ADB:Brabant, Henning

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Artikel „Brabant, Henning“ von Ferdinand Spehr in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 227–231, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Brabant,_Henning&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 13:29 Uhr UTC)
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Brabant: Henning B. (Brabandt, Braband), geb. zu Braunschweig um das J. 1550 von bürgerlichen Eltern, † 1604. Schon auf der Schule übertraf er nach dem Zeugnisse der Zeitgenossen seine Mitschüler an Kenntnissen um vieles, und auf Universitäten, auf welchen er sich fünf Jahre lang aufhielt, hatte er so viel erlernt, daß er nach den eigenen Worten der Acten „mit Nutzen einen Academicum abgeben und wenn es seine Gelegenheit hätte erleiden wollen, in Doctorem juris utriusque hätte promoviren können“. Von der Akademie zurückgekehrt, widmete er sich in seiner Vaterstadt der advocatorischen Praxis und war ein besonders eifriger Anhänger und Verbreiter des damals in Deutschland zur Geltung kommenden römischen Rechts. Diese Praxis setzte er auch fort, als er um das J. 1553 oder 1554 zum Bürgerhauptmann, d. h. zum Vertreter der Bürgerschaft, gewählt wurde, deren unbegrenztes Vertrauen er in hohem Grade besaß. Um diese Zeit waren die bürgerlichen Spaltungen in der Stadt Braunschweig zu einer Höhe gestiegen, welche das Schlimmste befürchten ließ. Zu den inneren Zwistigkeiten gesellte sich der Unfriede mit dem Landesherrn, dem thatkräftigen Herzog Heinrich Julius von Braunschweig. Dieser, welcher [228] die widerspenstige, nach der Reichsunmittelbarkeit strebende Stadt als seine Landstadt unter seine Botmäßigkeit zu bringen trachtete, lag mit derselben beständig im Kampfe, wodurch Handel und Verkehr gelähmt wurden und die Stadt vielfachen Schaden erlitt und unter der Bürgerschaft große Unzufriedenheit gegen den Rath hervorgerufen wurde. Es war ein Krieg Aller gegen Alle. Das „große Regiment der Stadt“ wurde aus drei Ständen gebildet, dem Rathe nebst den Rathsverwandten, den Gildemeistern und den Bürgerhauptleuten, d. h. den Vertretern und Wortführern der gemeinen Bürgerschaft. Diese Verfassung, welche nach und nach durch verschiedene innere Aufstände (Schichte und Uplöpe) herangebildet war, war zugleich aristokratisch und demokratisch. Der Rath bestand zum großen Theile aus Personen, welche den „Geschlechtern“ oder „Stadtjunkern“ angehörten, aber er wurde von den Gildemeistern und den Bürgerhauptleuten nach bestimmten Grundsätzen gewählt. Der Rath erwählte aus seiner Mitte die Bürgermeister, deren es 14 in der Stadt gab, und die Kämmerer. So wurde es in allen fünf Weichbilden, von denen jedes seinen eigenen Rath und sein eigenes Rathhaus hatte, gehalten. Einen Ausschuß dieses großen Raths bildete der sogenannte „Küchenrath“ von seinem Versammlungsorte auf der Münzschmiede oder Küche benannt. Er bestand aus den 14 Bürgermeistern, den Syndiken und dem obersten Kämmerer und wurde als höchster Vertreter des Stadtregiments betrachtet. Gegen dieses Regiment nun kämpften die Bürgerhauptleute als Führer der Bürgerschaft, welche schon seit geraumer Zeit sich beschwerte, daß die „Geschlechter sich des Stadtregiments und des Rathsstuhles, besonders aber der vornehmsten Aemter gemeiner Stadt dermaßen bemächtigt hätten, daß sie gleichsam als Erbherren der Stadt angesehen werden könnten. Der angeblichen Wahlfreiheit ungeachtet würfen die Stadtjunker sich die Aemter gleich Spielbällen einer dem andern zu, so daß andere gute, ehrbare Leute in den Ehrenstand der Bürgermeister oder Kämmerer nicht gelangen könnten. Die Stadtjunker, welche sich lächerlicher Weise den Venetianern gleich schon Patricier zu nennen anfingen, obwol sie ursprünglich arme Dorfjunker gewesen, seien Pflastertreter, welche aufgeblasen von Hoffart und Verachtung andere gute ehrliche Leute, so nicht aus ihren vermeinten großen Geschlechtern geboren, verhöhnten und spöttisch auslachten. Keine Democratiam wollten sie ferner dulden, sondern in ihrer aufgeblasenen Hoffart allein eine Oligarchiam vel Aristocratiam gelten lassen.