses abgespielt. Sie war mehr die Eingebung jugendlicher Unbesonnenheit als ein Ausfluß revolutionärer Gesinnung. Mit dem großen Wartburgfeste, das in der Hauptsache vorüber war, hatte sie so gut wie nichts zu thun. Aber sie sollte für die Theilnehmer des Festes von verhängnißvoller Bedeutung werden, wenn auch die Folgen nicht unmittelbar zu Tage traten. Vor allem mußten sich die verhöhnten Verfasser der verbrannten Schriften beleidigt fühlen, und nur zu leicht gelang es, die dem patriotischen Streben der Jünglinge so wie so schon mißtrauisch gegenüberstehenden Regierungen davon zu überzeugen, daß, was das Werk weniger Unbesonnener gewesen war, kennzeichnend für das ganze Fest, für die ganze burschenschaftliche Bewegung sei. Der Grund oder vielmehr der Vorwand war gegeben, um diesen für ihr Vaterland mit überschäumender Begeisterung erfüllten Jünglingen aus ihrem patriotischen Bestreben den Vorwurf revolutionärer Gesinnung zu machen. Mit immer wachsendem Mißtrauen betrachtete namentlich Metternich das zunehmende Ansehen und die stetig fortschreitende Ausbreitung der Burschenschaft. Aber noch war es ihm nicht gelungen den preußischen Staat, der eben in der Zeit der Fremdherrschaft durch die großen inneren Reformen Steins und Hardenbergs den Grund zu einer neuen, freieren Entwicklung, auf der die Hoffnungen aller echten Vaterlandsfreunde beruhten, gelegt hatte, für seine rückschrittliche Politik und für seine feindseligen Absichten gegenüber der deutschen Burschenschaft zu gewinnen. Noch erhofften alle Vaterlandsfreunde von dem preußischen Staatskanzler, daß er für die Verwirklichung der von dem Könige seinem Volke verheißenen Verfassung kräftig Sorge tragen, dem nationalen Gedanken zum wenigsten nicht feindselig gegenübertreten werde. Die Verbindung der nationalen geistigen Bewegung mit den Machtmitteln des preußischen Staates schien sich in nächster Zeit vollziehen zu sollen.

Nach einem der „Arminia“ gehörigen Bilde.

Da wurde am 23. März 1819 der russische Staatsrat v. Kotzebue von dem unzweifelhaft mit der Burschenschaft in Verbindung stehenden Studenten Karl Ludwig Sand ermordet. Es war die verblendete, verhängnißvolle That eines einzelnen, eines von idealer Schwärmerei zu verirrtem Fanatismus gelangten Jünglings, der durch die Ermordung des verhaßten, als der russischen Spionage verdächtig angesehenen Vaterlandsfeindes eine heilige Pflicht gegen das Vaterland zu erfüllen meinte. Ohne alle Frage war die Mordtat, welche übrigens dem Ermordeten eine Bedeutung beilegte, die der nichtig oberflächliche Mann nie besessen hatte, ebenso unklug als sittlich verwerflich. Aber die Burschenschaft als solche hatte unzweifelhaft nicht das Mindeste damit zu thun. Nicht allein hatte Sand, ehe er die unselige That verübte, seinen Austritt aus der Burschenschaft erklärt, sondern die von ihm hinterlassenen Papiere lassen auch deutlich erkennen, daß er seinen Entschluß dem Freundeskreise nicht kundgegeben hatte. Nur etwa dem Führer einer radikalen Richtung innerhalb der Burschenschaft, der eine kleine Minderheit bildenden „Unbedingten“, dem Docenten Dr. Karl Follen, dessen Einfluß auf die Gesammtburschenschaft keineswegs ein hervorragender war, mag er andeutende Mittheilungen gemacht haben. Von einer weitverzweigten Mitwisserschaft oder gar Verschwörung kann jedenfalls keine Rede sein. Wohl aber wußte sich Metternich den Anschein zu geben, als glaube er an eine solche. Vielleicht ist er wirklich in seiner gespensterseherischen Furcht vor den „Umtrieben“ der Burschenschaft zu der jedenfalls verkehrten Ansicht von der Theilhaberschaft und Verantwortlichkeit der letzteren für die That gelangt. Sicher ist, daß er diese Gelegenheit benutzte, um die anderen deutschen Regierungen von der Gefährlichkeit der burschenschaftlichen Bestrebungen zu überzeugen.

