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ADB:Bopp, Franz

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Artikel „Bopp, Franz“ von August Leskien in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 140–149, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bopp,_Franz&oldid=- (Version vom 30. Dezember 2024, 18:31 Uhr UTC)
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Bopp: Franz B., der Begründer der vergleichenden Sprachwissenschaft, am 14. Sept. 1791 in Mainz, wo sein Vater am kurfürstlichen Hofe Beamter war, geboren, † 28. Oct. 1867. Nach der Besetzung der Stadt Mainz durch die Franzosen siedelten die Eltern mit dem Hofe nach Aschaffenburg über; auf dem dortigen Gymnasium erhielt Fr. B. seine Schulbildung und bei seiner früh erwachten Neigung zum Studium orientalischer Sprachen besondere Anregung durch K. J. Windischmann, der an dem mit dem Gymnasium verbundenen Lyceum thätig war. B. gehörte zu den bevorzugten Naturen, die bei genialer Begabung von früh an ein bestimmtes Ziel im Auge haben und unermüdlich verfolgen. In den Vorerinnerungen, die Windischmann Bopp’s erstem Werke („Conjugationssystem“, 1816, s. u.) beifügte, heißt es: „Ausgezeichnet durch alle Classen ließ er insbesondere in den philosophischen Cursen bedeutenden Scharfblick und vorwaltende Neigung zu ernster Wissenschaft an sich erkennen. Diese widmete er vor allem der Sprachforschung, sogleich vom Anbeginn mit der Absicht, auf diesem Wege in das Geheimniß des menschlichen Geistes einzudringen und demselben etwas von seiner Natur und von seinem Gesetz abzugewinnen. So lernte er dann, minder aus einem vorherrschenden Talente der bloßen Sprachfertigkeit, als aus dem lebhaften Gefühl für die im Sprachenreichthum des Menschengeschlechts verborgenen Harmonien die Sprachen des classischen Alterthums sowol, als die gebildetsten des neuern Europa und suchte dieselben seinem tief erforschenden Sinne gleichsam als Organe anzueignen. Dies alles geschah in der Stille und eben in ihr hegte er auch das Verlangen, den Sinn für die innere Natur der Sprache durch Bekanntschaft mit den ältesten Sprachen der Welt zu üben und zu schärfen. Er suchte sich mit dem größten Eifer den Charakter und die Denkart des morgenländischen Alterthums bekannt zu machen, benützte sowol die öffentlichen Vorträge hiesiger Lehranstalt, als den vertrautern Umgang mit seinen Lehrern, vorzüglich in Bezug auf orientalischen Mythus und Philosophie und ließ endlich seinen Wunsch, sich in Paris mit der orientalischen und insbesondere [141] mit der indischen Litteratur vorerst genau bekannt zu machen und dann ferner sein ganzes Leben hindurch mit ihr sich zu beschäftigen, bestimmter hervortreten.“ Bopp’s Auftreten fällt gerade in eine Zeit, wo die bisherige Entwicklung der Sprachforschung auf einen Punkt geführt hatte, daß alles gewissermaßen vorbereitet war für die Thätigkeit eines Mannes von genialer Kraft und Begabung. Zu der lebhaften wissenschaftlichen Bewegung des 18. Jahrhunderts waren die Sprachen keineswegs unberücksichtigt geblieben, das Interesse an der Entdeckung, Aufzeichnung, Classificirung von Sprachen und an den allgemeinen Problemen der Herleitung aller Sprachen aus einer Ursprache und des Ursprungs der Sprache überhaupt war sogar ein sehr lebhaftes. Gesammelt war genug, geordnet aber nicht nach sprachlichen, sondern nach geographischen oder ethnographischen Gesichtspunkten; es fehlte diesen Sammlungen wie den sprachphilosophischen Theorien des vorigen Jahrhunderts die klare, bestimmte Fassung zweier Begriffe, des der historischen Entwicklung der Sprache und des damit zusammenhängenden der genealogischen Verwandtschaft getrennter aber ähnlicher Sprachen. Der erstere ließ sich, wie das Jakob Grimm’s Deutsche Grammatik gezeigt hat, aus der historischen Ueberlieferung einer Sprache mit ihren Dialekten gewinnen, der letztere nur durch Vergleichung der Sprachen verschiedener Völker. Wenn eine solche Vergleichung zur Erkennung eines bestimmten Verwandtschaftsmodus, also überhaupt zu einem sichern Resultat führen soll, so muß wenigstens eine dieser Sprachen den Classencharakter so rein und treu bewahrt haben, mit andern Worten so alterthümlich sein, daß sie mit einem geringen und zunächst gleichgültigen Fehler an den Anfangspunkt der Entwicklung gestellt werden, die verlorne Ursprache vertreten kann. Eine solche Sprache ist für den indogermanischen Sprachstamm das Sanskrit, und B. trat zu einer Zeit auf, wo dieselbe eben durch ausgezeichnete Forscher der europäischen Wissenschaft in genügender Weise zugänglich gemacht war: 1808 war die erste für das