Über die Volkssitten zur Osterzeit
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Es ist doch eine wunderbare Thatsache, daß ein jedes Volk mit der größten Zähigkeit und Treue die von den Vorfahren ererbten Volkssitten und Volksfeste in Ehren hält; zu bestimmten Zeiten des Jahres will der reiche wie der arme Mann mit seiner Familie allerlei fröhliche, muntere Gebräuche, Spiele und Scherze mitmachen. Mag ein Geschlecht nach dem andern dahinsterben, die Volkssitten erhalten sich, sie pflanzen sich fort vom Vater auf den Sohn, vom Sohn auf den Enkel; überall in Stadt und Land kennt man sie, obwohl kein besonderer Lehrer über sie Unterricht ertheilt hat.
Es ist natürlich, daß die Menschen, welche gern das größte Geheimniß, nämlich sich selbst, ihr Einzelleben und ihr Zusammenleben in dem Verbande von Gemeinde und Volk erkennen wollen, auch die Frage aufgeworfen haben, woher stammen denn die alten Volksfeste mit ihren sonderbaren Sitten und Gebräuchen? Und bei dem Nachforschen über den Ursprung derselben ist man auf staunenswerthe Ergebnisse gekommen. Da das fröhliche Fest der Ostern vor der Thüre steht, wollen wir dasselbe heute mit Allem, was sich im Leben des Volkes daran angelehnt hat, näher in’s Auge fassen.
Fast bei allen Völkern der Welt fallen die hauptsächlichen heiligen Feste auf vier von jeher heilig gehaltene Zeiten, welche nach der Sonne bestimmt wurden, nämlich nach den Sonnenwendetagen (Solstitien) und den Tag- und Nachtgleichen (Aequinoctien). Die Sonnenwenden treten ein am 21. Juni und am 21. Dezember, also in der Johannis- und [124] Weihnachtszeit – sie zeigen im Juni den längsten und im Dezember den kürzesten Tag an, – die Aequinoctien am 21. März und am 21. September. Die alten Deutschen begingen ein Mittwinter-, ein Frühlings-, ein Mittsommer- und ein Herbstfest. Das erste war das Julfest um Weihnachten, ein Freudefest zu Ehren des wiedergeborenen Sonnengottes Jul (das Licht wird ja von der Zeit ab wieder größer), das zweite ein Dankfest für die Frühlings-Sonnengottheit Tio, das dritte ein Freudefest zu Ehren des Sonnengottes Fro und des Baldur, das vierte ein Erntedank- und Todtenfest, hauptsächlich dem Wodan, dem höchsten Gott, gewidmet.
Als nun das Christenthum unter den Deutschen eingeführt wurde, vermochte es nicht, diese heidnischen Feste und den altdeutschen Glauben sofort zu verdrängen, obwohl schon in den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung häufige und scharfe Verbote an die Christen ergingen, nicht an den heidnischen Festlichkeiten Theil zu nehmen. Da aber die Liebe zu den alten Gebräuchen und Sitten fast unausrottbar erschien, gebot es die Weisheit der Kirche, in der Unterdrückung des Heidenthums nicht mehr so streng wie zuerst zu verfahren, sondern man fing an, um die Heiden leichter zum Christenthum überzuführen, ihre Feste in christliche zu verwandeln. Gregor der Große, der römische Bischof, schrieb an den Kirchenvater Augustin,[1] er müsse nicht zu ungestüm in der Unterdrückung des Götzendienstes verfahren, nicht alle Tempel zerstören, sondern, wo es gehe, sie in christliche Kirchen umbilden; an die Stelle der heidnischen Feste solle er Kirchweihfeste setzen; denn man dürfe den rohen Menschen nicht Alles mit einem Male nehmen. So haben sich denn in vielen Stücken Glaube und Feste der Alten erhalten, sie haben theils den christlichen Gehalt bekommen, theils haben sie sich als Aberglaube und Brauch abgesondert und sich an die geläuterten christlichen Sitten und Zeiten als Anhängsel angelehnt.
