Zum Inhalt springen

Über die Entstehungszeit des Sachsenspiegels und die Ableitung des Schwabenspiegels aus dem Deutschenspiegel

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Julius von Ficker
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Über die Entstehungszeit des Sachsenspiegels und die Ableitung des Schwabenspiegels aus dem Deutschenspiegel
Untertitel:
aus: Vorlage:none
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag der Wagnerschen Buchhandlung
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Innsbruck
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google, Kopie auf Commons
Kurzbeschreibung:
Download als PDF
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


Editionsrichtlinien


Alle redaktionellen Texte dieses Projektes stehen unter der Lizenz CC-BY-SA 2.0 Deutschland
[I]
ÜBER DIE
ENTSTEHUNGSZEIT DES SACHSENSPIEGELS
UND DIE ABLEITUNG
DES
SCHWABENSPIEGELS AUS DEM DEUTSCHENSPIEGEL.

EIN
BEITRAG ZUR GESCHICHTE DER DEUTSCHEN RECHTSQUELLEN
VON
DR. JULIUS FICKER,
PROFESSOR AN DER K. K. UNIVERSITAET ZU INNSBRUCK.

INNSBRUCK.
VERLAG DER WAGNER'SCHEN BUCHHANDLUNG.
1859.
[II]
DRUCK DER WAGNER'SCHEN BUCHDRUCKEREI.
[III]
Übersicht.
  Seite
Veranlassung und Plan der Arbeit 1
I. Entstehung des Ssp. vor 1283 nach den Hss., der lateinischen Uebersetzung u. der Bestätigung des Magdeburg-Breslauer Rechts 12
II. Vor 1282 als Quelle des Schwabenspiegels 13
     A. Ueber die Zulässigkeit einiger Grundlagen und Kriterien der Beweisführung 14
     B. Entwicklung des eigenen Beweisganges 27
     C. Nachweis der Stellung des Schwabenspiegels zum Sachsenspiegel und Deutschenspiegel 35
          a. Nähere Verwandtschaft des Ssp. und Dsp. gegenüber dem Swsp. 36
          b. Nähere Verwandtschaft des Dsp. und Swsp. gegenüber dem Ssp. 36
          c. Ableitung des Dsp. aus dem Ssp 37
          d. Unmöglichkeit der Ableitung des Dsp. aus dem Swsp. 38
          e. Ableitung des Swsp. aus dem Dsp. 48
          f. Nichtbestehen näherer Verwandtschaft zwischen dem Ssp. und Swsp. 50
          g. Anscheinende Widersprüche. 51
     D. Verhältniss des Buches der Könige zu den Rechtsbüchern 52
III. Vor 1272 als Quelle des Deutschenspiegels und Bertholds von Regensburg. 58
IV. Vor 1270 als Quelle des Hamburger Rechts 61
V. Vor 1266 [1261] als Quelle des Magdeburg-Breslauer Rechts 61
VI. Vor 1256 [1240] als Quelle der Chronik des Albert von Stade 66
VII. Vor 1250 nach der Heidelberger Bilderhandschrift 70
VIII. Vor 1250 [1232] als Quelle der Repgowischen Chronik 71
IX. Vor 1235 wegen Nichtbenutzung des Mainzer Landfriedens 80
X. Vor 1235 wegen Nichtnennung des Herzogthums Braunschweig 81
XI. Angebliche Anhaltspunkte für einen frühern Terminus ad quem 84
XII. Nach 1198 wegen Erwähnung des böhmischen Königstitels u. s. w. 85
XIII. Nach 1220 [1223] wegen Benutzung der Treuga Henrici regis 86

[IV]

Seite
XIV. Nach 1224 wegen Erwähnung der Strafe des Scheiterhaufens für Ketzer 93
XV. In der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts nach dem Reichsstaatsrechte 95
     A. Wahl des Königs 99
          a. Entwicklung des Vorrechts einzelner Wähler 101
          b. Anzahl der ersten Wähler 113
          c. Personen der ersten Wähler 116
          d. Befugnisse der ersten Wähler 118
     e. Verbindung der Erzämter mit den ersten Wahlstimmen 121
     B. Nichterwähnung streitigen Besitzes der Reichsgewalt und der Theilnahme eines römischen Königs an derselben 130
     C. Verleihung erledigter Fahnlehen binnen Jahr und Tag 131
XVI. Resultate 135



[1] In einer Abhandlung: „Ueber einen Spiegel deutscher Leute und dessen Stellung zum Sachsen- und Schwabenspiegel; ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Rechtsquellen“, welche im Februarhefte des Jahrgangs 1857 der Sitzungsberichte der philos.-histor. Klasse der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Bd. 23, S. 115—216 und 221—292 veröffentlicht, aus demselben auch besonders abgedruckt wurde, berichtete ich, wie auf der hiesigen Universitätsbibliothek von dem Scriptor derselben, Herrn A. J. Hammerle, die Handschrift eines Rechtsbuches bisher unbekannter Form, welches sich in der Vorrede als „Spiegel aller deutschen Leute“ bezeichnet, aufgefunden und von mir einer nähern Untersuchung unterzogen wurde, deren Ergebnisse ich ausführlich mittheilte. Die Stellung des Rechtsbuches, welches in einem ersten Theile des Landrechts sich als eine, dem betreffenden Theile des Schwabenspiegels sehr nahe tretende Bearbeitung des Sachsenspiegels, im Reste des Landrechts aber und im Lehenrechte als eine nur wenig ändernde Uebersetzung desselben darstellt, glaubte ich mit Sicherheit dahin bestimmen zu dürfen, dass es das verbindende Mittelglied zwischen den beiden genannten Rechtsbüchern in der Weise bilde, dass ihm der Sachsenspiegel zu Grunde liege, während nicht dieser, sondern die aufgefundene Ueberarbeitung desselben als unmittelbare Quelle des Schwabenspiegels zu betrachten sei. Ich versuchte es zugleich, an der Hand dieses neuen Hülfsmittels die bisherigen Ansichten über die Textgeschichte beider Rechtsbücher einer vorläufigen Prüfung zu unterziehen; ergab diese für den Ssp. durchweg nur eine, allerdings nicht ganz [2] unwichtige Bestätigung der Ergebnisse der frühern Forschung, so glaubte ich auf Grundlage derselben für den Swsp. eine der bisherigen Auffassung ganz entgegengesetzte Textentwicklung annehmen zu müssen.

Die Aufnahme, welche die Darlegung dieser Ergebnisse bisher gefunden, war eine so günstige, dass sie mir nicht allein den Aufwand an Zeit und Mühe reichlich lohnte, sondern auch Zweifel beseitigen musste, welche mir immerhin geblieben; Zweifel, weniger freilich daran, dass sich die Hauptergebnisse meiner Untersuchung nicht schliesslich jedenfalls als stichhaltig erweisen würden, als daran vielmehr, ob schon diese Darlegung meiner Untersuchungen und Vergleichungen überzeugend genug sein werde, um Sachkundigen zur Fällung eines beistimmenden Urtheils über Ergebnisse genügen zu können, welche unerwartet und fremd und theilweise widersprechend an die bisherigen Anschauungen über die Geschichte der Rechtsbücher herantraten. Bedenken auch in dieser Richtung durften freilich schwinden, als mir das Urtheil desjenigen vorlag, welcher hier vor andern zur endgültigen Fällung eines solchen berufen scheinen musste. In der Sitzung der philos.-historischen Klasse der königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin am 14. Dez. 1857 las Homeyer über den Spiegel deutscher Leute; und darf ich auch die warme Anerkennung, welche meiner Arbeit hier zu Theil wurde, wohl weniger auf Rechnung meines Verdienstes setzen, als der Antheilnahme, welche der Gegenstand selbst erwecken musste, und der wohlwollenden Geneigtheit des erprobten Forschers, andere bei ersten Versuchen auf dem Felde der eigenen Bestrebungen zu ermuntern und zu fördern, so kann das freilich dem entscheidenden Gewichte jener Aeusserung für die Sache selbst keinen Eintrag thuen; wurde hier das, was sich mir für Stellung und Werth des neuen Hülfsmittels ergab, unbedingt als richtig anerkannt, wurden sogar die weitern Folgerungen, welche ich daraus glaubte ziehen zu dürfen, für wohlbegründet erklärt, so konnte die werthvolle Ausbeute selbst für die Wissenschaft als gesichert gelten; dieser Hauptsache gegenüber würde es ohne Gewicht sein, wenn dieselbe auch nicht gerade auf dem zweckmässigsten Wege zu Tage gefördert sein sollte. Zustimmend waren auch durchweg die weitern Beurtheilungen, [3] welche mir seither bekannt geworden sind, unter welchen ich insbesondere auf die im Litterar. Centralblatte 1858 Nr. 10, in der Wiener Zeitung 1858 Nr. 140, in der Oesterr. Vierteljahresschrift für Rechts- u. Staatswissenschaft 1858 Bd. 1, H. 2, glaube hinweisen zu sollen.

Bei einem Forscher freilich hatten sich jene Ergebnisse nicht der gleichen Zustimmung zu erfreuen. In einer besondern Schrift: „Spiegel der deutschen Leute. Handschriftfund des Prof. Dr. Ficker zu Innsbruck. Von Dr. A. v. Daniels, Ober-Tribunalsrath, Professor der Rechte, Kronsyndikus und Mitglied des Herrenhauses. Berlin 1858“ bestreitet deren Verfasser die Richtigkeit meiner Aufstellungen, glaubt, dass nach den von mir mitgetheilten Fragmenten, die Entdeckung nichts verspreche, „als einen Sachsenspiegelcodex aus dem vierzehnten Jahrhunderte, ohne erweisliche ältere Herkunft und Familie, der das Besondere hat, dass Abtheilungen, Rubriken, Aenderungen und Zusätze mehrfach in sinnloser Verbindung aus der normalen Form des s. g. Schwabenspiegels bis an eine Stelle entliehen sind, wo dem Kompilator durch Versetzung eines Mittelstückes der Faden der Vergleichung abhanden kam, so dass er sich von da ab im Wesentlichen auf das Abschreibegeschäft beschränkte“, dass also „die Innsbrucker Hs. nicht als verbindendes Mittelglied die Verwandtschaft von Sachsenspiegel und sogenanntem Schwabenspiegel aufklärt, sondern einen höchst untergeordneten Werth für die Texteskritik beider Rechtsbücher hat.“ S. 154. 42.

Ich gestehe, dass ich mich in einiger Verlegenheit darüber befand, ob und wie ich diesen Behauptungen entgegentreten solle. Auf eine Polemik einzugehen, welche, wenngleich auf dem Boden der Wissenschaft bleibend, doch auch hier nur zu leicht zugleich zu einer Verfolgung persönlicher Interessen führt, indem sie jede der angegriffenen eigenen Behauptungen zu rechtfertigen, jede wirkliche oder vermeintliche Schwäche des Gegners aufzuspüren und darzulegen sucht, wird mir wenigstens so lange nicht zusagen, als ich glaube, meine Zeit anderweitig besser verwerthen zu können. In der Form meiner frühern Arbeit glaube ich denn auch alles vermieden zu haben, was eine solche Polemik hervorrufen konnte; andererseits gebe ich gerne zu, dass in der Sache [4] selbst für Herrn v. Daniels eine Nöthigung lag, entweder auf eine liebgewordene und mehrfach mit Entschiedenheit vertretene Ansicht zu verzichten, oder aber sein ferneres Beharren an derselben nun auch meinen Behauptungen gegenüber zu vertheidigen. Diesen in der Sache selbst liegenden Anlass zu beseitigen lag nun freilich nicht in meiner Gewalt und um so mehr dürfte es von diesem Gesichtspunkte aus nicht unbillig erscheinen, wenn ich einen nicht durch mich hervorgerufenen Angriff auf sich beruhen liesse und einer zeitraubenden Entgegnung auswiche. Und findet sich andererseits in der Form der Gegenschrift wenigstens Einzelnes, was mich verletzen und es rechtfertigen könnte, wenn ich die Schwächen derselben zu reichlicher Vergeltung auszubeuten versuchte: so möchte ich darüber lieber hinwegsehen, mich beziehend auf die Befugniss des Jüngeren, von dem gereifteren Forscher Zurechtweisungen, auch wenn sie ihm unbegründet erscheinen, stillschweigend hinnehmen zu dürfen.

Ein genügenderer Anlass für eine Entgegnung würde freilich dann vorliegen, wenn ich mich überzeugen könnte, es sei H. v. D. gelungen, meine Beweisführung so weit wirklich oder scheinbar zu entkräften, dass das sachliche Interesse, die gewonnenen Resultate möglichst zu sichern, vielleicht auch das persönliche, den wissenschaftlichen Ruf zu wahren, ein Wiederaufnehmen derselben befürworten müsste. Denn wenn mir bisher im übrigen nur zustimmende Urtheile bekannt wurden, so wurden diese doch grossentheils gefällt ohne Kenntniss der Gegenschrift, welche dieselben vielleicht hätte modifiziren können. Nun glaube ich ohne unbescheiden zu sein die Ueberzeugung aussprechen zu können, dass das schwerlich der Fall gewesen sein dürfte. Denn einmal nimmt v. D. einen ganz anderen Ausgangspunkt, als meine Arbeit, und es wird demnach niemanden befremden können, wenn er von diesem aus nicht dasselbe Ziel erreichte; die mögliche Richtigkeit der beiderseitigen Resultate ist daher von vornherein von der Richtigkeit des verschiedenen Ausgangspunktes bedingt; irrte ich aber in diesem, so irrte ich mit allen, welche seit der Aufstellung der entgegengesetzten Ansicht durch v. D. Veranlassung fanden, ein öffentliches Urtheil darüber abzugeben. Ich finde weiter in der Gegenschrift meinen Beweisführungen [5] wesentlich nur Behauptungen und Vermuthungen entgegengestellt, vermisse jedoch jeden eingehenden Versuch, meine Beweise für die Mittelstellung des Dsp. zu entkräften, welche, wie der Gegner selbst S. 153 zugibt, sicher ermittelt die Streitfrage für immer abthuen würde. Ist aber der Kernpunkt der ganzen Beweisführung in der Gegenschrift kaum berührt, so kann ich mir auch nicht wohl denken, dass diese andere veranlassen dürfte, das Resultat jener zu bezweifeln; dann erst, wenn es sich zeigen sollte, dass ich mich darin täusche, oder wenn ein eigentlicher Gegenbeweis versucht werden sollte, dürfte eine Wiederaufnahme der Hauptfrage selbst im Interesse der Sache geboten sein. Unter den obwaltenden Verhältnissen könnte ich mich durch eine solche eher dem Vorwurfe überflüssigen Vordrängens und Geltendmachens auf einem Felde aussetzen, auf welchem zunächst nur ein glücklicher Zufall mich einige günstige Erfolge erreichen liess.

Andererseits aber dürfte auch wieder nicht zu verkennen sein, dass, wenn auch die Hauptfrage, um welche sich eine Kontroverse dreht, als genügend gelöst erscheinen muss, dennoch eine weitere Beschäftigung mit derselben wie sonst, so auch im gegebenen Falle wünschenswerth erscheinen kann.

Zunächst sind mit der Hauptfrage nicht zugleich auch die Nebenfragen gelöst, welche sich an dieselbe anknüpfen und oft von nicht geringerer Wichtigkeit sind, als diese selbst. Hier wird nun das, wenn auch im ganzen als verfehlt zu betrachtende Streben des Gegners, seine Ansicht zu vertheidigen, fast immer dazu führen, dass für manche wichtige Frage bisher unbenutztes Material hervorgesucht, neue Standpunkte gewonnen werden, was dann auch auf der andern Seite zu möglichster Sicherung und schärferer Umgränzung der eingenommenen Stellung und zum Herbeiziehen weiterer Vertheidigungsmittel anspornen muss; wir würden beispielsweise das Material für die Frage nach der Entstehung der Kurfürsten schwerlich so leicht, wie jetzt der Fall ist, übersehen können, hätten nicht die Kontroversen über die Entstehungszeit der Rechtsbücher, über die österreichischen Freiheitsbriefe, über die böhmische Kur wiederholt dazu geführt, jene als Nebenfrage in den Kreis der Erörterung zu ziehen. Nun sind freilich nicht alle Nebenfragen wichtig; und für die [6] wichtigen dürfte es sich eher empfehlen, sie eben nicht als Nebenfragen, sondern selbstständig zu behandeln. Das denke ich denn auch im Auge zu behalten. Manche Nebenfragen, in welchen H. v. D. glaubt, mir Missgriffe und Irrthümer vorhalten zu können, glaube ich übergehen zu sollen; sind sie an und für sich nicht wichtig, so erledigen sie sich zudem grossentheils von selbst; manche sind so sehr durch die Hauptfrage bedingt, dass sie nur mit derselben stehen oder fallen; bei manchen war, wie sich leicht ergibt, auch ohne dass ich immer darauf hinweise, Anlass zur Ausstellung lediglich dadurch gegeben, dass der Gegner glaubt, ich habe etwas behauptet, was mir durchaus fern lag und was wenigstens ein aufmerksamer Leser unmöglich meinen Worten entnehmen kann. Es sagt mir mehr zu, nur solche aufzunehmen, über welche ich, sei es, dass die Schrift des H. v. D. neue Anhaltspunkte bietet, sei es, dass eigene Studien mich auf dieselben zurückführten, glaube wenigstens in Einzelnheiten Bestimmteres angeben zu können, als bisher darüber gesagt wurde, ganz abgesehen davon, ob die bezüglichen Erörterungen des H. v. D. zunächst gegen mich gerichtet waren oder nicht. Um dabei eine möglichst selbstständige und zusammenhängende, nicht durch die Form der Gegenschrift bedingte Darstellung geben zu können, schien es mir am angemessensten, eine der wichtigsten Nebenfragen, die nach der Entstehungszeit oder dem absoluten Alter des Ssp. als Mittelpunkt meiner Erörterung hinzustellen, da alles, was ich zu berühren wünsche, wenigstens so weit mit ihr zusammenhängt, dass es sich ungezwungen einordnen lassen wird.

Für die Frage nach dem absoluten Alter des Ssp. bietet die frühere Hauptfrage selbst, nämlich die nach seinem relativen Alter oder seiner Stellung zum Swsp. und Dsp. einen der wichtigsten Anhaltspunkte. Nach früher Gesagtem würde ich nun glauben, berechtigt zu sein, sie als genügend gelöst zu betrachten, sie demnach unmittelbar als Ausgangspunkt zu nehmen. Aber es fehlt doch nicht an Motiven, welche ein nochmaliges Eingehen auch auf diese angemessen erscheinen lassen können.

Die Weiterführung auch solcher Kontroversen, welche vereinzelten Widerspruch abgerechnet, allgemein als endgültig entschieden [7] betrachtet werden, scheint mir schon desshalb nicht ohne Nutzen zu sein, weil vorzugsweise nur an ihnen die Methode der Forschung sich entwickelt, nur sie die hinreichende Aufforderung bieten, zu vollständigerer Widerlegung der gegnerischen, zu grösserer Erhärtung der eigenen Behauptungen die Kriterien der Beweisführung mit möglichster Vollständigkeit und Genauigkeit aufzusuchen und festzustellen. Diesen Werth glaube ich nicht hoch genug anschlagen zu dürfen. Für die Feststellung der Methode beim Beweise der Stellung verwandter Quellen dürfte nun das ganze Gebiet der historischen Wissenschaften kaum einen geeigneteren Anhaltspunkt bieten, als die Untersuchungen über die Rechtsbücher. Die grosse Zahl der verwandten Glieder überhaupt, das Nebeneinanderbestehen der verschiedensten Rezensionen eines und desselben Gliedes, die durch die mangelhafte handschriftliche Beglaubigung und durch den mehr auf dauernde Zustände, als auf einzelne Thatsachen bezüglichen Inhalt herbeigeführte Ungewissheit über das absolute Alter einzelner Glieder, das und manches andere sind Umstände, welche einerseits die Beweisführung so verwirrten und erschwerten, dass im Verlaufe der Erörterungen die verschiedensten Kriterien derselben herangezogen werden mussten, andererseits die Anwendung fast aller so ermöglichten, dass diese Untersuchungen vorzugsweise geeignet sein dürften, der Aufstellung eines Systems der bezüglichen Beweisführung als Grundlage zu dienen. Die Bestimmung der Stellung verwandter Quellen, zumal bei der nächstliegenden Ausdehnung auf die Verwandtschaftsverhältnisse der verschiedenen Rezensionen und Handschriften einer und derselben Quelle, ist aber unzweifelhaft eine der wichtigsten Aufgaben des Forschers, zu deren Lösung er bei allen kritischen Untersuchungen über Echtheit, Unverfälschtheit und Glaubwürdigkeit der Quellen genöthigt sein kann.

In dieser Beziehung dürfte es sich nun freilich sehr empfehlen, die Aufgabe dahin zu stellen, dass die Darlegung der Methode den Hauptgesichtspunkt bildete, die Frage nach der Stellung der Rechtsbücher aber ihr in der Weise angeschlossen würde, dass sie vorzugsweise die Beispiele lieferte, wobei denn zugleich einige andere Quellen zugezogen werden könnten, für welche, wie z. B. [8] für die Annales Cavenses, das Chronicon Corbeiense, die gereimte Kaiserchronik, die Repgowische Chronik u. a., eingehendere kritische Untersuchungen vorliegen, um an ihnen auch solche Momente nachzuweisen, auf welche die Untersuchung der Rechtsbücher nicht führt. Der Entwurf eines solchen Versuches liegt vor mir. Von der Ansicht ausgehend, dass zwar nicht jeder Lehrer der Geschichte zugleich Geschichtsforscher sein müsse, aber sein kritischer Sinn doch so weit geweckt und ihm die nöthigen Vorkenntnisse so weit eigen sein sollten, dass er im Stande sei, die Forschungen anderer zu verfolgen und sich ein selbstständiges Urtheil über den Werth derselben zu bilden, war ich schon seit einigen Jahren damit beschäftigt, meinen Zuhörern eine Anleitung zur Lösung der bei geschichtlichen Forschungen sich darbietenden Aufgaben zu geben. Diese Vorträge führten mich im verflossenen Jahre auf die Erörterung der Anhaltspunkte zur Bestimmung der Entstehungszeit, des Entstehungsortes und des Verfassers einer Quelle, weiter der zum Theil dadurch bedingten Stellung verwandter Quellen. War mir der Gedanke, diese Vorträge dereinst umzuarbeiten und zu veröffentlichen, nie ganz fremd, so war mir derselbe nun für die betreffenden Partieen besonders nahe gelegt; und der Versuch einer zusammenhängenden Darlegung der Methode erschien mir als die angemessenste Entgegnung, zu welcher mich die Schrift des H. v. D. veranlassen könnte. Aber der vorliegende Entwurf musste mir freilich auch zeigen, einen wie viel grösseren Zeitaufwand es erfordern würde, die Methode in einer für die Veröffentlichung geeigneten Form selbstständig darzulegen, als sie nur zur Entscheidung einer gerade vorliegenden Streitfrage in Anwendung zu bringen. Bewog mich demnach die Rücksicht auf andere dem Abschlusse näher stehende Arbeiten von der Ausführung jenes Planes abzugehen, so wird das Gesagte doch dazu dienen, zu erklären, wesshalb ich es nicht für überflüssig hielt, auf einige Eigentümlichkeiten der Methode des Gegners bestimmter hinzuweisen, als der nächste Zweck zu erfordern scheint, dann aber meine eigene Beweisführung zu wiederholen, nicht zum Zwecke einer Mehrung der Beweisgründe, da mir die früher vorgebrachten vollkommen auszureichen scheinen, sondern um durch Zusammenfassung [9] derselben in einem andern vollständig entwickelten, strengeren und übersichtlichern Beweisgange ein Beispiel der allerdings nicht neuen, aber, so viel ich weiss, noch nicht so weit verfolgten Methode zu geben, welche wenigstens im gegebenen Falle meiner Ansicht nach die geeignetste sein dürfte, einen möglichst überzeugenden Beweis herzustellen. Dadurch dürfte ich zugleich den Zweck erreichen, dass die Stichhaltigkeit meiner frühern Beweisführung, welche bei den mehrfachen Zwecken, denen meine Arbeit dienen sollte weniger übersichtlich hervortreten konnte und andererseits die Unhaltbarkeit der Ansicht, welche v. D. zu beweisen versuchte, auch solchen einleuchtender werden dürfte, welche nicht Veranlassung fanden, jene genauer zu verfolgen.

Dazu kommt endlich als weiterer, mich bestimmender Grund der, dass es, wenn nicht ungerechtfertigt, doch unziemlich erscheinen müsste, wollte ich ein ausdrückliches Eingehen auf den Beweis der Unmöglichkeit der vom Gegner dem Swsp. angewiesenen Stellung nochmals vermeiden, nachdem dieser (S. 2) sich ausdrücklich darüber beklagt hat, dass ich in der frühern Arbeit seine Argumente mit Stillschweigen übergangen, seine Ansicht durch Homeyers Gegengründe als für immer abgethan betrachtet habe. Das ist richtig; bedarf es aber einer Entschuldigung, so glaube ich jetzt, nachdem meine Ansicht über die Stellung des Dsp. nicht vereinzelt geblieben ist, meine Beweggründe ohne anmassend zu scheinen offen darlegen zu dürfen.

Gewiss wäre nichts leichter, für manchen vielleicht auch lockender gewesen, als nach Auffindung des neuen Hülfsmittels alles bisher über die Prioritätsfrage Geschriebene als ungenügend, sie selbst als eine offene zu behandein, mit dem Anspruche aufzutreten, jetzt erst sei die taugliche Waffe gefunden, um eine entscheidende Niederlage der einen Partei zu ermöglichen, und nun mit dieser einen Vernichtungskrieg gegen die von H. v. D. früher vorgebrachten Argumente zu eröffnen. Auf diese Lorbeern, konnten solche hier überhaupt noch zugestanden werden, glaubte ich verzichten zu müssen. Von der Ansicht ausgehend, die Prioritätsfrage könne als mit den bisherigen Hülfsmitteln durch Homeyer vollkommen genügend gelöst gelten, schien es mir geziemender und für meine Arbeit förderlicher, dieselbe an die [10] Resultate des erprobten Forschers anzuschliessen, mir nicht beanspruchend, was ich nicht glaubte beanspruchen zu können.

Damit wäre freilich vereinbar gewesen, wieder und wieder darauf hinzuweisen, wie bestimmt sich nun die Ungereimtheit so mancher für die entgegengesetzte Ansicht aufgestellter Argumente ergäbe. Wenn ich auch das durchweg vermied, mir kaum eine vereinzelte Andeutung erlaubte, so war der Grund kurzweg folgender. Da v. D, auf die 1853 veröffentlichte Duplik Homeyers nicht mehr geantwortet hatte, so konnte ich immerhin voraussetzen, dieselbe habe auch ihn von der Unhaltbarkeit seiner Ansicht überzeugt. War das der Fall und war eine öffentliche Aeusserung über seine jetzige Ansicht der begonnenen Herausgabe der Rechtsdenkmäler wegen für v. D. auf die Dauer nicht zu vermeiden, so konnte das Hinzutreten eines so ausschlaggebenden neuen Hülfsmittels eine erwünschte Gelegenheit bieten, auch öffentlich zurückzutreten. War es nicht der Fall, so war es wenigstens möglich, dass jetzt die Angaben über den Dsp. ihn zum Aufgeben seiner Ansicht bestimmen konnten. In jedem Falle schien es mir nicht geziemend, durch ein Eingehen auf Argumente, von denen ich nicht wusste, in wie weit der Urheber noch bereit sei sie zu vertreten, durch ein Eingehen, welches die Sache selbst wenig oder gar nicht fördern konnte, dagegen fast nothwendig eine polemische, den Gegner unangenehm berührende Gestalt annehmen musste, ein solches Zurücktreten von vornherein zu erschweren. Fühle ich mich jetzt zu einem solchen Eingehen aufgefordert und kann ich dabei manche, durch die Sache bedingte, dem Gegner vielleicht unangenehme Bemerkung nicht vermeiden, so würde ich wünschen, mich wenigstens in der Form so beherrscht zu haben, dass auch durch diese Schrift ein Zurücktreten nicht erschwert werden möge, ein Zurücktreten, auf welches vielleicht noch immer zu hoffen ist, nicht sowohl in Folge meiner erneueten Beweisführung, als vielmehr in Folge einer unbefangenen Prüfung des Gesammttextes der gefundenen Hs. selbst, zu welcher der jetzt veranstaltete vollständige Abdruck derselben Gelegenheit bietet. Und so wenig es unter andern Verhältnissen angemessen scheinen könnte, einen solchen Wunsch auszusprechen, da in den meisten Fällen anderen wenig daran [11] liegen kann, ob ein einzelner Gelehrter diese oder jene Ansicht festhalten will oder nicht, so sehr wäre doch gerade hier im allgemeinen Interesse ein solches Einlenken wünschenswerth im Hinblicke auf die begonnene umfassende Ausgabe der Rechtsdenkmäler, auf deren Gestaltung und grössere oder geringere Brauchbarkeit für den Forscher das Festhalten oder Fallenlassen der bisher vertretenen Ansicht vom entscheidendsten Einflusse sein muss.

Wenn ich dem angedeuteten Wunsche gemäss nun auch die Ansicht des H. v. D. in die Untersuchung einziehe, so geschieht das allerdings nicht, weil ich mir hier einer Lücke in meiner frühern Untersuchung bewusst wäre; beachtet wurde sie dort genügend, wenn ich auch keinen Anlass nahm, sie überall ausdrücklich zu bekämpfen; Homeyer in dem erwähnten Vortrage S. 624 erkennt an, dass ich in der That die Priorität des Ssp. nicht lediglich voraussetzte, sondern auch selbstständig wiederum begründete; und wenn v. D. S. 29 meint, es fehlten bei meiner Arbeit überall die nöthigsten Anhaltspunkte, ein ausreichendes Urtheil zu bilden, so glaube ich zeigen zu können, dass schon dort ohne alle Hinzuziehung neuer Beweisgründe die genügendsten Belege für die Unhaltbarkeit seiner Ansicht vorbanden sind.

Schien es mir zweckmässig, die folgenden Erörterungen in die Form einer Untersuchung der Entstehungszeit des Ssp. einzureihen und dabei für den Gang des Beweises möglichst von allen frühern Forschungen abzusehen, nur für die einzelnen Beweispunkte da auf sie verweisend, wo solche genügend und ohne dass ich glaube, etwas hinzufügen zu können, erörtert scheinen, so dürften sich die Gesichtspunkte, welche mich bei einer solchen Anordnung und bei der bald nur angedeuteten, bald ausgedehnteren Besprechung einzelner Fragen leiteten, aus dem Gesagten hinreichend ergeben.

[12]
I.

Fragen wir nach der Entstehungszeit des Sachsenspiegels, so bieten sich uns unmittelbar keine Anhaltspunkte dar, aus welchen sich ergäbe, dass das ganze Werk oder einzelne Stellen desselben in diesem oder jenem Jahre oder doch in diesem oder jenem enger begränzten Zeiträume entstanden sein müsse.

Der Gang der Untersuchung wird demnach der sein müssen, dass Anhaltspunkte aufgesucht werden, aus welchen sich, wenigstens nach einer Seite hin die Gränze einer möglicherweise spätesten oder aber frühesten Entstehung ergibt; sind von den sich ergebenden als Ausgangspunkte zunächst solche zu wählen, welche möglichst sicher und insbesondere mit allen geltend gemachten abweichenden Meinungen vereinbar sind, so wird dann von diesen ausgehend der Terminus ad quem weiter rückwärts, der Terminus a quo weiter vorwärts zu schieben sein, so lange sich Anhaltspunkte finden, welche das mit Sicherheit oder mit grosser Wahrscheinlichkeit gestatten; es wird sich schliesslich insbesondere dann, wenn die engsten Gränzbestimmungen nicht auf völlig sicheren, sondern nur wahrscheinlich richtigen Schlüssen beruhen, prüfen lassen, ob sich keine Momente finden, welche mit dem gefundenen Resultate unvereinbar seien. Nach diesem Plane im allgemeinen in der Weise vorgehend, dass wir zuerst die für eine möglich späteste, dann die für eine möglich früheste Zeit entscheidenden Punkte erörtern, werden wir ihn freilich im einzelnen nicht zu streng einhalten dürfen, wollen wir anders nutzlose Wiederholungen und Zerreissung des Zusammengehörigen vermeiden.

Darüber, dass der Ssp. nach Ausweis der vorhandenen Handschriften vor dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts oder bestimmter nach dem Datum der verschollenen Arpischen Hs. vor 1296, nach Ausweis der durch einen Bischof Thomas von Breslau veranlassten lateinischen Uebersetzung vor 1292 als dem Todesjahre des zweiten und letzten Breslauer Bischofs [13] dieses Namens, nach Ausweis der Bestätigung des Magdeburg-Breslauer Rechts, welches zum Theil aus dem Ssp. entnommen ist, durch Herzog Heinrich IV. von Breslau vor 1283 entstanden sei, scheint keinerlei Zweifel obzuwalten. Vgl. Homeyer, die Stellung des Ssp. zum Swsp. 35. 22. 24. Das J. 1283 würde uns demnach noch einen allgemein anerkannten Terminus ad quem darstellen.


II.

Der Ssp. steht zu dem sogenannten Schwabenspiegel im engsten Verwandtschaftverhältnisse. Scheint man darüber einverstanden zu sein, dass diese Verwandtschaft nicht etwa aus Benutzung einer gemeinsamen dritten Quelle, sondern daraus zu erklären sei, dass das eine Rechtsbuch unmittelbar oder mittelbar Quelle des andern sein müsse, so machen sich noch abweichende Meinungen darüber geltend, welches von beiden die Quelle des andern sei. Die Entstehungszeit des Swsp. auf die Zeit nach 1274 wegen des in ihm enthaltenen Staatsrechts und vor 1282 wegen des Datum der Vorlage einiger Hss. zu begränzen, dürfte keinen Widerspruch finden. Vgl. Merkel de republ. Alam. 99. Ficker, über einen Spiegel deutscher Leute 164 (280). Ist nun der Ssp. die Quelle, so wäre er demnach vor 1282 entstanden; ist der Swsp. die Quelle, so fiele die Entstehung des Ssp. nach 1274, und die Entstehungszeit desselben wäre schon zwischen 1274 und 1283 so eng begränzt, dass ein solches Resultat uns vollkommen genügen könnte.

Es ist aber die hier entscheidende Priorität des Swsp. in neuerer Zeit öffentlich nur noch vertheidigt worden in den Schriften des Herrn v. Daniels: De Saxonici Speculi origine ex iuris communis libro, Suevico Speculo perperam nominari solito. 1852. Alter und Ursprung des Sachsenspiegels. 1853. Spiegel der deutschen Leute. 1858. Die allgemeine Ansicht blieb der Priorität des Ssp. günstig; Insbesondere wurde sie vertheidigt von Homeyer: Die Stellung des Sachsenspiegels zum Schwabenspiegel. 1853. Abgesehen von allen andern, vorzüglich auf Vergleichung mit dritten verwandten Quellen beruhenden Gründen für eine [14] frühere Entstehungszeit und gegen die Möglichkeit einer Entstehung in der Zeit zwischen 1274 und 1283, schien sich ihm schon aus blosser Vergleichung der beiden Rechtsbücher hinreichend zu ergeben, dass der Text des Ssp. die Kennzeichen der Ursprünglichkeit, der des Swsp. die der Ableitung zeige. (S. 42 ff.) H. v. D. erkennt diese Beweisführung nicht als genügend an und ich bin für den nächsten Zweck bereit, mit ihm anzunehmen, die früheren Untersuchungen hätten zu keinem genügenden Resultate geführt.

Es hat sich jetzt aber eine dritte, nächstverwandte Form des Land- und Lehnrechts gefunden, welche sich als Spiegel deutscher Leute bezeichnet. Lässt sich nun nachweisen, dass einerseits der Dsp. auf dem Ssp. beruht, andererseits der Dsp. nächste Quelle des Swsp. war, so ist damit unabhängig von allen frühern Untersuchungen zugleich die Priorität des Ssp. vor dem Swsp. erwiesen; und die sichere Ermittlung einer solchen Mittelstellung erkennt v. D. selbst S. 153 als die Streitfrage entscheidend an. Dass er nicht schon den von mir früher versuchten Beweis als genügend anerkannte, dürfte einen doppelten Grund haben.

Einmal dass er zweifelte, ob ein vollständiger getreuer Abdruck der gefundenen Hs. die an sie geknüpften Erwartungen rechtfertigen dürfte (S. 154); da dieser nun erfolgt, so ist damit Gelegenheit geboten zu prüfen, ob die Mittheilungen, auf welche sich meine Beweisführung gründete, vollständig und getreu genug waren.

Weiter wohl den, dass er mit dem Gange meiner Beweisführung, welcher von vornherein an die Ansicht seines Gegners anschloss, nicht einverstanden war. Ich bemerkte bereits, dass das ein Hauptgrund für mich ist, den Beweis jetzt in anderer Form zu wiederholen.

A.

Irgend ein Erfolg für eine Einigung der Ansichten über die Stichhaltigkeit eines Beweises wird freilich nur dann zu erwarten sein, wenn ein Einvernehmen über die Richtigkeit der Methode, insbesondere über die Zulassigkeit einzelner Grundlagen und [15] Kriterien der Beweisführung bereits erzielt ist. In den Schriften des H. v. D. finde ich nun einzelne Beweismittel angewandt, von deren Zulässigkeit ich mich nicht überzeugen kann. Ich hebe einige derselben hervor; wird ihre Unzulässigkeit im allgemeinen oder doch im besondern Falle anerkannt, so fällt schon dadurch die Argumentation des Gegners, soweit sie sich darauf stützt; wird sie nicht anerkannt, so scheint mir überhaupt eine Einigung der Ansichten nicht möglich.

1. Unzulässig erscheint mir vor allem, dass v. D. seine Beweisführung nicht auf die Gestalt des Swsp. gründet, welche uns in den Handschriften vorliegt, sondern von einem rein hypothetischen Schwabenspiegel ausgeht, indem er annimmt, dass das Rechtsbuch uns auch in den ältesten und besten vorhandenen Hss. nur vorliege reichlich vermehrt mit Zusätzen einer zweiten, einer dritten und selbst einer vierten Hand, indem er weiter diese angeblichen Zusätze ausscheidet und den sich herausstellenden Rest als die eigentliche Grundlage der Beweisführung betrachtet. Beispiele gibt neben den frühern Schriften jetzt v. D. Dsp. 9. 88.

Läge uns der Swsp. etwa nur in einer einzigen Hs. vor und zwar in einer Hs., welche geraume Zeit nach der sich aus dem Inhalte ergebenden Entstehungszeit des Werkes selbst geschrieben wäre, würde es sich etwa unmöglich zeigen, diesen Swsp. aus dem Ssp. abzuleiten, während andererseits eine Ableitung des Ssp. aus der jetzt vorliegenden Form des Swsp. unstatthaft scheinen müsste, so möchte gegen den Versuch, auf Grundlage einer solchen Hypothese den Zusammenhang der Texte der Rechtsbücher zu entwickeln, kaum etwas einzuwenden sein, es sei denn die überaus geringe Hoffnung auf genügenden Erfolg bei Anwendung einer Hypothese, bei welcher dem subjektiven Ermessen ein so freier Spielraum gelassen ist. Es wäre aber ein solches Vorgehen statthaft, weil beim Vorliegen nur einer oder doch weniger später und nächstverwandter Hss. eine vergleichende Kritik von vornherein ausgeschlossen und das Feld für die Konjektur frei sein würde.

Dagegen dürfte nun, soll die Textkritik nicht jeden festen Boden verlieren, vor allem daran festzuhalten sein, dass die [16] blosse Konjekturalkritik erst dann eintreten darf, wenn alle Mittel der vergleichenden Kritik erschöpft sind. Beim Swsp. aber scheinen diese fast unerschöpflich genannt werden zu dürfen. Dass bei einem Werke, von welchem Homeyer bereits 223 Hss. verzeichnen konnte, bei welchem manche Hss. ganz nahe an die Entstehungszeit heranreichen und schon die ältesten sich nicht als nächstverwandte darstellen, zur Lösung der Frage nach dem wesentlichen Bestande des Urtextes die Vergleichung nicht ausreichen sollte, wird doch kaum glaublich sein. Die grösste Anzahl guter Hss. mag vielleicht nicht ausreichen, den Urtext in seinen Einzelnheiten mit voller Sicherheit wiederherzustellen; aber jedenfalls geben sie uns durch das, worin alle Familien übereinstimmen, was demnach auf den gemeinsamen Ausgangspunkt zurückgehen muss, ein Bild des Urtextes, dessen Richtigkeit im allgemeinen nicht zu bezweifeln sein wird, mag sich auch noch darüber streiten lassen, ob einzelne Züge getroffen sind.

Gehört die Ausführung eines solchen Bildes in gleicher Zuverlässigkeit, wie es vom Ssp. vorliegt, für den Swsp. auch noch in das Gebiet der Wünsche, so genügen doch die bisherigen Leistungen vollkommen zu der Ueberzeugung, dass die Hypothese des H. v. D. in den Hss. nirgends eine Stütze findet. Eine nicht unbeträchtliche Anzahl und zwar vorwiegend der besten und ältesten Hss. ist genau verglichen und eine Einsicht in die Resultate der Vergleichung insbesondere durch die Ausgabe Wackernagels jedem ermöglicht; nirgends ergibt sich ein Haltpunkt für die Annahme des Herrn v. D.; was er als Zusätze dritter, selbst vierter Hand bezeichnet, zeigen die der Entstehungszeit am nächsten stehenden Hss. trotz ihrer vielfachen sonstigen Abweichungen in übereinstimmender Fassung an demselben Orte. Viele andere Hss. sind uns wenigstens so weit bekannt, dass wir wissen, sie können keine der nach v. D. anzunehmenden, ältern Formen enthalten; die Mehrzahl dürfte wenigstens von Sachkundigen insoweit angesehen sein, dass wir schliessen können, enthielten sie eine so auffallend kürzere Form des Rechtsbuches, so würden wir davon wissen. Die Ansicht des H. v. D. beruht also lediglich auf Konjektur.

