... à la Bratianu
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... à la Bratianu von Carl v. Ossietzky
Abends um zehn Uhr liefen die ersten Stimmenzahlen aus dem Reich ein. Wer viele Wahlnächte in Redaktionen miterlebt hat, bekommt eine gewisse Witterung für diese ersten Resultate. Diese Zahlen rochen nicht nach Sieg. Um 12 Uhr beginnt der ungewisse Eindruck sich zu runden. Um 1 Uhr ist kein Zweifel mehr an der Schlappe.
Die Schlappe. Wir werden sie morgen spüren. In Millionen Exemplaren bedruckten Papiers wird ein Jubelgeheul durchs Land gehen und dreist einen Sieg des Monarchismus verkünden. Dabei war das Ja beim Volksentscheid für Unzählige nicht mehr als ein sozialer Notwehrakt oder Wunsch nach gleichem Recht für Alle.
Umsonst ist die Mühe von Monaten. Umsonst die Arbeit der prächtigen jungen Menschen, die, ob zu Rotfront, Reichsbanner, Windthorst-Bund oder Sozialisten-Jugend gehörig, die Beschwerden der Kampagne allein getragen haben, während die Parteien entweder dösten oder sich in lauer Neutralität zu salvieren versuchten. Diese jungen Leute, tags im Beruf, abends werbend und helfend in Versammlungen und auf der Straße, nachts Zettel klebend, dazu überall von Gegnern bedroht, von der Polizei kuranzt, sind die wirklichen Helden dieser Wochen. Umsonst.
Gewiß, es ist keine Schande einer Übermacht zu unterliegen, aber, trösten wir uns nicht mit Redensarten über Bitterkeiten hinweg, es ist auch kein Vergnügen.
Ja, es war eine Übermacht, trotzdem hinter uns die Parteien der arbeitenden Massen standen. Auf der einen Seite war das Recht, auf der andern – – die Peitsche.
Ein Leipziger Maueranschlag:
Kommunistenmusterung
- wird uns der 20. Juni bringen.
- Wer unsere Staats- und Wirtschaftsordnung erhalten will, bleibt zuhause. Wer der Abschaffung des Privateigentums vorarbeiten und damit das deutsche Volk in schwere Wirren stürzen will, macht beim Volksentscheid mit.
- Diese klare Scheidung hebt das Wahlgeheimnis auf.
- Ein jeder, der am 20. Juni zur Wahl geht und dabei in der Wählerliste angezeichnet wird, gibt sich als Freund und Helfershelfer der sozialistisch-kommunistischen Internationale zu erkennen. Wen es angeht, der wird es sich merken.
- Auch wir werden Musterung halten.
Das ist schon in Leipzig möglich, einer alten Zitadelle des Sozialismus. Überall sind Kratz- und Klebekolonnen tätig, die Werbeplakate nachts zu beseitigen. In Berlin lacht man über die kümmerliche Agitation der Fürstenfreunde, über ihre albernen Affichen mit Fridericus und zwei anderen Altpensionären der Weltgeschichte, die den Beschauer wehleidig fragen: ,Ist das der Dank für unser Werk?‘ Die Rechte versteht [952] sich sonst auf Propaganda. Diesmal verzichtet sie darauf. Sie hat kein Interesse, die Leute auf die Straße zu locken, sondern zu Hause zu halten.
Sie proklamiert den Boykott. ‚Kommunisten-Musterung!‘ Das ist die Zauberformel. Wer zur Abstimmung geht, ist Genosse des Bolschewismus. Ein sonst sehr liberal tuender, sehr leisetreterischer volksparteilicher Deputierter fordert auf, sich die Leute genau anzusehen, die heute stimmen gehen. Und so ist es geschehen. Das Gesetz selbst erweist sich als nicht wasserdicht: es entlarvt, anstatt das Wahlgeheimnis zu schützen. Wer den Weg zur Urne trotzdem nicht scheut, ist wie mit der roten Lilie gezeichnet. Alle Angeber-Instinkte, grade im Kleinbürgertum tief wurzelnd, sind rege geworden. Kontrolle vor den Wahllokalen: Spitzel, von den Rechtsparteien ausgesandt. Schlimmer noch: Nachbar wird Nachbars Spion. In einem friedlichen Berliner Villen-Vorort, sonst in Gemütlichkeit gepökelt und fern aller Politik, steht der Amtsrichter vor dem Portal und paßt auf, ob seine Beamten etwa kommen. Wenn das an der Peripherie der roten Hauptstadt möglich war, was mag dann in Mecklenburg, in Bayern gefällig gewesen sein?