“ Eine solche Sprache redeten die Bürgerhauptleute, welche sich ihrerseits, weil ihre Gegner Patricier sein wollten, Tribunen nannten; ihr Wortführer war Henning B., mit dessen Geistesschärfe, Beredsamkeit, Gewandtheit in Geschäften und Gelehrsamkeit sich zu jener Zeit in Braunschweig kein Anderer vergleichen konnte und der bei seinen Mitbürgern in so hohem Grade beliebt war, daß er allgemein als der „gute Mann“ bezeichnet wurde. B. war jedoch bei allen seinen hervorragenden Eigenschaften seit seinem ersten öffentlichen Auftreten entschieden Parteimann, und jene Sprache enthielt neben vieler Wahrheit auch eben so große Uebertreibung. Richtig war, daß der Rath immer mehr eine aristokratische Stadtverwaltung herbeizuführen trachtete, daß sich die Geschlechter durch städtische Aemter, wenn auch mit denselben eigentliche Besoldungen in der Regel nicht verbunden waren, bereicherten, daß sie den Bürger weit geringer als sich achteten (sie selbst nannten sich cives originarii, dagegen aber ließen sie es sich angelegen sein, Ruhe und Ordnung in der Stadt und, wenn auch ihres eigenen Interesses wegen, den Frieden mit dem Landesherrn aufrecht zu erhalten oder, wenn solcher gestört war, wieder herzustellen, denn sie waren alle dem Landesherrn mit Lehnseiden verwandt und fühlten es schmerzlich, wenn ihnen die Einkünfte aus den Lehen vorenthalten wurden. Dieses Lehnsverhältniß gab den Bürgerhauptleuten Vorwand, die Geschlechter immer mehr zu verdächtigen und dadurch das patricische Regiment [229] zu untergraben und endlich zu stürzen. Die Geschlechter, sagten sie, könnten gerade vermöge ihres Lehnsverbandes mit dem Herzoge nicht auf Seiten der Stadt sein, und obgleich die eingeholten Gutachten der Juristenfacultäten mehrerer Universitäten dieser Behauptung widersprachen, so brachten es die Hauptleute durch ihre Beschuldigungen doch dahin, daß sie die Geschlechter immer mehr und mehr bei der Bürgerschaft verdächtigten. Es entstanden Unruhen, Zusammenrottirungen und Kämpfe. Noch war es zweifelhaft, zu welcher Partei die Stadtgeistlichkeit treten werde. Diese besaß zu der Zeit eine große Gewalt über die niedere Bürgerschaft. Der braunschweigische Stadtsuperintendent glaubte die Rechte des Papstes geerbt zu haben und das geistliche Ministerium der Stadt maßte sich die Gewalt einer Kirchenversammlung an. Anfangs schien die Geistlichkeit sich auf die Seite der Stadthauptleute neigen zu wollen. Der Coadjutor der zu Anfang des 17. Jahrhunderts erledigten Stadtsuperintendentur, Magister Kaufmann, trat dem Hochmuthe der Geschlechter mit gleichem geistlichem Hochmuthe entgegen. In einer am Dreikönigstage 1602 gehaltenen Predigt verglich er die Stadtjunker mit den Vornehmen in Sodom und Gomorra und ermahnte die Zuhörer, sie möchten in der auf den andern Tag bevorstehenden Rathswahl „ehrliche Leute und nicht solche Leute kiesen, welche in Wollust, Ueppigkeit und Ehebruch lebten“. Gegen die vereinte Macht der Geistlichkeit und der Stadthauptleute konnte sich der Rath nicht halten; am Tage nachher, am 7. Januar 1602, legten 28 Mitglieder des Raths ihre Stellen nieder. Die Bürgerhauptleute sahen ihr Ziel erreicht, die Patricier waren aus dem Rathe entfernt, es wurde aus der Mitte der Bürgerschaft ein neuer Rath gewählt, dessen Gewalt durch den von B. entworfenen „neuen Receß“ bedeutend eingeschränkt wurde. Das Regiment wurde demokratischer als je vorher. Henning B. wurde für seine Bemühungen auf Verlangen der Bürgerschaft mit einem Ehrengeschenke von tausend Gulden aus der Stadtcasse belohnt, sein Name war hochgefeiert, Alles lauschte seinen Worten, wenn er sprach; was er wollte, war auch der Wille der Bürgerschaft; die Hauptleute waren hochgebietend. Die Stadtverfassung hätte nun eine wohlgeordnete werden können, wenn B. in den Rath eingetreten oder zum Stadtsyndicus ernannt worden wäre. Aber er blieb und zwar mit eigenem Willen, um allen Schein des Ehrgeizes zu vermeiden, Bürgerhauptmann, welche Stellung ihn bald auch gegen den neuen Rath in Opposition bringen mußte. Um seine ganze Zeit seinem Amte widmen zu können, gab er, obgleich keineswegs wohlhabend, seine bedeutende Advocatur auf (er führte allein bei dem Obergerichte in Wolfenbüttel 80 Processe) und ging im März 1602 als Reisesecretär des Raths und der Bürgerschaft an den kaiserlichen Hof nach Prag, nun durch Sollicitationen und Geschenke vorzüglich in dem zwischen dem Landesherrn und der Stadt Braunschweig entstandenen Zerwürfnisse die Gewogenheit des Kaisers und seiner Räthe zu gewinnen, kehrte aber mit seinen vom Rathe und den Gilden gewählten Reisegefährten