Studium brauchbare Grammatik von Ch. Wilkins erschienen (die früheren waren ohne Wirkung geblieben), nicht lange vorher Texte durch den Druck zugänglich gemacht und in England und dessen indischen Besitzungen durch W. Jones und H. Th. Colebrooke mit der Sanskritphilologie und indischen Alterthumskunde ein glänzender Anfang gemacht. Einer der Engländer, die in Indien sich Kenntniß des Sanskrit erworben hatten, Alexander Hamilton, war gezwungen, sich von 1802–1807 in Paris aufzuhalten, hier wurde Fr. Schlegel mit ihm bekannt und lernte durch seinen Unterricht Sanskrit. Die Frucht dieser Studien war die Schrift, welche das Sanskritstudium und die indische Philologie in die deutsche Wissenschaft eingeführt hat, „Ueber die Sprache und Weisheit der Indier“ (1808). In diese Zeit fällt der Anfang der Sanskritstudien Bopp’s. Es scheint nicht überliefert zu sein, wie weit er sich damit beschäftigt hatte, als er 1812 nach Paris ging, um seine orientalischen Studien, „vorzüglich das der Sanskritsprache und ihrer reichen Litteratur“, in größerem Umfange und mit reicheren Hülfsmitteln fortzusetzen. Jedenfalls hat B. Sanskrit allein, ohne Hülfe eines Lehrers gelernt (Vorrede zum Nalas, 1819, S. III) und nicht den Unterricht Chézy’s genossen, der von 1814 an Professor des Sanskrit am Collége de France war. Nach vier Jahren erschien Bopp’s erstes Werk: „Ueber das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache. Nebst Episoden des Ramajan und Mahabharat in genauen metrischen Uebersetzungen aus dem Originaltexte und einigen Abschnitten aus den Vedas herausgegeben und mit Vorerinnerungen begleitet von K. J. Windischmann“, 1816 (die Vorerinnerungen sind datirt vom 16. Mai 1816). Der eigentlich in Betracht kommende Theil des Buches füllt nicht mehr als 157 Seiten kleinen Octavformats, ja [142] man kann sagen, daß schon mit den ersten 60 Seiten, der Analyse des Sanskritverbums, die Grundlage der modernen Sprachwissenschaft gelegt war. War der Bau des Sanskritverbums richtig erkannt, so ergab sich bei der schon bekannten und anerkannten Verwandtschaft des Griechischen und andrer Sprachen deren Bau im wesentlichen von selbst. B. ist nämlich nicht, wie man zuweilen aussprechen hört, der Entdecker dieser Verwandtschaft, vielmehr stand diese vor ihm fest. Schon die ersten Europäer, die mit dem Sanskrit bekannt wurden und sich darüber äußerten, hatten bemerkt, daß Worte dieser Sprache große Aehnlichkeit mit gleichbedeutenden aus dem Griechischen und Lateinischen hatten; ebenso war dies in Bezug auf das Persische beobachtet worden, und bereits 1788 hatte W. Jones ausgesprochen, daß zwischen Sanskrit und Griechisch-lateinisch sowol in den Verbalwurzeln wie in grammatischen Formen eine solche Aehnlichkeit bestehe, wie sie nicht auf Zufall beruhen könne; daß kein Philologe diese Sprachen genau prüfen könne ohne auf den Gedanken zu kommen, sie entsprängen alle einer gemeinsamen, vielleicht nicht mehr vorhandenen Quelle; daß ähnliche, wenn auch nicht so zwingende Gründe darauf führten, auch für Gotisch und Keltisch den gleichen Ursprung mit dem Sanskrit anzunehmen. Aber in der That war dies mehr ein richtiges Errathen als ein wissenschaftlicher Satz. Da man nur den, vollen oder ungefähren, Gleichklang gleichbedeutender Wurzeln und Worte berücksichtigte und daraus Schlüsse zog, mußte auch jeder zufällige Gleichklang der Art aus einer, wie man später erkannte, ganz unverwandten Sprache denselben Werth haben, und z. B. Adelung (Mithridates I. 149) kam so dazu, auch semitische und uralaltaische Sprachen mit den indogermanischen zusammenzustellen, z. B. semitische und sanskritische Worte von ungefährem Gleichklange mit einander zu vergleichen. Es war aus solchen Vergleichungen, wenn sie gerade auf wirklich verwandte Sprachen trafen, wol einmal das Factum der Verwandtschaft festzustellen, aber wie unbenutzbar eine solche nackte Thatsache erschien, spricht sich deutlich bei Adelung (Mithridates II. 169 unter „Germanischer Sprach- und Völkerstamm“) aus: „Daß dieses Volk in seinem Ursprunge mit andern alten nahen und fernen Völkern verwandt gewesen, gibt die Natur der Sache, und so viele gemeinschaftliche Ueberreste in den Sprachen aller bestätigen es. Allein die Zeit dieser ersten Verwandtschaft liegt so weit außer den Grenzen aller Geschichte und fällt noch zu tief in die Dunkelheit ihres ersten Stammsitzes in Asien, daß weder der Sprach- noch der Geschichtsforscher einen andern Gebrauch davon machen kann, als diesen gemeinschaftlichen Ursprung überhaupt anzuerkennen.