Wahlgeheimnis, Staatsbürgerrecht auf freie politische Betätigung? Niemals wurden in Deutschland brutaler Bürgerrechte gemetzelt als bei diesem Plebiszit[1]. Flugzettel und private Briefe flattern in die Häuser, mündliche Bestellungen werden ausgerichtet, immer und überall wird dem zittrigen, stets um das Urteil der Andern bibbernden Kleinbürger eingehämmert: ‚Wenn Du mit den Kommunisten gehst, bist Du des Kaisers Freund nicht mehr!‘ Jeder in abhängiger Stellung ist gefährdet.
Dazu kommt eine Flut der Verleumdung und Fälschung. Dazu kommt die geschickte Ausmünzung lokaler Kümmernisse und Skandale. In Breslau tischt ein rassekämpferischer Schmutzbold der Bevölkerung, die eben durch eine furchtbare Bluttat in Schrecken versetzt wurde, das Ritualmord-Märchen wieder auf. Selbst der Lustmörder wird für die Fürsten verwendbar.
Schließlich, damit es der Schande auch nicht am staatlichen Sigillum gebreche: – die Wahllisten sind lottrig geführt, vollgestopft mit ,toten Seelen‘; die Zahl der Wahlberechtigten ist mit 39½ Millionen um vieles zu hoch angesetzt. Tschitschikows lustiger, privater Gaunertrick feiert eine ungeahnte, erzamtliche Auferstehung.
Wir hatten früher das Dreiklassen-Wahlrecht. Doch das waren geruhige Zeiten, ohne politische Erhitzung. Und es gibt heute noch ein Land, das durch die Art, wie dort Wahlen geschoben werden, in europäischen Verruf geraten ist. Das ist Rumänien. Diese rumänischen Wahlen mit perfider Fälschung und zielbewußter Niederbüttelung von Oppositionen sind sprichwörtlich geworden. Durch viele Jahre hat sich der notorische Herr Bratianu[2] so seine Mehrheiten zusammengetrogen.
Wir Bürger der Republik mit der bekanntlich freiesten Verfassung der Welt werden noch lange mit Grauen und [953] Scham an diesen 20. Juni 1926 zurückdenken. Wir haben an diesem Tag unter Methoden à la Bratianu abgestimmt.
Vor der Reichsverfassung prangt in beamteter Hüterschaft die Liedertafel-Schönheit des Herrn Külz[3]. Hier ist der Verantwortliche für das fatale rumänische Gastspiel.
Sicherlich hat es Herr Külz nicht so gewollt. Er hat ja auch Sicherung der Wahlfreiheit feierlichst zugesagt. Aber Herr Külz ist nicht nur geschworener Gegner einer gründlichen Entfettung der Fürstenwanste, sondern hält auch von der direkten Gesetzgebung durch das Volk nicht viel:
- „Nachdem wir aber seit acht Jahren die Revolution hinter uns haben, und nachdem inzwischen in den meisten Staaten die Auseinandersetzung mit den Fürsten durch die Volksvertretungen geregelt ist, geht es nicht an, sich zu einer Maßnahme zu entschließen, die ihrem Charakter nach revolutionär ist.“
Und Reichskanzler Marx[4] sekundiert:
- „Die großen Veränderungen, die in politischer, staatsrechtlicher und wirtschaftlicher Beziehung nach der Staatsumwälzung eingetreten sind, können gewiß die vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen den Ländern und den ehemals regierenden Fürstenhäusern nicht unberührt lassen. Indessen müssen nach der verfassungsmäßigen Überwindung der Revolution die Grundlagen des Rechtsstaates unversehrt bleiben.“
Und, damit neben dem grauen Ärger auch der goldene Humor zu seinem Rechte komme, die Demokratische Partei:
- „Die entschädigungslose Enteignung der Fürstenhäuser wäre ein revolutionärer Akt. Die Revolution ist aber durch die Verfassung vom 11. August 1919 zum Abschluß gebracht.“
Das ist sicherlich sehr heiter, aber die Herrschaften vergessen nur das Eine: daß es keine Demokratie in der Welt gibt, wo die Ausübung verfassungsmäßig verbürgter demokratischer Rechte als revolutionärer Akt gilt. Der dickschädeligste englische Tory verweigert heute der Demokratie, deren Mittel er sich bedient, nicht mehr die Reverenz. An der Demokratie den Ludergeruch revolutionärer Herkunft aufzuspüren, und zu brandmarken, das ist ausschließlich eine Eigentümlichkeit deutscher Demokraten.