Diesmal gelang es ihm zu seiner Freude auch bei Preußen. Friedrich Wilhelm III. befahl alsbald seinen Landeskindern, die Universität Jena zu verlassen, und ließ sich dann von Metternich durch die sogenannen Karlsbader Beschlüsse (August 1819) unseligen Angedenkens zu hervorragender Theilnahme an den verhängnisvollen Verfolgungen wegen „demagogischer Umtriebe“ verleiten, welche Jahre, ja Jahrzehnte lang das deutsche Volksleben vergifteten und zu Untersuchungen gegen die besten Männer des Volkes, einen Arndt und Jahn, führten. Die deutsche Burschenschaft aber wurde vier Jahre nach ihrer Gründung aufgehoben, die Theilnahme an burschenschaftlichen Bestrebungen mit schwerer Strafe, vor allem mit Ausschluß von jeder amtlichen Stellung in den deutschen Staaten bedroht. Es war der schwerste Schlag, der gegen den Bestand des nationalen Gedankens geführt werde konnte. Denn er vernichtete die Ansätze einer zweiten Annäherung zwischen der idealen Bewegung der Geister und dem Staate, auf dem die Zukunft des nationalen Gedankens beruhte. Aber voll erreicht wurde der Zweck der Maßregel doch nicht. Der nationale Gedanke ließ sich nicht mehr ertödten. Die Form der Burschenschaft wurde zerbrochen, aber mit Recht sangen die Burschen, als sie die gebotene Auflösung vollzogen, in ernster Wehmuth und doch in festem Vertrauen die Strophen des eben damals auftauchenden Binzerschen Liedes:

„Das Band ist zerschnitten,
War schwarz, roth und gold,
Und Gott hat es gelitten,
Wer weiß, was er gewollt.

Das Haus mag zerfallen,
Was hat’s denn für Noth?
Der Geist lebt in uns allen,
Und unsre Burg ist Gott!“

Der Geist, der die Burschenschaft beseelt hatte, lebte in der That in ihren Mitgliedern fort, und auch als eigentliche Vereinigung that sich die Burschenschaft bald wieder, wenn auch im geheimen, auf.

Wir Nachlebende, die wir uns der Segnungen des geeinigten Vaterlandes erfreuen, können uns kaum noch in die Zeit zurückversetzen, da es wie in dem auf die Karlsbader Beschlüsse folgenden Jahrzehnt für Hochverrath galt, von einem einigen deutschen Vaterlande zu reden. Wie viele haben nicht gleich Fritz Reuter ihr nationales Streben mit jahrelanger Festungshaft oder mit Auswanderung in die Fremde büßen müssen, von den Benachtheiligungen in der amtlichen Laufbahn ganz zu schweigen! Um so mehr aber ziemt es uns Nachlebenden, jenen für ihr Ideal begeisterten Jünglinge und Männern ein ehrendes Andenken zu wahren, die auch in dieser trüben Zeit den nationalen [533] Gedanken gehegt und gepflegt und daran gearbeitet haben, ihn im deutschen Volke zu bewahren und zu verbreiten, ja die trotz aller herben Enttäuschungen, die ihnen der preußische Staat breitet hatte, an dem nationalen Berufe desselben doch nicht irre wurden, sondern in ihrer Mehrzahl eine Einigung Deutschlands unter preußischer Spitze anstrebten. Die tüchtigsten Elemente der erbkaiserlichen Partei der Paulskirche sind aus der Burschenschaft hervorgegangen.

Aber bekanntlich brachte auch das trotz aller Irrthümer doch in seinem Streben und in seinen Idealen große Jahr 1848 der nationalen Bewegung noch nicht den starken Rückhalt der politischen Machtmittel des preußischen Staates. Ja auch noch nach der Ablehnung der deutschen Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. trat noch einmal, zum dritten Male jener tragische Zug unserer nationalen Entwickelung, das unverstandene Nebeneinander, ja das schroffe Gegeneinander der beiden Grundelemente der staatlichen Einigung zu Tage. Der große Staatsmann, der berufen war, den nationalen Gedanken, das Ideal der alten Burschenschaft, zu verwirklichen, Bismarck, stand am Anfange seiner Laufbahn, als hochkonservativer Junker verschrieen und verketzert, im schroffen Gegensatz zu der jetzt nicht mehr von der Burschenschaft allein getragenen nationalen Bewegung. Es ist schon wiederholt ausgesprochen worden, daß in der Geschichte fast jede neue große Idee erst dann zu voller Durchführung gelangt, wenn sich ein anfänglicher Gegner derselben an die Spitze ihrer Anhänger stellt, die erst von ihm bekämpfte Idee schließlich zu der seinigen macht und sie für seine Zwecke verwerthet. So war es auch hier. Bei dem tiefgewurzelten Mißtrauen der Staatsregierungen gegen die Vertreter der liberalen Idee wäre diese sicher nicht so schnell und leicht zur Durchführung gekommen, wenn sich nicht ein konservativer Mann gefunden hätte, welcher ihre unschätzbare Bedeutung erkannt hätte. In dem seit lange und noch heute lebhaft geführten Streite, ob die deutsche Einheit durch die thatkräftige Genialität des einen Mannes oder durch die nationale und liberale Bewegung im Volke herbeigeführt worden ist, haben wieder einmal wie so oft beide Parteien recht und beide Parteien unrecht. Wie weder die Burschenschaft noch die von ihr vertretene Idee allein die Einheit Deutschlands je begründet haben würde, ebenso wenig würde dazu der starke Wille eines einzelnen, wenn auch noch so genialen Staatsmannes ausgereicht haben, wenn ihm nicht durch jene ideale Bewegung der Geister der Boden geebnet worden wäre. Und darum gebührt, ebenso wie dem großen Staatsmanne, jenen Männern Dank und verehrungsvolle Anerkennung, die in trüber Zeit mit unentwegtem Sinn auf das Ziel wiesen, welches wir heute erreicht haben.