“ Worauf es vor allem ankam, um gegen solche Zufälle gesichert zu sein und die Sprachverwandtschaft zu einem wissenschaftlichen und verwerthbaren Begriffe zu machen, war die Erkenntniß, daß nicht der Gleichklang von Wurzeln oder ganzen Worten, sondern die Erforschung des Baues, des Gesammtorganismus der Sprachen für die Bestimmung der Verwandtschaft die Grundlage bilde. Schon in den angeführten Aeußerungen W. Jones’ waren neben den Verbalwurzeln auch die grammatischen Formen genannt, viel schärfer wurde ihre Bedeutung von Fr. Schlegel (Sprache und Weisheit der Indier S. 28) betont: der „entscheidende Punkt aber, der hier alles aufhellen wird, ist die innere Structur der Sprachen oder die vergleichende Grammatik, welche uns ganz neue Aufschlüsse über die Genealogie der Sprachen auf ähnliche Weise geben wird, wie die vergleichende Anatomie über die höhere Naturgeschichte Licht verbreitet hat.“ Aber von diesen Aussprüchen bis zur richtigen und scharfen Fragestellung und dem wissenschaftlichen Beweise ist immer noch ein gewaltiger Schritt. So lange man nicht die fertige grammatische Form in ihre constitutiven Bestandtheile zerlegen, jedem derselben seine bestimmte Bedeutung und seine Beziehung zur Gesammtbedeutung dieser Form anweisen und ihn in den Formen der einzelnen [143] Sprachen wiedererkennen konnte, war es unmöglich, das Verhältniß der Sprachen zu einander, Grad und Art der Verwandtschaft richtig zu bestimmen und zu einer richtigen Vorstellung von dem Bau der allen zu Grunde liegenden Ursprache zu gelangen, worin wieder die einzige Möglichkeit liegt, die Entstehung und historische Entwicklung der Einzelsprachen zu begreifen. Diese Aufgabe gelöst zu haben, die vergleichende Grammatik (der Ausdruck ist von Fr. Schlegel zuerst gebraucht) zu einer Wissenschaft erhoben zu haben, ist Bopp’s unsterbliches Verdienst. Es war nicht seine Absicht, neues Vergleichungsmaterial zwischen Sanskrit und andern asiatischen und europäischen Sprachen herbeizuschaffen, sondern, heißt es S. 8 des Conjugationssystems: „Der Zweck dieses Versuchs ist, zu zeigen, wie in der Conjugation der altindischen Zeitwörter die Verhältnißbestimmungen durch entsprechende Modificationen der Wurzel ausgedrückt werden, wie aber zuweilen das verbum abstractum mit der Stammsylbe zu einem Worte verschmolzen wird, und Stammsylbe und Hilfszeitwort sich in die grammatischen Functionen des verbum theilen; zu zeigen, wie dasselbe in der griechischen Sprache der Fall sey, wie im Lateinischen das System der Verbindung der Wurzel mit einem Hilfszeitworte herrschend geworden, und wie nur dadurch die scheinbare Verschiedenheit der lateinischen Conjugation von der des Sanskrits und des Griechischen entstanden sey; zu beweisen endlich, daß an allen den Sprachen, die von dem Sanskrit, oder mit ihm von einer gemeinschaftlichen Mutter abstammen, keine Verhältnißbestimmung durch eine Flexion ausgedrückt werde, die ihnen nicht mit jener Ursprache gemein sey, und scheinbare Eigenheiten nur daraus entstehen, daß entweder die Stammsylbe mit Hilfszeitwörtern zu einem Worte verschmolzen werden, oder daß aus Participien, die schon im Sanskrit gebräuchliche tempora derivata abgeleitet werden, nach Art, wie man im Sanskrit, Griechischen und vielen andern Sprachen aus Substantiven verba derivativa bilden kann.“ Und B. konnte sagen (S. 12), daß er sich in seinen Behauptungen nie auf fremde Autorität stützen könne, „indem bisher noch nichts über den Ursprung der grammatischen Formen geschrieben worden“. So vieles einzelne auch durch die fortschreitende Kenntniß des Sanskrit und durch die genauere historische Erforschung der einzelnen Sprachen theils von B. selbst, theils von Anderen hinzugefügt und berichtigt ist, die wichtigsten Entdeckungen standen fest so wie sie im Conjugationssystem ausgesprochen waren: daß die Personalendungen nicht zur Bildung und Charakterisirung der Zeit dienen (S. 13) und daß in den präteritalen Tempora einzig das Augment es sei, wodurch die Vergangenheit ausgedrückt werde (S. 17), womit die richtige Auffassung und die Bestimmung der ursprünglichen Form der Personalendungen angebahnt war; daß das s im Futurum und Aorist auf der Composition mit einer Form der Wurzel as (sein), also auf der Zusammensetzung des Verbalstammes mit einem Hülfsverbum beruhe (S. 18 und 30), aus welchem Princip sich dann mit einem Schlage die Erklärung der so auffallenden lateinischen Tempora auf -bam, -bo, -ui, -si etc. ergab (S. 88), sowie die des germanischen schwachen Präteritums (S. 151 „sokidedun, sie suchten, sokidedi, er würde oder möchte suchen, halte ich für die Verbindung der Wurzel sok mit den Präteritum des Hilfszeitwortes thun, ohngefähr