Das „Volksblatt“ wird Gelegenheit nehmen, hierüber zu verschiedenen Festzeiten des Jahres Genaueres zu berichten; für heute möge es an dem Osterfest nachgewiesen werden.
Das christliche Osterfest fällt der Zeit nach mit dem altheidnischen Ostarafest zusammen, mit einem heiligen Frühlingsfest, welches unter vielen sonderbaren Frühlingsgebräuchen von den alten Deutschen festlich begangen wurde. Die Göttin Ostara, von deren Namen „Ostern, Osten“ kommt, muß in dem Glaubensleben unserer heidnischen Vorfahren eine bedeutende Rolle gespielt haben. Ostara (d. h. die Richtung gegen Morgen) war die Göttin des aufsteigenden Lichtes, der Morgenröthe wie des Frühlings, des Ostens. In manchen Gegenden herrscht noch der Glaube, daß sich gerade zu Ostern, zur Zeit des einkehrenden Frühlings, in Felsklüften oder auf Bergen weißgekleidete Jungfrauen sehen lassen; sie erinnern an jene alte Göttin Ostara. Ostern ist eine überaus glückliche Zeit; denn die Sonne begrüßt den neuen Sommer, indem sie nach uraltem Volksglauben drei Sprünge macht. „Ich finde“, sagt Daniel Schwenter, ein Schriftsteller aus dem 17ten Jahrhundert, „in etlichen Postillen, der Mensch solle sich billig des Osterfestes freuen; denn auch die herzliche schöne Sonne an dem Himmel thue auf den ersten Ostertag früh, wenn sie erst aufgeht, und darnach zu Abend, ehe denn sie untergehe, drey Freudensprünge... Es laufen beede, Alten und Jungen, Abends und Morgens mit großen Hauffen in das Feld hinaus und sehen zu, wie die Sonne tanzet. Wenn sie nun dieselbe so lange angesehen haben, daß ihnen Blau und Braun, Licht und Finsterniß vor die Augen kommt, so rufet einer hie, der andere dort: Jetzund thate sie den ersten, da bald den andern und dann den dritten Sprung. Wer nun sagen wolle, er hätte nichts gesehen, den würde man für blind oder für einen Gotteslästerer halten.“ Schwenter gibt sich die Mühe, den Leuten ihren Irrthum nachzuweisen. Unter Anführung bedeutender Himmelsforscher fährt er fort: „Ich halte auch dafür, daß die Sonne gedachter Maaßen nicht springe, und dies wegen folgender unwidersprechlicher Ursach: Die Sonne geht alleweil und unaufhörlich auf und unter, zum Exempel, wann sie uns aufgeht, so geht sie andern unter und dies währet fort und fort. Weil nun die Sonne, wann sie aufgeht, springen solte, müßte sie den ganzen Tag, ja 24 Stunden aneinander tanzen und springen. Zum Andern kann es sich schicken, daß ihrer zween stehen in schlechter Distantz (Entfernung), der eine hat einen Berg vor sich oder einen andern Gegenstand, der andere nichts, so folget, daß diesem die Sonne eher aufgehe und erscheine, als jenem, müßte also die Sonne einem jeden zu unterschiedlicher Zeit drei Sprünge zu gefallen thun. Jedoch wollen wir diejenigen, so vorgeben, sie haben die Sonne springen sehen, nicht gar hinwerffen, sondern sie ein wenig auseisen und verantworten und halte ich gäntzlich davor, es seye ein Augen-Betrug u. s. w.“ Mit tiefer Wissenschaftlichkeit bekämpft der weise Schwenter den Aberglauben seiner Landsleute.