[17] Nun würde, nicht die Richtigkeit, doch aber wenigstens die Möglichkeit der Richtigkeit dieser Konjektur nur dann zuzugeben sein, wenn sich irgend glaublich machen liesse, dass alle uns bekannten Hss. aus einer und derselben spätern, vom Urtexte sehr bedeutend abweichenden Form des Rechtsbuches abgeleitet seien. Die Unwahrscheinlichkeit einer solchen Annahme gerade im gegebenen Falle sollte doch kaum eines Beweises bedürfen. Es müssten zwei oder vielmehr drei Vorstufen des Swsp., wie er jetzt vorliegt, ganz spurlos verschwunden sein, ohne sich in den zahlreichen erhaltenen Texten noch irgendwie bemerklich zu machen. Doch das wäre das Geringste. Es müsste das frühestens 1274, vielleicht erst 1280 entstandene Rechtsbuch nach vorgenommener dreimaliger Erweiterung, und zwar einer Erweiterung, welche theilweise auf die doppelte Operation des Hinzufügens von Randbemerkungen und der Aufnahme derselben in den Text führen würde, den einheitlichen Ausgangspunkt für die von nun an sich von einander entfernenden verschiedenen Formen noch hinreichend früh gegeben haben, dass, auch abgesehen von den angeblichen Vorlagen aus dem J. 1282 schon die Form, welche uns in einer vom J. 1287 datirten Hs. vorliegt, bereits so grosse Abweichungen von andern Texten zeigen konnte, dass selbst ganz abgesehen von jener dreimaligen Erweiterung dieses Zeitverhältniss verglichen mit der sich ergebenden Stufe der Textentwicklung so bedenklich erscheinen muss, dass es sich empfehlen dürfte, das Datum nur auf eine Vorlage zu beziehen. Vgl. F. Dsp. 144 (260).

Darauf wird mir freilich H. v. D. entgegnen können, meine Ansicht über die Stellung der Lassbergischen Hs. sei eine sehr subjektive, auf der vorgefassten Meinung von der Priorität des Ssp. und Dsp. beruhende; er dagegen habe schon De origine. 143 und jetzt S. 13 als sehr wahrscheinlich hingestellt, eben der Konrad v. Lützelheim, welcher die Hs. von 1287 fertigte, habe erst viele der „Dinge“, von denen er spricht, in den Text gebracht; eine Abzweigung der Hss. würde demnach erst 1287 zu beginnen haben. Es hängt damit zusammen, dass H. v. D. seine Forschungen fast lediglich auf die Lassbergische Hs. gründet, [18] nur sehr selten davon Notiz nimmt, dass uns auch andere Texte erhalten sind.

Nun könnten zunächst die von Konrad hinzugefügten Dinge nur Zusätze der vierten Hand sein; denn Zusätze der dritten Hand sind nach v. D. bereits in den 1283 vorhandenen Ssp. übergegangen, woraus sich ein durch das Hinzukommen mehrerer Umstände vielleicht noch bedenklicheres Zeitverhältniss ergibt, wegen dessen ich auf Homeyer, Stellung. 6. 30. verweise. Es könnten aber weiter auch nur solche Dinge sein, welche eine Eigenthümlichkeit der Lassb. Hs. und etwa der nächstverwandten bilden, also insbesondere nicht, wie v. D. vermuthet, theilweise die Blumenlese aus Berthold's Predigten, oder aber es müssten sich alle Hss., in welchen sich diese Dinge finden, d. h. alle uns bekannten, aus der Lassb. Hs. ableiten lassen. Das ist entschieden nicht der Fall. Nehmen wir auch an, diese Hs. sei nicht allein die älteste, sondern auch die beste, so ergibt sich doch auch ohne alle Berücksichtigung des Dsp. leicht, dass sie dem Urtexte des Swsp., beziehungsweise nach v. D. dem gemeinsamen Ausgangspunkte unserer Hss. vierter Hand schon ziemlich fern stehen muss. Zur Vermittlung einer solchen Einsicht bot die Ausgabe Wackernagels, deren Werth doch nicht einzig nach dem Werthe des Grundtextes zu bemessen sein wird (vgl. v. D. Dsp. 155), schon lange die genügendsten Hülfsmittel; und hätte sich H. v. D. dadurch, dass ich von der Priorität des Ssp. und Dsp. ausgehe, nicht abhalten lassen, das durchzusehen, was ich über die verschiedenen Formen des Swsp. mittheile, so würde er darin auch manches von der Prioritätsfrage ganz unabhängige Argument gegen die Autorität der Lassb. Hs. gefunden haben.

Jedenfalls ist das rasche Auseinandergehen der Formen des Swsp. schon an und für sich eine so auffallende Thatsache, dass wir uns kaum bedenken dürfen, die Annahme von weitern drei verlornen Vorstufen ohne gleichzeitige Zurückschiebung des Terminus a quo in das Gebiet des Unmöglichen zu verweisen.

Aber selbst die Möglichkeit der Existenz solcher einfacherer Formen oder Vorstufen des Swsp. zugegeben, wo haben wir denn irgend eine Gewähr dafür, dass sie wirklich existirt haben? und zugegeben, sie haben existirt, dass sie so existirt [19] haben, wie sie v. D. als Grundlage seiner Forschungen hinstellt? Und wenn solche Gewähr fehlt, wer wird dann die Hineinziehung eines so ganz hypothetischen Gliedes in die Forschung für zulässig erklären mögen ? Durch ein vom Bestande der Hss. absehendes Zuschneiden der Quellen lässt sich schliesslich jede beliebige Stellung verwandter Quellen erklären. Was würde dann aber hindern, wozu sich schon bedenkliche später zu erörternde Ansätze in der neuesten Schrift des H. v. D. finden, nun auch den Bestand des Urtextes des Ssp., wie ihn die vergleichende Kritik ergibt, zum Behufe der Beweisführung in derselben Weise zuzustutzen? Und wie wäre dann überhaupt noch ein genügendes Ergebniss solcher Forschungen zu erwarten?

Die einzig zulässige Grundlage der Forschung scheint mir demnach der Bestand des Swsp. zu sein, welcher sich aus der Vergleichung der Hss. als der ursprüngliche erweist; ich muss mich demnach auch für berechtigt halten, nach wie vor von allen Argumenten des H. v. D. abzusehen, welche sich auf eine hypothetische kürzere Urform des Rechtsbuches stützen.

Dadurch erledigt sich denn auch, wesshalb ich, wie v. D. Dsp. 2 mir vorwirft, die von ihm geltend gemachten Argumente selbst da mit Stillschweigen übergangen habe, wo sie, wie z. B. in den Stellen von den Pfalzen und Erzbisthümern des Sachsenlandes unmittelbar den Gegenstand meiner eigenen Untersuchungen berührten. Das dürfte sich wohl nur auf die Angaben De origine. 266. Alter u. Ursprung 30. 109 beziehen, wo ich nichts finde, als die Behauptung, dass es sich bei Swsp. 137 um Einschiebungen in den hypothetischen Urtext handle, dass, wie es v. D. Dsp. 34 heisst, der süddeutsche Text in einem ganz planmässigen Zusammenhange stehe, wenn man nur richtig die Einschiebsel späterer Hand aussondere. Was H. v. D. hier einfach behauptet, glaube ich in meiner Arbeit S. 33 (145) für die Stücke Swsp. 137 b. c. erwiesen zu haben, dass es nämlich Einschiebsel sind, aber freilich nicht zum ursprünglichen Swsp., da sie ja in keiner Hs. desselben fehlen oder auch nur mit den Spuren des Glossems auftreten, sondern Einschiebungen zum Ssp., da sie im Dsp. mit den offenbarsten Anzeichen des Glossems erscheinen, welche erst der Verfasser des Swsp. tilgte. Gerade in diesem [20] Falle, wo ein günstiger Zufall die Textentwicklung besonders genau zu verfolgen gestattet, konnte ich wohl am wenigsten Veranlassung finden, statt an den wohlbekannten Ssp. lieber an den hypothetischen Urswsp. anzuknüpfen.

2. So sehr ich als Beweismittel den Satz zu schätzen weiss, dass von zwei verwandten Quellen diejenige die Vermuthung der Ursprünglichkeit für sich habe, welche sich der Materienfolge einer dritten Quelle, auf welche beide in ihren verwandten Theilen zurückgehen müssen, näher anschliesst, so vielfachen Gebrauch ich davon in meiner Arbeit gemacht habe, so völlig unzulässig erscheint mir seine Anwendung dann, wenn das Zurückgehen auf die dritte Quelle, und wäre es auch nur in Bezug auf die Veranlassung der Anordnung, sich nicht allein nicht als nothwendig, sondern geradezu als unwahrscheinlich erweisen lässt. Das aber scheint mir bezüglich des angeblichen Zusammenhanges der Materienfolge des Swsp. mit der Lex Baiuvariorum, dem Ordo iudiciarius des Tancred und der Kapitulariensammlung des Ansegis von Homeyer Stellung 7 ff. so überzeugend ausgeführt, und durch die Bemerkung des H. v. D. Dsp. 11 so wenig widerlegt, dass es überflüssig sein dürfte, darauf nochmals einzugehen und die Nichtberücksichtigung der daher entnommenen Argumente zu rechtfertigen.

3. Unzulässig erscheint mir insbesondere in der neuesten Schrift des H. v. D. einerseits die Vernachlässigung der sich aus den Ableitungs- und Verwandtschaftsverhältnissen der Texte ergebenden Beweisgründe, andererseits die Art und Weise, wie jenen gegenüber alles Gewicht auch für das relative Alter der Quellen auf die von den Textverhältnissen unabhängigen Anhaltspunkte für das absolute Alter derselben gelegt und dabei verlangt wird, ein in einer Quelle geschilderter Zustand solle als zur angeblichen Zeit nicht möglicher-, sondern wirklicherweise bestehend nachgewiesen werden müssen, um die Möglichkeit der Entstehung in dieser Zeit zuzulassen.

Schon das starke Betonen der Zeugnisse für die Entstehungszeit, welche sich nicht auf die Stellung zu andern Quellen stützen, erscheint mir im gegebenen Falle ausserordentlich misslich. Allerdings, lässt sich die Entstehungszeit zweier verwandten Quellen [21] unzweifelhaft feststellen, so ist nichts sicherer, als dass, wenn nicht beide aus einer dritten geschöpft haben, die ältere die Quelle der jüngeren war. Nun aber sind gerade für den Ssp. diese Anhaltspunkte so überaus dürftig; man führt an Beziehungen auf einen in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts lebenden Verfasser, auf einen nur in diese Zeit passenden staatsrechtlichen Zustand. Wie vieles kann nun hier nicht unser Urtheil irre leiten. Eine Stelle, welche eine jüngere Quelle ungeändert einer älteren entnimmt, wird uns auf eine zu frühe Entstehungszeit schliessen lassen; umgekehrt auf eine zu späte Interpolationen, welche Beziehungen auf einen späteren Zustand enthalten. Und vor allem, wie leicht können wir selbst uns irren in der Beziehung solcher Stellen auf einen bestimmten Zeitpunkt. Wer bürgt uns, dass der in der Vorrede des Ssp. genannte Eike von Repgow, auch wenn wir die Autorität der Stelle nicht bezweifeln, derselbe ist, welchen wir seit 1209 in Urkunden finden? Wer bürgt uns dass wir das Reichsstaatsrecht des dreizehnten Jahrhunderts genau genug kennen, um hier zweifellos schliessen zu können? Wir werden auf diesen Umstand näher zurückkommen.

Demnach wird sich allerdings wenig dagegen einwenden lassen, wenn v. D. die daher entnommenen Argumente für eine frühere Entstehungszeit des Ssp. nicht als entscheidend betrachtet; und es wäre zu erwarten, dass er, da er selbst Dsp. S. 28 verlangt, man solle vor allem den innern Verhältnissen der Quellen nachgehen, nun das Hauptgewicht auf den Nachweis der Ableitungsverhältnisse der Texte und der sich daraus ergebenden relativen Entstehungszeit legte. Das ist keineswegs der Fall; abgesehen von der ganzen Art der Beweisführung ergibt sich das schon daraus, dass er Dsp. S. 14 zu seiner Behauptung, dass sich im Ssp. im Einzelnen Verstösse nachweisen lassen, welche nur aus mangelhaftem Verständnisse der Quelle (des Swsp.) erklärbar werden, bemerkt, dass dergleichen Verstösse, wie sie einen Haupttheil der von ihm mit Homeyer verhandelten Streitpunkte bildeten, im einzelnen sehr von einander abweichende Auffassungen zulassen, aber niemals das Ergebniss ändern werden, so lange nicht die Hauptgründe wider die Priorität des Ssp. entkräftet [22] sind, und vor allem noch solidere positive Beweise, als welche die praefatio rhythmica darbietet, für Eikes Verfasserschaft, für die ursprüngliche Beschaffenheit seiner Arbeit, die Sprache in der sie geschrieben war, und die nähere Zeit ihrer Entstehung beigebracht werden können.

Dem gegenüber dürfte doch auf’s entschiedenste davon auszugehen sein, dass gerade solche Verstösse und Aehnliches als Anhaltspunkte für die Ableitungsverhältnisse des Textes das bei solchen Untersuchungen durchaus Entscheidende sein müssen. Lässt sich z. B. erweisen, dass eine Quelle A eine Stelle in ursprünglich richtiger Fassung, B mit einer nur aus dem Texte A erklärbaren Korruption[WS 1], C mit einer nothwendig die Korruption in B voraussetzenden Emendation[WS 2] enthält, so sind dadurch so bestimmte Ableitungsverhältnisse gegeben, dass, wenn sie sich an mehreren Stellen wiederholen, die Stellung der Quellen zu einander keinem Zweifel mehr Raum lassen kann.

Nun ist mir allerdings wohl bekannt, dass beim Vorliegen von nur zwei verwandten Quellen es sehr zweifelhaft sein kann, ob in A Erweiterung, Zusatz, Korruption, oder nicht vielmehr in B Verkürzung, Lücke, Emendation vorliege; dass oft nicht zu entscheiden ist, ob wichtige Einzelnheiten der Quelle selbst oder nur den uns gerade vorliegenden Hss. angehören. In vielen Fällen ist aber doch auch hier ein Zweifel nicht mehr gerechtfertigt. Erklärt sich z. B. ein Missverständniss in einem lateinischen oder oberdeutschen B nur durch die Uebersetzung aus einem verwandten deutschen oder niederdeutschen Texte A, so ist nichts sicherer, als dass B wenigstens nicht Quelle für A sein kann. Und im gegebenen Falle dürfte gewiss zuzugeben sein, dass Homeyer an einzelnen Stellen des Ssp. und Swsp. auch ohne Zuziehung dritter Quellen Verhältnisse der Textentwicklung nachgewiesen hat, welche die Unmöglichkeit der Ableitung des Ssp. aus dem Swsp. mindestens so lange beweisen müssen, als ihre Beweiskraft im Einzelnen nicht widerlegt ist. Dieser Aufgabe entzieht sich H. v. D. einfach durch die angeführte Bemerkung.

Ungleich sicherer lassen sich nun freilich solche Beweise führen, wenn eine Mehrzahl verwandter Quellen vorliegt; die [23] Ableitungsverhältnisse treten schärfer hervor, die wichtigen Verhältnisse der nähern oder entfernteren Verwandtschaft können hier überhaupt erst eingreifen, die Fehler der einzelnen Hs. verlieren, wie wir noch näher zu erörtern haben werden, fast alle Bedeutung.

Das war nun wenigstens theilweise auch schon für die früheren Untersuchungen der Fall, und ich glaube, dass z. B. die von Homeyer, Stellung, 27—32 erörterten Textverhältnisse, welche sich aus Vergleichung des Ssp., Swsp., Weichbild, des Breslauer und Hamburger Rechts ergeben, entscheidender sind, als alle aus den Haltpunkten für die absolute Entstehungszeit des Ssp. gezogenen Schlüsse, dass sie allein vollkommen genügen, wenigstens für alle Stellen, welche sie treffen, und demnach aller Wahrscheinlichkeit nach auch für den ganzen Ssp. und Swsp. die Frage der Priorität endgültig zu entscheiden. Dennoch übergeht H. v. D. auch diesen Punkt mit Stillschweigen.

Tritt nun für den ganzen Umfang im Dsp. eine dritte nächstverwandte Quelle hinzu, so müsste es doch wirklich mit den Hülfsmitteln der Forschung sehr schwach bestellt sein, wenn sich nicht leicht und schlagend entscheiden lassen sollte, ob dieselbe auf einer Verarbeitung jener beiden beruhen kann, oder aber sich als Ausgangspunkt oder Mittelglied zu denselben verhalten muss, in welchem letztern Falle sich dann auch die Stellung der andern Quellen mit Sicherheit ergeben wird. Wie aber H. v. D. auf jene Erörterungen Homeyers nicht eingegangen ist, so auch nicht auf den Nachweis der von mir für den ganzen Umfang des Werkes dargelegten Verwandtschaftsverhältnisse der Texte. Er tritt demselben einfach mit der Behauptung entgegen, der Dsp. beruhe auf einer Ineinanderarbeitung des Ssp. und Swsp. Das ist nun freilich die einzige, mit seiner Ansicht über die Prioritätsfrage vereinbarte Annahme und ihm selbst mag das genügt haben, sich sein Urtheil über den Dsp. zu bilden. Soll aber ein solches Urtheil öffentlich geltend gemacht werden, so wird doch billigerweise auch ein Nachweis zu verlangen sein, wie dasselbe mit den von mir hervorgehobenen widersprechenden Textverhältnissen irgend vereinbar sei. Dazu aber ist nicht einmal ein ernstlicher Versuch gemacht; es sind lediglich wenige Einzelnheiten hervorgehoben, [24] auf welche wir zurückkommen; selbst im Falle gelungener Beweisführung würde sich aus ihnen nur ergeben, dass diese Punkte seiner Ansicht nicht nothwendig widersprechen, nicht aber, dass meine Annahme damit unvereinbar sei; es wird sich aber auch gerade bei diesen nachweisen lassen, dass bei Beachtung der sich durch das ganze Werk durchziehenden Textverhältnisse die versuchten Erklärungen völlig unstatthaft erscheinen müssen.

Fragen wir nun, worauf H. v. D. bei solchem Absehen von den Textverhältnissen seine Beweisführung stützt, so sind es insbesondere in der neuesten Schrift die Anhaltspunkte für die absolute Entstehungszeit, welche ganz in den Vordergrund treten.

Einmal, indem er nachzuweisen sucht, der Ssp. schildere einen Zustand insbesondere des Reichsstaatsrechts, wie er erst unter K. Rudolf bestanden haben könne. Ist dieser Beweis zu führen, so schliesst er freilich für den Ssp., wie er uns jetzt vorliegt, eine frühere Entstehungszeit aus. Ich habe aber schon angedeutet, dass eine solche Beweisführung überhaupt schwer mit genügender Sicherheit zu führen ist; und im gegebenen Falle hoffe ich nachweisen zu können, dass die von H. v. D. hervorgehobenen Momente gerade umgekehrt für eine frühere Entstehungszeit sprechen.

Weiter aber, indem er eine frühere Entstehungszeit desshalb in Abrede stellt, weil die Verfasserschaft Eike's und das frühere Bestehen einzelner staatsrechtlicher Verhältnisse nicht erwiesen sei. Diese Art der Beweisführung dürfte doch aufs entschiedenste zurückzuweisen sein. Ist zu erweisen, dass der Verfasser des Ssp. um 1230 lebte, dass der Verfasser einen nur um 1230 bestehenden Zustand schildert, so wird daraus zu schliessen sein, dass das Werk selbst um 1230 entstanden sei. Gewiss aber ist es unzulässig, das nun negativ dahin zu fassen: lässt sich jenes nicht erweisen, so ist auch der Ssp. nicht um 1230 entstanden. Nur der Beweis der Unmöglichkeit, dass der Verfasser schon um 1230 gelebt, das geschilderte Reichsstaatsrecht schon um 1230 bestanden haben könne, würde die Annahme der Entstehung um 1230 ausschliessen. Um aber zu erweisen, dass jener offenbar [25] unzulässige Schluss von H. v. D. wirklich geltend gemacht wird, genügt es, auf die S. 49 formulirten Fragen hinzuweisen, deren Beantwortung am geeigneten Orte erfolgen wird.

Demnach glaube ich es als unzulässig bezeichnen zu dürfen, eine Vermuthung über die Stellung verwandter Quellen aufzustellen, ohne dieselbe weder selbstständig aus den Textverhältnissen zu begründen, noch die aus diesen entnommenen Gründe für eine andere Stellung zu entkräften, weiter aber die Richtigkeit einer auch auf anderweitigen Gründen beruhenden Annahme über die Entstehungszeit einer Quelle desshalb in Frage zu stellen, weil äussere Anhaltspunkte nicht die Nothwendigkeit einer Entstehung in dieser Zeit ergeben. Dagegen erscheint mir für den gegebenen Fall der, wenn nicht einzig richtige, doch jedenfalls zuverlässigste Weg der, zunächst nach den Textverhältnissen, welche die sichersten Beweise an die Hand geben, die Stellung der betreffenden Quelle zu andern Quellen bekannter Entstehungszeit zu bestimmen, und dann erst zu fragen, wie die aus dem Inhalte sich ergebenden Anhaltspunkte für die absolute Entstehungszeit sich dazu verhalten. Zeigen sich hier Widersprüche, so mag das immerhin zu einer Revision der Beweisführung veranlassen können; zeigen sich solche nicht, so wird die Untersuchung zu einer Bestätigung und Ergänzung der frühern Resultate führen.

Die Angemessenheit eines solchen Weges, das Bedenkliche des umgekehrten kann doch keinem Zweifel unterliegen, wenn wir bedenken, wie wenig man sich noch über die hier ausschlaggebenden geschichtlichen Verhältnisse z. B. die Frage nach Entstehung der Kurfürsten, nach der böhmischen Kur hat einigen können. Daher ist es denn auch überaus erklärlich, dass von einem vorwiegend historischen Standpunkte, von blosser Vergleichung des Inhalts der Rechtsbücher mit den geschichtlichen Hergängen und Zuständen aus, die Frage immerhin noch als eine offene behandelt oder die Priorität des Swsp. vertheidigt werden kann. Um so dringender muss dann aber doch auch das Bedürfniss hervortreten, nach andern Anhaltspunkten die Prioritätsfrage zu möglichst sicherer Entscheidung zu bringen, um dann, da doch einmal die Geschichte allein nicht die genügenden Hülfsmittel [26] zur Aufklärung der Stellung der Rechtsbücher bietet, diese nach anderweitiger Bestimmung ihrer Entstehungszeit mit genügender Sicherheit zur Aufklärung der geschichtlichen Verhältnisse benutzen zu können.

4. Durchaus unzulässig muss es erscheinen, wenn H. v. D. in weitere Erörterungen als Beweismittel Ergebnisse hineinziehen möchte, welche gerade auf der von ihm bekämpften Ansicht beruhen, nur vom Standpunkte dieser aus insbesondere auch von Homeyer anerkannt sind und bei der Annahme der Richtigkeit der Ansicht des H. v. D. ihre Begründung ganz verlieren. Das geschieht insbesondere Dsp. 155 mit grosser Unbefangenheit. Wie kann H. v. D. denn noch beweisen, dass die Ambraser Hs. eine verkürzte ist, wenn nach seiner Annahme Ssp. und Dsp. auf dem Swsp. beruhen sollen, während doch Merkel vorzugsweise von der Priorität des Ssp., ich von der des Dsp. ausgehend ihre Autorität bestritten? Es bliebe, ihm nur etwa der von Merkel aus dem Verhältniss einzelner Stellen zur lex Alamannorum geführte Beweis, von welchem ich nicht weiss, ob H. v. D. ihn allein für stichhaltig anerkennen möchte. Und das Anerkenntniss Homeyers, die Entwicklung des Swsp. von der Urform ab sei vorwiegend auf eine Verkürzung hinausgegangen, gründet sich doch lediglich darauf, dass die vollern Formen des Swsp. dem Ssp. und insbesondere dem Dsp. näher stehen als die kürzern; sollen nun aber nach H. v. D. Ssp. und Dsp. auf dem Swsp. beruhen, so fällt nicht allein die ganze Voraussetzung, sondern es müsste vielmehr die entgegengesetzte Annahme der Erweiterung die wahrscheinlichere sein; wobei wir ganz davon absehen, dass hier zwischen einer Erweiterung der Kapitelzahl und einer solchen der Fassung der einzelnen Kapitel doch ein erheblicher Unterschied stattfindet. Diesem Vorgehen entspricht es, wenn H. v. D. nach der andern Seite hin gegen Gegner, welche gerade die Grundlage seiner Beweisführungen bekämpfen, Ergebnisse geltend macht, welche eben mit jener als richtig zu erweisenden Grundlage stehen und fallen; Beispiele auch dieses Vorgehens werden sich uns mehrfach darbieten.

Mag H. v. D. die hervorgehobenen Punkte auch nicht als geradezu unzulässig anzuerkennen geneigt sein; wenn er von [27] seinem Standpunkte aus nur das Geringere zugäbe, es sei möglich, dass für den Swsp. Vorstufen, wie er sie annimmt, nicht existirt hätten, es sei möglich, dass die Lex Baiuvariorum, Tancred und Ansegis die Materienfolge des Swsp. nicht bestimmt hätten, wenn er sich entschlösse, abgesehen von allen bisher für und wider gebrachten anderweitigen Gründen einmal lediglich die Textverhältnisse der drei Rechtsbücher genauer zu verfolgen, wozu ihm jetzt der Abdruck des Dsp. Gelegenheit bietet, so kann ich mir doch kaum denken, dass ihn diese nicht zu demselben Resultate führen sollten, zu welchem sie mich geführt haben.

B.

Habe ich es mir erlaubt, die Methode des Gegners in einzelnen Punkten als unzulässig zu bezeichnen, so dürfte schon daraus die Verpflichtung folgen, nun den Gang des eigenen Beweises möglichst erschöpfend darzulegen, auch anscheinend selbstverständliches nicht zu überspringen, um es so dem Gegner zu erleichtern, etwaige Lücken oder Missgriffe, welche die Beweiskraft schwächen könnten, nachzuweisen; und zwar um so mehr, als ich die Beweisführung wieder aufnehme, nicht um die Belege derselben zu vermehren, für welche Verweisungen auf die frühere Arbeit vollkommen zu genügen scheinen, sondern um sie übersichtlicher und folgerichtiger darzustellen, als das bei jener ihrem ganzen Zwecke nach statthaft war.

Bezeichnen wir den Ssp. mit S, den Dsp. mit D, den Swsp. oder das Landrechtbuch, wie ihn v. D. nennt, mit L, so ist die von mir behauptete Stellung der drei Quellen die, dass D auf S, L auf D beruht, also S — D — L, während nach der Annahme des H. v. D. S auf L, D aber auf L und S beruht, woraus sich der Zusammenhang

L - D
\ /
S

ergibt.

Da bisher keine andere Stellung geltend gemacht wurde, so könnte ich mich für den nächsten Zweck darauf beschränken, die Unmöglichkeit der Annahme des H. v. D. zu erweisen. Dadurch wäre aber dritten gegenüber nur eine vorläufige Vermuthung für [28] die Richtigkeit meiner Annahme gewonnen, nicht schon der Beweis derselben auch allen andern möglichen Stellungen gegenüber geliefert.

Dieses Bedenken würde bei einem andern Beweisgange fortfallen, wenn es mir nämlich gelänge, meine Annahme unmittelbar als richtig zu erweisen, wodurch mit der Annahme des H. v. D. auch alle andern möglichen Fälle beseitigt sein würden. Eine solche directe Beweisführung wird allerdings die nächstliegende sein, so lange eine Geltendmachung anderer Annahmen bei einer Uebereinstimmung über die wesentlichsten Grundlagen nicht zu erwarten ist; doch tritt bei ihr der Nachweis, dass andere mögliche Stellungen mit den Textverhältnissen nicht gleichfalls vereinbar seien, zu wenig bestimmt hervor, um insbesondere da, wo eine solche Uebereinstimmung nicht besteht, genügen zu können.

Der sicherste und für Dritte überzeugendste Gang des Beweises dürfte der sein, zunächst alle möglichen Stellungen dreier verwandten Quellen überhaupt zu ermitteln, dann aber für den gegebenen Fall die Unmöglichkeit aller bis auf die eine zutreffende nachzuweisen; endlich etwaige scheinbare Widersprüche gegen die einzig mögliche Stellung genügend zu erklären. Gelingt die Durchführung eines solchen Beweises, so ist er unzweifelhaft der überzeugendste.

Einen solchen Beweisgang schlug Homeyer zur Bestimmung der Stellung des Auctor vetus, des Sächsischen Lehnrechts und des Görlitzer Lehnrechts ein und stellte dabei Sachsensp. 2 b, 27 ein Schema der neun möglichen Stellungen auf, welche drei Quellen ohne Berücksichtigung eines vierten unbekannten Gliedes und ohne Berücksichtigung von Doppelverwandtschaften einnehmen können, indem eine durchgehende Beachtung der untergeordneteren Stellungen durch seinen Zweck nicht erfordert war. Für den gegebenen Fall durfte ich mich einer solchen nicht entziehen; schon die Annahme des H. v. D. zeigt den Fall einer Doppelverwandtschaft; es war dann nur ein Schritt weiter, auch das Hinzutreten eines vierten unbekannten Gliedes in Rechnung zu ziehen, zumal ich auf eine solche Möglichkeit schon in der frühern Arbeit Rücksicht nehmen musste. Erscheinen damit alle [29] möglichen Stellungen, welche drei bekannte Glieder zu einander einnehmen können, erschöpft, so weit sie überhaupt nachweisbar sind, so dürfte ein solches Schema vielleicht auch Anderen bei ähnlichen Untersuchungen einige Erleichterung gewähren.

Drei verwandte Quellen können, wenn keine vierte unbekannte hinzutritt und keine Doppelverwandtschaft stattfindet, sich nur so verhalten, dass entweder aus einer ersten eine zweite, aus dieser eine dritte hervorgegangen ist, oder aber dass aus je einer die beiden andern selbstständig[WS 3] abgeleitet sind. Danach ergeben sich die einzelnen Fälle:

1. S — D — L. 2. S — L — D. 3. D — S — L.

4. D — L — S. 5. L — S — D. 6. L — D — S.

7.
S
/ \
D L
8.
D
/ \
S L
9.
L
/ \
S D


Die Verwandtschaft der drei Quellen kann nun aber auch durch ein viertes unbekanntes Glied vermittelt sein. Dieses wird die Stellung der drei bekannten Glieder so lange nicht ändern, als es zu einer der genannten neun Stellungen als gemeinsames Ausgangsglied oder als Mittelglied für nur zwei der bekannten Glieder hinzutritt. Ist z. B. der Fall S — D — L erwiesen, so werden sich vielleicht weitere Gründe für die Annahme x — S — D — L finden, wo uns x etwa eine dem Auctor vetus entsprechende verlorne Quelle des sächsischen Landrechts bezeichnen mag; oder für die Annahme S — x — D — L, wo uns x einen schon vermehrten, aber noch niederdeutschen Ssp., wie er dem Dsp. zur Grundlage gedient haben muss, bezeichnen kann; aber die eine, wie die andere, wird die Richtigkeit der Stellung S — D — L so wenig berühren, als das Zwischentreten von D die Richtigkeit des früher angenommenen Ableitungsverhältnisses S — L berührte.

Eine wesentlich andere Stellung der drei bekannten Glieder ergibt sich nur dann, wenn mehrere von ihnen unmittelbar aus x abgeleitet sind, da damit keine jener neun Stellungen vereinbar ist.

[30] Es können nun aber alle drei bekannte Glieder unmittelbar aus x abgeleitet sein:

10.
x
/ | \
S D L

oder nur zwei, und zwar entweder so, dass x selbst auf dem dritten beruht:

11.
S
|
x
/ \
D L
12.
D
|
x
/ \
S L
13.
L
|
x
/ \
S D

oder so, dass das dritte auf einem der aus x abgeleiteten beruht:

14.
x
/ \
S L
|
D
15.
x
/ \
D L
|
S
16.
x
/ \
S D
|
L
17.
x
/ \
L D
|
S
18.
x
/ \
D S
|
L
19.
x
/ \
L S
|
D

Es könnte sich nun fragen, ob nicht das Hinzutreten eines fünften unbekannten Gliedes noch andere beachtenswerthe Stellungen der drei bekannten Glieder herbeiführen könne. Diese Frage wird zu verneinen sein. Die Fälle, wo es als Ausgangspunkt oder als nur zwei der andern Glieder verbindend auftritt, erledigen sich schon durch das vorhin Gesagte. Danach bliebe als einzig beachtenswerthe Stellung:

10 b.
x
/ \
y L
| \
S D

u. s. w.; diese wird aber für die Forschung ganz mit der Stellung 10. zusammenfallen. Denn einmal ist die Stellung der bekannten Glieder wesentlich dieselbe, die nämlich, dass keines derselben aus einem der andern, sondern alle aus einem vierten unbekannten Gliede abgeleitet sind. Weiter aber wird, wie ich denke, die Forschung kaum jemals im Stande sein, das nothwendige Vorhandensein des Gliedes y zu konstatiren, so lange x wirklich ein völlig unbekanntes Glied ist, auf dessen Existenz lediglich die Textverhältnisse der bekannten Glieder schliessen lassen. Nehmen wir an, [31] der Text L sei lateinisch, die Texte S und D seien deutsch und zwar in ihrer Fassung so nahestehend, dass sie zwar nicht auf einander beruhen, aber auch nicht selbstständig aus dem Lateinischen übersetzt sein können, so würde allerdings neben einem lateinischen x auch ein deutsches y nothwendig anzunehmen sein. Ein lateinisches x wäre aber schon kein völlig unbekanntes Glied mehr; und bei einem sich lediglich auf die Textverhältnisse von S, D, L stützenden Schlusse könnte x ebensowohl deutsch gewesen und L aus ihm übersetzt sein, wodurch die Nothwendigkeit der Annahme eines y ganz fortfallen würde. Nun ist freilich im angenommenen Falle unter besonders günstigen Verhältnissen die Möglichkeit des Nachweises, L könne in keiner Weise aus einem deutschen x übersetzt sein, und damit die Nothwendigkeit der Annahme eines y nicht zu bestreiten; aber das zu untersuchen würde doch erst an der Zeit sein, wenn überhaupt schon festgestellt wäre, dass keins der bekannten Glieder auf dem andern beruhen könne, also die Stellung 10. oder 10b. stattfinden müsse, welche für die nächste Aufgabe offenbar zusammenfallen; ergibt die Untersuchung die Unmöglichkeit der Stellung 10., so ist dadurch auch 10 b. ausgeschlossen.

Ein sechstes unbekanntes Glied würde überhaupt nie in Rechnung zu bringen sein, da es nur als Ausgangspunkt oder als nur zwei Glieder verbindendes Mittelglied hinzutreten könnte.

Beachtenswerthe Modifikationen der Stellung sind dann aber noch durch die Annahme von Doppelverwandtschaften bedingt, die Annahme, dass eine Quelle auf zwei andern unter sich schon verwandten beruht; denn der Fall des Beruhens einer Quelle auf zwei nicht mit einander verwandten Quellen gehört natürlich nicht hieher, da dann nicht mehr drei verwandte, sondern eigentlich zwei Paare verwandter Glieder vorlägen. Die Verwandtschaft der beiden frühern Glieder kann aber darauf beruhen, dass das eine aus dem anderen abgeleitet ist; dann ergeben sich entsprechend den Fällen 1—6 die möglichen Stellungen:

20.
S
/ |
D |
\ |
L
21.
S
/ |
L |
\ |
D
22.
D
/ |
S |
\ |
L
23.
D
/ |
L |
\ |
S
24.
L
/ |
S |
\ |
D
25.
L
/ |
D |
\ |
S

[32] oder aber ihre Verwandtschaft kann auf einem vierten unbekannten beruhen:

26.
x
/ \
S D
\ /
L
27.
x
/ \
S L
\ /
D
28.
x
/ \
D L
\ /
S

Aus der Annahme des Zurückgreifens auf das unbekannte Glied würden sich noch die Fälle:

14 b.
x
/ | \
S | L
\ |
D
u.s.w. 26 b.
x
/ | \
S | D
\ | /
L
u.s.w.

ergeben; diese fallen aber für die Untersuchung in ähnlicher Weise mit den Stellungen 14 u. s. w. und 26 u. s. w. zusammen, wie 10 b. u. s. w. mit dem Falle 10.

So weit ich sehe, sind durch die genannten 28 Fälle alle möglichen nachweisbaren Stellungen erschöpft, welche drei bekannte Glieder zu einander einnehmen können; auf einen dieser Fälle muss die Untersuchung gelangen, wenn überhaupt zu ihrer Durchführung genügende Anhaltspunkte vorhanden sind.

Die Beweisführung wird nun dahin zu streben haben, einzelne Verhältnisse, in welchen zwei oder alle drei Glieder zu einander stehen, nachzuweisen, mit welchen ein Theil jener Fälle unvereinbar ist, so dass nur noch die übrigbleibenden weiter zu beachten sind, und dieses so lange zu wiederholen, bis nur noch ein einziger Fall mit den nachgewiesenen Verhältnissen vereinbar ist.

Anhaltspunkte dafür könnte uns alles geben, was uns über Zeit und Ort der Entstehung, über die Verfasser der Quellen und ähnliche äussere Verhältnisse bekannt ist. Ist z. B. nachzuweisen, dass eine erste Quelle in einer frühern, eine zweite in einer spätern Zeit abgefasst wurde, so sind damit alle Fälle beseitigt, welche eine Ableitung der ersten aus der zweiten voraussetzen; weisen die gemeinsamen Bestandtheile einer oberdeutschen und einer niederdeutschen Quelle auf Sachsen als [33] Entstehungsort, so werden schwerlich noch Fälle zu berücksichtigen sein, welche die oberdeutsche als Quelle der niederdeutschen voraussetzen. Aber schon früher haben wir darauf hingewiesen, wie leicht hier ein Irrthum möglich, und uns dafür ausgesprochen, wie es weit sicherer sei, von allem abzusehen, was sich uns über die Entstehungsart der Quellen, insbesondere die Entstehungszeit, aus ihnen selbst zu ergeben scheint oder uns anderweitig darüber mitgetheilt ist, und statt dessen lediglich die Textverhältnisse derselben zu verfolgen.

Können dabei die Modifikationen des verwandten Inhaltes beachtenswerth werden, so werden uns doch vor allem Uebereinstimmung und Abweichung in der äussern Form die sicherste Richtschnur bieten. Ist der Stoff selbst wenigstens für geschichtliche Werke im weitern Sinne ein von aussen gegebener, kann dadurch bei ihm auch ohne Verwandtschaft sich Uebereinstimmung ergeben, so ist die äussere Form etwas so ganz der subjektiven Willkür des Einzelnen anheimfallendes, dass grössere Uebereinstimmung in derselben nicht leicht Werk des Zufalls sein kann; sie wird daher vor allem dazu dienen, die wirklich stattfindende Verwandtschaft mehrerer Quellen zu erweisen.

Da, wo es sich nur um die Stellung von zwei Gliedern handelt, können uns die völlig übereinstimmenden Bestandtheile des Textes überhaupt nicht weiter führen, als bis zum Nachweis der Verwandtschaft; das Uebereinstimmende kann S ebensowohl aus L, als L aus S, oder beide aus x entnommen haben.

Dagegen werden beim Vorliegen von drei Gliedern die übereinstimmenden Textbestandtheile aller zwar auch nur die Verwandtschaft überhaupt darthuen, dafür aber die aus den nur in zwei Gliedern übereinstimmenden Bestandtheilen sich ergebenden nähern Verwandtschaftsverhältnisse je zweier Glieder gegenüber dem dritten die Zahl der möglichen Stellungen sehr beschränken. Zeigen S und D Uebereinstimmendes, wo L abweicht, so müssen beide in irgend einer unmittelbareren, nicht durch L vermittelten Verwandtschaft stehen, und es sind alle Stellungen ausgeschlossen, bei welchen sich eine solche unmittelbarere Verwandtschaft nicht zeigt. Ebenso dürfen wir schliessen, zeigen weiter S und L nirgends Uebereinstimmung, wo nicht [34] auch D eine solche zeigt, so kann zwischen S und L keine unmittelbarere Verbindung bestehen, denn es ist unmöglich anzunehmen, dass sich eine solche nicht irgendwie bei der Textgestaltung sollte geltend gemacht haben; es sind demnach alle Stellungen ausgeschlossen, welche eine solche Verbindung voraussetzen.

Die Fortsetzung dieses Verfahrens wird uns freilich nie ganz zum Ziele, zur Beschränkung auf einen möglichen Fall führen können; sie wird im günstigsten Falle nur ergeben können, dass ein Glied z. B. D in irgend einer Weise die beiden andern verbinden, eine Mittelstellung im weitern Sinne einnehmen müsse, eine weitere unmittelbarere Verbindung zwischen den beiden andern aber nicht bestehen könne; und damit wären noch immer die Fälle 1. 6. 8. 15. 18. 27 vereinbar.

Um die Untersuchung zu Ende zu führen, wird noch immer ein anderes hinzukommen müssen, nämlich der Nachweis bestimmter Ableitungsverhältnisse. Bei im allgemeinen übereinstimmenden Texten werden uns einzelne auf Zufall oder Absicht beruhende Abweichungen in vielen Fällen ergeben, wo wir die ursprünglichere, wo die abgeleitete Fassung zu sehen haben; wenigstens in einzelnen Stellen wird sich mit Bestimmtheit behaupten lassen, dass etwa D auf S beruhen müsse, oder wenigstens S nicht auf D beruhen könne, oder auch weder S auf D, noch D auf S beruhen könne; und kehren solche Stellen mit übereinstimmendem Ableitungsverhältnisse häufig genug wieder, um uns einen sichern Massstab für das ganze Werk zu geben, so sind dadurch alle dem betreffenden Ableitungsverhältnisse widersprechenden Stellungen beseitigt.

Dieser Weg wird immer zum Ziele führen, unter der Voraussetzung freilich, dass es an genügenden Entscheidungspunkten nicht fehle. Nehmen wir an, es seien durch Untersuchung der Verwandtschaftsverhältnisse die möglichen Fälle auf 1. 6. 8. 15. 18. 27 bereits beschränkt, so würde der Nachweis, dass D auf S beruhen müsse, nur noch 1. und 27. offen lassen, der weitere Nachweis aber, dass D nicht auf L beruhen könne, die Frage für die Stellung 1. entscheiden. Es stände theoretisch überhaupt nichts im Wege, sich nur an die Ableitungsverhältnisse zu halten, [35] durch welche das Ziel jedenfalls schneller erreicht würde; sicherer führen uns aber die Verwandtschaftsverhältnisse, für welche die Entscheidungsgründe sich fast immer leicht und schlagend herausstellen, während sich dieselben für die Verhältnisse der Ableitung keineswegs immer mit derselben Leichtigkeit und Sicherheit ergeben. Die Eigenthümlichkeiten des einzelnen Falles müssen entscheiden, wie vorzugsweise von diesen oder jenen aus vorzugehen sein dürfte.