wie wenn man im Deutschen sagte: suchethaten, suchethäte“). S. 61 wird in einigen Worten die durchgängige Uebereinstimmung der griechischen Präsensbildungen mit den sanskritischen hervorgehoben und damit der Grammatik die Möglichkeit einer rationellen Eintheilung der griechischen Verbalflexion gegeben. – B. hat das Gebäude, zu dem mit dem Conjugationssystem nur ein Eckstein gesetzt war, später selbst in großartigster Weise durch seine „Vergleichende Grammatik“ ausgeführt, aber man kann behaupten, daß auch wenn es ihm nicht vergönnt gewesen wäre, die Ausführung [144] selbst zu machen, die Entwicklung der neuen Wissenschaft, die unter seiner Meisterhand rasch fortschritt, möglich war auf Grund der im Conjugationssystem gefundenen Methode und ihrer Resultate. Man war jetzt zu dem Begriffe der „innern Structur“ gelangt, wie es Fr. Schlegel nannte, oder des Organismus einer Sprache, wie es B. später bezeichnete, und es blieb nur übrig, die Analyse des gesammten Sprachstoffes in derselben Weise vorzunehmen. In der zweiten erweiterten Ausgabe des Conjugationssystems in englischer Sprache („Analytical comparison of the Sanscrit, Greek, Latin and Teutonic languages showing the original identity of their grammatical structure.“ Annals of oriental literature, 1820) war schon die Declination berücksichtigt. – B. war aber, und damit kommen wir auf die andere Seite seiner gelehrten und schriftstellerischen Thätigkeit, zunächst mit dem speciellen Studium des Sanskrit beschäftigt. 1817 war er nach London gegangen, wo sich der größte Schatz indischer Handschriften befand; hier trat er auch mit W. v. Humboldt, damals preußischem Gesandten in England, in Verkehr; dieser wurde von ihm in das Sanskrit eingeführt und konnte wenig später auf die günstige Gestaltung von Bopp’s äußeren Verhältnissen wirken. Die erste Frucht des Londoner Aufenthaltes war die Ausgabe des Gedichtes von Nala und Damajantî, einer Episode des großen indischen Epos Mahâbhârata („Nalus, carmen sanscritum e Mahábhárato edidit, latine vertit et annotationibus illustravit Fr. Bopp“. London 1819. – 2. Ausgabe 1832). „Ein wunderbar glücklicher Instinkt ließ ihn aus der überwältigenden Masse des größten epischen Gedichtes der Welt, des Mahâbhârata, diesem Urwald von Poesie, in welchem sich Episoden in Episoden so dicht verschlingen, daß man sich fast in einem unwegsamen Dickicht zu befinden glaubt, mit genialem Griff das schönste wählen von allem, was nicht bloß dieses Epos enthält, sondern überhaupt die indische Muse geschaffen haben möchte“ (Benfey, Geschichte der Sprachwissenschaft S. 383). Ohne allen Zweifel hat B. durch diese Ausgabe sowie durch fortgesetzte Editionen von Episoden aus dem Mahâbhârata und deren bei dem Mangel an Wörterbüchern durchaus nothwendige Uebersetzung sich um die Ausbreitung des Sanskritstudiums große Verdienste erworben (es sind: „Indralôkâgamanam. Ardschuna’s Reise zu Indra’s Himmel nebst andern Episoden des Maha-Bharata in der Ursprache zum erstenmal herausgegeben, metrisch übersetzt und mit kritischen Anmerkungen versehen“, 1824. – „Diluvium cum tribus aliis Mahá-Bhárati praestantissimis episodiis primus edidit Fr. Bopp“, 1829; dazu die besonders erschienene Uebersetzung: „Die Sündflut nebst drei anderen der wichtigsten Episoden des Mahâ-Bhârata. Aus der Ursprache übersetzt“, 1829. – „Nalas und Damajanti, eine indische Dichtung, aus dem Sanskrit übersetzt“, 1838). Noch mehr aber wirkte nach dieser Richtung das 1824 angefangene, 1827 vollendete „Ausführliche Lehrgebäude der Sanskrita-Sprache“. B. hielt sich, was den Stoff betrifft, fast ganz an seine englischen Vorgänger, namentlich Wilkins und Forster, der große Fortschritt gegen diese besteht aber darin, daß B. die fast absolute Abhängigkeit dieser von den indischen Nationalgrammatikern aufhob und in außerordentlich klarer und präciser Fassung eine Grammatik gab, die dem europäischen System sich näherte, durch Analyse den Bau der Formen verständlich machte und so eine der erheblichsten Schwierigkeiten beim Erlernen dieser Sprache beseitigte. Die folgenden Bearbeitungen und neuen Auflagen wurden nach dieser Richtung noch vervollkommnet („Grammatica linguae Sanscritae auctore Fr. Bopp. Altera emendata editio“, 1832; seit 1828 im Erscheinen; – „Kritische Grammatik der Sanskrita-Sprache in kürzerer Fassung“, 1834; 2. Auflage 1845; 3. Auflage 1863). Ein kleines Wörterbuch: „Glossarium Sanscritum a Fr. Bopp“, 1830, bot wenigstens für leichte Texte, wie sie B. veröffentlicht hatte, [145] ein Hülfsmittel. In der zweiten sehr erweiterten Auflage („Glossarium sanscritum, in quo omnes