Um die freudenreiche Ostersonne zu begrüßen, steigt man am ersten Ostertag in vielen Gegenden auf einen hohen Berg, damit man den Sonnenaufgang sehe; im Harz legt man ein schwarzseidenes Tuch vor die Augen, wenn man sie ansieht. Ein Glas Wasser, am Ostermorgen vor Sonnenaufgang hingestellt, zeigt das Osterlamm, wie es lustige Sprünge macht. Das vor dem ersten Osterlicht geschöpfte Wasser ist heilkräftig. Doch muß es unter dem größten Stillschweigen aus Bächen und Flüssen gegen den Strom geschöpft sein; es macht schön, heilt die Augen, nimmt den Ausschlag weg und schützt vor Behexung, vertreibt auch das Ungeziefer; es hält sich dieses Wasser das ganze Jahr hindurch wohlschmeckend. In Thüringen liebt man sehr, dieses Osterwasser zu trinken. In Westpreußen glaubt manches Mädchen, welches am Ostermorgen vor Sonnenaufgang drei Löffel aus fließendem Wasser trinkt und spricht: „untergehn, auferstehn, immer treu, [125] immer neu“, daß ihr Geliebter nie von ihr lassen wird. Im Brandenburgischen wäscht man in der Osternacht die Pferde, um sie recht kräftig zu machen, so auch in Ostpreußen, wo sich Burschen und Mädchen gegenseitig bespritzen. In Ostpreußen soll sich sogar in derselben Nacht das Wasser sehr oft bis 3 Uhr Morgens in Wein verwandeln. In Hessen glaubt man, daß, wenn es am Ostermorgen regnet, das Jahr hindurch die Erde nicht satt wird. In Niedersachsen, z. B. in Hannover, ist das Wasserschöpfen vor dem Ostermorgen vielfach noch Sitte, man bewahrt das Osterwasser in Flaschen auf; in Berlin holt man es am Sonnabend vor Ostern, meist unter großem Lärm, gar oft unter Straßenskandal, wogegen die Polizei einschreiten muß. Namentlich die Deutsch-Böhmen haben sehr großes Vertrauen auf das Osterwasser. Es ist noch nicht lange her, daß in Reichenberg die Sitte bestand, daß, sobald die Glocken ertönten, die ganze Bevölkerung zum Flusse lief, um sich zu waschen und Wasser zu holen; Fallsucht, Gicht und Augenleiden – so glaubte man – wurden sofort oder doch bald darauf gehoben. Dieser alte heidnische Brauch des Osterwassers erhielt dadurch eine neue Stütze, daß die römische Kirche das Taufwasser für das ganze Jahr am heiligen Sonnabend vor Ostern und Pfingsten weihte, daß auch die Taufhandlungen ursprünglich des Nachts, später des Morgens am ersten Osterfest abgehalten wurden. In den Dörfern des Frickthals besprengte der Küster die Schwelle der Häuser mit dem sogenannten Ostertauf, mit dem für das neue Kirchenjahr frisch eingesegneten Weihwasser, wofür er von jeder Haushaltung einen Laib Brod und zwei Eier erhielt. Brod und Eier sind, wie aus vielen ähnlichen Fällen mit Sicherheit hervorgeht, uralte heidnische Opfergaben, die dem Gotte und seinem Priester dargebracht wurden.
Der Ostermorgen mit seinem neuen Osterlicht ist eine überaus günstige Zeit, allerlei geheimnißvolle Handlungen auszuführen. Wenn Mädchen in der Frühe Ringlein von Weiden, die je eine Person bezeichnen, in’s Wasser werfen, so zeigt der untersinkende Ring an, wer in dem Jahre stirbt. Mäuse vertreibt man, wenn die Hausfrau beim Frühläuten am Ostertage alle Schlüssel des Hauses zusammenbindet und während des Läutens rasselt; alsdann laufen die Thiere fort; selbst Ratten fliehen, wenn man am Ostermorgen vor Sonnenaufgang alle Räume des Hauses mit Flieder ausräuchert; ja selbst Flöhe werden in die Flucht gejagt, wenn man, sobald die Osterglocken läuten, ein Bündel geweihter Palmen dreimal schwingt, welches in der Charwoche hinter einem Muttergottesbild gelegen hat, und spricht: „Fort mit den Thieren, die keine Knochen haben.“ Wenn man zu dieser Zeit einen Geldsack in einem fließenden Wasser hin- und herschwenkt, wird er immer voller an Geld.
