ADB:Berlepsch, Friedrich Ludwig von
[404] eigentlich Recht gehabt, hatten sich nach und nach im Sande verlaufen. Allein es begann in Deutschland die Zeit, wo die öffentliche Meinung sich gegen die unwissende Gewalt der Regenten, gegen ihre willkürliche Cabinets-Justiz und das Treiben der privilegirten Stände auszusprechen begann und wo man statt autokratischer Polizeiwirthschaft eine gerechte Theilnahme des zahlenden und leidenden Volkes an der Landesregierung forderte. Diese Stimmung nannte nun v. B. als einen der Ersten, welcher es wagte, tyrannischer Willkür und Uebermuth frei und offen entgegen zu treten und Recht und Gerechtigkeit zu fordern und nicht unterthänig zu erbitten. Dies gab später seinem unbedeutenden Streite mit seiner Regierung eine höhere historische Bedeutung, und in dieser Beziehung verdient sein Andenken wol, der Erinnerung des deutsches Volkes anempfohlen zu werden, wenn Andere auch nachher auf der Bahn, welche er wandeln wollte, richtiger vorgingen, daher mehr erreichten und wirklich bleibende Resultate errangen. Denn zu den Erregern der Geister, welche in den folgenden Decennien in seinem Sinne zu dem deutschen Volke redeten, muß man ihn unbedingt zählen! – Die ferneren Lebensschicksale dieses Mannes waren nicht erfreulicher Art. Nur vom Feuereifer für seine Ueberzeugungen von Recht und Unrecht getrieben, vergaß er die ruhige Klugheit des Lebens, welche allein die Schritte der Menschen zu einem glücklichen Ziele geleiten mag. Eine unglückliche Ehe ward bald wieder getrennt. Unter der westfälischen Herrschaft trat er als Präfect zu Marburg wieder in den Staatsdienst, wo er möglichst das Erpressungssystem der Regierung zu mildern suchte. Allein bei diesem Streben kam er bald in Conflict mit dem Finanzminister Malchus, was ihn seine Stelle kostete. Nach Herstellung der alten Verhältnisse 1813 trat er öffentlich auf, um das Verfahren des Kurfürsten von Hessen zu rügen, dem er nachwies, daß den Gerichten von obenher ihre Entscheidungen vorgeschrieben würden und daß seine Unterthanen drei Mal so viel Steuern bezahlten wie 1806! Dann brachte er von neuem seine alte Beschwerde gegen den König von Hannover vor, von dem er Rehabilitation nebst 40000 Thaler Schadenersatz forderte. Nachdem er sich dieserhalb vergeblich an die Gerichte gewandt, auch vergeblich einflußreiche Persönlichkeiten angegangen, brachte er seine Sache, aber eben so ohne Erfolg vor den Bundestag. Endlich wandte er sich an die Oeffentlichkeit. Vielleicht mochte es die abstoßende Form seiner Anträge verschulden, daß er nirgend durchdrang. Unter solchen trostlosen Bemühungen ereilte ihn der Tod am 22. Dec. 1818 zu Erfurt. Die wichtigsten seiner eigenen Schriften sind: „P. M. dem Friedenscongreß zu Rastadt überreicht“, Hbg. 1798. – „Pragmatische Geschichte des landschaftlichen Finanz- und Steuerwesens des Fürstenthums Calenberg und Grubenhagen“, 1799 (seine beste Arbeit). – „Die wichtigsten Actenstücke in meiner Dienst-Entsetzungs- und Proscriptionssache“, 1801. – „Sammlung wichtiger Actenstücke und Urkunden zur Kenntniß der Finanzzustände des Königreichs Westfalen“, 1814. – „Beiträge zu den hessen-kassel’schen landständischen Verhandlungen“, 1815–1816. – „Berufung auf die öffentliche Meinung in zwei Beschwerden, welche von der Bundes-Versammlung zurückgewiesen sind“, 1817, u. a. Was seine Dienstentlassung angeht, so sind die besten der hierüber hin und hergegangenen Schriften gesammelt unter dem Titel: „Schriften, betreffend die Dienstentlassung und Landesverweisung des Hofrichters v. B.“, Thl. I, Berlin, 1797; Thl. II, Hannover eod. a.; Thl. III, Göttingen eod. a. – Thl. IV hat den besondern Titel: „Pragmatische Geschichte“ etc. Fkfrt. u. Lpzg. 1799; Thl. V: „Weitere Actenstücke“, etc. Wetzlar 1801; Thl. VI: „Ueber die Verbannung v. Berlepsch’s aus den kurbraunschweigschen Landen“, Leipzig 1806. Namentlich war es der damalige Professor des Staatsrechts Dr. Häberlin, welcher in dieser Sache besonders litterarisch thätig war.