radices et vocabula usitatissima explicantur et cum vocabulis graecis, latinis, germanicis, lithuanicis, slavicis, celtics comparantur“ 1847, von 1840 an erscheinend; eine dritte Auflage erschien 1866–67 kurz vor Bopp’s Tode) nimmt die Vergleichung der verwandten Sprachen, die in der ersten in einem kurzen Anhange gegeben war, einen breiten Raum ein. Es bildet das Wörterbuch insofern eine Ergänzung der sprachvergleichenden Arbeit Bopp’s in der „Vergleichenden Grammatik“, als in dieser die Vergleichung und Erklärung der grammatischen Formen durchaus die Hauptsache ist, in jenem aber B. seine Ansichten über Wurzelverwandtschaft oder Etymologie in engerem Sinne niedergelegt hat. Ein zusammenfassendes Urtheil über Bopp’s auf das Sanskrit gerichtete Thätigkeit wird sagen müssen, daß er in indischer Philologie und Grammatik nicht schöpferisch war, dagegen in ausgezeichneter Weise für die Bedürfnisse der Lernenden gesorgt und dadurch das allgemeinere Studium des Sanskrit an den deutschen Universitäten nicht blos erleichtert, sondern fast erst ermöglicht hat. Während der Arbeiten auf sanskritischem Gebiete hatte B. indessen sein eigentliches Ziel, den Ausbau der vergleichenden Grammatik, nicht aus den Augen verloren. Nach Deutschland zurückgekehrt, war es ihm nicht gelungen, trotz der Bemühungen des bairischen Ministeriums, in Würzburg eine Professur zu erhalten, „da die dortige philosophische Facultät das Sanskrit für einen Luxusartikel erklärte“. Nachdem B. sich dann kurze Zeit in Göttingen aufgehalten, wo ihm die Doctorwürde honoris causa ertheilt wurde, ward er 1821 durch Vermittlung der beiden Humboldt als außerordentlicher Professor der orientalischen Litteratur und allgemeinen Sprachkunde nach Berlin berufen, wurde bald darauf Ordinarius und 1822 Mitglied der Akademie. In den Abhandlungen der historisch-philologischen Classe der Berliner Akademie sind die Vorarbeiten zur „Vergleichenden Grammatik“ niedergelegt („Vergleichende Zergliederung des Sanskrit und der mit ihm verwandten Sprachen“ in fünf Abhandlungen: I. Von den Wurzeln und Pronominen erster und zweiter Person, 1824; II. Ueber das Reflexiv, 1825; III. Ueber das Demonstrativum und den Ursprung der Casuszeichen, 1826; IV. Ueber einige Demonstrativstämme und ihren Zusammenhang mit verschiedenen Präpositionen und Conjunctionen, 1829; V. Ueber den Einfluß der Pronomina auf die Wortbildung, 1831. – In denselben Kreis gehören noch: „Ueber die Zahlwörter im Sanskrit“ etc., „Ueber die Zahlwörter der Zendsprache“, 1833). Die erste Abtheilung des großen Werkes, in welchem B. die indogermanische Sprachwissenschaft nicht blos in ihren wesentlichen Zügen für alle Zeiten festgestellt, sondern auch bei jeder Classe von Formen die glänzendsten Entdeckungen im einzelnen gemacht hat, erschien 1833 unter dem Titel: „Vergleichende Grammatik des Sanskrit, Zend, Griechischen, Lateinischen, Lithauischen, Gothischen und Deutschen von Franz Bopp“. Der Anfang der Vorrede spricht sich mit der Klarheit, die B. überall auszeichnet, und der nüchternen Einsicht in die der vergleichenden Methode gesteckten Grenzen über den Zweck des Werkes dahin aus: „Ich beabsichtige in diesem Buche eine vergleichende, alles Verwandte zusammenfassende Beschreibung des Organismus der auf dem Titel genannten Sprachen, eine Erforschung ihrer physischen und mechanischen Gesetze und des Ursprungs der die grammatischen Verhältnisse bezeichnenden Formen. Nur das Geheimniß der Wurzeln oder des Benennungsgrundes der Urbegriffe lassen wir unangetastet, wir untersuchen nicht, warum z. B. die Wurzel i gehen und nicht stehen, oder warum die Lautgruppe stha oder sta stehen und nicht gehen bedeute.“ B. schloß also sprachphilosophische Fragen principiell von seiner vergleichenden Grammatik aus, in der richtigen Erkenntniß, daß diese als eine rein historische Disciplin die Antwort auf solche aus sich [146] heraus nicht geben kann; sein Ziel war, den Ursprung der grammatischen Formen zu erkennen, das Mittel dazu die Vergleichung, die zur Entdeckung der Lautgesetze („der physischen und mechanischen Gesetze“) führt, nach denen die Formen der einen Sprache denen der andern, die der jüngeren Sprachstufe denen der älteren entsprechen, Gesetze, die endlich die Erreichung der allen veränderten Gestaltungen zu Grunde liegenden Urform, der eigentlich in ihrem Ursprunge zu erklärenden, ermöglichen. Der Name „vergleichende Grammatik“, den Fr. Schlegel zuerst angewandt, B. aufgenommen hat, und der seitdem stehend geworden, ist daher kein ganz deckender, da er nur die Methode, nicht aber das Ziel dieser Disciplin andeutet. Die