Alles, was Bild und Kraft der neu aufleuchtenden Sonne und des neu aufsprießenden Lebens darstellte, wurde von den ältesten Zeiten an mit dem Ostara- oder Osterfest in Verbindung gebracht; namentlich das Feuer mußte an diesem Frühlingsfest eine bedeutende Rolle spielen. Daß „Osterfeuer“ auf den Bergen aufflammen mußten, ist in der christlichen Zeit von je her Sitte gewesen. „In allen Städten, Flecken und Dörfern des Landes“, so schildert ein alter Geschichtsschreiber aus dem sechzehnten Jahrhundert die Osterfeuer, „wird gegen Abend des ersten Ostertages auf Bergen und Hügeln ein großes Feuer aus Stroh, Wasen und Holz unter Zulauf und Frohlocken des Volks, nicht allein der Jugend, sondern auch vieler Erwachsenen jährlich angezündet. An der Weser, zumal im Schaumburgischen, pflegt man ein Theerfaß auf einer strohumwundenen Tanne zu befestigen und es in der Nacht zu entzünden. Knechte, Mägde und wer dazu kommt, tanzen jubelnd und singend um die Flamme, Hüte werden geschwenkt, Tücher in das Feuer geworfen. Alle Gebirge im Umkreis leuchten, und es ist ein erhebender, kaum mit etwas Anderem zu vergleichender Anblick, von einem der höheren Punkte viele Meilen ringsum das Land zu überschauen und nach allen Seiten hin auf einmal eine große Menge solcher Feuerbrände stärker oder schwächer gen Himmel lodern zu sehen. An einigen Orten zog man mit weißen Stäben feierlich auf den Berg, stimmte, wechselweise sich an den Händen fassend, christliche Osterlieder an und schlug beim Hallelujah die Stäbe zusammen. Von den Bränden trug man gern mit nach Hause.“ Diese alte Sitte, Osterfeuer anzuzünden, ist fast in den meisten Gegenden Deutschlands zu finden und gibt zu manchem Aberglauben Anlaß.
In Franken wird am Osterabend vor dem Fest an einem Pfahl ein großes Strohfeuer gemacht; man glaubt, so weit der Rauch geht, bringt das Wetter der Feldfrucht nicht Schaden. In Oldenburg laufen Knaben mit brennenden Strohbündeln, welche sie am Holzstoß des Osterfeuers anzünden, über die Felder, um sie fruchtbar zu machen. Am Rhein werfen die Kinder in die Osterflammen einen Strohmann, den sie Judas oder Ostermann nennen und singen ein Lied „Verbrennen wir den Judas.“ Eine merkwürdige Sitte ist es, daß zu Bräunrode im Harz vor dem Anzünden des Osterfeuers die ganze Bevölkerung in den Wald läuft, um Eichhörnchen zu fangen. Man pflegt diese Thiere mit Steinen und Knütteln so lange zu verfolgen, bis sie endlich ermattet, lebendig oder todt den Leuten in die Hände fallen. In Westfalen schließt das Volk einen Kreis um den Holzstoß; einer schlägt mit einem in einen Knoten geknüpften Tuch (Klumpsack) jeden einzelnen und spricht: „Kik di nit üm, dat Foesken (Füchschen), dat kämt!“
Auch die katholische Kirche hat das „Osterfeuer“ angeordnet und dadurch Gelegenheit gegeben, daß die alten Sitten und Gebräuche sich an die kirchlichen mit der Zeit anlehnten. Am Charsamstag Morgens wird, nachdem alle kirchlichen Lichter ausgelöscht worden sind, mit Stahl und Stein neues Feuer entzündet; an diesem Feuer werden vorher eingesegnete Kohlen glühend gemacht und daran wird die sogenannte Osterkerze, [126] ein Sinnbild des Lichts der Welt, angesteckt. Mit diesem geweihten Feuer zündet man auch in manchen Gegenden die öffentlichen großen Osterfeuer an, von denen sich jeder Bürger einige Brände mit nach Hause nimmt, um das ausgelöschte Heerdfeuer wieder anzuzünden. Nach dem Volksaberglauben sollen diese Funken, die man auch Judaskohlen, Judasfeuer nennt, Schutzmittel gegen Einschlagen des Blitzes, gegen Hagel und gegen Viehschaden sein.