Berlepsch: Friedrich Ludwig v. B., geb. 4. Oct. 1749, † 22. Dec. 1818, stammt aus einer bekannten in Thüringen, Hessen und dem Fürstenthum Göttingen angesessenen, uralten adligen Familie. Schon während seiner Studienzeit in Göttingen, wo er in einem Kreise gleichgesinnter Jünglinge Ideen laut werden ließ von einer besseren Zeit, befestigte sich in ihm bei sorgfältigem Studium der Rechtswissenschaft die feste Ueberzeugung, daß nur Recht und Gerechtigkeit, welche Jeder einem Jeden zu geben habe, und nicht die ungleiche Vertheilung und Willkür bei Ausübung derselben innerhalb der verschiedenen Stände, neue dauernde und bessere Zustände in der Gesellschaft heraufzuführen im Stande seien. Leidenschaftlich aber, fast excentrisch wie er war, gelang es ihm nie, im gewöhnlichen Gange des Lebens das Gute, was er erstrebte, zu erreichen. Bei ausgezeichneter Befähigung sehen wir ihn bald eine bedeutende Stellung im hannoverschen Staatsdienst erreichen. In der doppelten Eigenschaft als Hofrichter und Landrath hatte er sowol Einfluß auf das Gerichtswesen, wie auf die landschaftlichen Verhältnisse. Sein Name ward ein vielgenannter, als im J. 1794 Preußen offenbar der Coalition gegen Frankreich müde wurde und den im folgenden Jahre wirklich abgeschlossenen Frieden von Basel vorbereitete, während Oesterreich und England weit davon waren, einen gleichen Frieden mit der Republik abzuschließen. Das Kurfürstenthum Hannover, allerdings bei dieser Sachlage des Schutzes Preußens beraubt, mußte befürchten, als deutsche Provinz Englands von Frankreich angesehen und mit einer Invasion von ihm heimgesucht zu werden. Um dies zu vermeiden, trat v. B. in der Calenbergischen Landschaft mit der Anfrage hervor: „die vom König von England als Kurfürst von Hannover in Bezug auf den Revolutionskrieg ergriffenen Maßregeln als verfassungswidrig zu mißbilligen und die Erklärung abzugeben, daß die Einwohner der Provinzen Calenberg und Grubenhagen am Reichskriege keinen Antheil nehmen sollten; mit Hinzufügung gar des Verlangens, daß der Kurfürst für die Calenberg’sche Nation (!) eine Neutralitätserklärung an Frankreich sende, widrigenfalls man sich genöthigt sehen würde, selbst mit Frankreich zum eignen Schutz über einen Neutralitätsvertrag zu unterhandeln“. Der Antrag gelangte zwar in der Landschaft nicht zur Abstimmung und ward auch von der Regierung nicht weiter beachtet. Als aber v. B. weiter ging und seinen Antrag in öffentlichen Blättern zur allgemeinen Kunde brachte, entsetzte ihn 1795 das Ministerium von seinem doppelten Amte. Dieser dagegen wollte sich dem einseitigen eigenmächtigen Beschlusse jener Behörde nicht fügen und klagte dagegen beim Reichskammergericht zu Wetzlar; drang auch damit durch und erlangte einen Befehl nach Hannover, ihn in alle Aemter, Würden und Rechte wieder einzusetzen, bei Kostenerstattung und Ernennung des Königs von Preußen zum Executor dieses richterlichen Urtheils. In Hannover kümmerte man sich nicht im geringsten um diesen Befehl, sondern brachte die Sache an den Reichstag und verbannte v. B. sogar als Agitator gegen seinen Landesherrn aus seinem Vaterlande. Ganz Deutschland nahm nunmehr Theil an diesem außerordentlichen Vorfall, und es ergoß sich eine Fluth von Streitschriften, die allein schon eine ansehnliche Bibliothek ausmachen, und das Für und Wider dieses Falles hin und her zogen. Erst die wirklich im J. 1803 erfolgte französische Occupation der hannoverschen Lande setzte diesem Federkriege eine Grenze, brachte aber zugleich die Genugthuung für v. B., daß seine einstigen Befürchtungen guten Grund gehabt. Nicht minder hatte dieser Umstand die Folge, daß die allgemeine Stimme sich nun entschiedener für ihn aussprach. Allein dies war Nebensache. Sein Streit mit der hannoverschen Regierung, sowie die Frage, wer darin