Arbeit an diesem Werke geht durch die nächsten zwanzig Jahre von Bopp’s Leben, die letzte, sechste Abtheilung erschien 1852 (die II. 1835; III. 1837; IV. 1842; V. 1849, bei der zweiten ist den verglichenen Sprachen noch das Altslawische hinter dem Lithauischen eingefügt; die zweite „gänzlich umgearbeitete“ Auflage, 1856–61, hat endlich noch das Armenische in den Kreis der Vergleichung gezogen; eine dritte Auflage war bei Bopp’s Tode im Druck und erschien mit den in Bopp’s Handexemplar eingetragenen Zusätzen und Besserungen 1868 in drei Bänden). In der langen Zeit, die bis zur Vollendung der „Vergleichenden Grammatik“ verstrich, war die Sprachforschung zugleich von anderen ausgezeichneten Kräften theils neben B. und unabhängig von ihm, theils im Anschluß an seine Methode und deren Resultate in Angriff genommen. Ein außerordentlich günstiges Geschick fügte es, daß zu gleicher Zeit drei der bedeutendsten Geister in Deutschland nach verschiedenen, aber schließlich zusammenfallenden Richtungen in der Sprachwissenschaft thätig waren: Jakob Grimm hatte seit 1819 (bis 1837) in seiner deutschen Grammatik die historische Grammatik im engern Sinne, d. h. die Erforschung der Entwicklung einer einzelnen Sprache oder Sprachfamilie in allen ihren dialektischen Abzweigungen von ihrem ersten Auftreten in der Geschichte bis auf den heutigen Tag, zu fast vollkommener Ausbildung gebracht, W. v. Humboldt seit 1820 mit immer weiterem Blick sich in die sprachphilosophischen Probleme vertieft, bis er in seinem letzten Buche „Ueber die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechtes“ (der Einleitung des Buches über die Kawisprache, 1836), dessen einzelne Bogen Bopp’s Kritik unterworfen wurden, ein sprachphilosophisches Werk schuf, gegen das alle bisherige Sprachphilosophie als ein schwacher Versuch erscheinen mußte; B. hatte endlich die vergleichende Grammatik geschaffen. Während der Lebzeiten Bopp’s, dem das seltene Glück zu Theil ward, die Blüthe der Disciplin zu erleben, die er selbst begründet hatte, vollzog sich die Verbindung dieser drei Richtungen und Methoden der Forschung zu einer Sprachwissenschaft im höchsten Sinne. Die Trennung zwischen historischer und vergleichender Grammatik war überhaupt nur in den Anfängen möglich, jetzt ist die eine nothwendig auch zugleich die andere oder die eine setzt die andere voraus; die Sprachphilosophie ferner kann nur mit den durch die historische und vergleichende Grammatik gewonnenen Resultaten arbeiten und ist überhaupt durch die vergleichende Grammatik erst in den Stand gesetzt, die sprachlichen Thatsachen richtig zu benutzen, wie diese ihre allgemeinsten Gesichtspunkte nur aus der Sprachphilosophie entnehmen kann. So bildet Bopp’s Methode das nothwendige Glied eines großen wissenschaftlichen Systems. Aber auch auf seinem eigentlichen Gebiete hatte er noch vor Vollendung der „Vergleichenden Grammatik“ den Anstoß zu einer Menge einzelner Arbeiten gegeben, von denen nur einige der bedeutendsten hier genannt werden können: Pott’s „Etymologische Forschungen auf dem Gebiete der indogermanischen Sprachen“ (1833–36), die in gewisser Weise eine Ergänzung der „Vergleichenden Grammatik“ bilden, Benfey’s „Griechisches Wurzellexikon“ (1839–42); im Anschluß [147] an Grimm’s und Bopp’s Methode Miklosich’s „Vergleichende Grammatik der slavischen Sprachen“ (1. Band 1852). B. selbst ging selten, in seiner „Vergleichenden Grammatik“ gar nicht über das Gebiet der sicher als indogermanisch erkannten Sprachen hinaus, die Wirkung seines Werkes reicht aber weit über den Kreis dieser hinüber, seine Methode ist eine allgemein gültige: wo immer die materielle Aehnlichkeit von Sprachen beobachtet ist, können sie nur nach dieser oder den aus ihr abgeleiteten Grundsätzen verglichen werden; die vergleichende Grammatik jedes auch dem indogermanischen nicht verwandten Sprachstammes setzt Bopp’s Werk voraus und muß bei ihm in die Schule gehen, und die Anfänge solcher Arbeiten, die bisjetzt vorhanden sind, erkennen das ausdrücklich an oder setzen es stillschweigend voraus. – Während der großen Arbeit an der „Vergleichenden Grammatik“ förderte Bopp’s rastlose Thätigkeit noch manche näher oder entfernter damit zusammenhängende kleinere Arbeiten zu Tage. Unter dem Titel: „Vocalismus oder sprachvergleichende Kritiken über J. Grimm’s deutsche Grammatik und Graff’s althochdeutschen Sprachschatz mit Begründung einer neuen Theorie des Ablauts“, 1836, faßte er früher in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik 1827 und 1835 erschienene kritische Abhandlungen über die genannten Werke zusammen. Die Arbeit an der „Vergleichenden Grammatik“ veranlaßte ihn, auch das Keltische näher ins Auge zu fassen, das er wegen der außerordentlichen Schwierigkeit der Analyse der Formen nicht in sein Hauptwerk aufnahm, sondern in einer Abhandlung (Abh. der Berl. Ak., hist.