Es unterliegt keinem Zweifel mehr, daß die Osterfeuer alt-heidnischen Ursprungs sind. Unsere alten Vorfahren zündeten ihre Festfeuer an zu Ehren der Sonnengottheit, welche zu verschiedenen Zeiten verschieden aufgefaßt wurde und als eine andere erschien; bedingte sie doch allein Wohl und Wehe der Menschen und der Thiere! In dem Anzünden der Feuer erkennen wir eine Art Sühn- und Dankhandlung der alten Germanen; das Feuer diente, wie auch das Wasser, zur Reinigung von Menschen, Vieh und Dingen, und es ist das sichtbare Zeichen der Anwesenheit der Gottheit. Von dem heiligen Feuer der Sonnengottheit nimmt man und streut die Asche umher zum Segen der Saaten, zur Abwehr von Ungeziefer und von allerlei teuflischem Zauberwerk. Durch das ursprünglich vermittelst Reibung entzündete Feuer wird die Sonnengottheit auf Erden für die Menschen gleichsam wieder erzeugt zum neuen Segen.
Die Sitte, Osterfeuer anzuzünden, läßt sich wohl auf die Zeit zurückführen, wo es noch schwer war, Feuer anzuzünden, wo es durch Reibung zweier Hölzer mühsam hervorgelockt werden mußte. Dies geschah jährlich von der ganzen Gemeinde unter Anrufung ihres Sonnengottes. Darauf nahm ein Jeder sich seine Scheite mit nach Hause und zündete seinen Heerd von Neuem an und bewahrte das Feuer sehr sorgfältig bis zum nächsten Ostarafest. Das „Ostermann- oder Judasbrennen“ sollte ein Sinnbild sein, daß nun der Winter und mit ihm die das Wachsthum und Leben aufhaltenden Mächte desselben durch Feuer vernichtet würden; hiermit hängt auch das Hexenverbrennen zusammen. Die oben erzählte Sitte des Jagens der Eichhörnchen im Harz und des Füchschen im Plumpsacksspiel zu Ostern ist noch ein uralter Rest heidnischen Lebens; das Eichhörnchen wie der Fuchs sind dem Gotte Donar geweihte und heilige Thiere; Donar gibt oft den Namen für die anzubetende Sonnengottheit ab.
Wie steht es nun mit der Sitte der Ostereier und der übrigen Osterfestlichkeiten? Doch darüber wollen wir in der nächsten Nummer des „Volksblattes“ handeln.
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Ueber die „Ostereier“ gibt es gar viele lustige Geschichten zu erzählen, schon ihr Ursprung in jedem Jahre ist ja wunderbar. Der „Osterhase“, welcher sonst zu den Säugethieren gehört, die bekanntlich lebendige Junge zur Welt bringen, soll sie gleich der Henne überall hinlegen. In vielen Religionen der alten vorchristlichen Völker, so der Griechen und der Indier, ist das Ei ein Sinnbild des neu beginnenden Naturlebens. Wie aus dem scheinbar todten Ei ein ganz neues, [130] lebendiges Wesen hervorgeht, so wird aus der im Winterschlaf erstarrten Erde die lebengebende Frühlingskraft durch die Sonne hervorgerufen. Die Ostereier müssen bunt gefärbt sein, namentlich roth und gelb; denn das sind die Hauptfarben der Sonne. Die Eier waren bei den alten Deutschen die heiligen Gaben der fruchtbaren Erd- und Sonnengöttinnen, sowohl der Ostara, von der schon viel berichtet worden ist, als auch der Freya; durch die heidnischen Priester wurden der Göttin Ostara Eieropfer dargebracht. Der Glaube, daß der Hase die Eier lege, hat ebenfalls seinen Grund in der religiösen Vorstellung unserer Vorfahren. „Der Hase, als Sinnbild der Fruchtbarkeit, gehört wiederum der Frühlingsgöttin Ostara oder auch der Hulda, der Frau Holle oder Harke an; Harke’s Herde besteht aus lauter Hasen; Hulda läßt sich bei ihren nächtlichen Wanderungen von Hasen Lichter voraustragen; Hasenteiche, Hasenbrunnen, Hasennester gelten vielfach als der Ort des Ursprungs der Kinder.“ Während wir jetzigen Deutschen den Hasen als Lieblingsbraten verspeisen, durften unsere Vorfahren ihn nicht essen; der Hase war ihnen ein der Gottheit geweihtes Thier.