C.

Ist es nun unsere Aufgabe, die im allgemeinen entwickelte Methode auf den vorliegenden Einzelfall, die Bestimmung der Stellung des Schwabenspiegel zum Sachsenspiegel und Deutschenspiegel nämlich, anzuwenden und durch den Nachweis einzelner Verwandtschafts- und Ableitungsverhältnisse zwischen Ssp., Dsp. und Swsp. die Zahl der möglichen Stellungen dreier verwandter Quellen auf die eine hier zutreffende einzuschränken, so dürfte bei Feststellung des Planes, nach welchem vorzugehen, ein Doppeltes zu beachten sein.

Einmal dürfte es sich empfehlen, bei der Beweisführung wo möglich von dem Ableitungsverhältnisse S — L, welches bei der frühern Arbeit einen Hauptausgangspunkt bildete, ganz abzusehen; denn die für dasselbe früher vorgebrachten Beweise sind von H. v. D. als genügend nicht anerkannt; und liessen sich nun diese Beweise auch stärken, so wird doch jedenfalls für den nächstliegenden Zweck der Beweis nur um so überzeugender wirken können, wenn jenes vorzugsweise bestrittene Verhältniss bei der Beweisführung ganz unberührt bleibt.

Andererseits wird es sich natürlich empfehlen, zunächst von den Textverhältnissen auszugehen, über welche eine Verschiedenheit der Ansicht gar nicht besteht. Die von H. v. D. angenommene Stellung 24. und die von mir vertheidigte Stellung 1. stimmen darin überein, dass D in einer unmittelbaren, nicht durch L vermittelten Verwandtschaft zu S, weiter ebenfalls in einer nicht durch S vermittelten Verwandtschaft zu L steht, und endlich aus S abgeleitet ist. Doch dürfte es zweckmässig sein, auch diese Verhältnisse nicht lediglich als bewiesen hinzustellen, [36] sondern, um den Beweis möglichst vollständig durchzuführen, auch für sie die Beweisgründe zusammenzustellen.

a.

Die nähere Verwandtschaft des Ssp. und Dsp. gegenüber dem Swsp. ergibt sich insbesondere aus folgenden Punkten:

1. Für den ganzen Umfang des Werkes schliesst sich D in seiner Materienfolge eng an S an, während L in manchen Einzelnheiten, insbesondere aber durch eine andere Einordnung des Reichsstaatsrechts von S bedeutend abweicht. Vgl. F. Dsp. S. 27. 32. (139. 144.)

2. Die Reimvorrede findet sich nur in S und D. S. 18. (130.)

3. Im zweiten Theile des Landrechts, dann im ganzen Lehnrecht verhalten sich S und D wesentlich nur als Uebersetzung zu einander, während L einen sehr abweichenden, insbesondere viel umfangreicheren Text bietet. S. 60. 88. (172. 200.)

4. Auch im ersten Theile des Ldr., wo sich L und D zunächst stehen, nähern sich S und D gegenüber L durch gemeinsames Weniger, S. 28. 52. (140. 164.), und Mehr, S. 29. 55. (141. 167.), von L abweichende gemeinsame Eintheilungen, S. 39. 47. (151. 159.), und insbesondere dadurch, dass, wenn der Text in D von L abweicht, derselbe sich durchweg in seiner Fassung S bedeutend nähert.

Dadurch sind von den möglichen Stellungen alle diejenigen ausgeschlossen, nach welchen die Verwandtschaft zwischen S und D eine nur durch L vermittelte wäre, also die Fälle 2. 4. 9. 17. 19.

b.

Die nähere Verwandtschaft des Dsp. und Swsp. gegenüber dem Ssp. ergeben folgende Umstände:

1. Gegenüber der niederdeutschen Mundart in S zeigen D und L im ganzen Umfange des Werkes die oberdeutsche und zwar in so übereinstimmender Fassung, dass ihre Verwandtschaft nicht durch einen niederdeutschen Text vermittelt sein kann.

2. Im ganzen Umfange des Werkes fehlen in D wie in L vielfach die spezifisch sächsischen Beziehungen und Bestandtheile [37] von S, oder sie erscheinen verallgemeinert. S. 21. 22. 85. 87. (133. 134. 197. 199.)

3. Im ersten Theile des Ldr. schliesst sich D in seinem Texte der Fassung von L meistentheils fast wörtlich an oder nähert sich derselben wenigstens ungleich mehr als S. S. 43. 45. (155. 157.)

4. Im zweiten Theile des Ldr. und im Lhr. zeigen sich trotz des engen Anschliessens von D an S dennoch dem letztern gegenüber auch D und L als näher verwandt durch übereinstimmende Verschiebungen, S. 32. (144.), durch übereinstimmendes Mehr und Weniger sowohl bei Vergleichung mit dem Gesammttexte, als mit den einzelnen einfacheren und volleren Formen von S, S. 64. 66. 91. 92. (176. 178. 203. 204.),. überhaupt durch eine Reihe gemeinsamer Abweichungen von S, auf welche wir zurückkommen.

Dadurch sind denn auch die Stellungen beseitigt, nach welchen die Verwandtschaft zwischen L und D nur durch S vermittelt wäre, nämlich die Fälle 3. 5. 7. 14. 16.

c.

Für die Ableitung des Dsp. aus dem Ssp. spricht:

1. D zeigt sich S verwandt nicht lediglich in Bestandtheilen, welche schon der einfachsten und nach den unzweifelhaftesten Kennzeichen auch ursprünglichsten Form von S angehören, sondern auch in solchen, welche Eigenthümlichkeiten späterer, abgeleiteter Formen von S sind. S. 67. 89. (179. 201.) Es würde demnach die Annahme einer Ableitung von S aus D oder beider aus einer dritten gemeinsamen Quelle einerseits mit den bisherigen Ansichten über die Textentwicklung von S im Widerspruche stehen, während andererseits der Versuch, sich von dieser Annahme aus eine andere Textentwicklung zu vergegenwärtigen, auf Ungereimtheiten führen müsste, welche ich hier zunächst wohl nur andeuten, nicht näher verfolgen darf, zumal das Verhältniss S — D überhaupt nicht bestritten ist. (Vgl. unten V.)

2. Fast alle Abweichungen zwischen S und D ergeben da, wo beide sonst nächstverwandt sind, für den Text von S die Zeichen ursprünglicherer Richtigkeit, für D die der Korruption [38] oder doch der Aenderung, nicht etwa umgekehrt für D die Zeichen ursprünglicherer Mangelhaftigkeit, für S die der Emendation. So gibt sich das Mehr in D durch Durchschneidung von Sätzen in S, S. 32. (144.), durch Unvereinbarkeit mit andern Angaben des Textes, S. 93. (205.), als Zusatz, das Weniger dagegen durchweg als unzweifelhafte Lücke zu erkennen, S. 78. 95. (190. 207.); bei abweichenden Abtheilungen ist in D der richtige Sinn gestört, S. 38. (150.); es zeigt D irrigen und ungereimten Text, welcher nur bei Uebertragung aus dem niederdeutschen Text von S ins Oberdeutsche entstanden sein kann, S. 83. 103. (195. 215.); es findet sich endlich vor allem in D eine Reihe offenbarer Lücken und Missverständnisse, welche sich nur durch eine höchst oberflächlich vorgenommene Beseitigung spezifisch sächsischer oder antiquirter Bestandtheile des Textes von S erklären lassen. S. 86. (198.)

Dadurch fallen alle mit dem Ableitungsverhältnisse S — D unvereinbaren Fälle, nämlich ausser 3. 4. 9. 16. 17. 19., welche auch schon früher getroffen waren, noch 6. 8. 10. 12. 13. 15. 18. 22. 23. 25. 26. 28.

d.

Es sind demnach auf Grundlage der allseitig anerkannten Textverhältnisse die möglichen Stellungen schon auf folgende sechs zurückgeführt:

1.
S
|
D
|
L
11.
S
|
x
/ \
D L
20.
S
/ |
D |
\ |
L
21.
S
/ |
L |
\ |
D
24.
L
/ |
S |
\ |
D
27.
x
/ \
S L
\ /
D

Von diesen würden sich durch den Nachweis, dass L aus D abgeleitet sein müsse, 11. 21. 24. 27. beseitigen; da aber hier der Punkt erreicht ist, von wo ab die Richtigkeit des früher geführten Beweises bestritten ist, so dürfte es sich empfehlen, langsamer vorzugehen und zunächst nur so viel zu beweisen, als hinreicht, um die vom Gegner behauptete Stellung 24. zu beseitigen; dazu genügt schon der Nachweis, dass D nicht aus L abgeleitet sein könne, wodurch sich alle Fälle beseitigen, welche [39] von der Annahme ausgehen, D sei aus S und L zusammengearbeitet, also 21. 24. 27.

Die Unmöglichkeit der Ableitung des Dsp. aus dem Swsp. ergibt sich aufs bestimmteste aus der Reihe von Ungereimtheiten, auf welche eine solche Annahme uns führen würde, mögen wir nun den Text des Dsp. mit dem Swsp. im allgemeinen, oder mit den einzelnen Formen desselben, oder mit dritten gemeinsamen Quellen, oder endlich vor allem mit dem Swsp. und dem Ssp. zugleich vergleichen.

1. Für den Text in D verglichen mit dem Texte von L, wie ihn alle oder die besten Hss. übereinstimmend zeigen, ergeben sich vielfach die bestimmtesten Zeichen der grössern Ursprünglichkeit. Denn:

a. Die durchgehends einfachere Fassung in D scheint zugleich die ursprünglichere zu sein, da die Dehnung der Fassung dem gewöhnlichen Verfahren der Schriftsteller jener Zeit mehr entspricht und an und für sich das Wahrscheinlichere ist, da das Zusammenziehen der Fassung bei wesentlich gleichem Inhalte immer grösseres Geschick erfordern wird. S. 35. 44. (147. 156.) Umgekehrt erklärt sich der einzige erhebliche Fall kürzerer Fassung in L leicht dadurch, dass er einen rein historischen Abschnitt trifft, welcher für den Hauptzweck des Rechtsbuches ohne Bedeutung ist. S. 49. (161.) Als irgend entscheidendes Moment möchte ich freilich diesen Umstand nie geltend machen; so überzeugend hier auch der Gesammteindruck der verglichenen Texte auf den unbefangenen Forscher wirken mag, wird einmal überhaupt darüber gestritten, ob hier Verkürzung der Fassung, oder dort Erweiterung derselben stattgefunden habe, so wird es immer schwer, wenn nicht unmöglich sein, schlagende Beweise aus den Texten allein für die eine oder die andere Annahme zu führen; gibt uns doch die Ambraser Hs. auch für die Geschichte der Rechtsbücher ein freilich sehr vereinzeltes Beispiel durchweg verkürzter Fassung. S. 112. (228). Andererseits glaube ich aber auch mit Rücksicht auf v. D. Dsp. 156 bemerken zu sollen, dass mir der Unterschied zwischen einer grosse Umsicht erfordernden Zusammenziehung der Fassung einzelner Abschnitte und Sätze einerseits und einer wohl oft nur durch Abschreiberbequemlichkeit [40] herbeigeführten Verkürzung des ursprünglichen Bestandes eines Werkes durch einfaches Auswerfen von Abschnitten und Sätzen andererseits ein sehr bedeutender scheint und ich wenigstens, wenn ich in Folge meiner Untersuchungen behauptete, dass die Geschichte des Swsp. vorwiegend eine Verkürzung von der Urform ab ergäbe, dabei lediglich das letztere im Auge hatte.

b. Während das Mehr in D sich nirgends als Zusatz zu L, in vielen Fällen dagegen bestimmt als ursprüngliche Vollständigkeit erweist, S. 54. 56. 57. (166. 168. 169.), so erweist sich das Mehr in L häufig aufs bestimmteste als Zusatz zu dem in D erhaltenen Texte, indem es den Gedankengang unterbricht, S. 28. (140.), als Glossem, S. 52. (164.) oder Wiederlegung (vgl. L 51 mit D 48) oder Wiederholung, S. 28. 30. (140. 142. vgl. auch L 59. 86. 87 mit D 55. 78.) auftritt oder sich eine Unsicherheit in der Stellung des Mehr und in dem begleitenden Texte zeigt, S. 52. (164.).

c. Während das Weniger in D sich, von blossen Abschreibernachlässigkeiten abgesehen, beim Vergleiche mit L nirgends als Lücke erweist, S. 52. (164.), gibt sich das Weniger in L oft sehr bestimmt als Lücke zu erkennen, da sich in L Beziehungen auf ihm selbst fehlende Bestandtheile des Textes von D finden, S. 31. 55 (143. 167), zu dem Weniger eine Unsicherheit des einschliessenden Textes tritt, S. 54 (166), das Fehlen sich mehrfach trotz des Uebereinstimmens der Hss. von L als offenbares Versehen darstellt, S. 56 (168), der Sinn das Fehlende erfordert, S. 57 (169), in andern Fällen sich wohl ein genügender Grund für ein Fallenlassen in L, nicht aber für ein Zusetzen in D ergibt, S. 57. 58 (169. 170).

d. Bei abweichender Materienfolge scheint die richtigere Stellung in D eine Verschiebung in L zu ergeben, S. 27 (139.)

2. Vergleichen wir den Text von D mit dem der verschiedenen Rezensionen, in welchen uns L vorliegt, so zeigt er zu keiner derselben ein stetiges Anschliessen, welches die Annahme zuliesse, er sei aus dieser oder jener der uns bekannten Formen abgeleitet. Ich habe Beispiele gegeben, wie in den einzelnen Stellen und Worten D bald mit der Lassbergischen, bald mit der Ambraser, der Schnalser, der Züricher, der Freiburger Hs. [41] oder mit den Berliner Fragmenten des Swsp. näher übereinstimmt, S. 54. 56. 114. 124. 129. 137. (166. 168. 230. 240. 245. 253); und doch würden alle diese Hss. noch nicht hinreichen, das möglichst nahe Herantreten aller Einzelnheiten in D an L in der Gesammtheit aller seiner Formen nachzuweisen; für manche Ausdrücke ergeben erst andere, bei Wackernagel verglichene Texte die nächste Uebereinstimmung, und es muss danach höchst wahrscheinlich sein, dass für manche Einzelnheiten in D, welche wir nach den uns jetzt bekannten Texten in L nicht nachweisen können, sich in den noch unverglichenen Uebereinstimmung ergeben würde. Dieses Verhältniss mit der Annahme L — D in Verbindung zu setzen, dürfte nur durch zwei Annahmen möglich sein, von welchen mir die eine so unstatthaft scheint, wie die andere:

a. D müsste nicht allein aus S und L, sondern sogar aus allen uns bekannten Rezensionen von L seinen Text mosaikartig zusammengesetzt haben, es müsste zur Bildung selbst einzelner Sätze seines Textes das eine Wort aus einer zur Familie der Lassbergischen Hs., das zweite aus einer zur Familie der Ambraser Hs. gehörigen Hs., weitere wieder aus dieser und jener andern Form entnommen haben. Die Vertretung dieser Annahme zu übernehmen dürfte schwerlich jemand geneigt sein.

b. Ein Text des Swsp., welcher uns das bei D stattfindende Verhältniss andern Formen gegenüber zeigte, würde uns, möchte der Werth der Hs., in welcher er erhalten wäre, nach Alter und Korrektheit auch ein noch so geringer sein, unzweifelhaft als der ursprünglichste erscheinen müssen, da er sich aus keiner der andern Formen, alle andern aber aus ihm ableiten lassen würden. D selbst müsste also wenigstens unmittelbar aus dem ursprünglichsten Texte von L abgeleitet sein, was an und für sich nichts Auffallendes hätte; völlig unglaublich müsste es aber doch sein, dass bei allen Versetzungen mit Bestandtheilen von S, bei allen Verkürzungen und anderweitigen Aenderungen, welche der Text in D erlitten haben müsste, diese Ableitung aus dem ursprünglichsten Texte von L so erkennbar geblieben sein sollte, dass D sich durchweg in seinem Wortlaute noch immer näher an den Urtext von L anschlösse, als dieses bei irgend einer der den [42] Text von L in seinem wesentlichen Bestande umgeändert enthaltenden Hss. der Fall sein könnte. Auch bezüglich der Abweichungen im Mehr und Weniger der Kapitel, wie sie sich bei den verschiedenen Formen von L so sehr geltend machen, würde die Annahme L — D mannichfache Schwierigkeiten bieten, während ich glaube nachgewiesen zu haben, dass die Annahme D — L den Zusammenhang der Formen auch in dieser Richtung genügend erklärt.

3. Wo L und D in einzelnen Stellen auf gemeinsame dritte Quellen zurückgehen, zeigt L nicht allein keine grössere Annäherung an diese, sondern es ergibt sich auch eine nähere Verwandtschaft für D. S. 35. 51 (147. 163.). Die Annahme L — D würde demnach zu der Unwahrscheinlichkeit führen, dass D für vereinzelte Stellen auf die gemeinsame Quelle zurückgegriffen hätte.

4. Wollen wir auch die Beweiskraft aller bisher erörterten Umstände dahinstellen, so sollte doch jeder Zweifel schwinden, wenn wir noch S zur Vergleichung heranziehen. Da D, wie bewiesen und nicht bestritten ist, auf S beruht, so müsste es, soll es auch auf L beruhen, aus beiden zusammengearbeitet sein. Das Vorgehen dabei müsste nun folgendes gewesen sein:

a. D hätte den ersten Theil seines Landrechts wesentlich dem ausführlicheren L, den zweiten Theil und das Lehnrecht wesentlich S entnommen, sich aber dort durch S, hier durch L zu fortwährenden Aenderungen bestimmen lassen. Eine irgend genügende Erklärung eines so auffallenden Verfahrens vermag ich wenigstens nicht abzusehen, S. 31 (141). Am wenigsten dürfte es sich erklären: „aus dem einfachen Grunde, dass die Versetzung des Mittelstückes L 118 bis einschliesslich 173 von S 2, 12 an das Ende S 3, 52 dem Bearbeiter den bis dahin in die Augen fallenden Parallellismus unkenntlich machte, da das, was hinter L 117 folgt, ganz von dem, was in S 2, 13 folgte, abwich.“ (v. D. Dsp. 42). Diese Erklärung könnte sehr zutreffend scheinen, aber freilich nur unter der Voraussetzung, dass nun mit L 118 die nähere Verwandtschaft zwischen L und D überhaupt aufhörte; nun wies aber doch meine Arbeit bestimmt genug darauf hin, wie auch im zweiten Theile D fast bei jedem [43] Abschnitte L vor Augen gehabt, ihm also der Parallellismus beider Rechtsbücher überaus genau bekannt gewesen sein müsste.

b. Vergleichen wir D mit den bisher als Norm betrachteten Formen von L und mit S, so schliesst es sich im ersten Theile auch in seiner Materienfolge durchweg an L an, zeigt aber auch einzelne Artikel S nach Inhalt und Einordnung durchaus entsprechend, welche L fehlen. S. 29. 30. 31 (141 ff.) D müsste also:

α. diese Artikel aus S zugesetzt haben, was natürlich nicht auffallen kann.

β. Es müsste diese Artikel dem Texte von L ganz genau an dem Orte eingefügt haben, an welchen sie der Anordnung von S gemäss fallen würden. Ein solches Verfahren wird für Werke, bei welchen die Materienfolge nicht etwa durch den leicht wiederherstellbaren Faden der Zeitfolge, sondern durch eine oft sehr lose Gedankenverbindung bedingt ist, durchaus unwahrscheinlich sein; die Geschichte der Rechtsbücher gibt uns viele Beispiele, dass bei späteren Rezensionen Bestandtheile älterer, welche inzwischen ausgefallen waren, wieder aufgenommen wurden; aber es ist mir kein Beispiel bekannt, dass ihnen dabei zugleich ihre ursprüngliche Stellung wieder angewiesen worden wäre.

γ. Der Verfasser müsste zugleich diese wiederaufgegriffenen Artikel durch eine erweiternde Umarbeitung in eine dem sonstigen Textverhältnisse zwischen L und S entsprechende Form gebracht haben, ein Verfahren, welches am wenigsten einem Verfasser zuzutrauen sein dürfte, welcher später die Artikel aus S nur übersetzt.

Dabei ist nun freilich zu bemerken, dass dieser, aber auch fast nur dieser Grund gegen die Priorität von L fortfällt, wenn nicht etwa der Text der Lassbergischen oder Ambraser Hs., sondern der der Freiburger Hs. als der ursprünglichste betrachtet wird. Aber H. v. D. gegenüber, welcher die von mir für den Werth der Freiburger Hs. S. 133 (249) ff. vorgebrachten Gründe nicht berührt, ihnen auch von seinem Standpunkte aus schwerlich zustimmen konnte, dürfte auch dieses Argument seine Geltung behaupten.

c. Im ersten Theile des Ldr. zeigt D mehrfach einen S und L in der Weise vermittelnden Text, dass S und L in keinem [44] Worte übereinstimmen, welches nicht auch D mit ihnen theilt, während in andern Bestandtheilen des Textes D bald mit S, bald mit L übereinstimmt. S. 23. 45 (135. 175). Der Gedanke an ein Spiel des Zufalls ist dabei natürlich ausgeschlossen und die Annahme L — D würde demnach auf folgendes Verfahren führen:

α. Der Verfasser von D müsste da wo S und L von einander abweichen, nicht etwa die einzelnen Sätze, sondern die einzelnen Worte der Sätze seines Textes bald aus S, bald aus L entnommen haben, selbst in Fällen, wo für den Inhalt die Wahl dieser oder jener Worte ganz gleichgültig war; er müsste sich zugleich andererseits die Aufgabe gestellt haben, sorgsam jedes Wort beizubehalten, welches sich übereinstimmend in S und L fand; und obwohl dieses ganze Verfahren noch dadurch ausserordentlich erschwert worden wäre, dass es durchweg in seiner Absicht hätte liegen müssen, gleichzeitig die kürzere Fassung in S zu erweitern, die weitere Fassung in L zu verkürzen, müsste es ihm durch dieses eben so sonderbare, wie schwierige Vorgehen gelungen sein, einen wohlabgerundeten, in seiner sprachlichen Fügung nirgends die so überaus gezwungene Entstehungsweise verrathenden Text zu konstruiren.

β. Der Verfasser müsste über der Fertigung dieser gekünstelten Form den Inhalt so ausser Acht gelassen haben, dass er offenbare Ungereimtheiten aus L aufnahm, während das vorliegende S ihm doch einen richtigen Text bot; S. 48 (160).

γ. Er hätte zuweilen, wo L die Ordnung von S nicht einhält, sich den entsprechenden Text in S erst mühsam suchen müssen, lediglich zu dem Zwecke, um in einzelnen wenigen Worten die Fassung ihm zu nähern; S. 36 (148).

Die Annahme eines solchen Verfahrens, auf welches die Stellung L — D nothwendig führen würde, kommt doch, von der Wahrscheinlichkeit ganz abgesehen, selbst der Gränze der Möglichkeit so überaus nahe, dass schwerlich jemand geneigt sein dürfte, dieselbe ernstlich und ausdrücklich zu billigen.

d. Dennoch würde uns die Annahme L — D für den zweiten Theil des Ldr. und für das Lhr. zu noch bedenklichern Behauptungen führen müssen. D gibt hier im wesentlichen nur eine [45] Uebersetzung von S, zeigt aber zugleich in fast jedem Artikel eine so bestimmte nähere Verwandtschaft zu L, dass dieses bei der Annahme seiner Priorität immer zur Vergleichung herangezogen sein müsste. Und zwar in folgender Weise:

α. Der Verfasser von D hätte bei mehrfach stark abweichender Anordnung die entsprechenden Abschnitte in L mühsam aufsuchen müssen.

β. Trotz des viel ausgedehnteren und reicheren Textes von L hätte er sich durch denselben doch nur zu ganz unbedeutenden Zusätzen bestimmen lassen; Vervollständigung des Textes, wie sie etwa die Mühe der Vergleichung hätte lohnen können, war also nicht Zweck derselben; S. 75. 93. 94 (187. 205. 206).

γ. Dagegen hätte er sich mehrfach in Fällen, wo bei im allgemeinen übereinstimmenden Texte L ein Weniger gegenüber S zeigt, dadurch bestimmen lassen, nun auch die betreffenden Worte in D ausfallen zu lassen. Und zwar mit Vorliebe gerade in solchen Fällen, wo ihm die Vergleichung von S und L unmittelbar zeigen musste, dass das Weniger in L hier wenigstens nur eine durch das gewöhnlichste Abschreiberversehen bedingte Lücke sein konnte, weil es in dem nahe verwandten S durch gleiche Worte begränzt erscheint. Oder es müsste sich mehrfach in Fällen, wo in L diese Entstehung des Weniger bei mehr abweichender Fassung nicht gerade bestimmt hervortritt, der sonderbare Zufall ergeben haben, dass der Verfasser von D auf die Autorität von L hin etwas fortgelassen und dass dennoch dieses absichtliche Weniger in D gerade die Form einer durch die Wiederholung gleicher Worte in S herbeigeführten Lücke erhalten hätte; und zwar alles so oft wiederholt, dass von einem zufälligen Uebereinstimmen des Weniger in L und D gegenüber S nicht die Rede sein kann; S. 80. 95 (192. 207).

δ. Er hätte in vielen Fällen gerade da, wo in S ein richtiger, in L ein offenbar irriger Text vorliegt, sich, obwohl er S sonst genau folgt, durch L dazu bestimmen lassen, den richtigen Text in einen L entsprechenden irrigen zu ändern; S. 37. 83. 102. 103 (149. 195. 214. 215.). Die Ungereimtheit der, aus L — D doch nothwendig folgenden Annahme, der Verfasser von D habe L grossentheils nur herangezogen, um den Text von S [46] aufs offenbarste zu korrumpiren, muss doch auch H. v. D. recht wohl fühlen; denn an einer Stelle wenigstens, der über die sächsischen Bisthümer, welche ich isolirt behandelte und bei welcher ihm ein Erklärungsgrund zu Gebote stand, glaubt er allerdings eine nähere Beleuchtung nicht umgehen zu können, (v. D. Dsp. 34). Es haben hier, wie er anerkennt, L und D einen übereinstimmend irrigen Text; beruht also auch hier D auf S, so ist L nur behufs einer Korruption zugezogen. Da nun einigen Hss. von S der Artikel fehlt, so schliesst H. v. D., eine solche Hs. habe auch D vorgelegen, dieses also den ganzen Artikel mit dem Irrthume lediglich aus L ergänzt. Aber diese Erklärung ist nicht einmal für den einzelnen Artikel stichhaltig, da dieser in andern Einzelnheiten des Textes mit S, nicht mit L stimmt; und davon auch abgesehen würde immer nur ein einzelner Fall erklärt sein, während doch fast alle Artikel, also auch diejenigen, welche in allen Hss. von S vorkommen, einer solchen nähern Beleuchtung ihrer Verwandtschaft mit L eben so dringend bedürfen würden.

ε. Er hätte in allen Fällen, in welchen sich nach meiner Annahme ein ursprünglich richtiger Text in S, ein daraus korrumpirter in D, ein aus diesem selbstständig emendirter in L darstellen würde, von zwei vorliegenden abweichenden, aber an und für sich verständlichen Texten nicht etwa den ihm vielleicht unverständlichen in S durch den in L ersetzt, sondern aus beiden einen sie künstlich verbindenden, aber an und für sich ganz unverständlichen Text konstruirt. S. 83. 84. 87. 96. 97. 104 (195. 196. 199. 208. 209. 216). Ich füge noch ein Beispiel hinzu, weil es den berührten Abschnitt über die sächsischen Bischöfe betrifft, welchen nach v. D. Dsp. 34 D ganz aus L ergänzt haben müsste. S 3, 62 § 3, D 315 und L 136 stimmen fast wörtlich mit einander überein. S bezeichnet die betreffenden Suffragane als underdan den Erzbischöfen von Magdeburg, Mainz und Köln; denselben Ausdruck haben im ersten und dritten Falle auch D und L; im zweiten hat L abweichend, aber verständlich under im, D dagegen unverständlich under den. Lag dem Verfasser von L die Korruption in D vor, so erklärt sich die Abweichung leicht aus einer Emendation, wie sie um so näher [47] lag, als in einem vierten Falle, bei Angabe der Suffragane von Bremen, alle drei Quellen den Ausdruck under im gebrauchen. Beruht dagegen D auf S und L, so könnte es hier nicht allein auf L fussen, da es offenbar S näher steht; dagegen hätte es sich, wie in manchen andern Einzelnheiten des Artikels, in der Trennung des Wortes durch L bestimmen lassen und demnach sorgsam einen in dieser Verbindung ganz unverständlichen Ausdruck konstruirt. Dass in einem einzelnen Falle, zumal wo es sich um so Geringfügiges handelt, sich ein solches Verhältniss zufällig hätte gestalten können, wird gern zugegeben sein; wenn es sich aber im ganzen Umfange des Werkes wieder und wieder darbietet, wird der Zufall billig ausser Rechnung bleiben müssen.

e. Wo S und L nicht allein in der Form, sondern auch im Inhalte von einander abweichen, tritt D mehrfach auch seinem Inhalte nach vermittelnd zwischen beide; S. 49. 59. 93 (161. 171. 205.) Der Verfasser müsste demnach, wie bei der Form, so auch im Inhalte eine künstliche Ausgleichung herbeigeführt haben, eine Annahme, deren Unwahrscheinlichkeit sich in den einzelnen Fällen leicht nachweisen lassen würde, zumal sich Anhaltspunkte ergeben, nach welchen beim Vergleiche mit D der Inhalt von L auf eine spätere, der in S auf eine frühere Entwicklungsstufe deutet.

Ich glaube nun in dem Vorhergehenden die Unmöglichkeit der Ableitung L — D, welche den Kernpunkt der Frage bildet, mit so genügenden Gründen nachgewiesen zu haben, wie sie bei solchen Untersuchungen überhaupt nur unter den günstigsten Verhältnissen zu erreichen sein dürften. Eine weitere Vertretung der entgegengesetzten Ansicht könnte mir nur noch in zwei Fällen gerechtfertigt erscheinen. Entweder dann, wenn man nachweist, dass die Resultate meiner frühern Vergleichung, auf welche ich mich auch jetzt gestützt habe, von mir durchweg irrig oder einseitig mitgetheilt wurden; das zu prüfen ist jetzt durch einen möglichst getreuen Abdruck der Hs. von D jedem ermöglicht. Oder aber bei dem Nachweise, dass die von mir daraus gezogenen Schlüsse nicht stichhaltig, die Ableitung L — D vielmehr mit den Textverhältnissen vereinbar sei; und zwar würde ein solcher Gegenbeweis fast für alle Punkte zu führen sein, da [48] die meisten an und für sich zum Beweise der Unmöglichkeit jener Ableitung genügen dürften. Bis zum Eintreten des einen oder andern Falles glaube ich meine Annahme als bewiesen hinstellen zu dürfen.

Da durch den Nachweis der Unmöglichkeit der Ableitung L — D auch der einzige noch übrige mit der Annahme L — S vereinbare Fall 24. beseitigt erscheint, so glaube ich auf diesem Wege, welcher die Frage nach der Priorität des Ssp. oder Swsp. nicht allein als eine durchaus offene voraussetzte, sondern überhaupt gar nicht unmittelbar auf dieselbe einging, die Unmöglichkeit der Annahme, der Ssp. beruhe auf dem Swsp., ganz unabhängig von den früher geführten Gegenbeweisen nachgewiesen und damit dem von H. v. D. angedeuteten Wunsche Genüge gethan zu haben.

e.

Die bisherigen Untersuchungen lassen nur noch drei mögliche Stellungen zu:

1.
S
|
D
|
L
11.
S
|
x
/ \
D L
20.
S
/ |
D |
\ |
L

Hier würde zunächst der Nachweis der Ableitung des Swsp. aus dem Dsp. den Fall 11. beseitigen; kann L nicht auf D beruhen, so könnten noch immerhin beide aus einem uns unbekannten Mittelgliede abgeleitet sein.

Da alles Verwandte und Gemeinsame in zwei Quellen sich immer auf eine gemeinsame dritte Quelle zurückführen lässt, so würde eigentlich ein schlagender Beweis, dass die eine aus der andern abgeleitet sein müsse, fast nie zu führen sein. Und allerdings, wenn wir uns an die vorhandenen Formen und Hss. halten, diese als eigene Glieder behandeln, so werden wir, wenn die Originalhss. der Verfasser nicht vorliegen, fast immer auf ein x als Vereinigungspunkt zurückgelangen. Dsp. und Swsp. beruhen unzweifelhaft nicht auf einem der uns vorliegenden Texte des Ssp., etwa dem Quedlinburger, sondern gemeinsam mit ihm auf einem x, der Originalhs. des Ssp. nämlich oder [49] einer derselben doch sehr naheliegenden Hs. So kann natürlich im gegebenen Falle auch L nicht auf der einzigen uns vorliegenden Hs. von D beruhen.

Anders gestaltet sich das aber doch, wenn wir die Stellung der Rechtsbücher an und für sich bestimmen wollen, d. h. ihrer wahrscheinlichen Urformen, so weit die vorliegenden Hss. einen Schluss auf diese gestatten. Da die vorliegenden Hss. von D und L nicht die Originale sind, sie also jedenfalls gemeinsam auf ein x zurückgehen müssen, welches ihre Verbindung mit S vermittelt, so wird es sich zur Entscheidung unserer Frage darum handeln, ob dieses x möglicherweise so beschaffen sein konnte, dass wir es als besonderes Glied neben S, D und L würden stellen können, oder ob es nicht vielmehr dem uns noch vorliegenden Texte von D so nahe gestanden haben muss, dass der Unterschied nicht grösser gewesen sein kann, als der zwischen einer spätern Abschrift und der Urschrift ein und desselben Werkes, dass demnach wenigstens für unsere Zwecke und Erkenntnissmittel x und D völlig zusammenfallen würden. Fassen wir nun aber alle im vorhergehenden Abschnitte für das negative Verhältniss der Unmöglichkeit der Ableitung L — D vorgebrachten Gründe positiv, vergegenwärtigen wir uns, welche nothwendige Beschaffenheit danach die Quelle gehabt haben muss, auf welcher L beruhen könnte und welche zugleich seine Verwandtschaft mit dem vorliegenden Texte von D und beider Ableitung aus S erklären würde, so ergibt sich für x, dass es sich in seinem ersten Theile schon wesentlich, wie D, an L, im zweiten an S anschliessen, dass es bereits ins Oberdeutsche mit denselben Versehen, welche sich in D finden, übertragen sein, dass es schon dieselben Lücken und Zusätze, schon dieselben Korruptionen mit D haben musste, aus welchen sich die Emendationen oder Lücken, S. 35. 81. 98 (147. 193. 210), in L erklären u. s. w.; kurz, es würde sich herausstellen, dass x fast alles eigen gewesen sein müsste, wodurch sich der uns vorliegende Text von D von allen andern bekannten Formen der Rechtsbücher unterscheidet. Mehr ist hier nicht zu erreichen; das Erreichte dürfte aber vollkommen zur Rechtfertigung der Annahme, dass L auf der Urform von D beruhen müsse, genügen.

[50]
f.

Die Entscheidung zwischen den Fällen 1. und 20. wird nun zu Gunsten des ersten von dem Nachweise abhängen, dass neben der nachgewiesenen nähern Verwandtschaft zwischen S und D einerseits, und D und L andererseits keine nähere Verwandtschaft zwischen dem Ssp. und Swsp. besteht, welche nicht durch den Dsp. vermittelt sein könnte; ist eine solche vorhanden, so müsste der Verfasser von L ausser D auch noch S benutzt haben.

Auf Spuren solcher nähern Verwandtschaft habe ich bei meinen Vergleichungen vorzugsweise geachtet; es fehlt auch nicht an solchen; was ich aber in dieser Beziehung S. 65. 67. 75. 81. 91. 92. 99. 100. 101 (177. 79. 87. 93. 203. 4. 11. 12. 13) anführen konnte und was sich Aehnliches noch finden mag, dürfte doch kaum zur Begründung der Annahme einer unmittelbaren Benutzung von S durch L genügen. Denn:

1. Während jene Fälle einer grössern Annäherung von L an S nur Unbedeutendes betreffen, ergibt sich im allgemeinen als massgebend für den ganzen Umfang des Werkes, dass L kaum ein Wort mit S gemein hat, welches ihm nicht durch D vermittelt sein könnte, ein Verhältniss, welches wenigstens den Gedanken an eine umfassendere unmittelbare Benutzung von S ganz ausschliesst.

2. Dass S auch für Einzelnheiten vom Verfasser von L nicht füglich zugezogen worden sein kann, zeigt sich doch wohl aufs bestimmteste darin, dass derselbe bei der Emendation erkannter Korruptionen in D sich nicht durch S leiten liess, sondern ganz selbstständig emendirte; fand ein Zurückgreifen überhaupt statt, so musste es hier natürlich am nächsten liegen. S. 81. 84. 98. 104 (193. 196. 210. 216.)

3. Für jene unbedeutenden Ausnahmen dürften anderweitige Erklärungen vollkommen genügen. Einmal ist es natürlich, dass hie und da auch eine ganz selbstständige Emendation des korrumpirten Textes eine Wiederannäherung an den ursprünglichen Text herbeiführen konnte. Weiter ist zu beachten, dass wir weder von S, D, noch L die Urschrift haben. Das kann nun [51] allerdings bezüglich der äussern Glieder S und L wohl die Untersuchung erschweren, insofern es Kennzeichen der Ableitungs- und Verwandtschaftsverhältnisse verwischt, aber es kann doch nie zu einer Textgestaltung führen, aus welcher sich anscheinend nähere Verwandtschaftsverhältnisse zwischen zwei Gliedern und damit irrige Ansichten über die Stellung ergeben könnten. Bezeichnen wir die uns vorliegenden Hss. mit s, d, l, so wird bei der Stellung

s
/
S
\
D L l

der Einfluss von s und l nicht zu irrigen Ansichten über die Stellung der Hauptglieder führen können. Anders beim Mittelgliede; bei der Stellung

d
/
S D
\
L

wird der Umstand, dass wir L nur mit d, nicht mit D vergleichen können, sehr leicht scheinbar eine nähere Verwandtschaft zwischen S und L gegenüber D ergeben können, welche in Wirklichkeit doch nur darauf beruht, dass bei der Abzweigung von d etwas allen drei Gliedern Gemeinsames fortgefallen ist. Da nun d sogar eine sehr korrumpirte Abschrift sein muss, so dürften wir vollkommen berechtigt sein, auf dieses Verhältniss das Wenige zurückzuführen, was für eine unmittelbare Benutzung von S durch L zu sprechen scheint.

g.

Hat uns demnach eine den ganzen Umfang der Quellen ins Auge fassende Beweisführung auf die Stellung S — D — L als einzig mögliche hingeführt, so kann es sich nur noch fragen, ob wir nicht in Einzelnheiten auf Widersprüche stossen, auf Umstände, welche mit diesem Resultate unvereinbar erscheinen. In dieser Beziehung habe ich selbst bereits auf die Rubriken in der uns vorliegenden Hs. von D hingewiesen, welche aus einer Hs. von L entnommen sein müssen; S. 39 (151). Darauf legt denn auch v. D. Dsp. 31. 42 viel Gewicht; es ist freilich auch das Einzige, was bei oberflächlicher Vergleichung seine Ansicht zu stützen scheint. Wo alle übrigen Textverhältnisse auf eine Stellung bestimmt hinweisen, nur ein einziges ihr zu widersprechen scheint, wird natürlich das Hauptresultat dadurch nicht in [52] Frage gestellt werden können; der Widerspruch kann nur ein scheinbarer sein und es wird sich lediglich darum handeln, die Möglichkeit einer Lösung nachzuweisen. Und eine solche liegt hier doch wirklich sehr nahe. Da uns D und L nicht in den Originalhss. vorliegen, von den uns vorliegenden Hss. ein l noch im dreizehnten Jahrhunderte entstanden sein kann, während d dem vierzehnten Jahrhunderte angehört, so wird die Annahme, dass d lediglich, nicht sogar, wie H. v. D. sagt, seine Rubriken einem l entnommen hat, um so weniger Anstand finden können, als der Urform von D und L überhaupt alle Rubriken gefehlt haben müssen, wie ich S. 42 (154) genügend glaube nachgewiesen zu haben.

Im übrigen scheint mir die Schrift des H. v. D. keine Einwürfe gegen die von mir angenommene Stellung zu enthalten, welche einer weitern Erklärung bedürften. Zum Theil beruhen sie auf irrigen Annahmen über die hiesige Hs., zu welchen wenigstens meine Schrift keinen Anlass bot. So wenn es S. 31 heisst, die Abtheilungen in D seien L konform gemacht, während sich aus meiner Arbeit S. 25. 39 (137. 151) ergibt, dass auch in dieser Beziehung D mehrfach eine Mittelstellung einnimmt, zuweilen genau mit S stimmt. Eine ähnliche Bewandtniss hat es mit dem, mir unter andern Verhältnissen sehr beachtenswerth scheinenden Einwände des H. v. D. S. 155, wie es denn gekommen sei, dass der Schwabenspiegler im ersten Theile von D nur echte Sachsenspiegelstellen gestrichen habe. Denn einmal ist das nach meiner Schrift S. 25. 49. 53. 57 (137. 161. 165. 169) nicht richtig; andererseits, wäre es richtig, so könnte das bei der überhaupt geringen Zahl von Ausscheidungen in L um so weniger auffallen, als der grössere Theil des Ausgeschiedenen, nämlich D 71 b—g, 88 a. b. 89 b. c., den gerichtlichen Kampf betrifft, sich also als einheitliche Ausscheidung der ein bestimmtes Institut betreffenden Artikel darstellt.

D.

