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ADB:Becher, Johann Joachim

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Artikel „Becher, Johann Joachim“ von Alphons Oppenheim in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 201–203, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Becher,_Johann_Joachim&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 01:21 Uhr UTC)
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Becher: Johann Joachim B., geb. 1635 zu Speyer, † zu London 1682. Angeblicher Begründer der chemischen Phlogistontheorie, bewahrt als solcher einen Theil des Ruhmes, den er sich selbst und den seine Zeitgenossen ihm für die mannigfachsten Dinge zuschrieben; einflußreich als Volkswirth.

In dem materiellen und geistigen Ruin, welcher dem dreißigjährigen Kriege folgte, mit großen Schwierigkeiten kämpfend, eignete er sich autodidaktisch mannigfaltige Kenntnisse an und suchte dieselben in einer Weise zu verwerthen, die an den Gründungsgeist der Neuzeit erinnert. Erfinderisch, dünkelhaft und unstet eilte er rastlos von einer Thätigkeit und Stadt zur andern. Sein Leben ist culturgeschichtlich höchst merkwürdig. Die meisten Notizen darüber geben seine eigenen Schriften (bes. seine „Methodus didactica“, „Psychosophia“ und „Närrische Weisheit“.)

Dem Vater, einem frühverstorbenen lutherischen Prediger, sagte er große Sprachkenntnisse nach. Durch den Krieg verarmt, ohne Verwandte, habe die Mutter wieder geheirathet und sein „ungerathener“ Stiefvater das Seinige verthan und ihn in die Fremde geschleppt. Für 8 Thaler habe ihm sein Praeceptor Debus viel nützliches gelehrt. Vom 13. Jahre an habe er nicht nur sich, sondern auch seine Mutter und zwei Brüder in der Fremde durch Informiren ernähren müssen. Nachts habe er studirt und zwar nach den Humanioribus Theologiam, Mathesin, Medicin, Chemie, habe auch Handwerke gelernt, Handwerksgebräuche observirt und sei so in das studium politicum und juridicum gerathen.

Schon 1654 (19jährig), gab er Salzthal’s „Tractatus de lapide trismegisto“ heraus, 6 Jahre später eine „Metallurgia“, 1661 eine „Universalsprache“, für die er vergebens 100 Ducaten vom Kurfürsten von Mainz erwartete, 1663 den „Oedipum Chimicum“ und ein „Thier-, Kräuter- und Bergbuch“. Bald darauf verhandelte er mit dem Kurfürsten der Pfalz über Anlage der verschiedensten Fabriken in Mannheim; mit dem Kurfürsten von Baiern wegen Anlage einer deutschen Colonie in Guiana und Stiftung einer westindischen Colonie; gleichzeitig auch wegen eines Commerciencollegiums, welches nach Verbot fremder Seide und französischer Waaren den Handel und die Tuchmacherei für die Regierung leiten sollte, ein Plan, der die Kaufleute gegen ihn aufbrachte und ihn aus München vertrieb. Im Jahre 1666 ward er Lehrer der Medicin und Leibarzt des Kurfürsten von Mainz, aber in demselben Jahre als Commercienrath in Wien angestellt. In Staatsangelegenheiten reiste er in kaiserlichen Auftrag nach Holland, und schrieb 1667 in 10 Tagen seine „Methodus didactica“, bald darauf „Regeln der christlichen Bundesgenossenschaft“ und sein cameralistisches Hauptwerk „Politischer Discurs vom Auf- und Abblühen der Städte“. Mittlerweile war er in München als kurbairischer Leibarzt und Chemiker angestellt mit einem Laboratorium „omnibus requisitis instructissimum, in tota Germania, ne dicam in Europa sui simile vix reperibile“ und hier erschien 1669 sein Buch „Physica Subterranea seu Acta Laboratorii Monacensis“, auf das wir zurückkommen müssen. In demselben Jahre nahm er von Holland für den Grafen von Hanau 3000 Quadrat-Meilen Land zwischen Orinoco und Amazonenfluß in Lehn und gab [202] einen „Gründlichen Bericht“ (!) über dessen Beschaffenheit heraus. Hier sollte nun eine hochdeutsche westindische Compagnie formirt werden. Allein das ganze Werk ward diffamirt und blieb liegen.

1670 ward er wegen einer Seidenmanufactur nach Wien citirt und suchte eine Occidentalcompagnie zum Handel nach Holland mit österreichischen Weinen, Branntwein, Eisen, Leder, Leinen etc. ins Leben zu rufen, die einen zahlreichen Umsatz von zwei Millionen haben werde. Auch die Erbauung eines Rhein-Donau-Canals kam zur Sprache, sowie ein Zucht- und Werkhaus, für die er Band- und Teppichmacher aus Italien besorgte, die aber die Kaufleute in seiner Abwesenheit wider ihn verhetzten. Wegen seiner Abwesenheit in München in Ungnade gefallen, entschuldigte er sich mit einem Stein, der ihm aus der Niere geschnitten sei, schrieb ein Supplement seiner „Physica subterranea“ und klagte über die Untüchtigkeit des Commerzcollegs. Er schrieb zwei neue Theile zu dem früher erschienenen „Commercien-Tractat“, welches seine Handelspläne beschreibt und decidirte sie dem Kaiser Leopold. Dann, wie es scheint der Welt überdrüssig, schrieb er die „Psychosophia“ und „Einladung zu einer psychologischen Societät“, für die ihm der Herzog von Güstrow schon 1674 einen Ruhesitz in Mecklenburg einräumen wollte.