August von Binzer.
Nach einem der „Arminia“ gehörigen Bilde.

Unter diesem Gesichtspunkt ist es auch nicht schwer, die Frage zu beantworten, welche seit der Gründung des Deutschen Reiches so oft aufgeworfen worden ist, die Frage, welches denn jetzt die Aufgabe der deutschen Burschenschaft sei, nachdem das vornehmste Ziel, welches sie sich bei ihrer Gründung gesteckt hatte, wenn auch in anderer Form, als sie es geahnt hat, erreicht sei. Es hat nicht an Stimmen gefehlt, welche der Burschenschaft anriethen, jetzt, nachdem ihr Zweck erreicht sei, sich freiwillig aufzulösen, da ihr weiteres Bestehen eben zwecklos sei. Es will uns das ungefähr ebenso vorkommen, als wenn man einer Armee, die soeben einen großen Sieg erfochten, einen vollen Erfolg errungen hat, als wenn man etwa der deutschen Armee nach dem Siege von Sedan hätte zurufen wollen: du hast deinen Zweck erreicht, dein Gegner ist besiegt, nun lege die Waffen nieder und löse dich auf! Die einfache Folge wäre gewesen, daß die Franzosen den eben errungenen deutschen Sieg wieder rückgängig gemacht hätten.

Nein! Galt es früher, den nationalen Gedanken zu erwecken, die Mitglieder der Burschenschaft zur Mitarbeit an seiner Verwirklichung zu erziehen, so gilt es jetzt, das unter schweren Kämpfen Errungene zu bewahren! Die Aufgabe, ein erworbenes Gut zu bewahren, ist ebenso schwierig, ebenso wichtig als die, das Gut zu erwerben.

„Was du ererbt von deinen Vätern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen.“

Ist es denn so ganz ausgeschlossen, daß der mühsam errungenen nationalen Einheit dereinst in neuen auswärtigen und inneren Erschütterungen neue Gefahren drohen? Ist es da nicht von der höchsten Bedeutung, die deutsche Jugend, auf der die Zukunft des Vaterlandes beruht, mit jener bewußten nationalen Gesinnung und Begeisterung zu erfüllen, die sie, wenn sie ins Leben eintritt, befähigt, alle ihre Kräfte zum Dienste des gemeinsamen Vaterlandes zu verwerthen? Wie wir die Hauptbedeutung der alten Burschenschaft eben in ihrer erziehlichen Wirksamkeit gesehen haben, so sehen wir die Aufgabe der jetzigen Burschenschaft darin, ihre Mitglieder zu echt nationalgesinnten Männern zu erziehen, die, gleichgültig, welcher bestimmten Parteirichtung sie sich dereinst anschließen wollen, gewillt und befähigt sind, alle persönlichen und Parteiinteressen dem Wohle des Ganzen unterzuordnen, dafür zu sorgen, daß dem Volke inmitten des Widerstreites der Parteien das köstlichste Gut nicht verloren gehe, welches ein Volk besitzen kann: die Freude am Vaterlande!

In dieser Gesinnung mögen die alten und jungen Burschenschafter in Jena das Erinnerungsfest an große, kämpfereiche Tage der Vergangenheit begehen; in diesem Sinne mögen sie sich an den Kämpfen der Vergangenheit begeistern für die hohen nationalen Aufgaben, welche dem gegenwärtigen Staate gebieterisch gestellt sind. In dieser Hoffnung rufen wir ihnen ein herzliches „Glück auf“ zu ihrem Jubelfeste zu. [1]


  1. Von dem Fest selbst gedenken wir unseren Lesern in einer späteren Nummer ein Bild zu geben.