Darf ich annehmen, dass durch die bisherige Beweisführung die Stellung der Rechtsbücher zu einander auf Grundlage ihrer innern Textverhältnisse so sicher gestellt ist, dass alle von [53] andern Anhaltspunkten entnommenen Argumente für eine andere Stellung damit beseitigt scheinen müssen, so werde ich mich doch der Aufgabe nicht entziehen dürfen, nochmals auf das Verhältniss des Buches der Könige zu den Rechtsbüchern zurückzukommen, da v. D. daraus ein Hauptargument für die Priorität des Swsp. entnehmen zu können glaubt und mir dasselbe überhaupt für die Geschichte der Rechtsbücher von grosser Wichtigkeit zu sein scheint. Leider ist dasselbe noch immer ungedruckt, doch die Veröffentlichung von H. v. D. in Aussicht gestellt; für den nächsten Zweck scheinen mir die Mittheilungen, welche H. v. D. Dsp. 17 gibt in Verbindung mit dem schon früher Bekannten vollkommen zu genügen.

Das KB. alter und neuer E findet sich in Hss. des Swsp. als Einleitung; in der Hs. des Dsp. nur das KB. alter E unvollständig abbrechend; in Hss. des Ssp. ist es überhaupt nicht nachweisbar, doch scheint Ssp. 3,44 auf dem KB. neuer E zu beruhen, was mich in Verbindung mit einigen anderen Anhaltspunkten zu der Vermuthung führte, das KB. habe bereits eine Einleitung zum Ssp. gebildet und sei dann aus diesem in den Dsp. und Swsp. übernommen; S. 15 (127).

Abweichender Ansicht ist H. v. D. Alter u. Ursprung 116. Dsp. 14 ff. Er nimmt an, das KB. sei erst nach dem Swsp. entstanden; hat es also dem Ssp. vorgelegen, so sind dieser und natürlich auch der Dsp. jünger als der Swsp.

Ich halte es hier zunächst für meine Pflicht, einen Vorwurf des H. v. D. Dsp. 17 als vollkommen begründet anzuerkennen, den nämlich, dass ich darüber wegsah, dass er das KB. ausdrücklich für jünger erklärt, als den Swsp., und annahm, auch nach seiner Ansicht habe dasselbe bei der Vorrede bereits vorgelegen; eine Flüchtigkeit, welche bei dem Naheliegen des Gedankens, die Einleitung eines Werkes sei früher geschrieben, als das Werk selbst, sehr verzeihlich sein dürfte, zumal der Unterschied in dem gegebenen Falle, wo es mir nur galt, auf die enge Verbindung zwischen KB. und Swsp. hinzuweisen, völlig gleichgültig war.

Habe ich mich so über die Ansicht des H. v. D. getäuscht, so glaube ich mich wenigstens in der Sache selbst in keiner [54] Weise getäuscht zu haben, da mir die Ansicht, das KB., selbst in der Form, in welcher es mit dem Swsp. verbunden erscheint, sei erst nach diesem entstanden, durchaus unhaltbar erscheint. Denn:

1. Die Annahme, dass die Einleitung eines Werkes der zuerst geschriebene Theil desselben sei, wird jedenfalls so lange die Vermuthung für sich haben, bis sich Gründe für das Gegentheil finden.

2. Die Hss. bieten nicht die geringste Veranlassung zu einer solchen Annahme; denn fehlt das KB. auch den meisten alten Hss. des Swsp., so findet es sich doch gerade in der ältesten, in den Berliner Fragmenten.

3. H. v. D. Dsp. 17 gibt eine Reihe von Stellen aus dem KB. neuer E, welche vollkommen für den Beweis genügen dürften, dass auch dieses, wie das alter E, in engster Beziehung zum Landrechte stehe, dass, da sich mehrfache Verweisungen auf das Ldr. im KB. finden, beide bei Abfassung des letztern als ein Ganzes gefasst wurden. Sie sollen nun aber auch zugleich die spätere Abfassung desselben beweisen. H. v. D. erklärt nämlich S. 20, in der Stelle des KB., wo es von Justinian heisst: siner lantrecht ist vil in disem buch, sei „völlig bestimmt“ der sogenannte Swsp. als schon vorhanden bezeichnet; dann S. 21, dass die Stelle, wo es von den Wahlfürsten heisst: Welhiu ampt die suln han und wer si syen, das sait uns das lantrechtbuoch beschaidenlich, „jeden Zweifel darüber niederschlage“, dass das KB. nach dem sog. Swsp. abgefasst sei, da hier ausdrücklich auf das Ldr. des sog. Swsp. Kap. 130 als ein vorhandenes Werk in spezieller Beziehung hinverwiesen sei. Ob im allgemeinen diese Stellen eine solche Schlussfolgerung rechtfertigen würden, lasse ich dahingestellt; im gegebenen Falle gewiss nicht. Schwerlich dürfte jemandem, welcher sich mit dem Swsp. beschäftigt, entgehen können, dass der Verfasser desselben bei mehrfachen Verweisungen von einem Theile des Werkes auf den andern bei der Abfassung der einzelnen Theile über Umfang und Inhalt des ganzen Werkes schon genau unterrichtet war, was auch nicht auffallen kann, da er ja kein ganz neues Werk verfasste, sondern den ihm vorliegenden [55] Dsp. umarbeitete. Ich stelle nun den Schlüssen des H. v. D. zwei genau entsprechende gegenüber. Swsp. Vorr. g. heisst es: Dise zwene sazten disiv reht vnd ander reht ein michel teil an disem buche; dadurch würde also das Ldr. „völlig bestimmt“ als bereits vorhanden bezeichnet. Weiter heisst es Ldr. 146: wie daz mac geschehen, daz vindet man an dem lehenbvche, und 153: vnd sol in da rehtvertigen alz daz lehenbuch seit; das würde also „jeden Zweifel darüber niederschlagen“, dass das Ldr. nach dem Lhr. abgefasst sei. Wir gelangen demnach in strenger Befolgung des von H. v. D. eingeschlagenen Weges auf die Annahme, es sei zuerst das Lhr., dann das Ldr., weiter die Vorrede, endlich das KB. als Einleitung entstanden. Dieser Annahme beizutreten, scheint doch H. v. D. selbst Bedenken zu tragen; wenigstens bezeichnet er S. 21 die von mir hervorgehobene Stelle aus der Vorrede als „ein in den Text gerathenes triviales Glossem“; da die Hss. keine Unterstützung gewähren, so würde sich dasselbe mit eben so vielem oder wenigem Rechte auch von den andern Stellen behaupten lassen, für welchen Fall ich unter Verzicht auf ein entsprechendes Vorgehen gegen die betreffenden Stellen des KB. auf das oben S. 15 Gesagte verweisen müsste.

Ist eine Entstehung des KB. nach dem Swsp. weder zu erweisen, noch auch nur irgend wahrscheinlich, so ist damit freilich das Argument, dass der Ssp. dasselbe benutzt und also, wenn es auch nur gleichzeitig mit dem Swsp. entstand, jünger sein müsste, als dieser, nicht zugleich beseitigt.

Dass dem Ssp. das KB. vorlag, glaube ich nicht bezweifeln zu dürfen. In der Reimvorrede des Ssp. glaubte ich schon früher eine Hinweisung auf die Erzählung vom Naaman im KB. alter E zu finden; sicherer noch schien sich die Stelle über die Herkunft der Sachsen, Ssp. 3, 44, aus dem KB. ableiten zu lassen; S. 15. 16. Wenn ich Gleiches für die Angaben über Konstantin, text. prol. und 3, 63 § 1 vermuthete, so scheint mir die Richtigkeit dieser Vermuthung durch das, was nun v. D. Dsp. 21 aus dem KB. mittheilt, bestätigt zu werden. Auch bei der Nachricht über die Unterwerfung der vier deutschen Länder durch die Römer, Ssp. 3, 53 § 1, könnten die Anschauungen des KB. [56] massgebend gewesen sein, zumal wenn wir annehmen dürfen, der Name Julius, welcher sich jetzt nur im Dsp. 288 und Swsp. 120 findet, habe auch dem Urtexte des Ssp. angehört, wie ja auch 3, 44 sich die wohl unzweifelhaft ursprünglichere Lesart Beheim nur im Dsp. erhalten hat.

Alles das wäre nun freilich hinlänglich erklärt, wenn der Ssp. und das KB. eine gemeinsame dritte Quelle benutzt hätten. Aber H. v. D. gegenüber bin ich ganz bereit, an der jedenfalls nächstliegenden Annahme, der Ssp. beruhe auf dem KB., festzuhalten. Seinem Schlusse freilich, der Ssp. sei demnach später entstanden, als der Swsp., vermag ich nicht beizutreten; denn er würde sich doch nur dann rechtfertigen, wenn sich erweisen liesse, das KB sei überhaupt erst durch den Verfasser des Swsp. abgefasst, nicht blos in die jetzige Form gebracht, der Ssp. habe demnach auch kein älteres KB. benutzen können.

Ueber die Entstehungszeit des KB. ist uns Näheres nicht bekannt; es ist nur bis K. Konrad III. fortgeführt; ein sicherer Beweis, dass es nicht viel später entstanden sei, liegt darin freilich nicht, da es sich hier durch seine Vorlage, die ältere Form der gereimten Kaiserchronik bestimmen lassen konnte; bei einer Abfassung erst nach 1275 würde man sich aber doch schwerlich mit diesem Abschlusse begnügt haben. Bei dieser Unsicherheit dürfte es mindestens vollkommen gerechtfertigt erscheinen, wenn wir die anderweitig zunächst relativ festgestellte Entstehungszeit der Rechtsbücher nicht etwa wegen der durch nichts begründeten Annahme, das KB. sei erst nach 1275 entstanden, in Frage stellen, sondern sie vielmehr benutzen, die Entstehungszeit des KB. genauer zu bestimmen.

Es wird aber das Vorhandensein des KB. alter E wenigstens vor dem Swsp. erwiesen durch dessen Vorkommen im Dsp. Denn dass es nicht etwa nur, wie die Rubriken, in der uns vorliegenden Hs. des Dsp. einer Hs. des Swsp. entnommen sei, ergibt sich leicht. Zunächst muss es auch in andern Hss. des Dsp. in derselben Form vorhanden gewesen sein. Denn es findet sich auch in Homeyer's Hs. n. 330, welche uns mehrere Bestandtheile des Dsp. erhalten hat, und zwar nach einer gütigen Vergleichung Homeyer's genau da abbrechend, wo es in der [57] Innsbrucker Hs. abbricht, im Texte einige Varianten zeigend, übrigens der Form des Swsp. gegenüber mit der Innsbrucker Hs. übereinstimmend. Die Form des Swsp. ist aber unzweifelhaft eine erweiterte. Das glaubte ich schon daraus schliessen zu dürfen, dass im Dsp., auch in n. 330., im Eingange des KB. eine Stelle fehlt, welche in nächster Beziehung zu der Vorrede des Swsp. steht; S. 14 (126). Die Angaben des H. v. D. bestätigen das. Er geht allerdings nicht näher auf das KB. alter E ein, was für das Verhältniss des Dsp. zum Swsp. doch besonders wünschenswerth gewesen wäre, da hier eine Prüfung möglich ist. Eine Vergleichung der von mir mitgetheilten Stellen muss er freilich angestellt haben, da er S. 22 sagt, der Dsp. gebe nur einen den Charakter verwischenden Auszug des KB. Das genügt wenigstens mir vollkommen zu der Ueberzeugung, dass in dem, worin v. D. eine Verwischung des Charakters im Dsp. sieht, vielmehr eine Erweiterung im Swsp. zu sehen sei, zumal er bemerkt, dass es auch hier nicht an unbestreitbaren Beziehungen auf das Landrechtbuch als ein schon vorhandenes Werk fehle; diese Beziehungen fehlen nämlich dem KB. im Dsp., wie ja auch sonst im Dsp. wie im Ssp. die Beziehungen in einem Theile auf den andern fehlen; sie müssen also im KB. ebensowohl, als in den übrigen Theilen, ein Werk des Verfassers des Swsp. sein.

War demnach das KB. in einer ursprünglicheren Form schon mit dem Dsp. verbunden, so wird der Umstand, dass es bei einzelnen Stellen des Ssp. benutzt erscheint, nur die Vermuthung stärken können, dass der Verfasser des Dsp. dasselbe, wie die übrigen Einleitungen, schon im Ssp. vorfand, dass es auch mit diesem ursprünglich verbunden war, freilich wohl in einer viel einfacheren Form, als der uns jetzt bekannten; und da es nach den lateinischen Formen der Eigennamen ursprünglich wohl lateinisch abgefasst war, so könnte es immerhin auch schon einen Bestandtheil der uns verlornen lateinischen Vorlage des Ssp. gebildet haben; je früher sein Ursprung gesetzt wird, um so erklärlicher wird der Umstand, dass man es nicht über K. Konrad III. hinausführte. Mag es hier beim Mangel handschriftlicher Unterstützung auch schwer sein, zu bestimmteren Resultaten [58] zu gelangen, so dürfte sich doch genügend ergeben haben, dass das Verhältniss des Ssp. zum KB. in keiner Weise die Annahme der Entstehung des Ssp. vor dem Swsp., noch überhaupt in irgend einer frühern Zeit des dreizehnten Jahrhunderts in Frage stellen kann. —

Aus den angestellten Untersuchungen ergibt sich demnach für den Hauptzweck zunächst, dass der Ssp. vor dem Swsp., also vor 1282, wohin des letztern Abfassung spätestens fallen kann, entstanden sein muss.

III.

Es hat sich aus jenen Untersuchungen zugleich ergeben, dass der Ssp. Quelle für den Deutschenspiegel ist. Die Entstehung des letztern scheint sich mit Sicherheit nur auf die Zeit von 1235 bis 1272 bestimmen zu lassen; und zwar stützt sich die Feststellung des Terminus ad quem auf die Annahme, dass Bruder Berthold von Regensburg, welcher 1272 starb, in seinen Predigten den Dsp. benutzt habe; bei der Richtigkeit dieser Annahme würde demnach auch die Entstehung des Ssp. vor 1272 fallen. Vgl. F. Dsp. 159. 166 (275. 282).

H. v. D. bestreitet die Richtigkeit, indem er Dsp. 40 sagt: „Das Verhältniss Bertholds von Regensburg zu den Rechtsbüchern betreffend, nimmt F. an, Berthold habe aus dem Innsbrucker Texte für seine Predigten geschöpft. Von diesem Gedanken hätte ihn leicht die Vergleichung meiner de spec. sax. or. gegebenen Nachweisungen zurückbringen können, da sie augenscheinlich machen, dass die Vorrede des Landrechtbuches gerade umgekehrt grossentheils Berthold entliehen ist.“ Diese Folgerung übersteigt nun freilich meine Fassungskraft. S. 159 (275) meiner Schrift ist deutlich zu lesen, dass ich mit H. v. D. Benutzung Bertholds in der Vorrede des Swsp. annehme; daraus sollte sich denn doch entnehmen lassen, dass diese Benutzung eben nicht im Stande war, mich von meinem Gedanken zurückzubringen. Denn wie eben dort zu lesen, fehlen jene Stellen dem Dsp.; wenn sich mir nun für eine andere Stelle, in welcher Dsp. und Berthold zusammentreffen, aus den Textverhältnissen ergab, dass der erstere die Quelle sein müsse, wie kann denn [59] dieses Ergebniss irgend durch jene Stellung des Swsp. berührt werden? Ja freilich, wenn ich mit H. v. D. von der Priorität des Swsp. ausgehen wollte, so würden sich solche Nebenfragen ganz anders lösen; da ich aber von ganz anderer Grundlage ausging, wie ich auch jetzt davon ausgehen werde, so möchte es doch viel zweckmässiger gewesen sein, einen ernstlichen Versuch zur Erschütterung dieser Grundlage durch Widerlegung der von mir aus den Textverhältnissen gezogenen Schlüsse zu machen, als meiner Lösung von Nebenfragen von einer mir ganz fremden Grundlage aus in der angegebenen Weise entgegenzutreten.

Es ist übrigens gewiss dankbar anzuerkennen, wenn H. v. D. sich die Mühe gibt, die Verwandtschaft Bertholds mit dem Swsp. möglichst genau zu verfolgen; in den von ihm gegebenen weitern Nachweisungen musste denn auch für mich eine Aufforderung liegen, meine Annahme von der Stellung Bertholds zu den Rechtsbüchern einer weitern Prüfung zu unterziehen, so wenig ich zweifelte, dass dieselbe das frühere Resultat nur bestätigen würde; und darin habe ich mich nicht getäuscht.

Vergleichen wir Berthold nicht lediglich mit dem Swsp., sondern auch mit dem Ssp. und Dsp., so ergibt sich eine doppelte Verwandtschaft zu den Rechtsbüchern.

1. In der Mehrzahl der verwandten Stellen, welche vorzugsweise religiösen Inhaltes sind, treffen nur Berthold und der Swsp. zusammen. Dass hier Berthold die Quelle sei, wie bei andern ähnlichen Stellen David von Augsburg, dürfte nicht zweifelhaft sein; die Textverhältnisse bieten kein Hinderniss, während die Zeitverhältnisse eben so sehr, als die Unwahrscheinlichkeit der Annahme, dass der Prediger Stellen religiösen Inhalts einem Rechtsbuche entnommen haben sollte, darauf hinweisen. Für Bertholds Stellung zu den übrigen Rechtsbüchern sind diese Stellen natürlich ohne Werth; von Werth werden sie für denjenigen sein, welcher sich der Arbeit unterziehen wird, der ursprünglichsten Fassung des Textes in den verschiedenen Formen des Swsp. nachzugehen.

2. Bei anderen Stellen rechtlichen Inhalts trifft Berthold mit allen drei Rechtsbüchern zusammen. Ist hier die Wahrscheinlichkeit [60] dafür, dass eines der Rechtsbücher die Quelle war, so ergeben das die Textverhältnisse mit Bestimmtheit. Da der Swsp. weder Quelle für Berthold, noch für Ssp. oder Dsp. sein kann, so muss entweder Berthold Quelle für Ssp. oder Dsp., oder eines von diesen Quelle für ihn sein. Nun zeigt das von mir S. 159 (275) angeführte Beispiel, dass der Dsp. das Mittelglied zwischen dem Ssp. und Berthold bildet. Berthold könnte demnach nur die Quelle sein, wenn auf ihm der Dsp., auf diesem aber der Ssp. beruhte, eine Annahme, deren Unrichtigkeit erwiesen wurde. Es bleibt also nur die Annahme, dass der Dsp. die nächste Quelle Bertholds war. Das findet seine Bestätigung an einer andern Stelle aus derselben Predigt Bertholds von den drei Mauern (Göbel, zweite Aufl. 396. v. D. Dsp. 90.), welche bis auf Kleinigkeiten mit Ssp. 3, 52 S 2 und Dsp. 286 wörtlich übereinstimmt. Heisst es hier im Dsp.: Der chaiser en mag aber in allen landen niht gesein vnd alles vngerichte niht richten ze aller zeit, so steht er in dem mag aber statt kann auch und in dem Mehr ze aller zeit dem Ssp., dagegen in dem Ausdrucke landen statt steden dem Berthold näher, so dass sich genau dasselbe Verhältniss ergibt, wonach Berthold den Dsp. benutzt haben muss. Auch Ssp. (Dsp.) 3, 7 § 3 scheint hier von Berthold benutzt, ohne dass die Uebereinstimmung so wörtlich wäre. In beiden Stellen, wie das sehr erklärlich ist, dürfte das vierte verwandte Glied, der Swsp., nun nicht seinerseits wieder auf Berthold, sondern unmittelbar auf dem Dsp. beruhen.

Bei einer andern Stelle dagegen, bei welcher alle vier Quellen wenigstens im Inhalte zusammentreffen, nämlich der Angabe der Verwandtschaftsgrade, könnte Swsp. 3, welcher sich gerade hier von der Fassung des Dsp. bedeutend entfernt, auf Bertholds Predigt von der Ehe (Göbel 342. v. D. 152) beruhen, obwohl die Verwandtschaft in der Form doch auch hier nur wenig zutrifft. Weniger sicher noch dürfte sich, da die Gleichheit des Inhalts sich auch anderweitig erklären liesse, aus der Form die Nothwendigkeit eines unmittelbaren Einwirkens von Ssp. 1, 3 § 3 oder Dsp. 6 auf Berthold ableiten lassen. Jedenfalls aber könnte, da gerade hier der Dsp. dem Ssp. sehr nahe tritt, nur der Dsp. auf Berthold, nicht dieser auf den Dsp. eingewirkt haben. [61] Berthold steht in Beziehungen zu den Rechtsbüchern, deren nähere Aufklärung recht wünschenswert sein dürfte, insofern sie uns vielleicht der Beantwortung der Frage nach dem Verfasser des Dsp. und des Swsp. näher bringen könnte; seine Stellung aber zu den Rechtsbüchern scheint mir keinerlei Zweifel zu unterliegen; der Dsp. ist Quelle für Berthold, wie dieser für den Swsp.; der Dsp., und folglich auch der Ssp., sind demnach vor 1272 entstanden.

IV.

Da das Hamburger Recht vom J. 1270 den Ssp. häufig benutzt, so muss dieser vor 1270 entstanden sein. Da der schlagenden Beweisführung Homeyer's, Stellung 30., für die Nothwendigkeit der Annahme einer Benutzung des Ssp. bei Abfassung des Rechts nichts entgegnet wurde, so viel ich weiss, so dürfte eine einfache Verweisung auf dieselbe genügen.

V.

In das Magdeburg-Breslauer Recht, welches 1261 den Breslauern vom H. Heinrich III. erlaubt wurde, ist eine Reihe von Sätzen des Ssp. wörtlich aufgenommen; dieser muss demnach vor 1261, oder, sofern sich die Echtheit der Datirung bezweifeln liesse, jedenfalls vor 1266 entstanden sein. Vgl. Homeyer, Stellung 23. Gaupp, germanist. Abhandlungen 110.

H. v. D. bekämpft nun allerdings, wie früher, auch in seiner neuesten Schrift S. 58 in einer besondern Beilage die Authentizität der Urkunde vom J. 1261. Ein Eingehen auf diese, nicht gegen mich gerichtete Polemik liegt mir um so weniger nahe, da der Umstand für die Sache selbst von keinem entscheidenden Werthe ist; wäre auch die Urkunde von 1261 als echt nicht zu erweisen, so bliebe immer als genügendes Zeugniss die Bestätigungsurkunde H. Heinrichs IV. vom J. 1283, wonach dasjenige, was jene enthält, wenn nicht im J. 1261, doch vor dem Tode H. Heinrich III. im J. 1266 vorhanden gewesen sein muss.

Dagegen deutet v. D. de origine 41. und Dsp. 59 noch einen anderen, hier beachtenswertheren Gesichtspunkt an, dass nämlich das Breslauer Recht nicht gerade auf dem Ssp. beruhen müsse, [62] da beide unabhängig von einander auf eine dritte gemeinsame Quelle zurückgehen könnten. Für die angebliche Ableitung des Ssp. aus dem Swsp. wäre auch durch diese Annahme nichts gewonnen; es müsste dann auch dem Swsp. die gemeinsame Quelle vorgelegen haben, und da dieser nach Ausweis des Breslauer Rechts der Ssp. näher stehen müsste, könnte er schon desshalb wenigstens in den betreffenden Stellen ohne die allergezwungensten Annahmen nicht auf dem Swsp. beruhen. Dagegen würde allerdings das Breslauer Recht seine Beweiskraft für die Entstehungszeit des Ssp. verlieren, wenn die Annahme einer dritten Quelle statthaft wäre.

Diese Annahme würde aber nur dann statthaft sein, wenn das Breslauer Recht mit dem ursprünglichsten Texte des Ssp. entweder genau stimmte oder doch seine Abweichungen von demselben ganz selbstständige, ausser aller Beziehung zu der Weiterentwicklung des Textes des Ssp. stehende wären. Aber es zeigen sich im Breslauer Rechte, abgesehen von den Lesarten, schon Erweiterungen, und zwar nicht selbstständige, sondern übereinstimmende mit noch mehr erweiterten späteren Formen des Ssp., zwischen denen und dem Urtexte es demnach eine verbindende Entwicklungsstufe darstellt.

Es dürfte nun doch der allgemeine Satz schwerlich zu bestreiten sein, dass die verwandten Quellen A und B nicht selbstständig auf einer dritten Quelle x beruhen können, vielmehr B aus A abgeleitet sein muss, wenn B in Einzelnheiten seines Textes die nächste Verwandtschaft nicht zu A, sondern zu der spätern Form a desselben zeigt. Denn die nähere Verwandtschaft zwischen B und a würde nur dann jene Ableitung nicht erweisen, wenn Grund zur Annahme wäre, dass a auf die gemeinsame Quelle x oder auf B zurückgegriffen, oder B in einer uns gerade vorliegenden spätern Form a konform gemacht wäre. Das wäre möglich, wenn es sich etwa um Einschiebung ganzer Abschnitte handelte, und selbst da wenigstens dann höchst unwahrscheinlich, wenn dabei auch die ursprüngliche Einordnung derselben wiederhergestellt wäre; wo es sich um die geringfügigern, für den Inhalt oft ganz unwesentlichen Einzelnheiten des Textes handelt, würde eine solche Annahme ganz ungereimt sein. [63] In diesem Verhältnisse von B zu A stehen nun, wie das Breslauer Recht, so auch Dsp. und Swsp. zum Ssp., indem sie sich in vielen Einzelnheiten nicht dem ursprünglichsten Texte desselben, sondern spätern Formen desselben nächstverwandt zeigen; und zwar ergibt sich auch für sie, wie für das Breslauer Recht, die Nothwendigkeit des Anschlusses an einen Text des Ssp., welcher in seiner Entwicklung zwischen der ersten und zweiten Klasse der Hss. desselben stehen oder uns ein älteres Glied der zweiten Klasse darstellen würde. Vgl. F. Dsp. 64. 67. 69. 89. 91. 100 (176. 79. 81. 201. 3. 12). Das führte ich oben II. C. c. 1. als Argument für die Ableitung des Dsp. aus dem Ssp. an, und würde dasselbe bezüglich des Swsp. besonders geltend gemacht haben, hätte ich mir den unmittelbaren Nachweis seiner Ableitung aus dem Ssp. zur Aufgabe gestellt.

Vorbedingung für die Richtigkeit dieser Argumentation ist allerdings, dass wir uns über die Beschaffenheit des ursprünglichen Textes des Ssp. nicht täuschen. Dieser ist uns allerdings in keiner Hs. rein erhalten; aber aus Vergleichung aller vorhandenen Formen ergab sich, dass die Quedlinburger Hs. ihm so nahe steht, dass sich vorzugsweise auf sie gestützt ein Text herstellen liess, welcher dem Urtexte so nahe kommen muss, dass er nur noch in Einzelnheiten, welche insbesondere für die vorliegenden Forschungen durchaus gleichgültig sind, möglicherweise von ihm abweichen kann; ein Resultat, dessen Richtigkeit sich insbesondere durch die Leichtigkeit erprobt, womit sich alle Formen aus diesem Urtexte ableiten lassen, wofür insbesondere noch zuletzt der Dsp. einen beachtenswerthen Beweis gegeben hat.

Bei der Annahme, der Ssp. sei aus dem Swsp. abgeleitet, würde nun unzweifelhaft derjenige Text des Ssp. der ursprünglichste sein, welcher dem Swsp. am nächsten tritt; und das wäre jetzt unzweifelhaft nicht die Hs. Q, sondern der im Dsp. im zweiten Theile des Ldr. und im Lhr. erhaltene Text. H. v. D. hat das, was ich über die so sehr nahe Verwandtschaft desselben zum Swsp. sagte, nicht berücksichtigt; ich weiss daher nicht, ob er jene Folgerung anerkennen würde. Doch enthält seine Schrift S. 23 einen eigenen Abschnitt über ältere Formen des Sachsenspiegels, welcher hier den Weg bahnen könnte; [64] kurz auf ihn einzugehen, wird um so nöthiger sein, als die Möglichkeit des Bestehens älterer Formen, als des bisher angenommenen Urtextes, freilich auch die Beweiskraft des Breslauer Rechts für den nächsten Zweck berühren würde.

Auf die Annahme älterer Formen leiten H. v. D. insbesondere zwei schlesische Hss. des Ssp., bei Homeyer n. 89. 90., welche die Eigenthümlichkeiten zeigen, dass der Ausdruck „Sachsen“ einigemal beseitigt ist, weiter der letzte Theil von Ssp. 3, 32 ab, also insbesondere das Reichsstaatsrecht, nur lückenhaft in einer Weise erscheint, welche schliessen lässt, dass derselbe ihrer gemeinsamen Vorlage gefehlt habe. Beides wird nun in einem Lande, welches nicht zu Sachsen und in der Zeit, als der Ssp. dort verbreitet sein dürfte, auch nicht zum Reichsverbande gehörte, doch schwerlich auffallen können. Die erste Eigenthümlichkeit theilt auch der Dsp., ein Umstand, welcher für H. v. D. die nächste Anknüpfung bietet; doch bemerkte ich bereits in meiner Arbeit S. 22 (134) bezüglich der sich hier gleichfalls anschliessenden Löwenberger Hs., dass sich eine nähere Beziehung zum Dsp. nicht findet, wie sich dadurch bestätigt, dass die jetzt bei v. D. Landrechtbuch. 13. abgedruckte Reimvorrede der Hs. n. 89 (U) trotz ihrer Abweichung von andern Texten sich dem Dsp. nicht nähert; eine nähere Verwandtschaft des Dsp. zu diesen schlesischen Texten zeigt sich vielmehr nur in ganz anderen Beziehungen, indem er, wenn auch noch nicht so weit entwickelt, wie diese, doch in der Richtung zu ihnen hin sich vom Urtexte entfernt.

Den Eigenthümlichkeiten jener Hss. würde ich nun gern Gewicht beilegen, wenn sich in ihnen überhaupt Kennzeichen eines ursprünglicheren Textes fände, als in andern; es liesse sich dann, freilich abgesehen von zahlreichen Schwierigkeiten, welche im Hintergrunde lägen, immerhin mit H. v. D. daraus folgern, sie seien aus einer ursprünglichern Form entnommen, der Ssp. sei in Schlesien entstanden, die allgemeinern Beziehungen seien erst später durch sächsische ersetzt, das Reichsstaatsrecht habe anfangs gefehlt. Nun weist H. v. D. aber selbst darauf hin, dass sie schon gegenüber der Hs. Q in ihrem Texte erweitert erscheinen. Wollte man dennoch ihren Text als den [65] ursprünglichsten hinstellen, so müsste nach der einen Seite hin eine Verkürzung stattgefunden haben, welche im Texte des Dsp. schon weit vorgeschritten, endlich in Q ihren Abschluss gefunden hätte; nach anderer Seite hin Erweiterungen. Eine solche Behauptung, auf welche übrigens auch die Annahme der Priorität des Swsp. unter noch schwierigern Umständen hinführen müsste, würde die Textentwicklung doch zu einem unlösbaren Räthsel machen. H. v. D. hat sie auch, wenn ich ihn recht verstehe, nicht aufgestellt, und würde sie schwerlich vertreten wollen. Halten wir aber an der bisherigen Ansicht von der Textentwicklung fest, was kann dann U über die Beschaffenheit des Urtextes Q gegenüber erweisen? Wenn es einige Eigentümlichkeiten zeigt, welche ohnehin leicht erklärlich sind, wesshalb sollte es gerade wegen dieser auf einen uns ganz unbekannten ursprünglichsten Text zurückgegriffen haben müssen, dessen Existenz ohne allen Einfluss auf die übrige Textgestaltung geblieben wäre? Dass die Hs. n. 89 und 90 auf einer Vorlage beruhen, welcher der Schlusstheil von 3, 32 ab fehlte, will ich nicht bestreiten; wie kann aber der Nachweis des Fehlens eines Theiles in dieser oder jener Hs. irgend etwas gegen die Ursprünglichkeit dieses Theiles erweisen, so lange nicht nachgewiesen wird, dass diese Hs. überhaupt einen ursprünglicheren Text habe, als andere, welcher dann wahrscheinlich machen könnte, dass nicht hier etwas fortgelassen, sondern in anderen etwas zugesetzt sei? Wäre die Vermuthung des H. v. D., es habe eine ursprünglichere Form des Ssp. gegeben, in welcher der insbesondere das Reichsstaatsrecht enthaltende Schlusstheil fehlte, gegründet, so müsste sich das ganz unzweifelhaft in einer vom übrigen Werke abweichenden Textentwicklung zeigen. Das tritt z. B. bei dem, wenn auch wahrscheinlich von demselben Verfasser herrührenden, doch wohl nicht gleichzeitig mit dem Landrechte in Umlauf gesetzten sächsischen Lehnrechte wirklich hervor, indem das Verhältniss der verschiedenen Formen zu einander im Landrechte und im Lehnrechte kein entsprechendes ist. Vgl. Homeyer Ssp. 2 a, 70. F. Dsp. 90 (202). Ganz dasselbe ergibt sich für den später zugefügten dritten Theil des schwäbischen Landrechts verglichen mit den beiden ersten. Vgl. F. Dsp. 141 (257). Dagegen ist [66] für jenen Schlusstheil des Ssp. ein ähnliches Verhältniss gar nicht nachweisbar; insbesondere stehen hier auch die schlesischen Hss. einerseits zu den zusatzfreieren, andererseits zu den noch mehr erweiterten Formen in einem Verhältnisse, welches durchaus dem der früheren Theile entspricht.

Es würde ein ziemlich fruchtloses Beginnen sein, den Aufstellungen des H. v. D. noch weiter zu folgen, so lange er nicht bestimmter, als ich wenigstens aus seiner Arbeit entnehmen kann, angibt, wie er sich nun, nachdem durch seine Annahme so viele verwirrende Elemente in die bisherige Auffassung hineingebracht sind, die Textentwicklung des Ssp. denkt. Für den nächsten Zweck glaube ich durch meine Bemerkungen die Ansicht genügend begründet zu haben, dass kein Anlass vorliegt, an der Richtigkeit der bisherigen Annahme über die Gestalt des Urtextes des Ssp. zu zweifeln, dass demnach auch das Breslauer Recht auf diesem beruhen muss, nicht etwa auf einer dritten gemeinsamen Quelle, dass also weiter der Ssp. vor 1261 oder doch vor 1266 entstanden sein muss, und zwar nicht ganz kurz vorher, da er zur angegebenen Zeit schon in einer erweiterten Form benutzt wurde.

VI.

Die Chronik des Albert von Stade zeigt an einigen Stellen nahe Verwandtschaft mit dem Ssp.; lässt sich nun erweisen, dass Albert sie dem Ssp. entnahm, so würde der letztere vor 1240, wo Albert schrieb, oder doch vor 1256, wo er sein Werk revidirte, entstanden sein.

Zunächst trifft die Verwandtschaft zwei Stellen in der Erzählung Alberts von der Herkunft der Sachsen (ed. Reinecc. 99 a. b.), welche fast wörtlich mit Ssp. 3, 44 § 2. 3. stimmen. Den Nachweis, dass hier Albert aus dem Ssp. schöpfte, glaube ich bestimmter führen zu können, als bisher geschehen. Denn:

1. Gemeinsame Quelle für Albert und den Ssp. ist hier das Königebuch neuer E, wie kaum zu bezweifeln sein dürfte, wenn auch die uns vorliegende Form von der anzunehmenden ältern Form desselben (vgl. oben S. 57) in Einzelnheiten abweichen mag. Unabhängig können beide nicht aus demselben abgeleitet [67] sein, da beide mit einander ungleich näher verwandt sind, als mit dem Königebuche, wie die Zusammenstellung bei Massmann, Zeitbuch des Eike von Repgow S. 659 leicht ergibt; beide haben gemeinsame Bestandtheile, welche dem Königebuch ganz fehlen; beide lassen zwölf Schiffe nach Rügen, nicht nach Böhmen gehen; die beiden gemeinsame Ableitung der Laten von den Gelassenen (vgl. Homeyer Stellung 60.) fehlt dem KB. Da eine vierte Quelle, welche beide mit dem KB. vermittelte, unbekannt, ihre Existenz auch durchaus unwahrscheinlich ist, so werden wir annehmen müssen, dass die eine der Quellen aus der andern schöpfte.

2. Die abgeleitete Quelle kann aber nur Albert sein. Denn einmal setzt, wie schon Homeyer a. a. O. bemerkt, jene Stelle über die Laten bei Albert ein deutsches Vorbild voraus, weil die Etymologie der litones von denen, qui permissi sunt vivere, lateinisch gar nicht passt. Weiter aber tritt der Ssp. der gemeinsamen Quelle, dem KB. näher; Albert hat nichts mit diesem gemein, was ihm der Ssp. nicht hätte vermitteln können; der Ssp. dagegen hätte mehreres, insbesondere den Schlusssatz von § 3. nicht aus Albert entnehmen können; besonders beachtenswerth würde es dann noch sein, wenn wir annehmen dürften, der Urtext des Ssp. habe mit dem KB. Böhmen statt Rügen gelesen. Vgl. F. Dsp. 17 (129).

3. So genügend diese Beweisführung erscheinen mag, insofern wir die betreffenden Stellen des Albert isolirt betrachten, so bedenklich kann doch andererseits der Umstand erscheinen, dass diese Stellen in seiner Chronik nur Theile einer viel ausführlichern Erzählung über die Herkunft der Sachsen bilden, und zwar einer Erzählung, welche einer dritten uns bekannten Quelle entnommen ist. Es ist das ein Aufsatz: De origine Saxonum, welcher auf Widukind, der Translatio s. Alexandri und Ekkehard beruht, sich nach der Angabe Lappenbergs im Archive der Gesellsch. 6, 333 in der Gottorper Hs. des Arnold von Lübeck findet und wörtlich mit der Erzählung bei Albert stimmt. Wäre letzteres durchweg richtig und liesse sich, was das Verhältniss zu den ursprünglichen Quellen kaum gestatten dürfte, nicht etwa wahrscheinlich machen, der Aufsatz sei aus Albert entnommen, so würde die Annahme völlig ungereimt sein, Albert habe einzelne [68] Stellen der Erzählung nicht der sonst benutzten Quelle, sondern dem Ssp. entnommen. Der Aufsatz, dessen lateinischer Text so viel ich weiss nicht gedruckt ist, ist nun aber in deutscher Rezension aus Hss. der Repgowischen Chronik von Massmann a. a. O. 577 veröffentlicht worden und eine Vergleichung ergibt das unsere frühere Beweisführung aufs auffallendste bestätigende Resultat, dass der Aufsatz allerdings Hauptquelle für die Erzählung Alberts ist, dass ihm aber gerade die mit dem Ssp. stimmenden Stellen fehlen und Albert den Aufsatz und diese Stellen zu einem Ganzen verarbeitet hat. Das ergibt sich insbesondere aus dem Eingange:

Der Sachsen Herkunft: — We willet nu scriven van den Sassen, we se here to lande komen sin. Ettelike lude wanet, dat se van den Denen unde van den Normannen quaemen. Ettelike lude segget, dat se sin van Macedonia unde waeren gevolget deme groten koninge Alexandro: van sineme here sin se komen, dat selve segget oc de Krieken. Do Alexander starf, do tovoren se over al de werlt. We vindet oc gescreven, dat se komen sin van deme engelischen Brittania unde dat se quaemen to dudischeme lande over de se to ener havene, de het Hathuloga, uppe dat se en lant vunden, dar se inne besitten mochten, dat was an den tiden, do der Vranken koning Dideric orlogede wider den koning Irminvride van Duringen. Do se allererst to lande quaemen, de lude, de in dem ende des landes waeren, dat do Duringe het, de widerstunden in manlike.

Sachsenspiegel: — Unse vorderen die her to lande quamen unde die doringe verdreven, die hadden in allexandres here gewesen, mit erer helpe hadde he bedvungen al asiam. Do alexander starf, do ne dorsten sie sik nicht to dun in’me lande, durch des landes hat, unde scepeden mit dren hundert kelen; die verdorven alle up vier unde veftich. Der selven quamen achteine to prutzen unde besaten dat; tvelve besaten rujan, vier unde tvintich quamen her to lande.

Albert: — Sed antequam procedamus, pauca de origine Saxonum praelibemus. Tempore quo Tidericus, rex Francorum, contra Hirminfridum, ducem Turingorum, dimicabat, Saxones studio et necessitate quaerendarum sedium [69] Germaniae littoribus sunt appulsi in loco Hathuloga, qui nunc urbanis dicitur Hatheleria. Super origine eiusdem gentis varia est opinio. Quidam aestimant, quia de Danis originem traxerint et Nordmannis. Dicunt alii, quod ab Anglis Britanniae incolis sint egressi. Invenitur etiam, quod reliquiae fuerint Macedonum et mortuo Alexandro per totum orbem sint dispersi. Quia enim Alexander virtute eorum devicerat Asiam, eo defuncto se illi terrae amplius committere non audebant, sed cum ccc. navibus recesserunt, quae omnes perierunt, exceptis. liiii., quarum .xviii. Pruciam occuparunt, .xii. Rugiam, .xxiiii. applicuerunt ad Albiam, quarum una trans Albiam sylvam incoluit et succidit, in qua postmodum sunt inventi et Holzati appellati. Cum vero applicuissent littori praedicto, Turingi, cultores eiusdem terrae, adventum eorum graviter ferentes, arma contra eos moverunt.

Diese Zusammenstellung bedarf kaum einer Erläuterung. Der Aufsatz und der Ssp. stehen in keinerlei Verwandtschaft, da die gemeinsame Annahme der Herkunft der Sachsen aus Alexanders Heere bei ihrer weiten Verbreitung und beim Fehlen aller Uebereinstimmung in den Einzelnheiten des Inhalts, wie in der Form, eine solche natürlich nicht begründen kann. Steht nun aber zu zwei unter sich nicht verwandten Quellen eine dritte in dem Verhältnisse, dass sie in ein und derselben Stelle theils nur mit der einen, theils nur mit der andern stimmt, so kann sie weder Quelle für beide, noch für eine von beiden sein, da wir sonst auf die ungereimten Annahmen geführt würden, die eine Quelle hätte ihr gerade nur das entnommen, was die andere unberücksichtigt liess, oder im zweiten Falle, sie hätte der dritten Quelle gerade nur solches entnommen, was diese der andern Quelle zugefügt hatte. Die Erzählung Alberts muss also aus beiden zusammengesetzt sein. Auch die mit dem Ssp. stimmende Stelle Alberts über die Laten findet sich nicht in dem Aufsatze, wo a. a. O. 585 anderes erzählt wird.