Aber bald kehrte sein rastloses Treiben zurück. 1675 schrieb er „Theses chimicas veritatem transmutationis metallorum evincentes“ und stellte Proben in Wien an, aus Donau-Sand Gold zu gewinnen. Er fiel jedoch in Ungnade, ging nach Holland, verkaufte der Stadt Harlem eine Maschine zum Seide wickeln und fuhr in Amsterdam mit seinen Versuchen fort, aus Sand Gold zu bereiten, für die er die Regierung zu gewinnen wußte. Er schmolz den Sand zu Glas und das Glas mit (vermuthlich goldhaltigem) Silber und erhielt so Gold. Bevor er diese Versuche im Großen wiederholte, drückte ihn von Wien aus die Verfolgung seines früheren Gönners, Graf Zinzendorf, so daß er 1680 nach England weichen mußte. Hier suchte ihn der kaiserliche Gesandte anzuschwärzen; aber der Leibarzt Dickinson gab ihm Geld und er reiste nach Schottland, um für den Prinz Ruprecht von der Pfalz dort Bergwerke zu studiren. Er war 28 Tage im Sturm auf der See und schrieb auf dem Schiffe eine wunderliche Sammlung von Recepten, abergläubischen Berichten und Lebensnotizen „Närrische Weisheit und weise Narrheit“. In Cornwall hielt er sich ein Jahr auf und schrieb zu Falmouth das „Laboratorium Portabile“, in Truro das „Alphabetum minerale“.

1682 kehrte er nach London zurück; hier schrieb er noch den „Chymischen Glückshafen oder große Concordanz und Collection von 1500 Processen“ und starb. Im October desselben Jahres wurde er nach dem Bericht des sächsischen Oberberginspectors Heyn, der ihn zu Grabe begleitete, in der Kirche St. James in the Field nahe unter der Kanzel bestattet. Daß er Katholik geworden, eine geborne von Hörnigk geheirathet und bei seinen Irrfahrten und Abenteuern Frau und Kinder bald hier bald dort ließ, daß er Schweden und Italien bereist, führt er selbst an. Seine Wahrhaftigkeit bezweifelt Heyn, der behauptet, seine Frau habe ihm 60 Jahre gegeben, während das Geburtsjahr, welches er selbst anführt, ihn 47 Jahre alt sterben ließ. Leibnitz nennt ihn un esprit excellent, vir ingeniosus, aber so schlimmen Charakters, daß er in der Noth Frau und Tochter prostituirt und zu Verbrechen hätte bewogen werden können. (An vielen Stellen, citirt in Roscher’s Geschichte der Nationalökonomie S. 271.) Soweit das Zeitbild, welches uns sein Leben entrollt. Seine nationalökonomische Bedeutung würdigt Roscher ausführlich a. a. O. Was B. in der Geschichte der Wissenschaft weiter leben läßt, ist der folgende Passus seiner „Physica subterranea“: cum in omnibus animalibus et vegetabilibus pinguitudinem inveniamus, [203] quam neoterici nostri oleum vocant: quis dubitet, et ea fossilibus inesse, ipsa etiam metalla comburi posse constet, allerdings eine Wahrheit, die jedoch nicht B. bewies.

Daß Calcination der Metalle und Verbrennung dasselbe sei und daß beides auf der Ausscheidung eines verbrennlichen Princips (oleum) beruhe, ist der Grundsatz der Phlogistontheorie, welche Stahl proclamirt und durch Versuche gestützt hat. Stahl allerdings sagte „Becheriana sunt quae profero“ und gab 1702 die „Physica subterranea“ neu heraus. Vielleicht leitete ihn der Grundsatz, durch die Autorität Früherer seine eigenen Ansichten zu stützen.

Von B. sind wenige Versuche bekannt – wie ließ ihm auch sein Leben Zeit dazu? – und diese wenigen sind unrichtig oder unrichtig gedeutet, z. B. daß Aether durch Vitriolöl entzündet werde, daß Lehm und Oel beim Glühen Eisen erzeuge, Kochsalz und Thon Mercur hervorbringe, Versuche, durch die er die alchemistische Metallerzeugung beweisen wollte. Von praktischen Erfolgen sind seine tragbaren Oefen zu erwähnen. Berichte über Gänse, welche Eier mit ihrem Fuß ausbrüten, und Steine, welche unsichtbar machen etc. (Närrische Weisheit) beweisen große Leichtgläubigkeit. Seine Bücher und Recepte vertrösten immer auf spätere Mittheilungen und geben Versprechen statt der Beweise. Sein ganzer Stil mit seinem barbarischen Latein und seine Denkart sind scholastisch, wie er denn für den Beweis der Alchemie besonders nöthig hält nachzuweisen, daß der König Salomon und Johannes der Täufer sie gekannt haben. Auch seine chemischen Lehren und Systeme beruhen meist auf Worten. Andererseits hat er über die Gährung und Verbrennung klarere Vorstellungen, als viele seiner Zeitgenossen.

Siehe darüber Kopp’s Geschichte der Chemie; über das Leben vgl. seine Schriften, ferner vor allem Bucher, Das Muster eines nützlichen Gelehrten in der Person Herrn Dr. Becher’s. Nürnberg 1722, und Gmelin, Geschichte der Chemie. Ein vollständiges Verzeichniß seiner sehr zahlreichen Schriften findet sich bei Bucher, in Witte’s Diarium Biographicum, Riga 1685, Roth-Scholze’s Ausgabe von Becher’s Chymischem Rosengarten und in der Vorrede seiner Närrischen Weisheit, Ausgabe von 1707.