-phil. Cl. 1838) gesondert betrachtete. Vielleicht zeigt sich Bopp’s Scharfsinn nirgends so glänzend wie in dieser Schrift, wo es galt, nicht nur den schon früher von Prichard und Pictet angebahnten Beweis zu vollenden, daß die keltischen Sprachen zum indogermanischen Sprachstamme gehören, sondern aus einer unglaublich verwirrenden Orthographie heraus in den scheinbar willkürlichsten Consonanten- und Vocalveränderungen das leitende Gesetz zu entdecken, um so die richtige Worttrennung finden und die Formen analysiren zu können. Eine indogermanische Sprache, über deren Stellung die vergleichende Grammatik bis jetzt noch nicht entschieden ist, das Albanesische, zog B. ebenfalls in den Kreis seiner Forschungen („Ueber das Albanesische in seinen verwandtschaftlichen Beziehungen“. Abhandlungen der Berliner Akademie 1854); den alterthümlichsten uns überlieferten lithauischen Dialekt hatte er schon vorher behandelt („Ueber die Sprache der alten Preußen“; Abhandlungen der Berliner Akademie 1853). Das letzte Werk Bopp’s, das sich auf den Kreis der anerkannt indogermanischen Sprachen beschränkt, ist „Vergleichendes Accentuationssystem nebst einer gedrängten Darstellung der grammatischen Uebereinstimmungen des Sanskrit und Griechischen“ (1854). Nach dem Urtheile eines der bedeutendsten Sprachforscher der Gegenwart, Benfey’s (Geschichte der Sprachwissenschaft S. 513), muß es, „so sehr Bopp’s grammatische Einsicht auch in vielen einzelnen Untersuchungen dieses Werkes hervorleuchtet, … doch als eines seiner schwächeren und in der Hauptsache: der Erkenntniß des Principes der sanskritischen Accentuation ganz verfehlten betrachtet werden“. B. ging von dem Grundsatz aus, die weiteste Zurückschiebung des Tones sei die würdigste und kraftvollste Accentuation und auch die ursprügliche, alle andere Betonungsweise, nach dem Ende des Wortes hin, als eine Schwächung anzusehen; dieser Satz ist aber mit nichts zu beweisen, auch nicht aus den thatsächlichen Verhältnissen sondern aus einer vorgefaßten Theorie gezogen. Das ganze Gebiet der vergleichenden Accentuationslehre, ein wie sich immer mehr zeigt, unentbehrlicher Theil der vergleichenden Grammatik, ist aber trotz Bopp’s Anregung wenig bearbeitet worden und sein Buch noch das einzige umfassende über diesen Gegenstand. – In der „Vergleichenden Grammatik“ war B. über [148] das Gebiet des indogermanischen Sprachstammes (oder wie sein Sprachgebrauch ist, des indoeuropäischen) nicht hinausgegangen, hatte selbst aus diesem solche Sprachen, deren Analyse noch zu keinem sichern Ergebniß zu führen schien, wie das Keltische, bei Seite gelassen. Dennoch hat er diesen Kreis, zwar nicht nach seiner eigenen Ansicht, zweimal überschritten, indem er die Verwandtschaft kaukasischer und der malayisch-polynesischen Sprachen mit dem Indogermanischen zu beweisen suchte („Ueber das Georgische in sprachverwandtschaftlicher Beziehung“, Abhandlungen der Berliner Akademie 1846; „Ueber die Verwandtschaft der malayisch-polynesischen Sprachen mit den indoeuropäischen“, ebend. 1840; „Ueber die Uebereinstimmung der Pronomina des malayisch-polynesischen und indogermanischen Sprachstammes“, ebend. 1840). Daß dieser Beweis mißlungen ist und mißlingen mußte, steht jetzt fest, es fehlte hier gerade das, wovon die vergleichende Grammatik der indogermanischen Sprachen unter einander ausgeht und wovon B. selbst ausgegangen war, die klar erkannte materielle Aehnlichkeit in Wurzeln und Worten und die davon abhängige Möglichkeit, die Lautgesetze, die Gesetze der Entsprechung zu finden. – Seit der Mitte der funfziger Jahre trat B. außer durch die Arbeit an den folgenden Auflagen der „Vergleichenden Grammatik“ als Schriftsteller nicht mehr hervor. Seine Lehrthätigkeit an der Berliner Universität betraf „Sanskritgrammatik“ und „vergleichende Grammatik“; es lag aber in der Beschaffenheit des Gegenstandes wie in der ganzen Natur des Mannes, daß seine Wirksamkeit vom Katheder eine weit geringere war als durch seine Schriften. 