Ist nun an diesen Stellen, bei denen die Benutzung des Rechtsbuches durch den Historiker von vornherein weniger wahrscheinlich sein konnte, der Ssp. als Quelle Alberts bestimmt zu [70] erweisen, so dürfte solches um so weniger zu bezweifeln sein für die übereinstimmenden Stellen über die Wahlfürsten, Ssp. 3, 57 § 2 und Alberti chron. p. 215, für welche v. D. Dsp. 49 annimmt, der Ssp. beruhe hier auf Albert oder einer Interpolation desselben; die Annahme, dass der Verfasser des Rechtsbuches diese, auch nach Massgabe der Materienfolge des Swsp. hieher gehörige Stelle aus einer Chronik schöpfte, sollte man am wenigsten da erwarten wo gleichzeitig behauptet wird, der Swsp. sei hier, wie sonst, die Quelle des Ssp. v. D. Dsp. 109.

Ist für den Text des Albert, wie er uns jetzt vorliegt, der Ssp. benutzt, so könnte es sich allerdings noch fragen, ob die betreffenden Stellen etwa Interpolationen seien, wie v. D. Dsp. 48 anzunehmen geneigt ist. Die Stelle über die Kurfürsten könnte allerdings ausfallen ohne Störung des übrigen Textes. Nicht so die zuerst erörterte Stelle; wollten wir hier eine, den übrigen Text unberührt lassende Interpolation annehmen, so müssten wir dieselbe über den ganzen Abschnitt von Herkunft der Sachsen ausdehnen. Dürfte aber der Möglichkeit von Interpolationen nichts im Wege stehen, so findet sich doch auch nichts, was sie wahrscheinlich macht. In den Hss. deutet, so viel bekannt ist, nichts darauf hin; keine der betreffenden Stellen stört den Zusammenhang; sie haben kleine Zusätze und Aenderungen verglichen mit ihren Vorlagen, welche wenigstens gedankenlose Interpolation ausschliessen; der Abschnitt über der Sachsen Herkunft würde vom Interpolator aus zwei Vorlagen zusammengearbeitet sein; Zusätze, wie die über das Land Hadeln, über Holstein, würden Albert recht wohl anstehen. Scheint mir demnach keinerlei Anlass zur Annahme von Interpolationen vorzuliegen, so dürfte sich freilich auch kein entscheidender Grund vorbringen lassen, dass diese Stellen schon bei der ersten Abfassung 1240, und nicht erst bei der Revision 1256 von Albert geschrieben seien und für das Alter des Ssp. würde sich demnach daraus ergeben, dass derselbe vor 1256 entstanden sei.


VII.

Die Heidelberger Bilderhandschrift des Ssp. scheint zwar selbst nicht mehr dem dreizehnten Jahrhunderte anzugehören; [71] mehrere Anhaltspunkte in den Bildern, insbesondere das Beginnen der in denselben vorgezeigten Königsurkunden mit F. d. gr., scheinen aber doch auf eine Vorlage aus der Zeit K. Friedrichs II. hinzudeuten, woraus sich, ohne dass ich solchen Haltpunkten an und für sich ein entscheidendes Gewicht beilegen möchte, auf eine Entstehung des Ssp. vor 1250 schliessen liesse. Vgl. Homeyer, Stellung. 34. Die Deutung eines Bildes der Hs. auf den 1253 gestorbenen Pfalzgrafen Otto, wie sie Sachse in der Zeitschr. f. deutsches Recht 14, 39 versucht, mag scharfsinnig sein, dürfte aber zur Aufstellung einer festeren Zeitgränze doch kaum herbeizuziehen sein.


VIII.

Auf die Verwandtschaft des Ssp. mit der Chronik des Eike von Repgow ist schon mehrfach hingewiesen worden; doch dürfte unmittelbare Benutzung des einen Werkes durch das andere wohl nur in einer Stelle bestimmter hervortreten, in welcher das Rechtsbuch von den Wirkungen der Reichsacht im allgemeinen, die Chronik mit Beziehung auf den Einzelfall Heinrichs des Löwen spricht:

Ssp. 1, 38 § 2: — Die ok jar unde dach in des rikes, achte sin, die delt man rechtlos, unde verdelt in egen unde len, dat len den herren ledich, dat egen in die koningliken gewalt. Ne tiet de erven nicht ut ut der koningliken gewalt binnen jar unde dage mit irme ede, se verleset it mit sament ieneme, it ne neme in echtnot u. s. w.

Chronik ed. Massmann 427: — In der achte belef he iar unde dach: dar umme wart eme vordelet echt unde recht, egene unde len, dat len al sinen herren ledich, dat egen an de koningliken walt. Des verloren sine kindere dat egen, dat se it uter koningliken walt nicht ne togen binnen jare unde dage.

Die Gemeinsamkeit des Inhalts mag allerdings hier, wo es sich um eine allgemeine Rechtssatzuhg handelt, wenig für die Verwandtschaft beweisen; da aber der grössere Theil beider Stellen aus denselben Worten besteht, da die Anordnung derselben selbst in Einzelnheiten, wie in der wechselnden Stellung des Eigen und Lehen, auffallend übereinstimmt, da sioh bei [72] Beachtung von Varianten die Fassung sogar noch etwas näher bringen liesse, so liegt eine so grosse Uebereinstimmung in der Form vor, dass die Stellen doch wohl unzweifelhaft auseinander, oder aus einer gemeinsamen dritten Quelle abgeleitet sein müssen. Letztere ist hier höchst unwahrscheinlich; mit Grund würden wir wohl nur auf eine lateinische Vorlage schliessen dürfen; und bei selbstständiger Uebersetzung aus einer solchen dürfte der deutsche Wortlaut schwerlich so viel Uebereinstimmung zeigen.

Fand aber Benutzung des einen Werkes durch das andere statt, so dürfte doch der Ssp. die Quelle der Chronik sein. Es kann nicht auffallen, wenn der Chronist, wo ihn der Faden der Erzählung auf das hervorragendste Beispiel der Anwendung jenes Rechtssatzes führt, sich der Stelle des Rechtsbuches erinnert und mit ihren Worten erzählt. Dagegen führt die umgekehrte Annahme auf Unwahrscheinlichkeiten. Ssp. 1, 38 handelt überhaupt von den Rechtlosen; die Rechtlosigkeit der über Jahr und Tag vom Reiche Geächteten führt ihn hier ganz ungezwungen zugleich, auf die Bestimmungen über Eigen und Lehen des rechtlosen Geächteten; wie hätte er nun gerade für diese auf die Chronik greifen sollen, wo die Rechtlosigkeit wenigstens mit diesem Ausdrucke nicht einmal erwähnt wird, aus welcher er weiter den in engster Verbindung stehenden Schluss seines Satzes gar nicht entnehmen konnte, während, was doch wohl zu beachten, die Chronik alles, was sie über das Rechtsverhältniss bemerkt, dem Ssp. entnehmen konnte. Auch das dürfte zu berücksichtigen sein, dass wir für den Ssp. eine lateinische Vorlage annehmen müssen; mag diese immerhin dürftiger gewesen sein, die hier in Frage stehenden Bestimmungen stehen in enger Verbindung mit den vorhergehenden und den folgenden und dürften schwerlich ganz gefehlt haben und nicht erst vom deutschen Bearbeiter nach der Chronik eingeschoben sein. Dagegen ergibt sich für die Chronik die Nothwendigkeit der Annahme einer anderweitigen Quelle, welcher sie hier folgte, nicht; die reichlichen Spuren der Uebersetzung aus dem Lateinischen verlieren sich schon früher fast ganz, wie die sorgfältige Zusammenstellung bei Massmann a. a. O. 683 ff. ergibt; und sind in der Chronik auch ausser den bekannten unzweifelhaft noch andere Quellen des zwölften Jahrhunderts [73] benutzt, wie sich schon aus der bald sehr genauen, bald sehr ungenauen Darstellung für diese Zeit ergibt, so liegt doch bis jetzt nichts vor, was irgend in gleicher Weise, wie für den Ssp., glaubhaft machen könnte, die Chronik müsse jene Stelle einer andern Quelle entnommen haben.

Spricht demnach ohne Berücksichtigung sonstiger Beziehungen beider Quellen alle Wahrscheinlichkeit für die Priorität des Ssp., so wird sich das kaum anders gestalten bei Beachtung des Umstandes, dass Eike von Repgow der Verfasser der einen, wie der andern sein dürfte. Diese Verfasserschaft blieb freilich für keine von beiden unbestritten.

Wenn ich selbst dieselbe für die Chronik in meiner frühern Arbeit S. 16 (128), wo mir der Gegenstand ferner lag, auf die von Homeyer Ssp. 1, 4 und Friedr. Pfeiffer, Repgow. Chr. 14 vorgebrachten Gründe hin in Zweifel zog, so glaube ich daran nicht festhalten zu dürfen. Scheint nach den beigebrachten Parallelstellen kein Grund vorzuliegen, die Worte der Vorrede: dat is des van Repegowe rat, anders als auf den Verfasser zu deuten, so dürfte auch die Hinweisung in der Vorrede der Weltchronik vor dem Weichbilde, welche zum Theil wörtlich auf der Repgowischen Chronik beruht, wohl nur auf den Verfasser dieser letztern zu beziehen sein. Gegen Eike als Verfasser der Chronik dürfte noch am meisten der Umstand sprechen, dass Form und Inhalt zuweilen auf einen Geistlichen schliessen lassen und der Geistliche Eike ausschliessen würde; will man aber auch von der von Massmann a. a. O. 665 angedeuteten Erklärung absehen, so dürfte überhaupt in einem Werke, in welches so vielfach Stellen älterer Quellen wörtlich übernommen sind, in welchem zudem andere Stellen eher auf einen Laien deuten dürften, auf solche Anhaltspunkte nicht zu viel Gewicht zu legen sein. Vgl. Massmann a. a. O. 653 ff., Franz Pfeiffer, Germania 2, 382 ff., v. Daniels de origine 8. Alter u. Urspr. 21. Dsp. 6.

Bestimmter noch wird in dem Theile der Reimvorrede des Ssp., dessen Ursprünglichkeit irgend gegründeten Zweifeln nicht unterliegt, und in einer Stelle desselben, deren Ursprünglichkeit wohl am wenigsten dadurch zweifelhaft werden kann, dass sie in Verarbeitungen, wie sie der Dsp. zeigt, nicht füglich übergehen [74] konnte, Eike als Verfasser des Ssp. genannt; dafür halten ihn auch spätere Zeugnisse. Auf die Gründe, welche v. D. dagegen vorgebracht hat, nochmals einzugehen, dürfte unnöthig erscheinen. Vgl. Homeyer, Stellung. 17. Dass in der richtigen Beziehung solcher Angaben, wie der in Rede stehenden, mancher Missgriff möglich sei, gebe ich gern zu; könnte ich mich aus den Textverhältnissen oder andern schlagenden Gründen mit H. v. D. überzeugen, dass der Ssp. auf dem Swsp. beruhe und demnach erst zur Zeit K. Rudolfs entstanden sein könne, oder würden sich Beweise finden, dass die Chronik erst zu Ende des Jahrhunderts geschrieben sei, so würde ich gewiss die weitere Folgerung bereitwilligst zugestehen, dass der von 1209 bis 1233 in Urkunden vorkommende Eike von Repgow nicht Verfasser derselben in der uns vorliegenden Form sein könne; es wäre dann nach andern, allerdings nicht so naheliegenden Erklärungen für die Angaben der Vorreden zu suchen. Dafür liegt aber doch gewiss keine Veranlassung vor, so lange alle sonstigen Gründe für beide Werke auf eine Entstehungszeit deuten, welche jenem urkundlichen Vorkommen trefflich entspricht. Genauer würde sich diese Entstehungszeit überhaupt durch die Lebenszeit jenes Eike nicht einmal begränzen lassen, da Eike möglicherweise schon vor 1209 und noch manches Jahr nach 1233 schreiben konnte, wenn auch nicht füglich zu den Zeiten K. Rudolfs; das Zusammentreffen gibt zunächst lediglich eine erfreuliche Bestätigung für die anderweitig gewonnenen Zeitbestimmungen.

Ist nun Eike der Verfasser beider Werke, so möchte allerdings die früher hervorgehobene Unwahrscheinlichkeit der Benutzung einer Stelle der Chronik bis auf den Wortlaut in dem Rechtsbuche nicht mehr so sehr zu betonen sein, als wenn die Chronik das Werk eines andern wäre; unwahrscheinlich genug bleibt sie immerhin; und es kommen jetzt weitere Gründe für die Priorität des Rechtsbuches hinzu. Der Ssp. enthält manche geschichtliche Angaben, welche aber nicht auf die Chronik zurückgehen; lag diese bereits vor, als Eike den Ssp. bearbeitete, so wäre es doch fast unbegreiflich, dass er sich für die Fassung eines Rechtssatzes zwar an seine Chronik, dagegen für geschichtliche Stellen an das Königebuch hielt, und zwar auch [75] in Stellen, welche, wie die von Ankunft der Sachsen, in beiden behandelt werden. Vgl. die Zusammenstellung bei Massmann a. a. O. 659. Und zeigt sich kein Einfluss der Chronik auf den Ssp. in ursprünglicher Gestalt, so kann es um so mehr auffallen, dass die Chronik auf einige Zusätze zum Ssp. eingewirkt zu haben scheint. So wohl die Nachricht der Chronik 460, dass Papst Innozenz in der fünften Sippe zu heirathen erlaubte, auf den Zusatz zu Ssp. 1, 3 § 3. Dieser Zusatz scheint einer der ältesten zu sein; er fehlt nur in Hss. der ersten Klasse und lag schon dem Dsp. vor. Ist es nun, da Zusätze des Landrechts schon auf das Lehnrecht eingewirkt haben, sehr wahrscheinlich, dass manche Zusätze noch von Eike selbst herrühren, und dürfen wir diesen dazu zählen: was läge näher, als die Annahme, er sei durch die spätere Abfassung der Chronik zu jener nachträglichen Angabe veranlasst, als die Erzählung der Begebenheiten ihn darauf führte. Weniger wichtig wäre in dieser Beziehung die Uebereinstimmung einer Nachricht der Chronik, 441, über Wichmann von Magdeburg mit dem Zusatze Ssp. 3, 73 § 2, da dieser jünger sein dürfte.

Umgekehrt wird sich nicht in derselben Weise behaupten lassen, es müsste sich ein grösserer Einfluss des Rechtsbuches auf die Chronik zeigen, wenn der Verfasser jenes früher abgefasst hätte. Denn zu einer eigentlichen Benutzung des rechtlichen Inhalts des Ssp. war in der Chronik nur wenig Gelegenheit geboten, und in einem Falle wenigstens hätte sie wirklich stattgefunden; Anklänge an den Ssp., Wendungen, in welchen „der Mann des Rechtes, der Verfasser des Ssp.“ hervorzutreten scheint, finden sich nicht selten; zu dem, was Massmann a. a. O. 700 gesammelt hat, dürfte insbesondere noch auf das Hervorheben des rechtlichen Unterschiedes zwischen Nordschwaben und Altschwaben in der Chronik 464 n. 15 vgl. mit Ssp. 1, 19 zu verweisen sein. Weiter aber ergibt sich für eine der bedeutendsten geschichtlichen Stellen des Ssp., die über die Ankunft der Sachsen, dass allerdings in keinem Falle die Chronik Quelle des Ssp. sein, dagegen dieser sehr wohl auf die Chronik eingewirkt haben könne; lässt auch die Chronik Sachsen aus dem Heere Alexanders nach Preussen und Rügen kommen, und beruht [76] hier der Ssp. unzweifelhaft auf dem Königebuche und zwar das Beheim desselben in Ruian ändernd, so dürfte das allein die Priorität des Ssp. erweisen, wenigstens auf so lange, als sich nicht glaublich machen lässt, dass die Chronik diese Erwähnung einer ganz andern Quelle entnehmen konnte. Vgl. die Zusammenstellung bei Massmann a. a. O. 660.

Mögen hier eigentlich schlagende Beweise mangeln, so scheint es mir doch nach allem so sehr an Gründen für eine Priorität der Chronik zu fehlen, dagegen so sehr vieles für die des Ssp. zu sprechen, dass die Annahme, Eike habe zuerst das Rechtsbuch, dann die Chronik verfasst, sich vollkommen rechtfertigen dürfte.

Eine möglichst genaue Bestimmung der Entstehungszeit der Chronik würde demnach auch für unsern nächsten Zweck von grosser Wichtigkeit sein; doch bietet dieselbe eigenthümliche Schwierigkeiten.

Bezüglich des Terminus ad quem dürfte nach den bisherigen Forschungen nur feststehen, dass die Chronik vor dem Tode K. Friedrichs II. verfasst sein muss. Von anderm abgesehen liegt der Hauptgrund darin, dass der Verfasser die Zahl seiner Regierungsjahre offenbar noch nicht kennt; wo dieselben nach der Anlage des Werks anzuführen waren, finden sich in den Hss. theils Lücken theils sehr schwankende Angaben, welche mehrfach sichtlich von späterer Hand nachgetragen wurden. Vgl. Chronik. 461.

Für den Terminus a quo würde zunächst der ursprüngliche Schluss des Werkes massgebend sein; aber auch dieser ergibt sich nicht unmittelbar. Der Verfasser deutet in der Vorrede selbst darauf hin, dass sein Werk nie werde zu Ende gebracht werden; es ist also von vornherein auf Fortsetzungen angelegt; der Punkt, wo die Hss. schliessen oder doch auseinandergehen ist daher ein sehr verschiedener. Doch scheint das Aufhören der Gemeinsamkeit des Textes in der Mehrzahl der Hss. auf 12 29/30 als ursprünglichen Schlusspunkt zu deuten. Vgl. Massmann 621. Friedr. Pfeiffer 26. Dafür dürfte insbesondere sprechen, dass auch oberdeutsche Hss. hier abbrechen, dass zumal die oberdeutsche Hs. H, mit den 1229 abweichenden Hss. M und A [77] zu derselben Veroberdeutschung gehörend, zugleich mit der niederdeutschen Hs. b 1230 und zwar ganz mit denselben Worten abbricht (Massmann 479. 607), woraus doch höchst wahrscheinlich wird, dass das Werk bei seiner Uebertragung ins Oberdeutsche nicht weiter reichte.

Ein fester Halt ist dadurch noch nicht gewonnen. Der Schlusspunkt eines Werkes wird wohl glaublich machen können, dass der Terminus ad quem nicht viel später liegen dürfe; aber sichere Gewähr dafür gibt er nicht. Zwei Stellen aber, welche auffallenderweise noch nicht zur Bestimmung der Entstehungszeit benutzt wurden, scheinen festern Halt zu geben.

1. In der Chronik S. 460 heisst es: Dar na to midden somere wiede men den jungen koning van Denemarken to Sleswic: de starf dar na sunder sone. Waldemar, der Sohn K. Waldemars II., nach dieser Nachricht 1218 Juni 24 gekrönt, starb kinderlos vor dem Vater 1231 Nov. 28. Die Stelle ist also frühestens Ende 1231 geschrieben.

2. Die Chronik erzählt S. 464 die Aussöhnung des Pfalzgrafen Heinrich von Braunschweig mit dem Erzbischofe Gerhard im J. 1219 und die Vergabung des welfischen Allods in der Grafschaft Stade an das Stift Bremen und setzt hinzu: Dese gift, de de hertoge gaf deme godeshuse, de staedegede keiser Vrederic mit siner guldenen hantveste lange dar na to deme hove to Ravene. Diese uns erhaltene und oft gedruckte (Böhmer reg. Frid. II. n. 714) Goldbulle K. Friedrichs ist ausgestellt im März 1232 zu Ravenna; die Stelle ist also frühestens 1232 geschrieben.

Ergeben diese Stellen zunächst wenigstens für den Text der Hss., in welchen sie sich finden, einen sichern Terminus a quo, so dürfte sich bei Beachtung verschiedener Umstände zugleich sehr wahrscheinlich machen lassen, dass die bis 1230 reichende Rezension wohl schon 1232 oder doch sehr bald nachher vollendet war. Denn:

1. In dem Theile bis 1230 zeigt sich, so weit ich sehe, keinerlei Kenntniss von Thatsachen, welche nach 1232 fielen, obwohl solche vorgreifende Erwähnungen dem Verfasser sonst keineswegs fremd sind und eine solche bezüglich mancher Thatsachen [78] z. B. der Erhebung Braunschweigs im J. 1235 sehr nahe gelegen hätte.

2. Dagegen machen die späteren Partieen durchweg den Eindruck ziemlich gleichzeitiger Aufzeichnung. Fast nie sind spätere Ereignisse vorgreifend erwähnt; der einzige nennenswerthe Fall, der mir auffiel, ist der, dass der Verfasser bei Erzählung der Heirath K. Friedrichs und der Unterwerfung K. Heinrichs im Juli 1235 schon von der Abführung Heinrichs nach Apulien im Jan. 1236 weiss und den im März 1237 gewählten Konrad schon König nennt. Auch die nicht seltene Zerstückelung zusammengehöriger Nachrichten z. B. der über den Hoftag zu Verona, S. 487, deutet auf allmählige, fast gleichzeitige Weiterführung. Die Annahme, dass diese zunächst durch den Verfasser selbst geschah, liegt am nächsten und dürfte am besten erklären, dass trotz frühern und anscheinend nicht zufälligen Abbrechens einzelner Hss. andere in ihren Fortsetzungen zusammengehen. Das Werk mag mit dem Schlüsse 1229, 1230, dann 1235, bis wohin die lateinische Uebersetzung reicht, in Umlauf gekommen sein; wie weit dann noch etwa der übereinstimmende Text von Br und G dem ersten Verfasser angehören dürfte, ist hier ohne Bedeutung; über 1242, S. 491, dürfte dafür schwerlich hinauszugehen sein.

3. Ist schon von vornherein anzunehmen, dass der Verfasser nach einem ersten Abschlüsse nicht allein fortsetzte, sondern auch im frühern Theile noch revidirte, zusetzte und änderte, so bestätigt das eine Vergleichung der vorhandenen Texte. Finden sich die oben hervorgehobenen Stellen in den meisten und ältesten Hss., so fehlen doch die betreffenden Absätze vorzugsweise in solchen Hss., welche durch Abbrechen oder durch den Beginn abweichender Fortsetzungen am bestimmtesten auf einen Abschluss um 1229 oder 1230 hinweisen. Die erste Stelle fehlt nach Angabe der Ausgabe S. 460 n. 6 in b, M, A; sollte sie in H vorhanden sein, so zeigt dieses nach S. 458 n. 19 an der betreffenden Stelle wenigstens eine mit b stimmende abweichende Stellung. Die zweite Stelle fällt in M, A in eine grössere Lücke, S. 463 n. 2; für H ist das Fehlen gerade des betreffenden Abschnitts S. 464 n. 15 ausdrücklich angegeben; nach n. 5 scheint [79] er auch in b zu fehlen, während n. 10 dem zu widersprechen scheint. Kann das Fehlen der auf eine Entstehung frühestens im J. 1232 deutenden Stellen auch eine Abfassung vor diesem Jahre nicht beweisen, so ist es doch gewiss beachtenswerth, dass es gerade in solchen Hss. eintritt, bei welchen schon der nur bis 1230 reichende Text auf eine Abfassung in der nächstfolgenden Zeit zu deuten scheint.

4. Wichtiger noch erscheint ein anderer Umstand. Die Hs. G, welche bis über die Wahl Wilhelms von Holland hinaus mit dem Grundtexte der Ausgabe Br stimmt, hat die Stelle über die Aussöhnung des Pfalzgrafen mit dem Erzbischofe von Bremen; aber statt der oben angeführten Schlussworte sagt sie ganz abweichend: Do spraken ettelike dat het don mochte sunder erven lof. Dar ward enes ordeles umbe gevraget. Do vant men to rechte were he an swavein he mochtit wol don. Dat is wol witlic. dat he nen swaveine was wane en recht swaf van allen sinen alderen. Statt der Nachricht von der 1232 erfolgten kaiserlichen Bestätigung der Vergabung finden wir also hier einen Zweifel an der Rechtmässigkeit derselben ausgesprochen. Fragen wir, welche Stelle die ursprünglichere sei, so dürfte das unzweifelhaft die in G sein; es liegt sehr nahe, dass der Verfasser diese durch die Nachricht über die kaiserliche Bestätigung ersetzte, während das umgekehrte Vorgehen unerklärlich sein würde. Dann wird aber auch weiter zuzugeben sein, dass der Verfasser die Stelle in G früher geschrieben haben wird, als ihm die kaiserliche Bestätigung bekannt war, also etwa vor der zweiten Hälfte des Jahres 1232, was dann natürlich auch für die früheren Theile der Chronik massgebend sein würde.

Werden demnach die Gründe, welche ich für die Priorität des Ssp. anführte, als stichhaltig anerkannt, so fällt die Entstehung desselben nach dem allgemein anerkannten Terminus ad quem der Chronik jedenfalls vor 1250; aber schon vor 1232, wenn auch mein Versuch, den letztern genauer zu bestimmen, Zustimmung finden sollte. Die Beweise für das eine, wie für das andere mögen nicht so schlagend sein, dass sich erwarten liesse, sie könnten solche überzeugen, welchen die bisher vorgebrachten viel schlagenderen Beweise nicht genügten, von dem [80] Gedanken einer Entstehung des Ssp. unter K. Rudolf abzugehen; die grössere Mehrzahl derjenigen, welche schon bisher keinen Anstand nahm, das J. 1235 als Terminus ad quem anzunehmen, dürfte auch kaum Grund finden, dieser etwas genaueren, aber mit allen andern Anhaltspunkten vereinbaren Bestimmung desselben ihre Zustimmung zu versagen.


IX.

Die Nichtbenutzung des Mainzer Landfrieden im Ssp. ist mehrfach unter den Gründen aufgeführt, welche auf eine Entstehung vor 1235 deuten. Die Beweiskraft blosser Nichtbenutzung wird freilich durch den, sehr günstige Verhältnisse voraussetzenden Nachweis bedingt sein, dass die betreffende Quelle, wäre sie früher entstanden, nothwendig habe benutzt werden müssen. Und so weit werden wir hier freilich nicht gehen dürfen. Andererseits, zumal es sich im gegebenen Falle nicht um ein entscheidendes, nur um ein bestätigendes Moment handelt, kommt doch so manches zusammen, was eine Nichtbenutzung des schon vorhandenen Landfrieden im höchsten Grade unwahrscheinlich machen müsste, dass es sich kaum rechtfertigen dürfte, dieses Argument zu übergehen, zumal die gründliche neuere Arbeit Boehlau's: „Nove constitutiones domini Alberti d. i. der Landfriede v. J. 1235. Weimar 1858.“ durch das, was sie über die Wichtigkeit des Gesetzes und die grosse Beachtung, welche demselben bei den Rechtsgelehrten der folgenden Zeiten zu Theil wurde, sagt, dasselbe jetzt doppelt nahe legt. Dass solche Friedensgesetze schnell in Abschriften allen Gerichten bekannt wurden, leidet keinen Zweifel; weist Boehlau S. XIII auf die ausdrückliche Bestimmung im Landfrieden von 1281 hin, wonach jeder Richter bei der Gerichtssitzung eine deutsche Ausfertigung desselben zur Hand haben musste, so lässt sich dieselbe ausdrückliche Bestimmung auch schon früher in den baierischen Landfrieden von 1244 und 1256 nachweisen. (Archiv f. österreich. GQ. 1, 48. 65. Quellen u. Erört. 5, 83. 146.) Eike musste das Friedensgesetz kennen, wenn er nach 1235 schrieb; von dem vorhergehenden K. Heinrichs, auf welches wir zurückkommen, machte er mehrfachen Gebrauch, betrachtet es schlechtweg als [81] das geltende; wie lässt sich damit reimen, dass er dieses weder erwähnt, noch benutzt? Und noch auffallender wird das durch die Umstände, dass die Glosse des Ssp. mehrfach auf den Frieden als die nuwen recht oder die nova constitucio hinweist, ihn also wohl als jünger betrachtet, dass er bei Zusätzen des Ssp. benutzt, überhaupt in Sachsen vorzugsweise beachtet wurde, wie sich aus seinem Vorkommen in den Hss. sächsischer Rechtsbücher und aus seiner hier erfolgten Verarbeitung zu einem eigenen Rechtsbuche ergibt. Vgl. Boehlau XIV. XV. XVIII.


X.

Verwandter Art ist ein anderes Argument, welches vorzugsweise für die genauere Feststellung des Terminus ad quem betont zu werden pflegt: wegen Nichterwähnung des Herzogthum Braunschweig unter den sächsischen Fahnlehen muss der Ssp. vor Errichtung desselben, vor 1235, entstanden sein. Und hier wird allerdings der Schluss statthaft sein, wäre die Stelle nach 1235 abgefasst, so hätte sie das Herzogthum nennen müssen, da vollständige Aufzählung aller zur Zeit bestehenden sächsischen Fahnlehen in der Absicht lag.

Entkräften lassen würde sich dieses Argument vielleicht nur durch die Annahme, jene Stelle sei allerdings vor 1235 wesentlich so abgefasst, könne aber aus einer andern Quelle, wie oft der Fall, ungeändert aufgenommen und demnach der Ssp., wie er uns jetzt vorliegt, recht wohl später entstanden sein.

Diesem Einwurfe suchte ich in meiner frühern Arbeit S. 161 (277) dadurch zu begegnen, dass ich, freilich ohne nähere Entwicklung der Gründe, die auf längerer Beschäftigung mit dem Gegenstande beruhende Ueberzeugung aussprach, das Staatsrecht im Ssp., insbesondere was über das Fahnlehen gesagt ist, sei nicht aus einer ältern Quelle entnommen, da es erst auf das dreizehnte Jahrhundert passe, also wohl vom Verfasser selbstständig aufgezeichnet. Für die in Frage stehende Stelle habe ich auch bei fortgesetzter Beachtung dieser Verhältnisse keinen Grund gefunden, diese Ansicht zu ändern. Dagegen will ich einen Umstand nicht verschweigen, welcher mir inzwischen für die nächststehende Stelle über die sächsischen Pfalzen ein Zurückgehen [82] auf eine ältere Quelle im höchsten Grade wahrscheinlich machen muss, zumal eine Hinweisung auf denselben für weitere Forschungen über die Entstehungsgeschichte des Ssp. nicht überflüssig sein dürfte. Der Ssp. 3, 62 § 1 nennt fünf Pfalzen, an welchen der König echten Hoftag halten soll: Grona, Werle, dessen Pfalz nach Goslar verlegt sei, Walhausen, Altstedt und Merseburg. Vergleichen wir dieses mit den urkundlich nachweisbaren Aufenthaltsorten der Könige auf Grundlage der Regesten Böhmers, so war Merseburg jederzeit einer der von ihnen am häufigsten besuchten sächsischen Orte. Ebenso Werle-Goslar, und zwar findet hier die Nachricht des Ssp. über ihre Beziehung zu einander eine auffallende Bestätigung in den Urkunden; die letzten zu Werle ausgestellten Urkunden sind von 993, 1005, 1013; aus Goslar ist bis dahin nur 979 eine einzige verzeichnet; dagegen beginnt die zusammenhängende Reihe derselben mit 1015, 1017, 1019 u. s. w., so dass allerdings beide Pfalzen sich abzulösen scheinen. Dagegen finden sich die andern Pfalzen nur in früherer Zeit häufiger besucht; in Altstedt finden wir den König 29 mal von 935 bis 1064, dann nur noch vereinzelt 1134 und 1200; in Grona 10 mal von 973 bis 1024, in Walhausen 18 mal von 922 bis 1060; an beiden Orten ist wenigstens nach Böhmer kein späterer Aufenthalt nachweisbar; anderweitig ist mir nur noch ein Hoftag zu Walhausen 1169 bekannt geworden; vgl. Raumer Brand. Reg. n. 1363. 1364. Der im Ssp. angegebene Zustand stimmt also mit den Thatsachen nur noch im eilften Jahrhunderte. Fragen wir dagegen nach dem Zustande in der Zeit, welcher der Abfassung des Ssp. vorherging, etwa seit der Mitte des zwölften Jahrhunderts, so ergibt sich, dass die sächsischen Orte, an welchen die Könige sich zumeist aufhielten und zwar gewöhnlich zur Abhaltung eines Hoftages, grossentheils andere waren; wir finden den König 6 mal zu Merseburg, 1152—1213; zu Goslar 11 mal, 1157—-1227; dann aber zu Erfurt 7 mal, 1170—1219; zu Nordhausen 7 mal, 1192—1225; am häufigsten zu Altenburg, nämlich 14 mal, 1151—1234. Denken wir uns nun den Verfasser des Ssp. um 1230 schreibend, und nicht aus vorliegenden älteren Quellen, sondern aus eigener Kenntniss des bestehenden Zustandes schöpfend, wie sollte er dazu kommen, jene verschollenen [83] Pfalzen aufzuführen, nicht aber Altenburg, wo zu seiner Zeit die sächsischen Hoftage so vorwiegend gehalten wurden? Woher seine genaue Kenntniss der Verlegung der Pfalz von Werle nach Goslar, welche, so viel ich weiss, in den Chroniken nicht erwähnt wird? Es dürfte eben so schwer glaublich sein, dass blosse mündliche Tradition den alten Zustand so genau festgehalten, als dass der ohne Vorlage schreibende Verfasser den spätern gar nicht beachtet haben sollte; die Annahme der Benutzung älterer Aufzeichnungen scheint mir hier nicht abzuweisen.

Dass dadurch für die unmittelbar folgenden Aufzählungen der sächsischen Fahnlehen und Bisthümer dieselbe Annahme näher gelegt wird, ist nicht zu bestreiten; andererseits aber auch nicht, dass doch wesentliche Verschiedenheiten stattfinden. Nicht die Pfalzen, wohl aber die Fahnlehen und Bisthümer entsprechen genau dem Zustande um 1230; und während wir bei den Pfalzen an eine wohl schon in das eilfte Jahrhundert zurückreichende Aufzeichnung zu denken hätten, ergibt sich für die Aufzählung der Bisthümer unmittelbar, dass sie frühestens in die spätern Dezennien des zwölften Jahrhunderts passt, während sich, freilich nicht durch kurze Hindeutungen, dasselbe für die Fahnlehen begründen liesse.

Und nehmen wir auch an, Eike folge hier einer ältern Quelle, wie gering wäre doch die Wahrscheinlichkeit, dass er, der in seiner Chronik S. 485 die Erhebung Braunschweigs mit genauer Angabe der vom gemeinen Reichslehnrechte abweichenden Erbfolge erwähnt, auch ausdrücklich der Verleihung mit Fahnen gedenkt, hier nach 1235 schreibend vergessen haben sollte, seine Vorlage zu ergänzen. Mit der Nichtnennung Altenburgs u. s. w. wäre das doch nicht zusammenzustellen; hier handelte es sich um ein sich allmählig bildendes Herkommen; es waren überhaupt die sächsischen Hoftage so selten geworden, dass der Verfasser sich kaum veranlasst sehen mochte, bezüglich eines Verhältnisses, über welches wenig mehr feststehen mochte, an seiner Vorlage zu ändern; dort dagegen handelt es sich um ein einzelnes, sehr bestimmt hervortretendes Ereigniss, welches bei Mitlebenden und zumal solchen, welche ihre Aufmerksamkeit den rechtlichen Verhältnissen zuwandten, schwerlich leicht in Vergessenheit gerathen konnte. [84] Es dürfte nun doch auch angemessen sein, darauf hinzuweisen, dass wir hier zuletzt drei Argumente für eine Entstehung des Ssp. vor 1235, beziehungsweise 1232 aufstellten, von welchen wir zugeben, dass keines an und für sich einen unumstösslichen Beweis liefert, von welchen aber jedes bei der Annahme einer spätern Entstehung auf grosse Unwahrscheinlichkeiten führt. Allerdings geben drei mangelhafte Beweise auch in ihrer Gesammtheit keinen vollständigen Beweis; aber zur Annahme so wiederholter Unwahrscheinlichkeiten würde man sich doch gewiss nur entschliessen können, wenn wichtige Gründe für eine Entstehung nach 1235 sprächen; solche scheinen aber wenigsten für denjenigen, welcher die Richtigkeit der Beweisführung für die Stellung zum Swsp. anerkennt, nicht vorhanden zu sein.


XI.

Die Anhaltspunkte, welche für einen noch weiter zurückliegenden Terminus ad quem angeführt sind, scheinen mir nicht stichhaltig zu sein. Wenn Sachsse, Zeitschr. f. deutsches R. 10, 87. 81. wegen Nichtnennung des Bisthums Kamin unter den sächsischen Bisthümern, der Grafschaft Holstein unter den sächsischen Fahnlehen auf Entstehung vor 1228, beziehungsweise 1227 schliesst, so habe ich mich dagegen in der frühern Arbeit 161 (277) aus dem Grunde ausgesprochen, weil jenes kein sächsisches Bisthum, diese kein sächsisches Fahnlehen war.

Auch die Nichtbenutzung des Privilegs für die geistlichen Fürsten dürfte für eine Entstehung vor 1220 nichts beweisen; ein Privileg für einzelne Fürsten, so wichtig es auch sein mag, wird einem zur weitesten Kenntnissnahme bestimmten Landfrieden, wie dem von 1235, gewiss nicht gleichzustellen sein; und selbst der Nichtbenutzung dieses letztern möchte doch vorzüglich nur in Berücksichtigung einzelner Umstände, welche dort fortfallen, eine beschränkte Beweiskraft zuzugestehen sein.

Da die päpstliche Verordnung vom J. 1215 wegen Beschränkung des Eheverbots auf die vier ersten Sippen nur in einem Zusatze zu Ssp. 1, 3 § 3 vorkommt, so ist daraus noch neuerdings von Gaupp, germanist. Abhandl. 70. 126. geschlossen, dass der ursprüngliche Text wohl schon vor 1215 geschrieben sein [85] müsse. Dieser Schluss dürfte aber doch nur gerechtfertigt erscheinen, wenn sich wahrscheinlich machen liesse, dass Eike, wenn er die Bestimmung kannte, sie nicht wohl unerwähnt lassen konnte. Das scheint mir hier aber am wenigsten statthaft. Einmal liesse sich sagen, Eike zeichnete sächsisches Gewohnheitsrecht auf, nicht kanonisches; triftiger ist wohl der Grund, dass der Artikel sich ja gar nicht damit beschäftigt, in welcher Sippe die Heirath erlaubt sei, also nicht die geringste Nothwendigkeit vorlag, die Bestimmung zu erwähnen; wäre nicht zufällig der Zusatz gemacht, so würde schwerlich daran gedacht sein, aus diesem Artikel auf Entstehung vor 1215 zu schliessen.

Argumente, welche für einen noch früheren, selbst in das zwölfte Jahrhundert hinaufreichenden Terminus ad quem geltend gemacht wurden, dürften kaum mehr einer besonderen Erörterung bedürfen und sich durch das, was über den Terminus a quo und über das Reichsstaatsrecht folgt, hinreichend erledigen, womit ich keineswegs bestreiten will, dass vieles vom Inhalte des Ssp. auf eine frühere Zeit deutet, wie ich selbst an einem Beispiele zeigte; nur für die Zeit der Abfassung des uns vorliegenden Werkes wird es nichts beweisen können.


XII.

Was den Terminus a quo betrifft, so bemerkte ich früher, Dsp. 162 (278), dass es an bestimmten Anhaltspunkten für eine genauere Feststellung sehr fehle, wenn sich auch insbesondere aus dem Reichsstaatsrechte leicht ergebe, dass die Entstehung nicht gar zu lange vor den Terminus ad quem fallen könne. Dass sie nach 1198 falle, um davon auszugehen, dürfte nicht zu bezweifeln sein, da von einem Könige von Böhmen die Rede ist und doch schwerlich auf die Zeit des für seine Person zum König erhobenen Wladislaw II., 1158—1173, zurückgegriffen werden dürfte; da weiter das, was der Ssp. über die Wahlfürsten und die Erzämter sagt, mit dem, was wir anderweitig über die Zustände um 1198 wissen, noch kaum vereinbar wäre. Den Umstand, dass die bis 1212 dem Herzoge von Sachsen unterstehende Grafschaft Aschersleben als eigenes Fahnlehen aufgeführt ist, möchte ich für eine Entstehung nach 1212 kaum mit einiger [86] Sicherheit geltend machen; auch die Zurückführung des Uebergehens Baierns bei den Wahlstimmen und Erzämtern auf dessen Vereinigung mit der Pfalz dürfte an und für sich schwerlich genügen, eine Entstehung nach 1214 zu erweisen; ebenso möchte die Ansicht Sachsse's, dass wegen Erwähnung der grauen Mönche der Ssp. nach 1225, und die Walter's, dass er wegen Benutzung der Sententia de cambiis K. Friedrichs II. nach 1231 entstanden sein dürfte, durch die Erörterungen Gaupp's, germanist. Abh. 95 und Sachsse's a. a. O. 14, 108 genügend widerlegt sein.

Zwei andere Punkte dagegen, welche allerdings schon früher geltend gemacht wurden, von denen ich aber glaube, dass sie sich noch etwas fester begründen lassen, scheinen mir in dieser Beziehung entscheidend zu sein.


XIII.

Auf die Treuga Henrici regis (Mon. Germ. 4, 266) als Anhaltspunkt für die Entstehungszeit des Ssp. wies insbesondere Walter, d. Rechtsg. § 297, hin. Gaupp a. a. O. 105 und Sachsse a. a. O. 14, 90 ff. traten ihm entgegen mit Gründen, welche auch mir die Nothwendigkeit stattgefundener Benutzung zweifelhaft genug erscheinen liessen, um in meiner frühern Arbeit davon für die Zeitbestimmung keinen Gebrauch zu machen; später genöthigt, die Treuga für anderweitige Zwecke genauer zu beachten, schien mir doch hier ein Hauptanhaltspunkt zu liegen.