Nun behaupten aber die Koch- und Külz-Republikaner, daß auch sie eine Abfindung der Fürsten wünschen, die diesen nur das ‚unbestreitbare Privateigentum‘ beläßt. Wäre es ihnen ernst damit, so hätten sie mit verdoppelter Energie den Volksentscheid betreiben müssen, schon allein um ein Druckmittel gegenüber der Rechten in der Hand zu haben. Das hat viel klarer als das Führeringenium Koch die um die Abgeordneten Nuschke[5] gescharte tapfere Gruppe erkannt, das hat in trefflicher Formulierung der demokratische Arbeitervertreter Erkelenz[6] ausgesprochen: – die parlamentarische Behandlung der Abfindungsfrage ist eben so unrettbar versackt, daß kaum damit gerechnet werden kann, etwa im November endlich ein Kompromiß zustande zu bringen. Das heißt: die Fürsten werden mit einigen bescheidenen Abstrichen Alles bekommen, was sie fordern. Erkelenz hat Recht: auch der [954] Gegner des odiosen Wortes ‚Enteignung‘ unter den Republikanern mußte mit Ja stimmen, einfach, weil kein anderer erträglicher Ausweg mehr da war.
Nun, das Verständnis des Parteimannes Külz für ‚revolutionäre Akte‘ soll uns gleichgültig bleiben, aber der Minister Külz hätte die volle Autorität seines Amtes aufbieten müssen, um die gegen die Durchführung des Volksentscheides mobilisierten terroristischen Kräfte zu bändigen. Das war Amtspflicht, mehr noch: persönliche Ehrenpflicht eines Mannes, der sich zu einer demokratischen Partei rechnet.
So ist wieder ein großer Aufwand vertan. Übrigens, liebe Freunde, es ist auch in eignem Hause reichlich gesündigt worden. Warum mußte dieses törichte Wort ‚Enteignung‘ auch mitten auf die Fahne geschrieben werden? Es traf in diesem Falle gar nicht zu und stammt zudem aus dem vulgär-marxistischen Vokabularium, da, wo es am tristesten ist. Es kam auf einen politischen Erfolg an, nicht auf eine Demonstration. Hätte der Kuszynski-Ausschuß[7] eine bessere Formulierung gefunden, der Volksentscheid wäre mit fünf, vielleicht zehn Millionen Majorität durchgegangen.
Wären nicht auch die lieben Kommunisten etwas zu zähmen gewesen? Die haben noch in letzter Stunde im Rheinland, wo Alles auf die Stimmen der katholischen Arbeiter ankam, Flugblätter verbreitet, an denen ein alter nationalliberaler Kulturkämpfer seine Freude gehabt hätte, die aber unzählige katholische Republikaner verbitterten. Ich wende mich durchaus nicht gegen eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten in weitern Aktionen. Aber man muß dann eben die Energie aufbringen, ihnen die Kindsköpfe gehörig zu waschen.
Nun ist der ganze Effekt des Unternehmens, daß Wilhelm sein Geld nicht auf Grund verschimmelter Pergamente erhält, sondern auf ein Volksurteil pochen kann. Es muß der stolzeste Augenblick seines Lebens gewesen sein, als er von diesem Votum erfuhr. Die Wolken um Doorn lichten sich. Wieder klingt ein munteres Tatü-Tata, wie ein Gruß an die Kriegskrüppel und Inflationsopfer. Der Boche berappt Alles.
Aber auch bei uns im Land kehrt wieder Ruhe ein. Die ‚zweite Revolution‘ ist beendet; in den Parteibureaus wird wieder das alte Pensum im gewohnten Gleichmaß abgewickelt. Und der brave Spießer, nach acht Tagen Seelenspannung schließlich doch zu Hause geblieben, schlägt das Blättchen auf und liest:
- „Samson scheint in dieser ersten Runde eine sichere Beute für die übersprühende Jugend seines Gegners. Aber wer kennt den Samson nicht, der groggy sich von neuem zum Fight hinreißt, auch diesmal ist gegen Ende der ersten Runde der alte Samson wieder da. Zwar kommt er nur recht stolpernd über die zweite Runde, fällt in seiner eigenen Ecke zu Boden, von einem links-rechten Trommelfeuer auf das Kinn getroffen, reißt sich aber wieder zusammen und landet gegen Ende dieser Runde sogar noch einen Respekt einflößenden Leberhaken.“
Der große Sturm ist vorüber. Der deutsche Alltag ist wieder da.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Plebiszit, (lat.) Volksentscheidung
- ↑ Ion I. C. Brătianu (1864-1927), liberaler Politiker in Rumänien und mehrmaliger Ministerpräsident
- ↑ Wilhelm Külz (1875-1948), deutscher Politiker; 1926 Reichsinnenminister
- ↑ Wilhelm Marx (1863–1946), deutscher Politiker und Reichskanzler 1923/24 sowie 1926 bis 1928
- ↑ Otto Gustav Nuschke (1883-1957), deutscher Politiker
- ↑ Anton Erkelenz (1878-1945), deutscher Politiker (DDP, SPD) und Gewerkschaftsführer
- ↑ Robert René Kuczynski (1876-1947), deutscher Ökonom und Demograph; der als Leiter des Ausschusses, gemeinsam mit Ernst Thälmann (KPD) und Otto Wels (SPD) das Volksbegehren zur Fürstenenteignung organisierte.