Die Sitte der alten Deutschen, den Ostereiern eine große Bedeutung beizulegen, ist in die christliche Zeit mithinübergegangen. Es lag nahe, daß man das Ei als ein Sinnbild für das neue Leben betrachtete, welches Christus der Welt gegeben, nachdem er die Pforte des Grabes durch die Auferstehung gesprengt hatte. Bis auf den heutigen Tag werden die heidnischen Osterhasen, Osterhäslein in Zucker und Backwerk zur Osterzeit verschenkt, nicht minder die Ostereier mit christlichen Abzeichen; sie werden mit dem Bilde eines Engels, eines Lammes, eines Lammes mit dem Friedensfähnlein verziert. Wie in der heidnischen Zeit den Priestern Eier für die Gottheit gegeben wurden, so ist es bis heute noch in vielen Gegenden der Fall, daß zum Zeichen der Anhänglichkeit den Pfarrern und Lehrern zu Ostern von den Gemeindegliedern Eier verehrt werden. In Leuscheid an der Sieg mußte ein jedes Kind, welches confirmirt wurde, dem Pastor fünfundzwanzig Eier bringen.
Fast in allen Gemeinden des deutschen Vaterlandes, ja über die Grenzen Deutschlands hinaus gibt es wunderliche Sitten, in denen das Osterei den Hauptgegenstand bildet. Fast überall verstecken die Eltern am Ostertag buntgefärbte Eier irgendwo im Hause oder im Garten. „In Schwaben macht man ein Nest von Moos oder anderem Grün, auf das man einen Hasen setzt, und in Hessen legt man bisweilen alle Eier in ein mit Spänen umzäuntes Gärtchen, welches Hasengärtchen heißt.“ Die versteckten Eier werden von der muntern Kinderschaar unter großem Lärm aufgesucht; das Kind wird am meisten bewundert, welches im Auffinden am glücklichsten war. Sind die Eier gefunden, dann tritt das sogenannte „Spicken, Tikken oder Kippen“ ein. Die Kinder stoßen die Eier mit den spitzen oder stumpfen Enden gegeneinander. Wessen Ei zerbricht, der verliert und muß es dem andern geben, dessen Ei härter gewesen ist. Am Rhein sieht man zur Osterzeit auf den öffentlichen Plätzen ganze Schaaren Kinder, die dieses „Kippen“ spielen und nicht leicht müde darin werden. In den östlichen Gegenden Deutschlands muß der Pathe seinem Pathenkind zu Ostern ein Ei verehren. „Die Kinder der ärmeren Klassen – so lesen wir über die Volkssitten in Belgien – ziehen am Ostersamstag auf den Dörfern herum und singen Lieder, um sich Ostereier zu erbitten, wobei sie aus Ochsenhörnern blasen, um den Pächtern und Grundbesitzern ihre Ankunft zu verkündigen. In einigen Ortschaften macht die ganze Schule einen gemeinschaftlichen Rundzug mit großen Körben, und trifft es sich zufällig, daß zwei solcher wandernden Schulen sich auf ihren Wegen begegnen, so kommt es nicht selten zu erbitterten Kämpfen mit Stock und Fäusten. Mitunter ist es auch bloß der Küster oder Glöckner, welcher mit den Chorknaben von Gehöft zu Gehöft geht, um Ostereier zu sammeln.“ In Vorarlberg ziehen Männer und Kinder unter Fackellicht am Vorabend vor Ostern von Haus zu Haus und singen unter Begleitung der Zither Auferstehungslieder, sie empfangen dafür Ostereier oder Brod und Wein; ähnliche Gebräuche finden sich in Schwaben. In letzterem Lande ist es namentlich am Ostermontag eine uralte Sitte, auf den Wiesen Eier aufzulesen oder zu „klauben“, wie man das Wettspiel nennt. Bei dem alten Schwenter, den wir in der vorigen Nummer des Volksblatts angeführt haben, lesen wir folgende Beschreibung des Volksfestes. „Man geht hinaus auf’s Feld oder in einen weiten Hofgarten oder Wiesen; da läuft man mit ganzen Körben Eier zu. Man nimmt eine gewisse Zahl derselben, hundert, zwei hundert oder noch mehr. Solche legt man auf den Boden, der Länge nach, eines hinter das andere, in gewisser Entfernung; etwa einen Schritt weit eins von dem andern. Der