Mit Bestimmungen der Treuga lassen sich zusammenstellen Ssp. 2, 66 § 1 (tr. § 1. 2), § 2 (tr. § 3), 68 (tr. § 7), 70 (tr. § 11), 72 § 1 (tr. § 13), dann 2, 13 § 4 (tr. § 8. 20), § 5 (tr. 6. 13), § 7 (tr. § 21). Es ist nun die Annahme bestritten, dass der Ssp. an diesen Stellen die Treuga nothwendig benutzt haben müsse; manches, wie 66 § 1. 68. konnte er auch andern, uns erhaltenen Reichsgesetzen entnehmen; und wo sich solche nicht nachweisen lassen, können sie uns verloren sein, oder aber, es kann sich die Uebereinstimmung recht wohl auch in Fällen ergeben haben, wo der Ssp. nur ungeschriebenes Gewohnheitsrecht aufzeichnete, da die Reichsgesetzgebung gewiss häufig mehr die gesetzliche Sicherstellung desselben, als die Einführung ganz neuer Rechtsnormen beabsichtigte. Und für vereinzelte Bestimmungen, [87] zumal wenn sich die Uebereinstimmung auf den Inhalt beschränkt, die Form aber nicht trifft, wird gewiss in solchem Falle eine Benutzung schwer zu erweisen sein. Im gegebenen Falle scheint dieselbe aber nicht zweifelhaft; denn:

1. Bei manchen Stellen, so Ssp. 2, 66 § 2; 68; 72 § 1; 13 § 4. 5. ergibt sich allerdings nur Uebereinstimmung des Inhaltes, welche sich immerhin anderweitig erklären liesse. Doch dürften sich auch hier noch einige besondere Beziehungen finden. Ssp. 2, 13 § 4 stimmt mit Tr. § 8. 20 in der Strafe des Rades für Mörder und Mordbrenner; aber der Ssp. setzt sie auch noch auf den Raub an Pflügen, Mühlen, Kirchen und Kirchhöfen in auffallender Uebereinstimmung mit Tr. § 2, wo gerade diese Gegenstände als in dem Frieden begriffen genannt werden. Ssp. 2, 13 § 5 stimmt in der Strafe der Enthauptung für Entführung, Nothzucht und Raub mit Tr. § 6. 13; eine nähere Verbindung scheint sich auch hier noch aus der Stellung von Ssp. 2, 13 § 6 zu ergeben, da in der Tr. § 6. 13 in beiden Fällen Aehnliches folgt, was jene Stellung veranlasst haben könnte.

2. In den Stellen Ssp. 2, 66 § 1; 70, wohl auch in der näher zu erörternden 2, 13 § 7 ist die Uebereinstimmung mit den entsprechenden der Treuga bis auf den Wortlaut so gross, dass sie nicht unabhängig von einander entstanden sein können, sondern mindestens eine gemeinsame geschriebene Quelle anzunehmen ist; und es dürfte doch auffallen, dass man dann bei der Redaktion des Reichsgesetzes sich so genau an diese gehalten haben sollte, als die Uebereinstimmung erfordern würde.

3. Die verwandten Stellen, obwohl sie ihrem Inhalte nach nicht gerade nothwendig zusammengehören, finden sich nahe bei einander an zwei Stellen des Rechtsbuches, was doch sehr für die Benutzung einer uns bekannten Quelle, in welcher sie sich vereint finden, sprechen dürfte.

4. Besonders entscheidend scheint mir hier, dass der Ssp. 2, 66 § 1 den Theil, in welchem sich die Hauptmasse der verwandten Stellen findet, mit den Worten einleitet: Nu vernemet den alten vrede, den die keiserlike gewalt gestedeget hevet deme lande to sassen, mit der guten knechte wilkore von deme lande, welche doch aufs bestimmteste anzudeuten scheinen, dass ihm [88] für das Folgende eine besondere Quelle vorlag. Auf den Umstand, dass der Ssp. hier von einem alten, vom Kaiser bestätigten Frieden spricht, hat Sachsse a. a. O. 110 hingewiesen, um unglaublich zu machen, dass die Treuga, wenn der Ssp. aus ihr geschöpft habe, von K. Heinrich VII. herrühren könne, da er dann dieselbe nicht als alten Frieden bezeichnen könnte. Mir scheint gerade auch dieser Umstand für den Zusammenhang zu sprechen. Wir haben keinen Grund, in der Treuga ein durchaus neues Recht, nicht vielmehr eine Bestätigung grossentheils schon vorhandener Bestimmungen zu sehen; ja, in der Treuga selbst heisst es gerade in dem Absätze, welchen der Ssp. jenen Worten in fast wörtlicher Uebersetzung folgen lässt: Strate omnes tum in terra tum in aqua eandem pacem habebunt, quam ab antiquitus habuerunt. Fehlt bei den vorhergehenden Bestimmungen über die Personen und Sachen, welchen Frieden gewährt ist, eine solche ausdrückliche Angabe, schwerlich wird doch zu bezweifeln sein, dass es sich auch dort nur um die Bestätigung alter Friedensbestimmungen handelte; und wäre es nicht der Fall, wie leicht konnten nicht wenigstens gerade diese Worte den Verfasser des Ssp. veranlassen, den Frieden überhaupt als einen alten, nur neu bestätigten zu fassen, zumal ihm ein entsprechender Ausdruck an jener Stelle fehlt und derselbe demnach bei übrigens fast wörtlicher Uebersetzung geradezu in den Eingang übernommen zu sein scheint. Stellt der Ssp. das seinen Eingangsworten Folgende ausdrücklich als altes, von der kaiserlichen Gewalt bestätigtes Recht hin, und ist uns ein Reichsgesetz bekannt, in welchem sich dasselbe so gut wie wörtlich und zudem mit einer Andeutung, dass es sich um altes Recht handle, findet, so müssten die Gegengründe doch sehr stark sein, welche uns bezweifeln lassen könnten, dass dem Ssp. das Gesetz vorlag.

Damit dürfte auch das Bedenken des H. v. D. beseitigt sein, welcher Dsp. S. 12 meint, sei der Ssp. um die gewöhnlich angenommene Zeit entstanden, so könne er die Treuga nicht als alten Frieden bezeichnen, und nun dagegen die Lesart des Swsp. 248: den andren vriden durch eine gewiss nicht naheliegende Beziehung auf Ansegis als ursprünglicher zu erweisen sucht. Die Lösung liegt viel näher; auch der Dsp. 187, übrigens dem [89] Ssp. wörtlich folgend, hat: den andern fride; also ein Beweis mehr, wie abhängig der Swsp. von den Korruptionen desselben ist.

Dürfte demnach die Benutzung der Treuga nicht zu bezweifeln sein, so wird diese für unsern nächsten Zweck nur dann von Gewicht sein, wenn sich die Entstehungszeit derselben ermitteln lässt. Den nächsten Anhaltspunkt bietet, dass das Gesetz von einem Könige Heinrich erlassen ist, neben dem es einen Kaiser gab, da König und Kaiser in ihm erwähnt werden. Das würde zutreffen bei K. Heinrich V., 1099–1105, K. Heinrich VI., 1165–1190,, K. Heinrich VII., 1220–1235. Sachsse a. a. O. glaubt sich für den ersteren entscheiden zu sollen; Gaupp a. a. O. 105 denkt zunächst an K. Heinrich VI.; am verbreitetsten ist die Ansicht, K. Heinrich VII. sei der Urheber. Und dafür scheint mir allerdings alles zu sprechen.

1. K. Heinrich V. wurde allerdings 1099 zum Könige gekrönt, aber nach Ablegung des Versprechens, sich nicht in die Regierung einmischen zu wollen; von einer Antheilnahme an derselben bis zu seiner Erhebung ist nichts bekannt, es scheinen nicht einmal einfache Urkunden, welche er bei Lebzeiten des Vaters ausstellte, erhalten zu sein; einer Entstehung der Treuga nach seiner Erhebung aber würde die Art und Weise, wie König und Kaiser zusammengenannt werden, widersprechen. Dagegen nahm K. Heinrich VI. wenigstens seit 1185 in Italien, und seit 1188 auch in Deutschland Theil an der Regierung, während dem K. Heinrich VII. sogar von seiner Wahl bis zu seiner Entsetzung formell die Regierung in Deutschland zustand. Schon das scheint mir zu genügen, den Gedanken an K. Heinrich V. fallen zu lassen. Dagegen dürfte doch der Umstand, dass sich am Rande der einzigen bekannten, sehr späten Abschrift eine auf diesen bezügliche Bemerkung findet, das Gewicht, welches ihm Sachsse a. a. O. 95 beizulegen geneigt ist, nicht beanspruchen können.

2. Der wiederholte und ausschliessliche Gebrauch des Ausdruckes feudum macht eine Entstehung zu Anfang des zwölften Jahrhunderts wenigstens sehr unwahrscheinlich.

3. Die Umstände, dass die Treuga ausfuhrlicher ist, als das Friedensgesetz von 1156, dann dass sie in Bestimmung der [90] Strafe des Rades für Mordbrand eine Verschärfung gegenüber der Constitutio de incendiariis von 1187 zeigt, scheinen das zu bestätigen, obwohl ich ihnen in Berücksichtigung der vorgebrachten Gegengründe entscheidendes Gewicht gerade nicht beilegen möchte. Dass sich in den Strafbestimmungen der Treuga überhaupt kaum Abweichungen von denen älterer Reichsgesetze zeigen (vgl. Boehlau a. a. O. 76), dürfte die früher geäusserte Ansicht bestätigen, dass es sich hier wesentlich nur um Erneuerung und Bestätigung althergebrachter Satzungen handelt.

4. Dafür, dass die Treuga nicht K. Heinrich VI., sondern K. Heinrich VII. angehört, dürfte sprechen, dass Bestimmungen derselben mehrfach in Gesetzen und Rechtssprüchen aus der frühern Zeit K. Friedrich II. wiederkehren, was doch mindestens darauf deutet, dass die Bedürfnisse, welchen sie abhelfen sollten, sich gerade damals geltend machten. So die Bestimmungen über die Schützer der Geächteten (vgl. 1219. Mon. Germ. 4, 234), über die Zerstörung von Plätzen, in welchen Geächtete gehauset (1235. a. a. O. 317.), über das Ineinandergreifen von Acht und Bann, über den Schutz der Kirchen gegen ihre Vögte (1220. a. a. O. 236. 243.), über Ketzer.

5. Die Treuga, zumal § 18. 22. setzt wohl eine Zeit ungetrübten Einvernehmens zwischen Staat und Kirche voraus; dass man 1188–1190, wo ein sehr gespanntes Verhältniss zwischen Kaiser und König einerseits, dem Papste und mächtigen deutschen Kirchenfürsten andererseits bestand, in einem Reichsgesetze ausdrücklich erwähnt haben sollte, dass das Kirchengut sub protectione domini pape et imperatoris stehe, ist mir sehr unwahrscheinlich; trefflich würde dagegen das und manches andere in die frühern Zeiten K. Heinrichs VII., in die Zeit der Reichsverwesung Engelberts des Heiligen passen.

6. Besonderes Gewicht möchte ich auf den Tr. § 8 vorkommenden Ausdruck dominus provincie legen. Ihm entspricht der dominus terre in Rechtssprüchen von 1231 (Mon. Germ. 4, 282. 283); dagegen dürfte sich dieser oder ein ähnlicher Ausdruck in Schriftstücken der Reichskanzlei aus den Zeiten K. Friedrichs I. und K. Heinrich VI. weder wirklich nachweisen lassen, noch auch nur die Möglichkeit seines Vorkommens glaublich zu machen [91] sein; denn der Begriff selbst, welcher zum Ausdrucke führte, hatte sich damals noch nicht hinlänglich entwickelt.

Dürften diese Gründe für die Annahme der Entstehung während der Regierung K. Heinrichs VII. genügen, so scheint manches darauf zu deuten, dass sie in die früheren Jahre derselben fällt.

1. Den nächsten Anhalt für eine genauere Zeitbestimmung sollte die Angabe bieten, der Friede sei vom Könige apud Wittenbergam cum principibus angeordnet. Die richtige Beziehung des Ortsnamens stösst auf Schwierigkeiten. Pertz stützte seine Einordnung zum Juli 1230 darauf, dass der König zu dieser Zeit apud Wizinburc, zu Weissenburg im Nordgaue, urkundet; aber abgesehen davon, dass der Unterschied der Namen immer ein nicht unbedeutender ist, befanden sich dort keine Fürsten beim Könige. Ein Gesetz, wie das vorliegende, konnte zunächst rechtskräftig auf einem gebotenen Reichshoftage vom Könige und von den Fürsten erlassen werden. Hoftage aber wurden nur nach bestimmten Orten entboten, unter welchen keiner einen ähnlichen Namen führt. Es stand aber weiter, wie ich nach eingehendern Untersuchungen glaube annehmen zu dürfen, in dieser Beziehung die Reichsheerfarth dem Reichshoftage ganz gleich; war dieselbe den Fürsten geboten, so konnte auf ihr alles rechtskräftig bestimmt werden, wozu Zusammenwirken von König und Fürsten erforderlich war. Scheint nun der Name selbst auf Niederdeutschland zu weisen, bringt weiter der Verfasser des Ssp., welcher doch Näheres über die Entstehung wissen konnte, das Friedensgesetz in nächste Beziehung zum Lande Sachsen, und wurden Gesetze, welche zunächst für ein einzelnes Land bestimmt waren, in der Regel im Lande selbst mit den Fürsten desselben vereinbart, so dürfte zunächst an die Reichsheerfahrt an die Elbe im J. 1224 zu denken sein, da sich an der Heerfahrt gegen Braunschweig 1227 sächsische Fürsten nicht betheiligt zu haben scheinen. Eine befriedigende Erklärung des Ortsnamens ergibt sich freilich auch hier nicht. Der König war Sept. 9 zu Soest, Sept. 20 zu Hervord; es wäre möglich, dass an dem dazwischen auf der Gränze der westfälischen Bisthümer liegenden, je zur Hälfte den mitziehenden Bischöfen von [92] Köln und Osnabrück gehörigen und vielleicht zum Sammelplatze bestimmten Orte Wiedenbrück eine Sprache gehalten sei; aber es ist das eben nur eine Möglichkeit und der Name nicht einmal sehr zutreffend. Von wirklich gehaltenen Sprachen auf dieser Fahrt wissen wir nur zu Bardewyk und, wo derselbe Tag gemeint sein dürfte, zu Lüneburg (Sudendorf registrum. 3, 55); da müssten wir den Namen ganz aufgeben. Nahe läge es gewiss, an Wittenburg in der Grafschaft Schwerin zu denken; dass König und Fürsten in der Nähe zu Blekede waren, wissen wir bestimmt; der Zweck des Zuges, die besondere Betheiligung des Grafen von Schwerin an den Angelegenheiten würden ein solches Vorgehen nicht unwahrscheinlich machen; aber nach den bestimmtesten Nachrichten mehrerer Schriftsteller sollen König und Fürsten die Elbe nicht überschritten haben. (Vgl. zu Böhmers Regesten meinen Engelbert. 123. 246.) Ueber den Rückweg des Königs sind wir nicht näher unterrichtet; die nächsten Urkunden zeigen ihn zu Frankfurt, und es muss unwahrscheinlich sein, dass er dabei etwa Wittenberge oder Wittenberg berührte. Noch unwahrscheinlicher ist es; dass der König bei einem seiner andern Aufenthalte in Sachsen an einen dieser, dem Namen nach nächstliegenden Orte gelangte; ausser auf Heerfahrten gingen die Könige dieser Zeit nicht über Goslar, Merseburg und Altenburg hinaus. Lassen wir aber den vielleicht stark korrumpirten Namen und damit den Grund für die Annahme der Entstehung auf einer Heerfahrt fallen, halten aber an Sachsen fest, so finden wir Aufenthalte in Sachsen und Hoftage zu Nordhausen, Goslar und Altenburg in den J. 1223, 1225, 1227 und 1234; das allein gibt also keinen bestimmteren Anhaltspunkt.

2. Der ganze Charakter des Gesetzes, die Sorge für den Landfrieden, für das Kirchengut, das Hervorheben des Zusammenwirkens von Kirche und Staat stimmt trefflich zu dem Streben der Reichsregierung während der Leitung des Erzbischof Engelbert und dürfte für eine Entstehung vor 1225 sprechen.

3. Am wichtigsten dürfte der Umstand sein, dass in der Treuga die Bestrafung der Ketzerei noch dem Ermessen des Richters anheimgestellt ist, während schon März 1224 durch eine kaiserliche Konstitution die Strafe des Feuertodes darauf gesetzt [93] wurde. Allerdings ist in der uns vorliegenden Ausfertigung nur von einer Geltung für die Lombardei die Rede; Verordnungen desselben Inhalts für das ganze Reich sind uns unbekannt; die Vermuthung Sachsse’s a. a. O. 14, 104, die zu Cremona, Verona und Padua 1238 und 1239 erlassenen allgemeinen Verordnungen, welche nur nach der Indiktion datirt sind, könnten trotz des Titels eines Königs von Jerusalem schon nach 1223 und 1224 gehören, widerlegt sich durch das Itinerar. Aber es steht auch nichts im Wege anzunehmen, dass damals entsprechende Weisungen nach Deutschland gekommen seien, zumal wir hier 1231 den Feuertod und zwar als eine schon bestehende Strafe in einem Rechtsspruche erwähnt finden und uns kein zwischenliegender Zeitpunkt bekannt ist, an welchem sie eingeführt wäre. Und fehlte es in Deutschland an einer betreffenden Verordnung, so wird wenigstens die kaiserliche Verfügung der Reichsregierung bald bekannt geworden sein; und schwerlich würden dann König und Fürsten bei ihrer Strafbestimmung dieselbe unberücksichtigt gelassen haben.

Daraus würde sich Entstehung der Treuga spätestens im J. 1224 ergeben; halten wir an Sachsen fest, so wäre zunächst an den Hoftag zu Nordhausen 1223 zu denken; die Heerfahrt im Sept. 1224 würde wenigstens einige Monate später fallen.

Sind die Beweisgründe im allgemeinen wenig genügend, so dürften sie doch wahrscheinlich machen, die Treuga sei in den ersten Jahren Heinrichs, etwa 1223 oder 1224 entstanden. Auch in einer ungedruckt gebliebenen, von der juristischen Fakultät zu Berlin gekrönten Preisschrift soll Entstehung der Treuga um 1224 sehr wahrscheinlich gemacht sein. Homeyer, Stellung. 74.

Für den Ssp. ergibt sich demnach aus der Benutzung der Treuga, dass er nach 1220 und aller Wahrscheinlichkeit nach nach 1223 entstanden sei.


XIV.

Der genaueste Anhaltspunkt für die möglich früheste Entstehungszeit des Ssp. scheint darin zu liegen, dass er die Strafe des Scheiterhaufens für Ketzer kennt, welche erst im [94] J. 1224 durch kaiserliche Verordnung zunächst in der Lombardei eingeführt wurde; er muss demnach nach 1224 entstanden sein.

Allerdings bemerkt Sachsse a. a. O. 14, 107, die betreffenden Worte des Ssp. liessen sich sehr wohl auch von einer blossen Rechtsansicht des Verfassers verstehen; daraus würde dann folgen, dass die Stelle auch schon früher ganz unabhängig von irgend einer gesetzlichen Bestimmung geschrieben sein könnte. Muss das an und für sich wenig glaublich scheinen, so kommt im gegebenen Falle noch ein besonderer, so viel ich weiss, bisher nicht geltend gemachter Gegengrund hinzu. In der Treuga § 21 heisst es: Heretici, incantatores, malefici quilibet de veritate convicti et deprehensi, ad arbitrium judicis poena debita punientur; der Ssp. 2, 13 § 7 sagt: Svelk kersten man oder wif ungelovich is unde mit tovere umme gat, oder mit vorgiftnisse unde des verwunnen wirt, den sal man upper hort brennen. Fänden wir diese Stellen auch ganz isolirt, so würde doch trotz der Verschiedenheit in Angabe der Strafe schwerlich bezweifelt werden können, dass dieselben bei einer so auffallenden Uebereinstimmung im Vordersatze von einander abhängig seien. Kommt nun noch hinzu, dass der Ssp. nicht allein überhaupt, sondern gerade auch in den vorhergehenden Stellen 2, 13 § 4. 5. die Treuga benutzt hat, so kann doch kein Zweifel bleiben, dass der Verfasser hier die Worte der Treuga vor Augen hatte. Dann aber gewinnt die Abweichung in der Strafbestimmung doppelte Bedeutung. Der Verfasser des Ssp., welcher 2, 66 § 1 die Treuga ausdrücklich als ein für Sachsen verbindliches Reichsgesetz anerkennt und ihr in andern Strafbestimmungen genau folgt, würde hier gewiss nicht nach einem eben so unnachweisbaren, als unwahrscheinlichen Gewohnheitsrechte oder gar nach eigenem Ermessen eine so bedeutend geschärfte Strafbestimmung aufgenommen haben, wenn ihn nicht eine inzwischen ergangene Verfügung der Reichsgewalt dazu berechtigte. Das aber kann frühestens die Konstitution von 1224 sein; es ist uns keine frühere bekannt, in welcher diese Strafe erwähnt wird; die ganze Fassung scheint auf Einführung einer neuen Strafe zu deuten; insbesondere ist auch in dem [95] Gesetze des Kaisers gegen die Ketzer vom J. 1220 (Mon. Germ. 4, 244) vom Feuertode noch nicht die Rede.

Dagegen scheint uns auch der Umstand, dass jene Konstitution zunächst nur für die Lombardei Geltung haben sollte, nicht zu berechtigen, desshalb einen spätern Terminus a quo anzunehmen. Ist es möglich, dass die 1231 auch in Deutschland als bestehend erwähnte Strafe hier erst einige Jahre nach 1224 eingeführt wurde, so steht doch auch einerseits der Möglichkeit gleichzeitiger Einführung nichts im Wege, während andererseits ein auch zunächst nur für die Lombardei gültiges, aber gewiss in Deutschland bald bekannt gewordenes Gesetz dem Verfasser des Ssp. genügen konnte, die strengere Strafbestimmung aufzunehmen.

Ein genauerer Terminus a quo, als das J. 1224, scheint mir überhaupt nicht erweisbar. Angebliche Haltpunkte für 1225 und 1231 wurden bereits zurückgewiesen. Wo die Annahme einer noch spätern Entstehungszeit ausgesprochen ist, gründet sich dieselbe vorzugsweise auf die Behauptung der Priorität des Swsp., welche hinreichend widerlegt sein dürfte, dann auf einzelne staatsrechtliche Bestimmungen, welche wir schliesslich ins Auge fassen.


XV.

In den bisherigen Erörterungen glaube ich alle Umstände berührt zu haben, welche geeignet sind, zur Feststellung bestimmter Zeitpunkte, nach oder vor welchen der Ssp. nicht entstanden sein kann, zu dienen; es ergab sich daraus mit grösster Wahrscheinlichkeit, dass er zwischen 1224 und 1232 entstanden sein müsse.

Daneben können nun aber noch solche Bestimmungen des Rechtsbuches in Betracht gezogen werden, welche sich auf Zustände beziehen, die zwar an und für sich dauernd, an keine genauer zu bestimmende Anfangs- und Endpunkte geknüpft, aber doch so weit einer Weiterentwicklung unterworfen sind, dass sich im allgemeinen bestimmen lässt, die gerade hier als bestehend vorausgesetzte Entwicklungsstufe treffe nur in diesem oder jenem Zeitraume zu. [96] Bestimmungen des Privatrechts und Strafrechts, insofern sie sich nicht etwa, wie einzelne schon erörterte, an bestimmte gesetzgeberische Akte anschliessen, werden dafür in der Regel wenig bieten; mehr das Reichsstaatsrecht. Denn trotz aller Stätigkeit der Reichsverfassung, trotz der uns überall hervortretenden Anschauung, dass sie so, wie sie eben war, auch von jeher gewesen sei, ist dieselbe selbst in ihren wichtigsten Grundlagen fortwährenden Modifikationen unterworfen gewesen, welche, obwohl sie immer an das Alte anknüpften und von diesem aus sich ohne Sprünge so stätig entwickelten, dass sie den Mitlebenden selbst kaum zum Bewusstsein kamen, dennoch oft in so kurzer Zeit erfolgten, dass der ganze Entwicklungsprozess kaum ein Menschenleben erfüllte. Der in einem Rechtsbuche vorausgesetzte Zustand der Reichsverfassung wird daher immerhin Anhaltspunkte für die Zeit seiner Entstehung geben können.

Davon wird freilich kaum die Rede sein können, vermittelst dieses Hülfsmittels den Zeitraum der möglichen Entstehung des Ssp. noch genauer zu begränzen, nachdem wir ihn auf andern Wegen bereits auf acht Jahre einschränkten; es wird nur Platz greifen können, wo es sich nicht um den Unterschied einzelner Jahre, sondern einer Reihe von Jahrzehnten früher oder später handelt.

Ein solcher liegt allerdings vor, wenn es sich fragt, ob der Ssp. nach der gewöhnlichen Meinung um 1230, oder aber erst nach dem Swsp., also ein volles halbes Jahrhundert später entstanden sei. Die Frage wurde auf anderem Wege bereits entschieden; zur grösseren Sicherheit aber, und weil der Gegner gerade auf dieses Hülfsmittel besonderen Werth legt, will ich auch der Aufgabe, die gewonnenen Resultate nochmals von diesem Gesichtspunkte aus zu prüfen, nicht ausweichen.

Bei den zahlreichen staatsrechtlichen Bestimmungen des Ssp. und den vielfachen Wandelungen, welchen die Reichsverfassung gerade im dreizehnten Jahrhunderte unterlag, wird allerdings vorauszusetzen sein, dass im Falle der Richtigkeit unserer Beweisführung sich im Ssp. Bestimmungen finden müssen, welche wohl noch dem Zustande der Reichsverfassung um 1230, nicht aber mehr dem um 1280 entsprechen. Und an solchen fehlt es [97] allerdings nicht. Ich erinnere beispielsweise daran, dass der Ssp., wie er einerseits die königliche Vollgewalt noch kennt, andererseits noch in den verschiedensten Bestimmungen von der Anschauung der Gliederung des Reichs in Länder und deren Wirksamkeit bei der Reichsverwaltung ausgeht, noch das regelmässige Besuchen der einzelnen Länder durch den König, welcher über bestimmte Sachen nur im Lande richten soll, voraussetzt, noch Gewicht legt auf seinen ersten Eintritt in das Land beim Königsritte. Wie diese ganze Anschauung sich am Ende des zwölften und in den ersten Jahrzehnten des dreizehnten Jahrhunderts verlor, hoffe ich an anderm Orte genauer ausführen zu können; für Sachsen begnüge ich mich darauf hinzuweisen, dass wir hier 1213 den letzten Einzug des neugewählten Königs finden, dass dann nur noch K. Heinrich, also gerade der, unter welchem wir den Ssp. entstanden denken, wenigstens so oft im Lande sein mochte, dass die Bestimmungen, welche eine Anwesenheit des Königs im Lande verlangten, als noch wirksame gelten konnten. Denn von K. Heinrichs Hoftage zu Altenburg 1234 bis zu dem K. Rudolfs zu Erfurt 1289 sah Sachsen nur noch 1252 und 1253 den K. Wilhelm in seinen Gränzen. Und dass diese Aenderungen auf die Bestimmungen der Rechtsbücher nicht ohne Einfluss blieben, zeigt sich aufs bestimmteste bei einer Vergleichung des Ssp. mit den entsprechenden Sätzen des Swsp. und selbst schon des Dsp.; insbesondere ist es die königliche Gewalt, deren Zurücktreten gegen die landesherrliche im Laufe des dreizehnten Jahrhunderts sich hier vielfach verfolgen lässt. So bestimmt der Ssp. 1, 34 § 3 als höhere Instanz für die Vergabung von Eigen den König, wenn er in das Land kommt; der Dsp. 39 fügt den Gerichtsherrn hinzu, der Swsp. 39 lässt den König ganz fallen. Die Angabe des Ssp. 3, 33 § 1, dass Jeder sein Recht vor dem Könige habe, fehlt im Swsp.; und wohl nicht zufällig, da, die unmittelbar folgende Bestimmung 3, 33 § 2, dass Jeder vor dem Könige nach seinem Rechte antworten muss, im Swsp. 296 zwar wiedergegeben ist, aber mit Beseitigung des Königs. Nach dem Ssp. 3, 80 § 1 fällt erbloses Gut des Biergelden über dreissig Hufen an den König; der Swsp. 155 b spricht es dem Landrichter zu und fahrende Habe dem [98] Landesherren. Nach dem Ssp. 3, 81 § 1 macht der König neue Schöffen; nach dem Swsp. 156 b der Landesherr.

Manche ähnliche Umstände sind mir bei Untersuchungen über die Verfassungsgeschichte des dreizehnten Jahrhunderts aufgefallen; für den nächsten Zweck aber scheint mir durch eine Erörterung derselben wenig zu gewinnen. Mögen sie immerhin die Annahme einer Entstehung des Ssp. in der ersten Hälfte des Jahrhunderts bestätigen, als entscheidend werden sie gegen die Annahme einer spätern Entstehung nie geltend gemacht werden können, da ich selbst bereits wiederholt darauf hinwies, wie in ein jüngeres Werk durch Benutzung älterer Quellen recht wohl Bestimmungen übergehen konnten, welche auf einen früheren, zur Zeit der Abfassung bereits antiquirten Zustand hindeuten.

Entscheidend gegen die Richtigkeit unserer frühern Beweisführung wird dagegen allerdings jede Stelle sein, aus welcher sich die Kenntniss späterer, zur angenommenen Zeit der Entstehung noch nicht vorhandener Zustände und Thatsachen ergibt; freilich unter der doppelten Bedingung, dass die betreffende Stelle erweislich dem Urtexte angehört und dass bei der richtigen Beziehung derselben die Möglichkeit einer Täuschung ausgeschlossen ist. Herr v. D. behauptet nun Dsp. S. 43, die staatsrechtlichen Bestimmungen des Ssp. sowohl, wie die des Swsp. und des Weichbildrechts ergäben eine Reichsverfassung, wie sie erst unter K. Rudolf in der Wirklichkeit vorhanden war. Ist diese Behauptung gegründet, so sind die frühern Resultate damit freilich unvereinbar.

Auf den von H. v. D. selbst S. 49 angedeuteten Ausweg, für den staatsrechtlichen Theil des Ssp. eine spätere Abfassung anzunehmen, möchte ich am wenigsten eingehen; ich habe bereits oben (S. 65) bemerkt, dass der kritische Apparat für eine solche Annahme nicht den geringsten Anhalt bietet und würde daher in den S. 15 hervorgehobenen Fehler des Gegners verfallen, wollte ich den staatsrechtlichen Theil des Ssp. oder einzelne Stellen desselben als späteren Zusatz betrachten; lässt sich die nachgewiesene Entstehungszeit nicht mit jedem Bestandtheile des Ssp., welcher beim Uebereinstimmen der verschiedensten Formen [99] als ursprünglich zu betrachten ist, in Uebereinstimmung bringen, so ist der frühere Beweis ein verfehlter.

Das Aufsuchen solcher Auswege erscheint aber auch vollkommen überflüssig; mir selbst ist bei fortgesetzter Beschäftigung mit dem Gegenstande nichts aufgefallen, was auf eine spätere Entstehungszeit deutet; und den Bestimmungen, welche H. v. D. in dieser Beziehung geltend macht, scheint mir die zweite der oben genannten Bedingungen so sehr zu fehlen, dass sie die frühere Beweisführung nicht allein nicht widerlegen, sondern dieselbe vielmehr vielfach, so weit sie überhaupt Haltpunkte für die Zeitfrage bieten können, in erwünschter Weise bestätigen. Es sind drei Punkte vom Gegner hervorgehoben, welche wir einzeln erörtern.

A.

Ueber den wichtigsten Punkt sagt H. v. D. S. 43: „Hauptsächlich ist es die Wahl des Königs durch drei geistliche und vier weltliche dazu besonders berechtigte Fürsten, von der ich behaupte, dass sie erst in dem Interregnum bei der zwiespältigen Wahl von Richard und Alfons ihren Anfang genommen habe und erst durch die Wahl von Rudolf I. wirkliches Reichsrecht geworden sei.“

Die Bestimmungen über die Königswahl soll ich selbst, nach einer Aeusserung des H. v. D. S. 78, als massgebend für die Altersbestimmung der Rechtsbücher anerkannt haben. So unbedingt hingestellt ist das in keiner Weise richtig. Meiner Meinung nach wissen wir zu wenig über die allmählige Ausbildung des Vorrechts der Kurfürsten, als dass wir auf Angaben darüber genauere Zeitbestimmungen gründen könnten; am wenigsten möchte ich sie anderen, fester begründeten Zeitbestimmungen gegenüber geltend machen, so lange sich nicht die unbedingte Unmöglichkeit ergibt, sie nach dem, was uns sonst darüber bekannt ist, damit in Verbindung zu setzen. Ich habe daher in meiner frühern Arbeit S. 163 (279) die Kurfürstenfrage keineswegs als massgebend für die Zeitbestimmung überhaupt hingestellt, sondern lediglich nach Erschöpfung aller andern, mir damals als massgebend erscheinenden Anhaltspunkte auf sie [100] hingewiesen, um die Annahme zu begründen, dass der Ssp. nicht gar lange vor dem anderweitig festgestellten Terminus ad quem 1235 entstanden sein dürfte.

Jenen an die Spitze gestellten Satz des H. v. D. möchte ich allerdings nicht so unbedingt als unrichtig bezeichnen, zumal, wenn etwa „ausschliesslich berechtigte“ statt „besonders berechtigte Fürsten“ gesagt würde. Bestreiten muss ich aber jedenfalls, dass dadurch die bezüglichen Angaben des Ssp. getroffen werden; ich behaupte vielmehr, dass uns der Ssp. das Vorrecht der Kurfürsten auf einer Entwicklungsstufe zeigt, welche nach den uns sonst vorliegenden Angaben dem Zustande um 1230 vollkommen entsprechen dürfte, dagegen nicht mehr den fester ausgebildeten Verhältnissen zur Zeit K. Rudolfs. Zur Begründung dieser Gegenansicht die ganze Kurfürstenfrage nochmals zu erörtern, müsste überflüssig erscheinen, nachdem zu den Regesten Böhmer's, zu den Schriften Homeyers, v. Daniels u. a. nun noch die Schrift von Phillips: Die deutsche Königswahl bis zur goldenen Bulle. 1858. gekommen ist, welche die ganze Frage einer eben so umfassenden, als gründlichen Erörterung unterzieht. Insbesondere dieser letztern gegenüber werden die folgenden Erörterungen weniger den Charakter einer Ergänzung beanspruchen, da ich nur noch auf wenige Punkte verweisen kann, welche bisher ganz unbeachtet blieben, als vielmehr den einer Zurechtlegung der Ergebnisse für einen bestimmten Zweck; denn während der geehrte Verfasser an der gewöhnlich angenommenen, auch hier vertheidigten Ansicht über die Entstehungszeit des Ssp. festhaltend die betreffenden Angaben desselben vielfach als Ausgangspunkte seiner Untersuchungen behandeln konnte, ist ein solches Vorgehen hier natürlich nicht gestattet, wo wir jene Entstehungszeit in Frage stellen. Es wird zunächst ganz unabhängig von den Angaben des Ssp. zu untersuchen sein, wie und wann bei den Wahlen der Vorzug einzelner Wähler thatsächlich hervortritt, um uns eine Ansicht über die Entwicklung zu bilden; und da bereits Homeyer auch von diesem nächsten Gesichtspunkte aus die Frage ausgiebig erörterte, so werde ich mich dabei auf die Erörterung einzelner Punkte beschränken können, welche entweder für den nächsten Zweck besonders wichtig [101] scheinen, oder für welche ich einige bisher unbeachtete Zeugnisse oder Gesichtspunkte glaube hervorheben zu können. Die Hauptaufgabe wird dann sein, damit die Angaben des Ssp. genauer zu vergleichen, um die Zeit zu bestimmen, wo sie in jene Entwicklung eingreifen; denn die meiner Ansicht nach irrige Auffassung des Gegners dürfte weniger noch auf abweichender Ansicht von der geschichtlichen Entwicklung beruhen, als auf ungerechtfertigten Annahmen über die Punkte, nach welchen die Zeit jenes Eingreifens zu bestimmen ist.

a.

Was die Entwicklung des Vorrechtes einzelner Wähler betrifft, so scheint sich ein Vorzug bei der Wahl zunächst an das Recht, zuerst die Stimme abzugeben, angeknüpft zu haben. Ein bestimmtes Herkommen darüber, nach welcher Reihenfolge zu stimmen sei, ist wohl bei allen Wahlen von vornherein anzunehmen; und nahe lag es jedenfalls, insbesondere bei bestrittenen Wahlen, den Stimmen der ersten Wähler besonderes Gewicht beizulegen. So beruft sich z. B. 1160 die Synode von Pavia darauf, dass der von einer Minderheit erhobene Gegenpapst Victor von den Kardinälen erhoben sei, quorum vox prima erat in electione. (Mon. Germ. 4, 125). Im Dialogus clerici et laici wird auf den Einwand gegen die Rechtmässigkeit des Kölner Erzbischofs Bruno 1205, dass dieselbe ohne Beisein der Barone vollzogen sei, erwidert, dass ausser andern der Graf von Sayn anwesend gewesen sei, cuius prima vox est in assensu prestando. (Böhmer f. 3, 403.) Was das Reich betrifft, so lässt sich bekanntlich wenigstens die prima vox des Erzbischofs von Mainz in sehr frühe Zeiten verfolgen, und für eine bestimmte Reihenfolge der übrigen Fürsten, wäre sie nicht von vornherein anzunehmen, liesse sich auf die Aeusserung der deutschen Bischöfe im J. 1157 verweisen: electionis primam vocem Moguntiae archiepiscopo, deinde quod super est caeteris secundum ordinem principibus recognoscimus. (Radevic. l. l. c. 16.) Wie die übrigen Stimmen in früherer Zeit geordnet waren, ob, da ich mit Phillips annehmen möchte, dass der Unterschied der Stämme hier sehr gewichtig war, vielleicht zunächst nur für die Fürsten [102] der einzelnen Länder eine genauere Rangordnung bestand, wie sie nach der Erzählung des Arnold von Lübeck für die sächsischen Fürsten noch 1208 auf der Wahlversammlung zu Halberstadt beobachtet wurde, möchte schwer zu entscheiden sein; und Kenntniss der ältern Ordnung dürfte auch zur richtigen Würdigung der spätern Verhältnisse vielleicht nur wenig beitragen, da uns die Verfassungsgeschichte überall zeigt, wie das spätere Herkommen sich weniger auf Grundlage der frühern normalen, als vielmehr der insbesondere durch den Sturz Heinrichs des Löwen vielfach verschobenen und unklar gewordenen Zustände, wie sie gegen Ende des zwölften Jahrhunderts bestanden, entwickelt hat.

Ein nicht blos thatsächlich grösserer Einfluss, wie er den mächtigsten Fürsten von jeher zustehen musste, sondern ein auch rechtlich begründeter Vorzug einzelner Fürsten wird zuerst bei der Wahl 1198 geltend gemacht, und zwar von den Wählern und Gönnern K. Ottos. Vgl. die Belege bei Philipps. 89. Für unsern Zweck wäre es besonders wichtig zu wissen, welche Fürsten man damals als bevorrechtete betrachtete. Ausser Mainz waren das zunächst unzweifelhaft Köln und Trier: Coloniensis et Trevirensis archiepiscopi electionem regis sui iuris esse firmantes. Godefr. Colon, ad a. 1198. Vgl. Ann. Argent., Otto S. Blas. bei Böhmer f. 3, 92. 631. Dem Kölner insbesondere wird vom Papste ein bevorzugtes Wahlrecht bestimmt zugesprochen (Reg. imp. ep. 80.); scharf betont erscheint es dann in der, zwar nicht ganz gleichzeitigen, aber jedenfalls beachtenswerthen Aeusserung des Cäsarius (Böhmer f. 2, 280), die Wiederwahl Philipps 1204 nach Kassation der frühern, sei lediglich erfolgt, damit der einzige Erzbischof von Köln sein Wahlrecht üben könne, wonach er also dem Herzoge von Brabant und andern Grossen, welche damals zu Philipp übertraten, gleiches Recht bei der Wahl nicht zuzugestehen scheint.

Das Hervortreten der Erzbischöfe ist freilich weniger wichtig, da es sich auch durch Umstände erklären liesse, welche zu dem Hervortreten der spätern Kurfürsten überhaupt ausser Beziehung stehen würden. Aber auch Laienfürsten wurde schon damals ein [103] Vorzug zugesprochen; vom Pfalzgrafen bei Rhein wenigstens ist das zu erweisen. Dass die Wahl Philipps von vornherein angefochten wurde, weil sie nicht von den berechtigten Fürsten geschehen sei, ergibt sich schon aus einer Angabe des Gottfried von Köln zum J. 1198, welcher von den Erzbischöfen von Köln und Trier sagt: Qui vehementer indignati, eo quod nunquam aliquis rex in Saxonica terra electus ab hiis principibus —; entsprechend heisst es in der für uns wichtigsten und für diesen Zweck noch nicht beachteten Stelle des ziemlich gleichzeitigen Fortsetzers des Weingartner Chronographen: De cetero Coloniensis avshiepiscopus malignabatur adversus eum, electionemque talem calumpnians, cui nec Moguntinus archiepiscopus, seu Palatinus regalis aule interfuerint. (Hess M. Guelf. 72.) Neben einer so bestimmten Aeusserung gewinnen dann auch andere an und für sich wenig beachtenswerthe Erwähnungen des Pfalzgrafen Gewicht. Arnold von Lübeck (l. 6. c. 1.) zählt neben Köln, welches von Mainz bevollmächtigt gewesen sei, und Trier als Wähler Ottos namentlich den Pfalzgrafen auf, freilich irrig, da dieser im Morgenlande war; vergleichen wir die Stelle der Gesta Trevirorum (c. 101. ed. Wyttenbach 1, 289.): A., Coloniensis archiepiscopus, ex consensu Treverensis, habens et ipse vocem electionis nomine quorundam principum peregre profectorum, ut asserebat, Ottonem -— evocavit atque unxit in regem Romanorum, so dürfte sich doch schliessen lassen, dass unter den abwesenden Fürsten, deren Vollmacht der Kölner zu haben behauptete, insbesondere Mainz und der Pfalzgraf zu verstehen seien, und das Betonen der Stimme des letztern Arnold veranlasste, seine Gegenwart bei der Wahl anzunehmen. Weiter erzählt Roger von Hoveden bei Gelegenheit der Wahl Ottos, Köln, Mainz, Sachsen und Pfalz hätten aus zwölf ihnen vorgeschlagenen Kandidaten den König zu wählen; so ungenau seine Angaben sind, einiges Gewicht dürfte immer auf das Hervorheben einzelner Fürsten zu legen sein. Dazu kommt dann noch die wichtige Notiz in einem, der Schrift, wie dem Inhalte nach in die ersten Zeiten des dreizehnten Jahrhunderts zu setzenden Verzeichnisse der Reichsfürsten: Palatinus Reni; iste est summus in electione imperatoris. Archiv der Gesellsch. 7, 628. [104] Wir finden also, dass 1198 für einzelne Fürsten eine besonders entscheidende Stimme bei der Wahl beansprucht wurde, und zwar, wie das Hervortreten von Mainz und Pfalz schliessen lässt, für diejenigen, welche nach dem Herkommen zuerst stimmten. Es scheint weiter ein solcher Vorzug damals zuerst und zwar nur von der Partei Otto's geltend gemacht zu sein; bei der Gegenpartei finden wir keine bezügliche Andeutung und wenn wir in den beiden von einer grössern Anzahl namentlich aufgeführter Anhänger Philipps an den Papst gerichteten Schreiben Trier erst nach Magdeburg, Sachsen nach Zähringen, Brandenburg nach fast allen Fürsten genannt finden, so spricht das wenigstens nicht für eine besondere Beachtung der uns später als erste Wähler bekannten Fürsten. Und nirgends erhellt, für wie viele der Vorzug in Anspruch genommen wurde; die unbestimmte Fassung der Deliberatio: cum tot vel plures ex his, ad quos principaliter spectat imperatoris electio in eum consensisse videantur, quot in alterum consenserunt, scheint sogar anzudeuten, dass eine bestimmt abgegränzte Zahl erster Wähler noch nicht feststand; doch dürfte die Möglichkeit einer schon bestehenden Abgränzung dadurch nicht ausgeschlossen sein, da die Ungewissheit durch das bestrittene Recht, die schwankende Stellung oder die Abwesenheit einzelner erster Wähler bedingt sein konnte.