1864 wurde er von einem Schlaganfall betroffen, es war ihm aber vergönnt, die funfzigjährige Wiederkehr des Tages zu erleben, an welchem Windischmann sein erstes und epochemachendes Werk, das Cunjugationssystem, den großen Anfang der vergleichenden Sprachwissenschaft, in die wissenschaftliche Welt eingeführt hatte (16. Mai 1866). Seine nahen und fernen Schüler hatten beschlossen, diesen Tag durch Ueberreichung der Mittel zu einer „Boppstiftung“, bestimmt zur Förderung sprachwissenschaftlicher Studien, zu feiern, und B. konnte noch mit vollem Bewußtsein und voller Freude an dieser Feier theilnehmen. Er schien selbst noch einmal neue Kräfte zu gewinnen und konnte noch an der Herausgabe der dritten Auflage seiner „Vergleichenden Grammatik“ arbeiten, erlag aber bald darauf einer kurzen Krankheit. – Den Eindruck von Bopp’s Persönlichkeit und Charakter mögen hier die Worte eines ihm nahe stehenden Sprachforschers, A. Kuhn’s, schildern: „Den Grundzug seines Chrakters bildete eine herzgewinnende Freundlichkeit und Milde; er kam allen mit Wohlwollen entgegen, und mit derselben Liebe und Treue wie seiner Wissenschaft als Gelehrter hing er auch seiner Familie an … Mit seinem wahrhaft menschlichen Wohlwollen war eine seltene Bescheidenheit gepaart, die um so anerkennenswerther erschien, als er schon seit langen Jahren gewohnt war, seine Leistungen überall als bedeutend gefeiert zu sehen. Ihr schloß sich eine unparteiische Gerechtigkeit an, die auch der Ansicht des Gegners in durchaus objectiver Behandlung ihr Recht angedeihen ließ, oder, wo er nicht zustimmen konnte, in Ruhe die Gegengründe entwickelte. Zahlreiche Stellen seiner „Vergleichenden Grammatik“ legen davon Zeugniß ab und auch in seinen frühern Schriften kann man dieselbe Beobachtung machen; eine persönliche Polemik lag seinem Wesen fern … Bopp’s politische und religiöse Ansichten hatten sich auf demselben Boden edler Menschlichkeit entwickelt wie die übrigen Züge seines Charakters; er huldigte in der Politik ebenso sehr dem wahrhaft menschlichen Fortschritt als er dem so leicht in Ungerechtigkeit ausartenden Parteitreiben fern blieb, aber er nahm ein reges Interesse an der Entwicklung des politischen Lebens und übte seine Bürgerpflicht ohne Scheu und Furcht. Bei Gesprächen über religiöse Angelegenheiten konnte Niemand ahnen, daß er im Katholicismus [149] erzogen sei; er war ein Feind alles Gewissenszwanges, und wie er seine Kinder in der protestantischen Lehre erziehen ließ, so hat er sich auch seine Grabstätte neben der seiner ihm vorangegangenen Tochter auf einem protestantischen Kirchhofe ausgesucht, wo er nun in der Nähe von Marheineke … ruht.“ – Die Wirkung von Bopp’s großem Werke ist im beständigen Zunehmen, Grammatik in wissenschaftlichem Sinne kann nur noch auf den von ihm geschaffenen Grundlagen getrieben werden, es liegt aber im natürlichen Gange der Entwicklung, daß nachdem Bopp’s Genie die Methode geschaffen und die grundlegenden Entdeckungen gemacht hatte, seine ins große gehende Arbeit abgelöst wird durch die feinere, ins einzelnste gehende Ausarbeitung der einzelnen Theile der Grammatik und der einzelnen Sprachen; die gleichmäßige Beherrschung des ganzen Gebietes, die B. noch möglich war, wird immer schwieriger und hier, wie in anderen Gebieten der Wissenschaft, ist rasch eine Theilung der Arbeit eingetreten. Erst wenn durch die Vereinigung der historischen und vergleichenden Methode die Erforschung der einzelnen Sprachen zu einem gewissen Abschluß gekommen sein wird, kann und muß vielleicht eine „Vergleichende Grammatik“ geschrieben werden, die das Bopp’sche Werk an Reichhaltigkeit, Genauigkeit und Richtigkeit im einzelnen, an Bedeutung aber, insofern diese nach der Wirkung auf die Entwicklung der Wissenschaft gemessen wird, sicher nicht übertreffen kann. Diese Wirkung Bopp’s erstreckt sich nicht auf die Sprachforschung allein: die vergleichende Grammatik hat mit dem Begriffe der Sprachverwandtschaft und des Sprachstammes auch zugleich den richtigen Begriff von genealogischer Völkerverwandtschaft gegeben und dadurch die Anschauungen über die Urgeschichte der Völker, über ihre verschiedenen verwandtschaftlichen Verhältnisse zu einander, ihre ältesten Wanderungen, über ältere Religion, Cultur und Poesie radical umgestaltet. Auf dem Grunde der vergleichenden Sprachforschung sind neue Disciplinen, wie die vergleichende Mythologie und Sagenkunde, die vergleichende Culturgeschichte erwachsen, die, wenn sie auch selbstverständlich noch manche andere Vorausssetzungen haben, doch ohne jene undenkbar sind. So hat Bopp’s Werk in umfassender Weise in die Entwicklung der Wissenschaft eingegriffen und gehört in jeder Beziehung zu den größten wissenschaftlichen Thaten des 19. Jahrhunderts.

Adalbert Kuhn, Franz Bopp (Unsere Zeit. IV. Jahrg. 10. Heft. 1868). Benfey, Geschichte der Sprachwissenschaft. München 1869 (namentlich S. 370 bis 379, 470–515). Windischmann in den Vorerinnerungen zu Bopp’s Conjugationssystem.