das Spiel gewinnen will, muß diese Eier allesammt, eins nach dem andern, zuvor klauben (das ist: nehmen) und in ein bestimmtes Geschirr, Sieb oder Korb legen, unzerbrochen, ehe daß ein anderer, zu einem gewissen Ziel laufend, wieder zurückkommt. Da gibt es nun ein Gewett (Wette), welcher von diesen Beiden geschwinder sei, der Laufer oder der Klauber, das ist, der eine im Hin- und Herlaufen, oder der andere im Eierklauben. Das ist nun lustig zu sehen; denn also oft der Klauber ein Ei aufhebt, läuft er damit zum Korb oder Sieb und legt’s darein. Kehrt derweilen der Laufer eher zurück, so ist das aufgesetzte sein Gewinn; gleichwie es des Aufklaubers ist, wann er vor der Zurückkunft des Laufenden mit dem Aufklauben fertig wird; zerbricht er aber ein Ei, so hat er’s Spiel verloren. In vielen Orten üben die Kinder die Kunst, das Ei so in die Höhe zu werfen und auf den Boden fallen zu lassen, daß es nicht zerbricht. In Königsegge in Schwaben verkauft man zu Ostern ausgeblasene Eier, die mit Blumen bemalt sind. In der Höhlung befindet sich eine kleine Walze, um welche ein mehrere Ellen langer Papierstreifen gewickelt ist, worauf Verslein stehen. So z. B.: [131]
Liebstes Kind, darf ich’s wagen,
Dich ein einziges Wort zu fragen?
Ob deine Lieb und Treu
Nur auf mich gerichtet sei?
Blumen welken, Schönheit schwindet,
Alles gehet mit der Zeit;
Doch was die Liebe sonst umwindet,
Das bleibet Jahre so wie heut.
Ein Hüttchen, darinnen ein Stübchen,
Und ist der Raum auch so winzig und klein,
Wie dieses Ei!
Noch sei bemerkt, daß das Osterei nach dem Volksglauben allerlei Zauberkraft besitzt. So kann man eine Feuersbrunst sofort löschen, wenn man rückwärts ein geweihtes Osterei hineinwirft. Wenn man das Wasser, in welchem die Ostereier gekocht sind, an die Wand eines Stalles gießt, werden die Kühe nicht krank. Wenn ein Mädchen dem Geliebten Ostereier gibt, welche sie am Ostersamstag beim geweihten Feuer roth gesotten hat, so wird die gegenseitige Liebe gestärkt und kann nicht gebrochen werden.
Mit der Sitte der Ostereier hängt unzweifelhaft die andere zusammen, daß in den Häusern des Volkes verschiedene Arten von Gebäck gerade am Osterfest von den Hausfrauen gebacken werden. In diesen Gebräuchen, die freilich allgemein in der Abnahme begriffen sind, liegt eine Erinnerung an frühere heidnische Opfer und Opfermahlzeiten der alten Deutschen. In dem von Bonifacius verfaßten „Verzeichniß heidnischen Aberglaubens“ ist die Rede davon, daß die alten Deutschen an gewissen heiligen Tagen Brode, Fladen oder Kuchen in Form ihrer Götterbilder verfertigten. Solche aus Teig geformte Götterbilder hat man denn auch in den sogenannten Osterwölfen, Heidewecken, in den verschiedenen Formen der Backwerke am Christbaum erkannt. In Wien backt man Osterflecke, in Sachsen Osterfladen, in Westfalen Osterpfannkuchen. In Böhmen ist der Lammbraten das gewöhnliche Ostergericht; jeder Dienstbote erhält einen Osterlaib oder Osterbrod mit Rosinen. In Schwaben hat man auch Osterfladen, daher das Sprüchwort: „Du ißest d’Flade am Karfreitag, an Ostern hast nichts. “ In Lindau backt man Ostergeigen. Die Hauptspeise aber war in alter Zeit das sogenannte „Gesegnets“, eine Eier-Fleischspeise; sie hat den Namen daher, daß man sie in die Kirche am Ostertag trug, um sie vom Priester segnen und weihen zu lassen. In manchen katholischen Ländern ist es auf Dörfern noch immer Sitte, zu Ostern in der Kirche Speisen weihen zu lassen. Wenn der Morgengottesdienst beendet ist, so drängt sich die Menge um den Weihaltar und setzt ihre Körbe nieder, welche mit weißen Tüchern bedeckt sind, damit der Priester über sie den Segen spreche.