Ergibt sich aus den Nachrichten über die Wahlen aus der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts einerseits mit grösster Bestimmtheit, dass alle anwesenden Reichsfürsten noch Wähler waren, so fehlt es doch auch nicht ganz an Andeutungen, dass die Stimmen der ersten Wähler besonders beachtet wurden. Am gewichtigsten für diese Zeit sind wohl die Nachrichten über die Wahl Konrads 1237. Als Wähler nennt das Wahldekret Mainz, Trier, Salzburg, Bamberg, Regensburg, Freising, Passau, den Rheinpfalzgrafen zugleich Herzog von Baiern, den König von Böhmen, den Landgrafen von Thüringen und den Herzog von Kärnthen. Dass es sich bei diesen um eigentliche Wahlstimmen handelte, nicht theilweise um eine blosse Zustimmung, wie sie dem Umstande durchweg zustehen mochte, ergibt sich am deutlichsten daraus, dass nur die anwesenden Reichsfürsten, diese [105] aber, bis auf den Patriarchen von Aglei, auch insgesammt genannt sind, während keiner von den nicht zum Fürstenstande gehörigen Grossen, von welchen der Deutschordensmeister, der baierische Pfalzgraf, der Markgraf von Baden, der Burggraf von Nürnberg und andere Grafen doch zu Wien waren, als Wähler genannt ist.

Dagegen sind mir Umstände aufgefallen, welche auch hier eine besondere Beachtung der ersten Wähler anzudeuten scheinen.

Die Reichskanzlei befolgte bestimmte Regeln bei der Stellung der Grossen in den Urkunden, welche gewöhnlich leicht erkennbar sind, wenn man beachtet, dass bald dieser, bald jener Gesichtspunkt dabei überwog, so Rang und Stand, der Unterschied der Länder, der Ausstellungsort, auch wohl der besondere Inhalt der Urkunden. Das Wahldekret Konrads zeigt nun eine Anordnung, welche ich mir nur aus der Stimmenordnung bei der Wahl zu erklären weiss.

Wenig auffallen kann es, dass unter den geistlichen Fürsten Mainz und Trier an der Spitze vor Salzburg stehen, da ein Vorzug der rheinischen Erzbischöfe sich häufig auch sonst in dieser Richtung geltend macht; zu beachten ist immerhin, dass in den übrigen damals zu Wien ausgestellten Urkunden Salzburg meistens Trier, einigemal selbst Mainz vorsteht, was sich aus dem mehrfach hervortretenden Vorzug des Ortsmetropoliten erklärt. Auffallender ist es, dass der Patriarch nicht unter den Wählern, sondern nur am Schlusse der Urkunde als Anwesender aufgeführt wird. Italienischen Reichsfürsten stand allerdings überhaupt kein Wahlrecht zu; der Patriarch wird aber, wie der Bischof von Trient, sonst durchweg zu den deutschen Reichsfürsten gezählt; der die staatsrechtlichen Verhältnisse besonders scharf beobachtende Giselbert von Hennegau sagt ausdrücklich: quia hoc nisi sub testimonio prineipum Theutoniae fieri non poterat et Theutoniae princeps aderat unus tantummodo, scilicet patriarcha Aquileae, investituras istas usque in Theutoniam oportuit differre. (ed. Du Chasteler. 221.). Dagegen ist es sehr erklärlich, dass der Patriarch nicht zu den ersten Wählern gehörte. Wo Aglei und Mainz sonst zusammen anwesend [106] sind, ist die Stellung wechselnd; hier zu Wien behauptet der Patriarch meistens den Vorrang; andern deutschen Erzbischöfen steht er überhaupt immer vor. Machte nun vielleicht Trier als bevorzugter Wähler für den Einzelfall seinen Vorrang geltend, und nannte man den Patriarchen desshalb überhaupt nicht unter den Wählern, um Rangstreitigkeiten auszuweichen?

Wollen wir auf solche Vermuthungen auch kein Gewicht legen, so bleibt die im höchsten Grade auffallende Stellung des Königs von Böhmen. Für Könige ist die Stellung nur in so weit schwankend, dass sie den geistlichen Fürsten bald vorgehen, bald nachstehen; weltlichen Fürsten dagegen werden sie nie nachgesetzt; den nächsten Beleg geben die damals zu Wien ausgestellten Urkunden. Die ganz ungewöhnliche Stellung des Pfalzgrafen vor Böhmen gerade nur in diesem Wahldekrete dürfte doch unzweifelhaft nur aus der ersten Laienstimme des Pfalzgrafen zu erklären sein. Das wird dadurch nicht geschwächt, dass alle geistlichen Fürsten vorstehen; der unbedingte Vorrang dieser ist eine der festesten Regeln der Reichskanzlei; erst einige Zeit nach vollständiger Ausbildung der kurfürstlichen Vorrechte finden wir Beispiele, dass weltliche Kurfürsten und vereinzelt mit ihnen gemäss dem Privilegium maius Herzog Rudolf von Oesterreich geistlichen Fürsten vorstehen.

Dieses gewiss nicht zufällige Vorstehen der uns bereits als erste Wähler bekannten Fürsten im Wahldekrete wird nun noch beachtenswerther beim Vergleiche mit der betreffenden Stelle der Strassburger Annalen: Ubi etiam Chunradum — eligi fecit in regem. Quem elegerunt archiepiscopi Moguntinus et Treverensis et rex Boemie et dux Bawarie qui et Palatinus comes Rheni, consentientibus ceteris principibus qui aderani tamen paucis. (Böhmer f. 3, 110.) Von den eilf Wahlfürsten des Dekrets werden also hier gerade nur die vier Fürsten genannt, welche später zu den Kurfürsten gehörten; und zwar, nicht blos beispielsweise aus der Gesammtzahl hervorgehoben, wobei sich ein Zufall hätte geltend machen können, sondern es wird bei ihnen ausdrücklich von Wahl, bei den andern nur von Zustimmung gesprochen. Da der gleichzeitige Schreiber hier nicht spätern Anschauungen folgen konnte, so müssen wir schliessen, [107] dass sich schon eine Anschauung gebildet hatte, wonach von den eilf Stimmen nur vier die eigentlich beachtenswerthen seien.

Ist diese Folgerung richtig, so würden wir damit zuerst neben dem Pfalzgrafen auch den König von Böhmen nicht allein als Wähler, sondern auch als bevorzugten Wähler kennen lernen. Sehen wir von den Stellen des Ssp. und des Albert von Stade ab, so lassen sich in der ersten Hälfte des Jahrhunderts andere Laienfürsten als erste Wähler nicht erweisen, es sei denn, dass wir die früher erwähnte Stelle des Roger von Hoveden als Beweis für einen Vorzug Sachsens genügend erachten wollten. Eben so wenig haben wir ein Zeugniss ob und wie die Zahl der ersten Wähler abgeschlossen war. Es wird sich daher auch nicht erweisen lassen, dass diese oder jene Zahl damals nicht festgestanden, dieser oder jener Fürst noch nicht zu den ersten Wählern gehört habe.

Vor allem dürfte aber im Auge zu halten sein, dass es bei Erwägung der ausschlaggebenden Momente recht wohl möglich ist, dass damals insbesondere bezüglich der Laienstimmen manches überhaupt gar nicht feststehen, den verschiedensten Ansichten und Ansprüchen freier Spielraum gelassen sein mochte. Die anzunehmende ältere Ordnung der Laienstimmen musste durch die besondern Verhältnisse Schwabens, durch die längere Vereinigung Sachsens und Baierns, dann wieder durch den Fall Heinrichs des Löwen in Verwirrung gerathen sein; wie schwankend nach 1180 alle Rangverhältnisse geworden waren, werden wir bei Besprechung der Erzämter durch ein auffallendes Beispiel belegen. Später noch können wenigstens möglicherweise die Erhebung Böhmens zum Königreiche, die Vereinigung Baierns und der Pfalz in einer Hand auf weitere Schwankungen eingewirkt haben. Eine genügende Regelung konnte wohl nur dadurch eintreten, dass sich auf Grundlage der Thatsachen oder etwaiger beim Entgegentreten verschiedener Ansprüche erfolgender Rechtssprüche ein neues Herkommen feststellte. Obwohl gerade bei der Wahl von 1198 zuerst Gewicht auf die ersten Stimmen gelegt worden zu sein scheint, konnte sie begreiflicherweise später am wenigsten einen sichern Massstab abgeben. Und eben so wenig scheinen die folgenden Wahlen nach dem, was wir darüber [108] wissen, dazu geeignet gewesen sein. Wären in der Regel alle oder die meisten Laienfürsten bei ihnen erschienen, so müsste sich allerdings ein Herkommen bald festgestellt haben. Aber wie die Hoftage dieser Zeit überhaupt, so waren auch die Wahlversammlungen nur noch sparsam besucht. Die 1208 zu Frankfurt versammelten Laienfürsten kennen wir nicht genau; nach der Besiegelung der Bestätigungsurkunde für Baiern (Mon. Boica 29 a, 542) dürfte ihre Zahl nicht gross gewesen sein, insbesondere ist von den spätern weltlichen Kurfürsten keiner bestimmt als anwesend zu erweisen; das Vorhergehen einer besondern sächsischen Wahlversammlung ist ein weiteres Moment, welches es unwahrscheinlich macht, dass hier die Ordnung der Stimmen sich irgend feststellen konnte. Nicht anders war das ohne Zweifel auf den Versammlungen zur Wahl K. Friedrichs II. Die 1220 zu Frankfurt Anwesenden sind uns aus den dort ausgestellten Urkunden hinlänglich bekannt; von Laienfürsten waren es nur Pfalzbaiern, Brabant, Thüringen und Anhalt. Wieder waren es 1237 nur Pfalzbaiern, Böhmen, Thüringen und Kärnthen. Auf Grundlage der Thatsachen konnte demnach gegen Ende der staufischen Zeit niemand im Stande sein zu behaupten, dass von etwa vorhandenen verschiedenen Ansichten über Zahl und Personen der ersten Wähler die eine oder die andere die richtige sei; und bestanden solche, so dürfen wir auch ziemlich sicher sein, dass vor dem Reiche nicht darüber entschieden war, da solche Entscheidungen durch Rechtsspruch durchweg nur dann erfolgten, wenn ein unmittelbarer Anlass dazu gegeben war; ein solcher war bei der geringen Anzahl anwesender Laienfürsten nie geboten, da es im höchsten Grade unwahrscheinlich sein muss, dass herkömmlich auch abwesende Fürsten ihre Stimme abgaben, wenn auch 1198 bezügliche Andeutungen sich finden. Es galt in dieser Beziehung unzweifelhaft der Grundsatz, dass, da alle Fürsten verpflichtet waren, den in rechter Weise gebotenen Hoftag oder Wahltag zu besuchen, die Beschlüsse der Anwesenden auch für die Abwesenden verbindlich waren. Das besondere Gewicht, welches 1198 auf die abwesenden Fürsten von Mainz und Pfalz gelegt wurde, mag sich daraus erklären, dass sie gerade die unbestritten ersten Wähler waren, und dass [109] sie bei Abwesenheit ausser dem Reiche natürlich zum Besuche der ausgeschriebenen Tage nicht verpflichtet sein konnten, deren Ausschreibung bei Erledigung des Reichs zudem ihnen zunächst zugekommen wäre.

Bei noch zahlreicher besuchten Tagen im zwölften Jahrhunderte konnte ein solcher Zustand genügen; nicht mehr im dreizehnten. Dass man es fühlte, wie die blosse Zustimmung der wenigen gerade anwesenden Fürsten, zumal das Ansehen der Krone selbst gesunken war, nicht genügende Garantieen bot, zeigt sich darin, dass man etwa seit 1208 begann, die Zustimmung der Fürsten in wichtigern Fällen durch Mitbesiegelung oder besondere Willebriefe bestimmter hervortreten zu lassen, auch wohl abwesende Fürsten in dieser Weise heranzuziehen. Wie ich bei näherer Besprechung des Gegenstandes an anderm Orte nachweisen werde, fand in der ersten Hälfte des Jahrhunderts eine Beschränkung auf bestimmte Fürsten in dieser Richtung noch nicht statt. Da aber eine Einholung der Zustimmung aller Fürsten nicht wohl statthaft sein konnte, so war, wollte man einen sichern Rechtsboden gewinnen, eine solche Beschränkuug auf die Dauer nicht zu vermeiden. Ganz einfach knüpfte sich diese an die Fürsten, deren Vorrecht bei der Wahl sich inzwischen bestimmter ausgebildet hatte; die ersten Spuren eines besondern Gewichts, welches man auf die Zustimmung der Kurfürsten legte, glaube ich im Interregnum gefunden zu haben; unter Rudolf erscheint dann die Ausstellung von Willebriefen bestimmt als kurfürstliches Vorrecht.

Ebenso musste der schwache Besuch der Wahlversammlungen, wenn er einerseits bezüglich Zahl und Personen der ersten Wähler manches lange unentschieden lassen konnte, doch andererseits auf ein stärkeres Hervortreten ihres Vorrechts hinwirken, zumal schon 1198 ein Anstoss in dieser Richtung gegeben war. Die ganz unbestrittenen Wahlen der Söhne K. Friedrichs II. legten das weniger nahe, doch lesen wir, dass der Kaiser sich schon 1237 nachträglich um die Zustimmung solcher Fürsten bemühte, welche bei der Wahl zu Wien nicht anwesend waren. Seit es nun aber zu bestrittenen Wahlen kam, Versammlungen weniger Fürsten Könige aufstellten, musste sich natürlich die [110] Frage aufdrängen, wie viele und welche Fürsten genügen zu einer rechtmässigen Königswahl; und war schon seit längerer Zeit die Ansicht geltend, dass den ersten Wählern besondere Bedeutung zukomme, so musste sich jene Frage ganz von selbst dahin beantworten, dass mindestens ihre Zustimmung zur Wahl erforderlich sei; und bestanden noch Zweifel über Zahl und Personen derselben, so mussten sich diese jetzt wenigstens regeln.

In dieser Richtung glaube ich, wie zuerst Böhmer (Reg. zu 1252. März 25.) geltend machte, dass die Braunschweiger Wahl oder Anerkennung K. Wilhelms durch Sachsen, Brandenburg und Böhmen im J. 1252 vorzugsweise entscheidend wirkte. Das rechtfertigt, sich zumal durch den Brief des Kardinallegaten Hugo, worin dieser sagt, dass einige Städte den König nicht anerkannt hätten, dicentes, quod — Wilhelmo non debebant intendere tanquam regi, pro eo quod nobiles principes dux Saxonie et marchio Brandenburgensis, qui vocem habent in electione predicta, electioni non consenserant, dass er aber nun zu Braunschweig zugegen gewesen sei, wo beide die Wahl anerkannten. Daraus folgt doch, dass schon damals wenigstens von gewissen Seiten die Rechtmässigkeit der Wahl von der Zustimmung bestimmter Fürsten, als welche uns nun zuerst auch Sachsen und Brandenburg ausdrücklich genannt werden, abhängig gemacht und das in gewisser Weise als nicht ungegründet anerkannt wurde.

War bei der ersten Wahl Wilhelms auf die bevorzugten Wähler vielleicht noch kein bedeutenderes Gewicht gelegt, so konnte man nun nach den Vorgängen während seiner Regierung bei den Verhandlungen über die Wahl Richards von vornherein davon ausgehen, dass nur die Stimmen einzelner Fürsten die entscheidenden sein würden. So vielfach ich mich hier manchen Auffassungen des H. v. D. nähern kann, so wenig möchte ich mit ihm S. 57 annehmen, dass die Siebenzahl bevorzugter Fürsten in Folge zufälliger Zeitereignisse 1257 zuerst thatsächlich hervorgetreten, dann zunächst auf diese Thatsache hin bei den spätern Wahlstreitigkeiten 1263 als in Recht und Herkommen begründet geltend gemacht worden sei. Ich bin vielmehr ganz überzeugt, dass schon bei den Wahlverhandlungen von der [111] Ansicht ausgegangen wurde, die Stimmen der sieben bei der Doppelwahl hervortretenden Fürsten hätten allein die eigentliche Entscheidung zu geben.

Wir haben nämlich über dieselben zunächst einen ganz verständigen Bericht des Thomas Wikes (Böhmer f. 3, 451.); er nennt sieben Fürsten, ad quos potestas eligendi regem specialiter pertinere dignoscitur, und zählt sie auf, wobei es kaum sehr auffallen kann, dass er nicht Böhmen, aber Oesterreich nennt, da ja der König von Böhmen damals auch Herzog von Oesterreich war; mit diesen sieben wird verhandelt, aber abgeschlossen nur mit Mainz, Köln, Pfalzbaiern, nicht mit den übrigen, welche sich nicht mit einer geringern Summe, als Köln erhielt, befriedigen lassen wollten. Wikes ist wohl Zeitgenosse, da er aber bis 1293 schreibt, so wäre es wenigstens möglich, dass er spätere Anschauungen eingetragen habe. Aber sein Bericht geht auffallend mit den Urkunden zusammen. Wir haben solche über die Verhandlungen mit Pfalzbaiern (Quellen u. Erört. 5, 158. 159.) und Köln (Lacomblet 2, 232); in den letztern heisst es ausdrücklich, dass dreitausend Mark, welche vorläufig gezahlt oder durch Bürgschaft sicher gestellt waren, für Richard verloren sein sollten: si ipse R. infra octavam epiphanie regni susceptionem renuerit, vel si ipse horum trium videlicet Maguntinensis, Coloniensis et comitis Palatini Reni non fuerit electione contentus. Also war schon zu erwarten, dass nur diese drei Stimmen sicher zu haben waren; wie konnten diese aber einen Werth, und zwar so hoch bezahlten haben, wenn alle zur Wahl kommenden Fürsten, wie H. v. D. meint, noch mit gleichem Gewichte hätten wählen können; das hätte ja eine Ueberzahl sein können, welcher gegenüber drei Stimmen nicht in Betracht gekommen wären; handelte es sich aber nur um sieben Stimmen überhaupt, so gaben drei wenigstens die Gewähr, dass kein anderer mit vollem Rechte, und die wahrscheinliche Aussicht, dass kein anderer mit besserem Rechte gewählt werden würde, da die übrigen Stimmen sich noch nicht geeinigt hatten. Jedenfalls dürfte bei der genauen Uebereinstimmung der Urkunden mit dem Schriftsteller ein irgend gegründeter Zweifel gegen dessen Nachricht, dass nur mit den sieben Wahlfürsten verhandelt worden [112] sei, sich nicht leicht erheben lassen. Was wir von den Wahlvorgängern wissen bestätigt, dass die Wahl von den sieben Fürsten entschieden wurde, nicht, weil sich zufällig nur diese betheiligten, sondern weil nur ihnen ein entscheidendes Gewicht von vornherein beigelegt wurde. Denn die Bischöfe von Speier und Worms waren ja Reichsfürsten und mit dem Erzbischöfe von Trier zu Frankfurt; aber nirgends finden wir ihre Stimmen in Rechnung gebracht.

Nach dem Gesagten und andern, von Phillips und Homeyer erörterten Punkten dürften drei Hauptentwicklungsstufen zu unterscheiden sein:

1. Bis 1198 als Ausgangspunkt der Entwicklung ein Vorrecht einzelner Fürsten, vor andern zu stimmen, wie es jede Rangordnung mit sich bringen musste, ohne dass uns, bis auf die erste Stimme von Mainz, Genaueres bekannt wäre, und ohne dass sich ein grösseres Gewicht der ersten Wahlstimmen erweisen liesse.

2. Seit 1198 Geltendmachen eines besonderen Gewichtes der ersten Wahlstimmen; mindestens bis 1252 ist ihre Bedeutung so gewachsen, dass die Anschauung, ohne die Anerkennung durch alle ersten Wähler sei der König nicht vollberechtigt, ausgesprochen und in gewisser Weise anerkannt wurde. Bis zum Schlusse dieser Entwicklungsstufe können wir alle spätern Kurfürsten als bevorzugte Wähler nachweisen; für die frühern Zeiten geben uns die bisher beachteten Quellen über Zahl und Personen derselben keine sichere Auskunft.

3. Mindestens seit 1256 tritt die geschlossene Siebenzahl der bevorzugten Wähler bei glaubwürdigen Schriftstellern, 1263 auch urkundlich hervor und wird als so feststehend betrachtet, dass von da ab sich wohl noch Streit über die Berechtigung dieses oder jenes Fürsten zur Führung einer der sieben Stimmen erhob, die Siebenzahl selbst aber nie in Frage gestellt erscheint. Zugleich finden wir 1256 die Anschauung völlig ausgebildet, dass nur diese Stimmen entscheidend seien; das Wahlrecht anderer Fürsten ist auf eine bedeutungslose Zustimmung oder eine Berücksichtigung bei Vorberathungen beschränkt, welche dann bald zur völligen Ausschliessung von der Wahl ausgebildet erscheint; was [113] nachweislich 1266 bei den Wahlverhandlungen als Recht aufgestellt wurde, erhält dann seine völlige Sanktion dadurch, dass bei der Wahl Rudolfs 1273 genau danach vorgegangen wird; findet sich 1256 noch vereinzelt ein Wahlrecht anderer Fürsten erwähnt, so ist davon 1273 nicht mehr die Rede, und wenigstens 1308 wird nicht einmal ihre Anwesenheit bei der Wahl geduldet.

b.

Die bisherigen Resultate wurden ohne Berücksichtigung der Bestimmungen der Rechtsbücher gewonnen. Sind nun unsere Annahmen über die Entstehungszeit derselben gegründet, so muss uns der Ssp. das Recht der Kurfürsten auf der zweiten, der Swsp. auf der dritten Entwicklungsstufe zeigen; dagegen bezieht H. v. D. nicht allein die Angaben des Swsp., sondern auch die des Ssp. auf die dritte, und zwar nicht einmal auf die erste Zeit derselben, sondern auf den durch die Wahl Rudolfs bereits völlig entwickelten spätern Zustand. Die Angaben des Ssp. beziehen sich auf die Zahl, die Personen, die Befugnisse der ersten Wähler und die Verbindung der ersten Wahlstimmen mit den Erzämtern. Wir prüfen jedes Verhältniss einzeln, um die Ansicht des Gegners zu widerlegen und vielleicht noch einige Haltpunkte für einen der wichtigsten Gegenstände der deutschen Verfassungsgeschichte zu finden.

Was zunächst die Anzahl der ersten Wähler betrifft, so macht v. D. Dsp. 49 seine Zustimmung, die Stelle Ssp. 3, 57 § 2 könne vor 1273 oder allenfalls vor 1256 verfasst sein, von der Beantwortung der Frage abhängig: „Wo findet sich ausser den als nicht beweisend oben abgelehnten Zeugnissen vor dem Interregnum in gleichzeitigen Quellen die Spur einer Siebenerzahl?“ Darauf entgegne ich:

1. Auf die Unstatthaftigkeit der Fragestellung ist bereits hingewiesen. Spräche der Ssp. wirklich von einer Siebenerzahl und wäre auch keines der übrigen Zeugnisse vor das Interregnum zu setzen, was bezüglich einzelner Stellen bei Dichtern doch immerhin möglich schiene, so wäre dadurch die Entstehung des Ssp. um 1230 doch nur dann in Frage gestellt, wenn v. D. [114] erwiese, dass zu dieser Zeit unmöglich gerade sieben Wähler bevorzugt gewesen sein könnten.

2. Selbst zugegeben, eine solche Fragestellung sei überhaupt zulässig, so würde sie wenigstens im gegebenen Falle ihr Ziel ganz verfehlen. Habe ich selbst S. 163, wo ich die Sache ganz beiläufig erwähnte, mit leicht erklärlicher Ungenauigkeit von „sieben Reichsfürsten, welche bei der Königswahl zuerst die Stimme abgeben“, gesprochen, so dürfte doch bei „bestimmt formulirten Fragen“ so viel Genauigkeit zu erwarten sein, dass durch Beantwortung der Frage wirklich die Sache getroffen wird. Wo aber redet denn der Ssp, von der Siebenzahl bevorzugter Wähler, um welche die ganze Frage sich dreht? Meines Wissens nirgends; es macht sich vielmehr auffallenderweise in allen sächsischen Rechtsbüchern die Sechszahl bevorzugter Wähler aufs bestimmteste geltend. Der Auctor Vetus 1 § 12, und entsprechend das Görlitzer Lehnrecht 4, kennt sex principes, qui primi sunt in eius electione, ohne sie zu nennen. Das sächsische Lehnrecht 4 § 2 spricht von ses vorsten, die de ersten in des rikes kore sin, und nennt Mainz, Trier, Köln, Pfalz, Sachsen, Brandenburg; fügen einige Hss. und der Dsp. Böhmen hinzu, so ergibt sich das, auch abgesehen vom Ansehen der Hss., schon durch die Beibehaltung des Ausdruckes sechs als Interpolation. Ganz dieselbe Auffassung findet sich noch im sächsischen Weichbildrechte, wo 14 § 1, 16 § 4. 5 der ältern, 13 § 1, 14 § 2 der glossirten Form als Mitglieder des Pfalzgerichtes Sachsen, Brandenburg und Pfalz genannt werden mit dem Zusatze: Dit sint die drie leien vorsten die die ersten an des rikes kore sint svenne man enen koning küset von düdischen landen; schliesst die Wortfassung einen vierten Laienwahlfürsten nicht gerade unbedingt aus, so ging man bei dieser Konstruirung des Pfalzgerichtes wohl um so sicherer von der Anschauung aus, es gebe nur drei bevorzugte Laienwähler, als bei dem durchgreifenden Vorherrschen der Vierzahl ein vierter sehr erwünscht gewesen wäre, da man seine Stelle kaum sehr passend durch den Burggrafen füllen musste.

Ergibt nun etwa das Sächs. Ldr. 3, 57 § 2, welches zunächst in Frage steht, anderes? Gewiss nicht; es nennt zwar keine [115] Gesammtzahl, zählt aber einen ersten bis dritten geistlichen, dann einen ersten bis dritten Laienfürsten auf, also sechs, welche erste Stimmen haben. Wenn es sich dann noch veranlasst sieht, von einem andern Fürsten, dem König von Böhmen, zu bemerken, er habe keine Kur, so ergibt sich doch nach wie vor nur eine Sechszahl der Wähler.

3. Fragen wir nun, in welche Zeit passt nach der früher erörterten Entwicklung die Sechszahl des Ssp., in welche die Siebenzahl des Swsp., so meine ich, die Unstatthaftigkeit der Siebenzahl würde für keine Zeit bestimmt nachzuweisen sein, da uns eben, vom Ssp. abgesehen, über eine bestimmt abgeschlossene Zahl erster Wähler aus früherer Zeit keine Nachrichten vorliegen. Dagegen wird die Sechszahl schwerlich noch nach 1256, gewiss nicht nach 1273 passen, da wir in dieser spätern Zeit die Siebenzahl so ganz unbestritten festgestellt finden. Damit könnte immerhin bestehen, dass einzelne der sächsischen Rechtsbücher trotz der Sechszahl in dieser spätern Zeit entstanden sein könnten, insoferne sie dieselbe vielleicht ohne nachzudenken, ob das noch passe, ihren Vorlagen entnahmen. Beim Sächs. Ldr. aber kann das kaum der Fall sein; gerade die über Böhmen hinzugefügte Bemerkung müsste den Verfasser nachdenken lassen, welche die Zahl sei, als er schrieb; Böhmens Recht konnte er auch nach 1273 noch bestreiten, aber nicht mehr die Siebenzahl; wäre er unter K. Rudolf entstanden, so würde er gewiss, wie der Swsp., die Siebenzahl durch Baiern ergänzt haben; die Stelle kann nicht füglich erst geschrieben sein, als die Siebenzahl schon unzweifelhaft feststand.

Dabei können wir ganz davon absehen, ob nun für ältere Zeiten die Sechszahl oder die Siebenzahl die richtige war; geben uns die sächsischen Rechtsbücher das früheste Zeugniss für eine abgeschlossene Zahl und zwar für die Sechszahl, so liesse sich doch auch manches mit Phillips für eine schon frühere Geltung der Siebenzahl beibringen; wir haben oben zu zeigen versucht, wesshalb hier manches ungewiss sein und verschiedene Ansichten recht wohl unentschieden neben einander bestehen konnten.

[116]
c.

Entspricht demnach die Zahl des Ssp. der zweiten, nicht der dritten Entwicklungsstufe, so dürfte sich bezüglich der dort genannten Personen der ersten Wähler dasselbe ergeben. Von diesen können wir den Vorzug von Mainz, Köln, Trier und Pfalz in noch frühere Zeiten verfolgen; Sachsen und Brandenburg treten allerdings in andern Zeugnissen erst 1252 bestimmt hervor und der Vorzug Brandenburgs dürfte einen der unerklärlichsten Umstände in der Entwicklung der Wahlverfassung bilden, zumal sein Zurücktreten unter den Wählern Philipps nicht dafür zu sprechen scheint, dass ihm schon 1198 ein Vorzug zustand; aber er wird nicht erklärlicher, wenn wir ihn nicht schon um 1230 bestehend, sondern erst später entstanden denken, und kann demnach unserer Zeitbestimmung nicht im Wege stehen.

Auffallen kann es, dass Baiern nicht genannt ist. Dass dem Herzoge von Baiern eine bevorzugte Stimme bei der Wahl schon früher zustand, sollte doch von vornherein anzunehmen sein; ein unzweifelhaftes Zeugniss haben wir dafür freilich nicht, da sich die bekannte Stelle in einem Briefe des Albert Beham, wonach 1239 Herzog Otto sich zu Gunsten des Papstes bereit erklärte: utrique voci renuntiare, videlicet palatii et ducatus et dare super hoc ecclesiae pro me et haeredibus publicum instrumentum, immerhin auf eine auch jedem andern Fürsten für jedes Fürstenthum zustehende Stimme beziehen könnte; schwerlich würden aber doch die beiden Stimmen so stark betont sein, hätte nicht auch die baierische zu den bevorzugten gehört; die später erhobenen Ansprüche dürften das noch wahrscheinlicher machen. Ist das richtig, so würde sich nach der Zeit fragen lassen, in welcher eine nächste Veranlassung vorlag, Baiern nicht zu nennen. Auf die Vereinigung Baierns mit Sachsen bis 1180 dürfte sich nicht füglich zurückgreifen lassen. Dagegen ist noch zuletzt insbesondere von Phillips a. a. O. 119 auf die Vereinigung der Pfalz mit Baiern unter dem Hause Wittelsbach hingewiesen und es dürfte sich daraus ein Schluss auf Entstehung des Ssp. nach 1214 ziehen lassen. Den Umstand aber, dass Otto der Erlauchte, welcher erst 1231 dem Vater in Baiern folgte, [117] der eigentliche Erbe der Pfalz war, vereinzelt schon 1222 als Pfalzgraf auftritt, auch in dieser Eigenschaft einen Willebrief ausstellt (Lacomblet 2, 56), die Regierung selbst aber erst 1228 übernimmt, möchte ich für eine genauere Zeitbestimmung doch kaum geltend machen; denn der Vater Ludwig führte von 1214 bis 1228 die Regierung beider Fürstenthümer und selbst noch 1231 auch urkundlich den Titel eines Pfalzgrafen (Mon. Boic. 4, 437); war die Vereinigung unter einem Herrscher hier überhaupt massgebend, so werden die Verhältnisse zwischen Vater und Sohn dem norddeutschen Verfasser vielleicht kaum genau genug bekannt gewesen sein, um schliessen zu lassen, er würde 1228 bis 1231, oder überhaupt vor 1231 schreibend die Pfalz und Baiern genauer unterschieden haben.

Wichtiger und begründeter ist ein anderer Schluss. Seit wahrscheinlich schon 1257, dann 1273 eine besondere Stimme für Baiern angesprochen und insbesondere 1275 ausdrücklich den böhmischen Ansprüchen gegenüber durch einen Reichsspruch anerkannt wurde, konnte mindestens jemand, welcher wie der Verfasser des Ssp. Böhmen nicht zu den Wahlfürsten rechnet, Baiern nicht füglich ungenannt lassen. Beim Swsp. tritt das wirklich ein, indem er Baiern die siebte Kur und das Schenkenamt zugesteht. Denn wenn H. v. D. S. 87 darin eine Interpolation sehen will, so ergeben die besten Hss. die Ursprünglichkeit der Nennung von Baiern; vgl. Phillips 151. und was ich Dsp. S. 125 (241) über eine anscheinend ursprünglichere Angabe über die Reichsvikare in einer Innsbrucker Hs. bemerkt habe. Den Versuch aber des H. v. D. S. 85, die Unechtheit der Urkunde von 1275 nachzuweisen, darf ich wohl um so eher auf sich beruhen lassen, als die Sache seitdem durch die Bemerkung bei Phillips. 186 und durch den neuen Abdruck in den Quellen u. Erört. 5, 278 eine andere Grundlage gewonnen hat. Wird bei dieser Gelegenheit u. a. bemerkt, dass der Ausdruck Barones schwerlich in einer Kaiserurkunde des dreizehnten Jahrhunderts anzutreffen sei, während er doch schon in denen des zwölften, zwar nicht so häufig, als in denen des dreizehnten, aber doch nicht gerade selten vorkommt, so hebe ich das nur als Beleg dafür hervor, wie wenig die gewöhnlichen Hülfsmittel für das [118] Reichsstaatsrecht genügen können, um bei Zeitfragen, bei welchen es sich nur um Dezennien handelt, Hauptanhaltspunkte für die Entscheidung demselben entnehmen zu können.

Die Nichterwähnung Baierns deutet demnach mit Wahrscheinlichkeit auf die Zeit nach 1214, mit Sicherheit auf die Zeit vor 1275.

Fassen wir weiter den Punkt ins Auge, dass der Ssp. den König von Böhmen im Lhr. nicht nennt, im Ldr. ihm sogar ausdrücklich die Kur abspricht, so scheint mir die Bemerkung von Phillips. 119 sehr zutreffend, dass das nach dem Hervortreten desselben als Wähler 1237 und 1239 schwerlich mehr geschehen sein würde; die Ereignisse dieser Jahre mögen viel dazu beigetragen haben, die Ansicht, dass er zu den bevorrechteten Wählern gehöre, zu befestigen, eine Ansicht, welche insbesondere während des Interregnum nach den Stellen des Reinmar von Zweter und anderer Schriftsteller, wie nach den urkundlichen Verhandlungen über die Wahl von 1257 kaum bestritten gewesen zu sein scheint. Damit würde stimmen, dass der Dsp., vielleicht schon der ihm vorliegende Text des Ssp., welcher in diese Zeit fallen dürfte, wenigstens im Lehnrechte Böhmen glaubt hinzufügen zu sollen; wo er, wie in der betreffenden Stelle des Ldr., sich streng an den Ssp. hält, werden wir freilich in ihm kaum nach selbstständigen Anhaltspunkten für die Zeit suchen dürfen, welche sonst, wie Phillips. 120 bemerkt, darin gefunden werden könnten, dass er nur die Pfalz, nicht Baiern nennt, also die Theilung 1255 nicht zu kennen scheint.

Es ergibt sich demnach, dass das, was der Ssp. über die Personen der Wähler sagt, jedenfalls nur mit der zweiten Entwicklungsstufe stimmt, und sich innerhalb dieser wenigstens mit einiger Wahrscheinlichkeit auf die Zeit von 1214 bis 1237 beschränken lässt.

d.

Sehen wir auf die Befugnisse der ersten Wähler, so würde die Angabe des Auctor vetus schon der von uns angenommenen ersten Entwicklungsstufe entsprechen können, andererseits freilich auch in späterer Zeit noch zutreffend sein. Er setzt [119] einfach voraus, dass sechs Fürsten zuerst zu stimmen haben; und das Bestehen einer Rangordnung beim Stimmen haben wir für keine Zeit zu bezweifeln. Das Abschliessen einer bestimmten Anzahl erster Wähler muss natürlich einen Grund haben; als Grund wird bei ihm aber irgend ein besonderer Einfluss auf die Wahl wenigstens nicht hervorgehoben; der Abschluss ergibt sich daraus, dass eine bestimmte Anzahl von Wählern beim Römerzuge erforderlich war, um dem Papste die Rechtmässigkeit der Wahl zu bezeugen; dazu mussten freilich die vornehmsten Wähler zunächst berufen sein. Eine solche Anschauung steht nicht ganz isolirt; es waren für manche staatsrechtliche Handlungen Zeugen bestimmten Ranges und Standes und wohl auch bestimmter Zahl nöthig; es konnte z. B. ein deutsches Fürstenthum auch in Italien vom Könige geliehen werden, aber nur unter dem Zeugnisse deutscher Fürsten; beim gegebenen Falle möchte ich zunächst auf eine mehrfach verwandte Anschauung hinweisen, welche sich in einer Stelle des Anselm von Mailand findet; als bei der Kaiserkrönung 1027 Streit unter den Erzbischöfen von Ravenna und Mailand entstand, wer den König dem Papste zur Krönung vorführen solle, entschied Konrad: Certum est quidem, reverendi patres, quia sicut privilegium est apostolicae sedis consecratio imperialis, ita Ambrosianae sedis privilegium est electio et consecratio regalis. Unde ratum videtur, ut manus quae benedicit et prius coronam imponit regni, si praesens affuerit, repraesentet regem ad Imperium promovendum sancto Petro et eius vicario; quatenus Ambrosiano testimonio iure possit imperare, qui Ambrosiana consecratione didicit et coepit regnare. (Mon. Germ. 10, 12.) Ist kein Grund, jenes Herkommen zu bezweifeln, so ist damit freilich nicht gesagt, dass nun hier auch die eigentliche Veranlassung einer bestimmten Ausscheidung erster Wähler und damit ihrer spätern Vorrechte gegeben sei; es konnte sich eben so wohl eine schon nach andern Gesichtspunkten, wobei immer der Unterschied der Stämme am nächsten liegen dürfte, erfolgte Abschliessung nun auch in dieser Richtung geltend gemacht haben. Ist aber die Angabe überhaupt gegründet, so würde sich aus ihr um so leichter erklären, dass man 1198 und später gerade zu Rom, wie die päpstlichen Briefe [120] zeigen, keinen Anstand nahm, den ersten Wählern besonderes Gewicht beizulegen; machte Köln, wie es scheint, zuerst 1198 ihren Vorzug beim Papste geltend, so konnte das diesem kaum auffallen, wenn ihm gegenüber die Rechtmässigkeit der Wahl überhaupt herkömmlich durch das Zeugniss nur der ersten Wähler bedingt war.

Im sächsischen Lhr. ist diese Anschauung beibehalten; im Ldr. findet sie sich nicht. Es nennt einfach sechs Fürsten, welche zuerst die Stimme abgeben sollen, setzt aber ausdrücklich hinzu, dass nach ihnen alle andern geistlichen und weltlichen Fürsten wählen sollen. Es weist weiter ausdrücklich darauf hin, dass jener Ansicht keineswegs die allein entscheidende sein solle; sie sollen ihre ersten Stimmen für den abgeben, über welchen sich vorher alle geeinigt haben. Es ist das ein Vorgehen, wie es auch sonst im Reichsgerichte beobachtet wird, und wir dürften überhaupt kaum fehl gehen, wenn wir die Königswahl als einen vor dem Reiche gefundenen Rechtsspruch fassen, wer berufen sei, den Thron zu besteigen. In den Urkunden über Rechtssprüche wird nicht selten angegeben, dass diejenigen, welche der König um ein Urtheil fragt, sich zuvor mit allen Anwesenden berathen und mit ihrer Zustimmung ihr Urtheil geben, welchem dann natürlich, wenn überhaupt Einigkeit zu erzielen war, alle andern folgten. Eine solche Vorberathung würde schon daraus zu folgern sein, dass wir, etwa abgesehen von der Nachricht über einen Einspruch Heinrichs des Löwen gegen die Wahl K. Friedrichs I., nur von Einmüthigkeit in den Wahlversammlungen wissen, Einmüthigkeit auch von altersher Erforderniss der gültigen Wahl gewesen zu sein scheint; bei zwistigen Wahlen finden wir getrennte Wahlversammlungen, von welchen die eine die Kompetenz der andern überhaupt bestreitet.

Im allgemeinen gesteht der Ssp. den ersten Wählern so wenig einen entscheidenden Einfluss auf die Wahl zu, dass er vielmehr gegen einen solchen ausdrücklich Verwahrung einlegt. Nach den frühern Erörterungen ist wohl kaum noch darauf hinzuweisen, wie wenig das mit den vollkommen ausgebildeten kurfürstlichen Vorrechten zur Zeit K. Rudolfs zu vereinigen wäre; sprächen selbst alle anderen Anhaltspunkte für eine Entstehung [121] des Ssp. in dieser Zeit, so würde für die Stelle über die Wahl kaum etwas übrig bleiben, als die Annahme, sie sei einer ältern Quelle ungeändert entnommen.