Unzählich sind die Volkssitten, welche, theils ernste, theils lustige Handlungen, zu Ostern von dem niederen Volk immer wieder ausgeführt werden. In Schwaben kennt man das sogenannte „Emmausgehen“. Am Ostermontag ist der Gang nach „Emmaus“ ein Lustgang ins Wirthshaus einer benachbarten Ortschaft. Man hält es für seine Pflicht, seine Gespielin einzuladen. In manchen Städten Süddeutschlands wird ein fetter gemästeter Ochse, der sogenannte Osterochs, bekränzt durch die Straßen geführt, und jede Familie sucht von dem geschlachteten Prachtochsen ein Stück Fleisch für’s Fest zu bekommen. In alter Zeit mußte der Priester auf der Kanzel dem Volke ein lustiges Stücklein, eine Anekdote, einen Scherz, überhaupt eine Lachen erregende Erzählung zum Besten geben, das sogenannte Ostermärchen, um das Volk zu erheitern und ein Ostergelächter hervorzurufen.
Lange Zeit hindurch duldete die christliche Kirche die sogenannten Osterspiele, öffentliche theatralische Aufführungen aus dem Leben Christi, z. B. vom großen Abendmahl und den zehn Jungfrauen, von den Leiden des Herrn, von Esther u. s. w.
In England und Norddeutschland ist am Ostermontag das sogenannte Ballspiel ein Hauptfest geworden.
Wir schließen unsere Erzählungen über die Volkssitten zur Osterzeit mit der Schilderung eines solchen Ballspiels in einem Dorfe bei Salzwedel, welche wir einer Sammlung von „Volkssitten im festlichen Jahr“ entnehmen. Am Ostertag oder schon Sonntag Judica zieht das gesammte junge Volk auf den Hof eines neuen Ehepaars und singt:
Hie sind wi Jungfern alle,
Wi sing’n een Brutballe!
Will uns de Brut (Braut) den Ball nich gewen,
So will’n wi er den Mann ok nehmen!
Eier Mann, Eier ja!
N. N. mit sine junge Brut
Schmiett (schmeiß) uns den Brutball h’rut (heraus),
So grot (groß) as een Zipollen (als eine Zwiebel)
Den soll’n j’i (sie) woll behollen (wohl behalten).
Dann folgt das Lied: „Wer nur den lieben Gott läßt walten,“ worauf die junge Frau einen Ball über das Dach des Thorweges wirft und ihr Mann einen Thaler gibt. Als Dank wird dafür gesungen:
Se hebben uns eene Verehrung gegewen,
De lewe Gott lath se in Freeden lewen!
Dat Glück wahr Jahr ut un d’ut,
Dat Unglück fahr tom Gäwel herut!
Das heißt:
Sie haben uns eine Verehrung gegeben,
Der liebe Gott laß’ sie in Frieden leben!
Das Glück mag währen Jahr ein, Jahr aus,
Das Unglück fahre zum Giebel hinaus.
Anmerkungen der Vorlage
- ↑ Nr. 16, Seite 124, Zeile 27 von oben ist statt „Kirchenvater Augustin“ zu lesen „Glaubensbote Augustin.“