Das tritt noch deutlicher hervor beim Vergleiche mit dem Swsp., welcher ganz entsprechend der Zeit seiner Entstehung nur die sieben Kurfürsten wählen lässt; von andern Fürsten als Wählern ist gar nicht die Rede; nach Swsp. 122 steht ihnen nur noch zu, einen etwa gewählten unfähigen König zu verwerfen. Wenn v. D. S. 45 meint, die Betheiligung der andern Fürsten an der Wahl sei im Swsp. in noch praktischerer Weise, als im Ssp., dadurch anerkannt, dass auch sie zu dem Gespräche entboten werden sollen, so darf ich das wohl beruhen lassen; es wäre doch etwa daran zu erinnern, dass selbst dann noch, als andere Fürsten nicht einmal mehr bei der eigentlichen Wahlhandlung anwesend sein durften, besondere Verträge mit einzelnen Fürsten oder Grossen abgeschlossen wurden, mit diesem oder jenem Fürsten zum Wahltage zu reiten.

e.

Es dürfte noch ein Punkt in der Darstellung des Ssp. zu beachten sein, nämlich die Verbindung der Erzämter mit den ersten Wahlstimmen. Den geistlichen Kurfürsten legt er überhaupt kein Amt bei, wie denn selbst noch im Swsp. die Angabe der Aemter von Köln und Trier Interpolation ist. Vgl. F. Dsp. 116 (232). Dagegen nennt schon der Ssp. bei Aufzählung der drei Laienwähler ihr Reichsamt, und fügt hinzu, der Schenk, der König von Böhmen, habe keine Kur, weil er nicht deutsch sei. Der Wortfassung nach sind hier allerdings Kur und Reichsamt in gar keine nähere Beziehung gebracht, während schon Albert von Stade, welchem, wie wir zeigten, diese Stelle vorlag, die Fassung dahin ändert, dass das Reichsamt als Grundlage der Kur erscheint; der Fürst wählt vor andern, weil er dieses oder jenes Amt bekleidet. An eine bestimmte Beziehung zwischen Amt und Kur muss aber doch auch der Verfasser des Ssp. gedacht haben; sonst lag kaum ein Grund vor, die Aemter hier zu nennen, insbesondere scheint nur dadurch die ausdrückliche Erwähnung des Böhmen als Nichtwählers sich zu erklären. [122] Und später sah man so allgemein die Aemter als Grundlage der Kur an, dass eine solche Verbindung hier kaum befremden kann.

Ein älteres Zeugniss für eine solche Verbindung, als es der Ssp. bietet, finden wir allerdings nicht, und es ist wohl die Vermuthung ausgesprochen, die Meinung, der Vorzug einzelner Fürsten bei der Wahl gründe sich auf die Aemter, sei überhaupt erst durch den Ssp. entstanden, dessen Verfasser diese Theorie zuerst aufgebracht habe. Und an und für sich dürfte die Annahme, dass ein Schriftsteller sich eine solche Ansicht bildet, sie ausspricht, und diese sich dann gerade durch Aufnahme in ein so weit verbreitetes Werk in weitesten Kreisen festsetzt, nicht unstatthaft scheinen. Aber im gegebenen Falle ist sie mir durchaus unwahrscheinlich. Wie sollte der Verfasser des Ssp. auf den Gedanken gekommen sein, den Vorzug seiner drei Laienwähler auf die vier Aemter zurückzuführen, wenn der Gedanke einer Verbindung zwischen Kur und Amt überhaupt noch nicht ausgesprochen war? Er scheint nach der ganzen Fassung denselben nur zu kennen, ihm aber kaum beizupflichten.

Die jedenfalls gezwungene Zusammenstellung der Angaben des Ssp. scheint sich mir am wenigsten zu erklären, wenn wir annehmen, er sei bei Konstruktion derselben seinen eigenen Einfällen gefolgt; näher scheint mir der Gedanke zu liegen, dass abweichende Angaben, welche er vorfand, ihn bestimmten. Die Gründe, wesshalb ich glaube, dass man in jener Zeit über Zahl und Personen der ersten Wähler verschiedener Ansicht sein konnte, habe ich früher angedeutet. Es ist leicht möglich, dass man in verschiedenen Theilen des Reichs oder auch zu verschiedener Zeit bald eine Sechszahl, bald eine Siebenzahl nannte, bald den Böhmen oder Baiern ihr zuzählte, bald nicht, bald den Grund des Vorzuges in den Erzämtern, bald in andern suchte. Dem Verfasser des Ssp. mochte nun eine Ansicht bekannt geworden sein, welche den Vorzug der Laienfürsten auf die Aemter bezog, demnach auch wohl sieben erste Wähler zählte und zu ihnen den König von Böhmen. In seiner lateinischen Vorlage fand er aber unzweifelhaft die in den sächsischen Rechtsbüchern so durchgreifend vertretene Sechszahl; und zwar waren hier, wollen wir anders das Verhältniss des Auctor vetus zum Lehnrechte [123] als Massstab nehmen, aller Wahrscheinlichkeit nach die einzelnen Wähler nicht genannt. An der Sechszahl festhaltend konnte nun der Ssp. jener andern Ansicht bei Nennung von drei Laienwählern und ihren Aemtern folgen; den vierten, den Schenken, konnte er freilich nicht mehr gebrauchen; er beseitigt ihn durch die Bemerkung, dass er kein Deutscher sei, sei es, weil ihm eben kein besserer Grund zu Gebote stand, sei es weil der Aemtertheorie überhaupt eine andere entgegenstand und derselbe Grund schon von andern geltend gemacht war. In dieser Weise kann ich mir die Entstehung der Stelle und das sonderbare Einschieben Böhmens recht wohl erklären, ohne freilich behaupten zu wollen, es seien nicht andere Erklärungen ebenso zulässig. Die Annahme einer so schwankenden Grundlage für Angaben über wichtige Verfassungsbestimmungen mag für uns, die wir an scharfgefasste Staatsgrundgesetze gewöhnt sind, etwas befremdendes haben. Aber wo hatte der Verfasser eine Quelle zu erfahren, was wirklich im Reiche in dieser Beziehung Rechtens war? Ich glaube unbedenklich, da ich analoge Fälle genug nachweisen könnte, die Möglichkeit andeuten zu dürfen, dass man um 1230 in der Reichskanzlei selbst vielleicht nicht im Stande war, das mit Bestimmtheit anzugeben. Bestand aber damals überhaupt schon, wenn auch nicht allgemein, die Aemtertheorie, so konnte natürlich eine vielleicht sehr zufällig gerade so entstandene Angabe in einem verbreiteten Rechtsbuche, welche der Aemtertheorie und der Siebenzahl wenigstens durch Nennung der Aemter und des Königs von Böhmen einige Rechnung trug, wenn auch ohne ihr beizupflichten, zur Feststellung derselben viel beitragen.

Für unsern nächsten Zweck ist es nun freilich durchaus gleichgültig, ob diese Vermuthungen über die Entstehung der Stelle gegründet sind oder nicht. Was die Zeitfrage betrifft, so würde die Richtigkeit der frühern Beweisführung nur dann in Frage gestellt werden können, wenn sich erweisen liesse, um 1230 könnten einzelne der Fürsten die im Ssp. ihnen zugelegten Aemter noch nicht bekleidet haben. Für Pfalz, Sachsen und Brandenburg unterzieht H. v. D. das keinem Zweifel, meint sogar S. 81, dass der Markgraf von Brandenburg unter K. Friedrich I. die [124] Stelle eines Kämmerers als wirkliches Reichsamt bekleidet habe; da eine dafür mehrfach angeführte Stelle aus päpstlichen Schreiben von 1177 in dieser Beziehung als beseitigt gelten darf, auch die bekannte Stelle des Arnold von Lübeck über den Hoftag von 1183 jeder bestimmteren Beziehung auf Brandenburg ermangelt, so hätte eine nähere Begründung jener Behauptung unsere Kenntniss des Gegenstandes nur fördern können.

Dagegen glaubt nun H. v. D. S. 49 die Zulässigkeit der Annahme, Eike habe vor Rudolf von Habsburg oder allenfalls vor 1257 Verfasser von Ssp. 3, 57 § 2 sein können, von Beantwortung der weitern bestimmt formulirten Frage abhängig machen zu können: „Welcher Böhmenkönig hat bis dahin erweislich das Schenkenamt geübt, von diesem Erzamte den Titel geführt, oder als deutscher Mann sich in der Lage befunden, dass bei ihm überhaupt an ein Kurrecht gedacht werden konnte, wenn es Grundsatz war, dass man ein deutscher Mann sein musste, um mit zu wählen?“

Hier ist zunächst die Formulirung der ganzen Frage eben so ungeeignet, wie die der früher erörterten (S. 113); es wäre Sache des H. v. D., zu erweisen, dass ein solcher Zustand um 1230 nicht habe bestehen können, etwa weil ein anderer Schenk war, nicht aber Aufgabe seiner Gegner, nicht blos das mögliche, sondern das wirkliche Bestehen desselben um 1230 zu beweisen.

Was dann die Formulirung der zweiten Hälfte der Frage betrifft, so ist diese noch insbesondere unpassend, weil sie, wie jene nach der Siebenzahl, das erstrebte Ziel gar nicht trifft. Der Ssp. erkennt ja überhaupt kein Wahlrecht des Böhmenkönigs an, auch kein bedingtes, spricht überhaupt gar nicht von der Möglichkeit, dass er ein Deutscher sein könne. Gegenüber der jetzt insbesondere von Phillips vertretenen Ansicht, dass der Ssp. dabei überhaupt nicht an die nichtdeutsche Abstammung der Person des Königs, sondern daran gedacht habe, dass er Fürst eines nichtdeutschen Landes sei, würde die Beziehung auf die Abstammung wohl kaum sich so allgemein geltend gemacht haben, hätte nicht der Swsp. bei seiner Verarbeitung der Stelle sie in dieser Weise aufgefasst. Und diese Anschauung findet sich schon im Dsp. Im Ldr. folgt dieser, obwohl zur Zeit seiner [125] Entstehung Böhmen ziemlich allgemein ein Wahlrecht zugesprochen sein dürfte, einfach dem Ssp.; im Lhr. mochte es ihn oder allenfalls schon den Schreiber seiner Vorlage stutzig machen, Böhmen überhaupt nicht erwähnt zu finden; er fügt den Böhmenkönig hinzu, aber, offenbar durch die Bemerkung des Ldr. veranlasst, mit dem Zusatze: ob er ist ein taeutzher man; hier dürfte also der Ausgangspunkt der spätern Anschauung liegen und welchen Werth wir ihr beizulegen haben, dürfte sich aus der Oberflächlichkeit, mit welcher der Dsp. in den den Ssp. wesentlich nur übersetzenden Theilen gearbeitet ist, leicht ergeben. Den Ssp. selbst aber, dessen Verfasser natürlich für die Auffassung, welche man später seiner Bemerkung unterlegte, nicht verantwortlich sein kann, trifft jener zweite Theil der Frage gar nicht, welchen wir daher füglich auf sich beruhen lassen können.

Was aber den ersten Theil betrifft, so bin ich in der Lage, die Frage des H. v. D. dahin beantworten zu können, dass sich für den Böhmenkönig wenigstens triftigere Gründe für eine frühere Bekleidung des Erzamtes finden, als für irgend einen der Laienwähler. Denn:

1. Ganz unbeachtet blieb bisher, so viel ich weiss, die Stelle des Ekkehard zu 1114 (Mon. Germ. 8 , 248) über die Hochzeit des Kaisers: In ipsis enim nuptiis convenerant archiepiscopi 5, episcopi 30, duces 5; de quibus dux Boemiae summus pincerna fuit. Da diese Stelle sich nur in einer einzigen Rezension, welche zudem nur in der einzigen Hs. zu Cambridge erhalten ist, vorfindet, so läge gewiss nichts näher, als der Gedanke an eine Interpolation, wenn wir es nur nicht gerade bei dieser Hs. mit einem Autograph des Verfassers zu thuen hätten. Vgl. Archiv d. Gesellsch. 7, 493.

2. Im Vergleiche damit kann es nun freilich auch wichtiger scheinen, wenn K. Rudolf 1290 dem Böhmenkönige bestätigt, dass das Schenkenamt bereits suis progenitoribus, abavis, atavis, proavis, avis zugestanden habe. Hier wird freilich zuzugeben sein, dass solche Anführungen höchstens beweisen, dass man das 1290 so glaubte, nicht dass wirklich für die ältesten Zeiten stichhaltige Beweise vorgelegen hätten. Denn der Beweis für [126] solche Rechte, über welche ältere Verbriefungen unzweifelhaft nicht bestanden, konnte nur durch bejahrte Zeugen geführt werden, auf welche im gegebenen Falle ausdrücklich hingewiesen ist; und diese konnten doch höchstens bezeugen, sie hätten von ihren ältern Zeitgenossen gehört, es sei immer so gewesen. Dadurch wird nun allerdings eine gewisse Zeitgränze gegeben sein, über welche rückwärts hinaus das Recht als wirklich erwiesen nicht mehr betrachtet werden kann; für den nächsten Zweck dürfte sich aber doch kaum behaupten lassen, dass nicht wenigstens bis um 1230 zurück sich in dieser Weise ein positiver Beweis herstellen liess. Und jedenfalls ergibt sich, da die böhmischen Ansprüche nicht unbestritten blieben, das negative Resultat, dass man 1290 nicht im Stande war, den Beweis zu fuhren, dass jemals nicht der Böhmenkönig, sondern etwa ein anderer Fürst Schenk gewesen sei; und das allein dürfte doch genügen, um das Zutreffen der Angabe des Ssp. in der Zeit um 1230 sehr wahrscheinlich zu machen. Diese Argumentation scheint mir auch durch die Bemerkung des H. v. D. S. 80, dass man ja auch das Kurrecht von einem unvordenklichen Herkommen ableitete, nicht entkräftet zu werden. Denn so wenig ich darin, dass das gegen Ende des Jahrhunderts mehrfach der Fall war, einen Beweis sehe, dass das ausschliessliche Wahlrecht der Kurfürsten sich nicht erst im Interregnum ausgebildet haben könne, so wenig kann ich andererseits diese Anschauung als eine ungerechtfertigte betrachten; das Herkommen, wonach bestimmten Fürsten ein wenn auch nur formeller Vorzug bei der Wahl zustand, konnte allerdings schon zur Zeit K. Rudolfs als unvordenklich bezeichnet werden; und war das Mass der Befugnisse auch noch in gedenkbarer Zeit ein verschiedenes gewesen, wer wird nicht zugeben, dass bei solchen Anschauungen allen Analogieen zufolge das Bestehen der Form das massgebende ist, man sich mit ihr unwillkürlich auch die Bedeutung verbunden denkt, welche sie in der betreffenden Zeit in Folge nicht einer einzelnen scharf hervortretenden Thatsache, sondern einer allmähligen, der Aufmerksamkeit selbst der Zeitgenossen sich entziehenden Entwicklung gewonnen hat. Eine solche Grundlage, an welche die Ansicht eines unvordenklichen Herkommens anknüpfen [127] konnte, gibt ja auch H. v. D. S. 46 in völlig ausreichender Weise zu, wenn er sagt, die spätern Kurfürsten hätten schon vor Anfang des dreizehnten Jahrhunderts Hauptrollen gespielt. Solchem Zugeständnisse gegenüber ist es freilich kaum zu verstehen, dass dasselbe ihm nicht für die Annahme der Möglichkeit der Entstehung der Stelle des Ssp. um 1230 genügt; die Stellung der Kurfürsten gerade in dieser würde sich durch den Ausdruck „Spielen der Hauptrollen“ vielleicht recht zutreffend veranschaulichen lassen.

3. Ziehen wir nun für die Zwischenzeit noch die Stelle des Arnold von Lübeck über den Hoftag von 1184 hinzu: Officium dapiferi et pincernae, camerarii seu marschalci non nisi reges vel duces aut marchiones administrabant, und beziehen hier, wie gewöhnlich geschieht, das reges auf Böhmen, so habe ich gewiss meine Behauptung gerechtfertigt, dass für keinen andern Laienwähler auch nur annähernd solche Beweise für frühere Ausübung des Erzamtes vorliegen.

Weiter möchte ich aber freilich auch nicht gehen und aus diesen Stellen nicht mit Bestimmtheit folgern, es müsse Böhmen schon im zwölften Jahrhunderte das Schenkenamt erblich zugestanden haben. Das Versehen desselben im J. 1114 kann ein vereinzelter Fall sein; war es damals schon herkömmliches Recht, so wäre vielleicht für eine ausdrückliche Erwähnung um so weniger Anlass geboten gewesen; möglich freilich auch, dass sich aus einem solchen Fall nun für die Folgezeit ein Herkommen entwickeln konnte.

Am wenigsten möchte ich in der Stelle von 1184 nach der gewöhnlichen Ansicht einen Beweis sehen, dass schon damals die Erzämter in späterer Weise ausgetheilt gewesen seien. Ungenau ist die Stelle jedenfalls. Reges, duces, marchiones würden uns wörtlich mindestens sechs Fürsten darstellen, wenn ich auch die Zulässigkeit, die Worte von nur vier Fürsten zu gebrauchen, nicht gerade bestreiten will; aber an verschiedenen Festtagen könnten auch immerhin verschiedene Fürsten fungirt haben. Reges gab es zu Mainz nicht, nur einen Rex, den römischen König Heinrich, welcher schwerlich ein Amt versah. Einen König von Böhmen gab es damals überhaupt nicht, dem anwesenden [128] Herzog Friedrich von Böhmen konnte daher auch nicht, wie H. v. D. S. 81 meint, seine Königswürde bei etwaiger Versehung des niedern Amtes des Schenken hinderlich sein. Dachte hier Arnold an Böhmen, was immerhin, da dasselbe vorher und nachher einen König zum Herrscher hatte, möglich wäre, so liegt mindestens eine Ungenauigkeit vor, was doch dagegen sprechen dürfte, in dieser Stelle nach Beweisen für Einzelnheiten zu suchen. Hätte Arnold an bestimmte Fürsten gedacht, so müsste auch das Nichtnennen des Pfalzgrafen befremden. Ich denke, er hat durch jene Stelle nichts sagen wollen, als die Erzämter seien von den vornehmsten Fürsten versehen.

Die Frage, wem in früherer Zeit die Aemter zustanden, wird sehr schwer zu lösen sein, da es so überaus wenige auf die Aemter bezügliche Zeugnisse gibt; Aufzählungen aller vier Fürsten, welche sie bei einzelnen Gelegenheiten versahen, haben wir nur aus sächsischer Zeit; dann gibt uns erst der Ssp. wieder einen festen Haltpunkt. Dass die Reichsämter überhaupt nicht bestimmten Fürsten zugestanden hätten, wird nach Analogie der Aemter bei den einzelnen Fürsten kaum anzunehmen sein, da sie überall mit Benefizien verbunden und nach Massgabe des Lehnrechts oder des betreffenden Dienstrechts erblich erscheinen. Aber wenn auch die Aemter schon früh an bestimmten Fürstenthümern hafteten, so ist es doch leicht erklärlich, wenn die Verhältnisse des zwölften Jahrhunderts hier eine grosse Unsicherheit herbeiführen konnten; die Lage Schwabens, die Vereinigung Baierns und Sachsens, die feindliche Stellung einzelner Fürsten zum Könige konnten hier um so eher Schwankungen begründen, als das persönliche Versehen bei feierlichen Gelegenheiten ein langes Ruhen dieses oder jenes Amtes nicht wohl zuliess. Insbesondere dürfte nach 1180 der Zustand ein ganz unsicherer gewesen sein; und viel wichtiger, als jene Stelle Arnolds, scheint mir in dieser Beziehung eine Angabe Giselberts von Hennegau (S. 123) über denselben Hoftag vom J. 1184 zu sein, welcher das Tragen der Krone am Pfingsttage erzählt und hinzufügt: Cum autem in coronamento illo principes potentissimi gestamentum gladii imperialis de iure reclamarent, scilicet dux Boemiae — et dux Austriae Leopoldus — et Bernardus [129] dux novus Saxoniae factus — et Conradus comes palatinus Rheni — et langravius Duringiae —, dominus imperator gladium illum comiti Hanoniensi commisit gestandum: cui nemo contradixit, cum ipse vir magni nominis ubique terrarum esset et in curia novus videretur. Diese Stelle, mag man sie auslegen, wie man will, beweist jedenfalls, wie sehr alle Verhältnisse der Rangordnung in der nächsten Zeit nach 1180 verwirrt waren. Fassen wir dagegen Tragen des Schwertes als Zubehör des Marschallamtes, wie es schon der Swsp. bestimmt sagt und nur etwa desshalb für ältere Zeiten zu bezweifeln wäre, weil verschiedene Fürsten als Träger genannt werden z. B. 1134 und 1152 der König von Dänemark, 1135 der Herzog von Polen, noch 1198 der König von Böhmen (Chr. Montis Sereni ad a. 1134. 1135. Ott. Frising. g. 1. 2. c. 5. Arnold. Lubec. l. 6. c. 2.), so kann von einem Feststehen der Erzämter im J. 1184 keine Rede sein; denn nicht allein, dass das Marschallamt selbst streitig gewesen wäre; das Mitbewerben von Böhmen und Pfalz würde weiter darauf hindeuten, dass auch die Aemter des Schenken und des Truchsess kaum in festen Händen gewesen sein könnten.

Hier, wie bei manchen andern Verhältnissen, scheint es mir fast unmöglich, den verbindenden Faden zwischen den Zuständen der vorstaufischen Zeit und denen, welche seit der Regierung K. Friedrichs I. hervortreten, nachzuweisen; war aber nach 1180 dieses Verhältniss zunächst ganz unsicher geworden, so werden wir beim Mangel fast aller Zeugnisse auch wohl auf den Nachweis verzichten müssen, wie es kam, dass die Aemter nun gerade den Fürsten, insbesondere Brandenburg, zufielen, welche uns zuerst der Ssp. im Besitze zeigt, in welchem sie sich, einige Streitigkeiten abgerechnet, auch später behaupteten; von Zeugnissen aus der Zwischenzeit wüsste ich nur anzuführen, dass 1199 auf dem Magdeburger Hoftage der Herzog von Sachsen allerdings das Schwert trug (Chr. Halberst. ed. Schatz. 67), ein Vorrecht, welches ihm freilich noch 1357 von Brabant streitig gemacht wurde (Vitr. illustr. 3, 927); da noch 1198 der König von Böhmen das Schwert trug, so läge darin allerdings ein, freilich nicht zweifelloser Anhalt für die Bestimmung der Zeit, in welcher die Erzämter sich bei den spätern Inhabern befestigten. [130] Aus allem Gesagten dürfte sich für unsern Zweck wenigstens zur Genüge ergeben, dass in den Angaben des Ssp. über die Erzämter keine Momente liegen, welche es unwahrscheinlich machen könnten, er könne um 1230 entstanden sein; für eine genauere Zeitbestimmung dürfte hier freilich nichts zu gewinnen sein.

Fassen wir alles zusammen, was sich uns über die Angaben des Ssp. über die Königswahl ergab, so ist das Resultat, dass sie in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts den Zuständen in keiner Weise mehr entsprechen, vollkommen dagegen in der ersten Hälfte, und hier, ohne dass es sich dabei um ausschlaggebende Momente handeln kann, noch genauer auf eine Entstehung nach 1214 und vor 1237 zu deuten scheinen; dass demnach die Ansicht des H. v. D. von einer Entstehung unter K. Rudolf hier nicht allein keine Stütze, sondern die bestimmteste Widerlegung findet.

B.

Eben so wenig wird ein zweiter von H. v. D. S. 50 geltend gemachter Umstand, die Nichterwähnung streitigen Besitzes der Reichsgewalt und der Theilnahme eines römischen Königes an derselben im Ssp., irgend etwas für eine Entstehung unter K. Rudolf erweisen können.

Die erste Folgerung, dass ein Schriftsteller aus K. Heinrichs Zeit, nachdem das Königthum vielleicht ein Jahrzehend unbestritten gewesen war, streitigen Besitz nothwendig habe erwähnen müssen, die Nichterwähnung dagegen unter K. Rudolf nach fast dreissig Jahre lang bestrittenem Rechte auf die Krone der Wirklichkeit entsprochen habe, dürfte doch kaum ernstlich gemeint sein und möchte ich lieber auf ein Missverständniss schliessen.

Was die zweite betrifft, so ist es richtig, dass es zur Zeit der Entstehung des Ssp. einen König und einen Kaiser gab, und der Ssp. diesen Umstand nirgends erwähnt. Er erwähnt noch manche andere zu seiner Zeit bestehende Verhältnisse nicht, welche seiner Aufgabe eben so nahe lagen, und es dürfte schwer sein, dafür überall den genügenden Grund zu ermitteln. Möglich wäre es, dass der Verfasser dabei durch seine lateinische Vorlage [131] bestimmt wurde, welche immerhin vor 1220 geschrieben sein könnte. Möglich wäre es, dass er bei Uebung der königlichen Gewalt zunächst nur an den damals in Deutschland regierenden König dachte, den schon lange in Italien weilenden Kaiser weniger berücksichtigte, wie er ja fast überall vom Könige, selten vom Kaiser spricht. Wozu aber hier Möglichkeiten erörtern, wenn der Umstand schliesslich doch nichts beweisen kann. Eike hat nicht die Stellung und die Rechte des damaligen Königs zu schildern, sondern die der königlichen Gewalt überhaupt; diese blieben dieselben, mochte sie der Kaiser selbst üben, mochte er sie einem römischen Könige übertragen haben; eine Nothwendigkeit das Verhältniss zu erwähnen, und nur eine solche würde hier etwas beweisen können, dürfte sich doch nirgends ergeben. Will H. v. D. auf Nichterwähnungen Gewicht legen, so liessen sich doch viel berechtigtere Fragen aufwerfen, z. B. warum erwähnt der Ssp., wenn er unter K. Rudolf entstand, das Herzogthum Braunschweig nicht? warum schweigt er völlig von getheilten Fürstenthümern, spricht sogar von Untheilbarkeit derselben, nachdem doch während des Interregnums fast alle Fürstenthümer, in welchen es überhaupt zur Theilung kam, getheilt waren? Auch darauf liesse sich dieses und jenes antworten; für die Sache selbst dürfte durch die Fortsetzung solcher Erörterungen wenig gewonnen sein.

C.

Herr v. D. weist endlich S. 50 auf die Bestimmung der Verleihung erledigter Fahnlehen binnen Jahr und Tag hin, indem er behauptet, dass der Ssp. 3, 60 § 1 sie wiederholt habe nach Swsp. 121, wo sie dem Herkommen seit Rudolf von Habsburg entsprechend habe gelehrt werden können; dass sie dagegen für die Zeit der Hohenstaufen im dreizehnten Jahrhunderte nicht zutreffend gewesen sei, wie das Herzogthum Schwaben beweise, welches K. Philipp von 1198 bis an seinen Tod, Friedrich II. von 1212 bis 1216, sein Sohn Heinrich von seiner Krönung 1220 bis 1235 in seiner Hand behalten habe.

Es dürfte das eine der kühnsteh Aufstellungen des H. v. D. sein, welche wir vielleicht ganz beruhen lassen könnten, wenn [132] sich nicht gerade hier deutlich ergäbe, wie bedenklich es sei, an der Hand solcher auf ganz subjektiven Auffassungen beruhenden Ansichten über die Entwicklung des Reichsstaatsrechtes bei der Bestimmung von Zeitfragen vorzugehen.

Die Bestimmung, dass der König das erledigte Fahnlehen binnen Jahr und Tag wieder verleihen soll, ist nur ein Ausfluss des allgemeinen Rechtssatzes, dass ein Gerichtslehen nicht über eine bestimmte Zeit erledigt bleiben darf. Ganz entsprechend bestimmen denn auch die sächsischen Rechtsbücher, dass der Fürst die in sein Fürstenthum gehörigen Grafschaften nicht in seiner Hand behalten soll. (V. A. 2 § 68. Ss. Ldr. 3, 53 § 3. Lhr. 71 § 3.) Dass dieser Rechtssatz in die frühesten Zeiten zurückreicht, ist doch gar nicht zu bezweifeln; wäre er, seit die lehnrechtlichen Grundsätze in diesen Verhältnissen massgebend wurden, noch nicht geltend gewesen, so wäre unzweifelhaft der Erfolg gewesen, dass sehr bald alle Grafschaften im Fürstensprengel unmittelbar an die Fürsten, aber auch alle Fürstenthümer an den König gekommen wären, da ja nach dem Reichslehnrechte der Fall der Erledigung schon beim Mangel eines lehnsfähigen Sohnes eintrat. Wesshalb wurde denn von staufischen Königen das erledigte Herzogthum Baiern an den Babenberger Leopold, dann, nachdem es etwas über Jahr und Tag ledig gewesen war, an dessen Bruder Heinrich, endlich 1180 an den Wittelsbacher gegeben, da es doch die staufischen Besitzungen so trefflich hätte abrunden können? Wesshalb geschah dasselbe bei so manchen andern erledigten Fürstenthümern? Was Schwaben insbesondere betrifft, so wird sich einmal das Bestehen des allgemeinen Satzes doch durch vereinzeltes Nichtbeachten nicht in Frage stellen lassen; weiter aber gibt Schwaben, bei seinen besonderen Beziehungen zum Königshause gewiss das ungeeignetste Beispiel für die Nichtbeachtung jenes Satzes; gerade die formellen Verleihungen selbst an unmündige Staufer dürften mehr den allgemeinen Rechtsgrundsatz bestätigen, als der Umstand, dass das Herzogthum nicht immer verliehen war, ihn entkräften kann. Da gäbe es viel geeignetere Beispiele, so das der Mark Meissen, welche K. Heinrich, als sie 1195 durch den Tod des kinderlosen Markgrafen Albert heimfiel, nicht dem Bruder lieh, [133] sondern sie bis an seinen Tod in seiner Hand behielt; erst K. Philipp verlieh sie wieder.

Man kann einen solchen Fall als Ausnahme betrachten; vielleicht aber auch schon als Zeichen des Aufkommens einer Richtung, welche im dreizehnten Jahrhunderte die wesentlichsten Umgestaltungen im Reiche herbeiführte, der nämlich, entgegen den Satzungen des Reichslehnrechts die grossen heimfallenden Lehen nicht wieder lehenweise, sondern amtsweise auszugeben und so den Lehnsstaat zum Beamtenstaate zurückzufuhren. So wenig mir diese Richtung bisher genugsam betont und in ihrem Gesammterfolge beachtet erscheint, man darf nur auf dieselbe hinweisen, um, da die einzelnen Thatsachen bekannt sind, ihren tiefeingreifenden Einfluss auf das Ganze ausser Zweifel zu setzen. Hier lag gewiss einer der wichtigsten Entscheidungspunkte unserer Geschicke; jenachdem es dem Königthume, oder aber dem Fürstenthume gelang, auf diesem Wege den Vorsprung zu gewinnen, musste es sich entscheiden, ob der Begriff des modernen Staates sich auf der Grundlage des gesammten Reiches oder der einzelnen fürstlichen Territorien weiter entwickeln sollte.

Das Königshaus, in seiner Machtstellung durch Thronstreitigkeiten geschwächt und es vorziehend, mit geringerer Schwierigkeit dieselbe oder doch eine ganz verwandte Aufgabe im sizilischen Erbreiche zu lösen, liess dem Fürstenthume einen Vorsprung, welcher nicht mehr nachzuholen war. Wie sich schon in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts bei geistlichen wie weltlichen Fürsten das Streben zeigt, durch das Einziehen heimfallender Grafschaften die fürstlichen Territorien mehr und mehr zu schliessen und einheitlicher zu gestalten, wie Erfolg oder Misslingen dieser Versuche in jener Zeit meistentheils für den spätern Bestand des Fürstenthums massgebend wurde, denke ich an anderm Orte auszuführen. Als Beispiel dürfte hier eine Hinweisung auf das Herzogthum Baiern genügen. Es ist bekannt, wie beschränkt der Bezirk war, welcher bei Erhebung der Wittelsbacher dem Herzoge unmittelbar unterstand, wie rasch sich dieser aber unter den ersten Wittelsbachischen Herzogen zu einem grossen geschlossenen Territorium erweiterte. Die Lösung liegt nahe, wenn wir fragen, an wen die Markgrafschaft Vohburg, die [134] baierische Pfalzgrafschaft, die Regensburger Burggrafschaft, die ganze Reihe von Grafschaften, welche wegen Mangels an Lehnserben den Herzogen heimfielen, gelangten; das Reichslehnrecht verlangte eine Wiederverleihung, wie sie noch zu Ende des zwölften Jahrhunderts bei der baierischen Landgrafschaft stattgefunden haben muss; dann verstanden die Herzoge ihren Vortheil besser: aus den Lehnsgrafschaften wurden Aemter, an die Stelle des Lehnsgrafen trat der landesherrliche Vitzthum. Und fast könnte es scheinen, als sei in der Bestimmung des Gunstbriefes für die geistlichen Fürsten von 1220, wonach der Kaiser sie im Besitze der ihnen heimfallenden Lehen schützen soll, weiter in der des Gunstbriefes von 1231 für alle Fürsten, wonach diesen ihre Grafschaften und andere Gerichtsbarkeiten, und zwar ledige, wie verliehene, gewährt werden, wenigstens eine Duldung solchen Vorgehens von Seiten der Reichsgewalt ausgesprochen.

Hätte die Krone in derselben Weise vorgehen können, so würde der Vortheil bei den gerade in jener Zeit häufig eintretenden Erledigungen grosser Reichslehen schliesslich auf ihrer Seite gewesen sein; die Fürsten würden ihr nur vorgearbeitet haben. Und am guten Willen fehlte es gewiss nicht. Was K. Heinrich VI. bei der Mark Meissen wirklich versuchte, scheint er in umfassenderer Weise durchzuführen beabsichtigt zu haben; vielleicht ein Hauptgrund des Widerstandes der Fürsten gegen ihn und die Nachfolge seines Hauses. Die Nachfolger waren nicht mehr in der Lage, diesen Weg einzuhalten; nur ausnahmsweise war das hier dem wohlverstandenen Interesse der Fürsten gegenüber statthaft; und seit spätere Könige keine Gewähr mehr hatten für die Nachfolge ihres Sohnes, musste ihnen selbst weniger an einer Einziehung für das Reich liegen. Sehen wir davon ab, dass K. Otto nach Philipps Ermordung Schwaben in seiner Hand behielt, so machte zunächst K. Friedrich II. einen ernstlichen Versuch mit Oesterreich und Steier und zwar wiederholt, nach der Vertreibung Herzog Friedrichs, wie nach seinem Tode. Weiter dürfte es doch auch H. v. D. bekannt sein, dass gerade unter K. Rudolf Oesterreich, Steier und Kärnthen dem Reiche jahrelang ledig waren, ehe sie wieder verliehen wurden, dass weiter gerade Schwaben, auf welches er hinweist, seit 1268 [135] nicht blos zeitweise, wie unter den Staufern, sondern dauernd dem Reiche ledig blieb. Wenn daher in irgend einer Zeit des dreizehnten Jahrhunderts der Satz des Ssp. den tatsächlichen Zuständen nicht entsprach, so war das vorzugsweise unter K. Rudolf der Fall; wie kann man nun so bekannten, theilweise gerade das von H. v. D. hervorgehobene Schwaben betreffenden Thatsachen gegenüber behaupten, nur in dieser spätern, nicht aber in der staufischen Zeit habe jener Satz gegolten?

Es ergibt sich vielmehr umgekehrt, dass die Bestimmungen des Ssp. beim Vergleiche mit dem Swsp. eher auf einen frühern Zustand hindeuten. Der Satz, dass der König kein Fahnlehen in seiner Hand behalten soll, blieb wohl lange trotz der Ausnahmen in Kraft und findet sich überall übereinstimmend in den Rechtsbüchern; in späteren Jahrhunderten musste sich freilich der König in der Wahlkapitulation ausdrücklich verpflichten, grössere heimfallende Lehen nicht wieder zu verleihen, sondern zum Nutzen des Reiches einzuziehen. Dagegen verlor der entsprechende Satz, dass der Fürst keine Grafschaft ledig halten soll, schon im dreizehnten Jahrhunderte mindestens thatsächlich seine Geltung. Nun hält aber der Ssp. überall fest am strengen Rechte; auch der Swsp. verlangt im Lhr. 133, genau dem Ssp. folgend, Wiederverleihung der in ein Fahnlehn gehörigen Grafschaft binnen Jahr und Tag; im Ldr. 124 dagegen übergeht er, doch wohl veranlasst durch das inzwischen völlig ausgebildete entgegenstehende Herkommen, die Pflicht des Fürsten, obwohl diese in der ihm vorliegenden Stelle Ssp. (Dsp.) 3, 53 § 3 erwähnt wird, und hebt nur die des Königs hervor. Und ein ähnliches Verhältniss habe ich fast überall gefunden, wo ich staatsrechtliche Bestimmungen, in welchen der Swsp. vom Ssp. abweicht, mit den tatsächlichen Zuständen verglich.

XVI.

Fragen wir nach dem Resultate unserer Erörterungen, so ergab sich, dass wir mit gutem Grunde die Entstehung des Ssp. in die Zeit zwischen 1224 und 1232 setzen dürfen, für eine noch engere Begränzung aber die vorhandenen Hülfsmittel keine genügenden Anhaltspunkte zu bieten scheinen. Eine solche [136] Begränzung aber auf acht Jahre, welche zudem in die Regierung ein und desselben Herrschers fallen, dürfte für fast alle Fragen, für welche die Entstehungszeit des Rechtsbuches von Bedeutung sein kann, vollkommen ausreichen. Auch scheinen die Haltpunkte für diese Begränzung im allgemeinen genügende Sicherheit zu bieten. Was den Terminus a quo betrifft, so war dieser in neuerer Zeit überhaupt weniger bestritten; und will ich nicht läugnen, dass bei der nächsten Veranlassung meiner Arbeit meine Aufmerksamkeit weniger auf möglichst genaue Feststellung nach dieser, als nach der andern Seite hin gerichtet war, so scheint mir doch der Beweis, der Ssp. könne in der uns jetzt vorliegenden Form nicht vor dem J. 1224 entstanden sein, auf genügender Grundlage zu beruhen; damit ist vereinbar und von mir ausdrücklich anerkannt, dass manche seiner Bestimmungen auf frühere Zeiten deuten und älteren Aufzeichnungen entnommen sein dürften. Für die Beurtheilung der für den Terminus ad quem vorgebrachten Beweisgründe wird zu beachten sein, dass die abweichenden Meinungen über denselben weniger den Unterschied einiger Jahre, als den eines halben Jahrhunderts betreffen, indem gegen die Ansicht, der Ssp. sei in der ersten Hälfte des Jahrhunderts, genauer vor 1235, entstanden, sich die andere geltend machte, er könne erst in der zweiten Hälfte desselben, genauer nach 1274, abgefasst sein. Die gegen diese letztere Ansicht vorgebrachten Gründe, welche sich auf die Stellung des Ssp. zum Swsp., zum Dsp. und Berthold von Regensburg, zum Hamburger und Magdeburg-Breslauer Rechte, endlich zur Chronik des Albert von Stade stützen, halte ich für so schlagend, dass ihnen gegenüber selbst die Möglichkeit, der Ssp. könne erst zur Zeit K. Rudolfs entstanden sein, keinen Platz mehr finden dürfte. Auch eine Prüfung der dagegen geltend gemachten staatsrechtlichen Bestimmungen, so wenig in diesen überhaupt die massgebenden Anhaltspunkte zu suchen sein dürften, ergab dafür nur eine Bestätigung. Sehen wir aber von dieser ganz abweichenden Meinung ab, so möchte ich zwar für die Gründe, auf welche sich die genauere Bestimmung des Terminus ad quem innerhalb der ersten Hälfte des Jahrhunderts stützt, nicht mit derselben Sicherheit behaupten, dass sie [137] geradezu die Unmöglichkeit einer Entstehung nach 1232 erweisen. Da aber, sollte auch der aus dem Verhältnisse zur Repgowischen Chronik gezogene Beweis für eine Entstehung vor 1232 allein nicht ausschlaggebend erscheinen, zwei andere Haltpunkte den Terminus nur um wenige Jahre später, auf 1235 fallen lassen würden; da, wenn auch keiner der drei Haltpunkte den Beweis der Unmöglichkeit späterer Entstehung bietet, doch jeder derselben eine solche im höchsten Grade unwahrscheinlich machen muss und zur Annahme so gehäufter Unwahrscheinlichkeiten uns doch nur sehr gewichtige Gründe würden bestimmen können; da aber von denjenigen, welche sich überhaupt für Entstehung in der ersten Hälfte des Jahrhunderts entschieden, meines Wissens nie ein Grund vorgebracht wurde, auf den hin sich behaupten liesse, der Ssp. sei nicht vor 1232, sondern erst in der Zeit von 1232 bis etwa 1250 entstanden; so scheint mir der Beweis für die Entstehung in der Zeit von 1224 bis 1232 oder doch bis 1235 auf einer, wenn nicht unumstösslichen, doch so sichern Grundlage zu beruhen, dass sich ein Ausgehen davon bei einschlägigen Forschungen vollkommen rechtfertigen dürfte.

Damit ist nun freilich kein neues Resultat gewonnen, da wenigstens ich die schon von frühern Forschern für eine Entstehung um 1230 vorgebrachten Gründe jederzeit für stichhaltig gehalten habe und ohne den nächsten Anlass, welcher für mich in der Schrift des Herrn von Daniels lag, schwerlich darauf verfallen sein würde, meine Ansichten über diese Frage öffentlich darzulegen; doch glaube ich wenigstens in Einzelnheiten die bisherigen Gründe gestärkt und nebenbei manches bemerkt zu haben, das auch für solche von einigem Werthe sein dürfte, welche die Hauptfrage von vornherein als genügend gelöst betrachteten.

Innsbruck. 1858. Oktober 5. [138]

[139] In den nächsten Wochen wird versandt werden:

Der Spiegel deutscher Leute. Vollständiger Abdruck der Innsbrucker Handschrift. Mit Unterstützung der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften herausgegeben von Dr. J. Ficker etc. etc.




In unserm Verlage ist früher erschienen:

Godefredi Viterbiensis Carmen de gestis Friederici primi imperatoris in Italia. Ad fidem codicis bibliothecae Monacensis edidit Dr. Jul. Ficker, hist. prof. p. o. in c. r. univ. litt. Oenipont.

 4 Bogen. Preis 12½ Ngr., 42 kr., 64 Nkr.


Wagnerische Buchhandlung
in Innsbruck.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Als Korruptele bezeichnet man in der Textkritik eine verderbte Textstelle, deren Schreibung oder Druck fehlerhaft und nicht mehr zu klären ist.
  2. Als Emendation wird in der Editionsphilologie die Korrektur von Fehlern in Texten durch einen Herausgeber bezeichnet.
  3. Vorlage: selbsständig