unverrichteter Sache nach Braunschweig zurück, wo sich während seiner Abwesenheit die Verhältnisse sehr zu Ungunsten der Stadthauptleute geändert hatten. Die Geistlichkeit, welcher das neue Regiment wenig zusagte, da sie sich von den Stadthauptleuten nicht genug geehrt und ihr Einkommen durch den Groll der Patricier geschmälert sah, hatte sich mit den rachebrütenden Geschlechtern vereinigt, von den Kanzeln herab wurden die früher als Pflastertreter gehöhnten Stadtjunker als die „unterdrückte Unschuld“ bezeichnet, welche stets zum Frieden gerathen und das Steuer der Stadt so sicher als das Steuer am Schiffe Petri geführt hätten. Herzog Heinrich Julius, welcher die seine landesherrliche Ehre beleidigenden Anmaßungen, die die Stadt Braunschweig fast täglich gegen ihn ausübte, nicht länger ungestraft hingehen lassen wollte, traf alle Zurüstungen, um die widerspenstige Stadt unter seine Botmäßigkeit [230] zu bringen. Er schnitt ihr alle Zufuhr ab, wodurch in der Stadt Mangel und Noth entstand. Diesen unbehaglichen Zustand benutzte die Geistlichkeit, um denselben als ein Strafgericht Gottes darzustellen, welches durch den neuen Receß von 1602 herbeigeführt sei. B., welcher in seiner Eigenschaft als Reisesecretär mehrmals in Wolfenbüttel mit des Herzogs Geheimschreiber, Kanzler Dr. Jagemann, über Herstellung des Friedens verhandelt hatte, gerieth bald in den Verdacht, ein heimlicher Anhänger des Herzogs zu sein, und damit umzugehen, die Stadt in die Gewalt des Landesherrn zu bringen. Immer weiter und weiter gingen die Anfeindungen der Geistlichkeit gegen die Stadthauptleute und alle Kanzeln ertönten von Anklagen gegen dieselben. Auch hier versuchte der Rath vergeblich eine Ausgleichung herbeizuführen. Der Streit gedieh dahin, daß das geistliche Ministerium sämmtliche Stadthauptleute, B. an der Spitze, excommunicirte und vom Abendmahle ausschloß. Diese Maßregel erregte unter der Bürgerschaft einen ähnlichen Schrecken, als früher in der katholischen Kirche der Bannfluch verbreitet hatte. Auch der Aberglaube wurde gegen B. zu Hülfe gerufen, B. wurde angeklagt, daß er seine Schriften mit Hülfe und unter Beistand des Teufels verfaßt habe und alle Schritte gegen den alten Rath ihm vom Bösen eingegeben seien, der ihn in Gestalt eines schwarzen Raben besuche und auf offener Straße verfolge. Er vertheidigte sich mit einer: „Nothwendigen und kurzen Widerlegung auf etlicher boshafftiger, feindseeliger und leichtfertiger Leute und Ehrendiebe neue falsche Auflagen und Beschuldigungen“, und durch den „Rabentand, kurze Verantwortung und Bericht auf die grobe Lüge etc.“. Der Rath suchte den Groll der Geistlichkeit durch Geduld und Nachgiebigkeit zu besänftigen, allein es gelang ihm nicht und er wurde bei der Bürgerschaft bald noch verhaßter, als es der alte gewesen; denn lieber wollte sich der Bürger von den Geschlechtern tyrannisiren lassen, als von Seinesgleichen. Die Patricier hielten sich äußerlich still und schürten das Feuer nur heimlich, sie warteten ab, welchen Ausgang der Zank der Geistlichkeit mit den Stadthauptleuten nehmen werde. Der neue Rath, welcher einsah, daß er nur mit Hülfe der Geistlichkeit am Ruder bleiben könne, trat nun ebenfalls gegen die Stadthauptleute auf. Bald kam es zum offenen Kampfe. Ein braunschweigischer Bürger Anton Eimecke, welcher aus der Stadt verwiesen, aber heimlich in dieselbe zurückgekehrt war und somit „der Stadt Veste gebrochen“ hatte, wurde, da er sich gegen den Syndicus und den Rath tobend und scheltend vergangen und gedroht hatte, daß, wenn man ihm nicht zu seinem Rechte verhelfe, zwölf Männer bereit seien, ihm dasselbe mit Gewalt zu erwerben, verhaftet und in das Gefängniß geworfen. Es wurde leicht, durch die Folter die Geständnisse zu erpressen, welche dem Rathe angenehm waren. Eimecke bekannte, daß Henning B. und dessen Genossen, zwölf an der Zahl, ihn in die Stadt gefordert und zu den von ihm unternommenen Schritten verleitet hätten. Es entstanden Zusammenrottirungen und es wurde das Gerücht verbreitet, B. wolle die Stadt dem Herzoge verrathen und „dieselbige an etlichen Orten mit Feuer anlegen“. Die Pastoren, voran der Magister Kaufmann und der Superintendent Wagener, zauderten nicht, das Gerücht zu mehren. Sie gingen bei den Bürgern umher, man kam auf dem Hagenmarkte zusammen, Hunderte von Bürgern schlossen sich ihnen an; müde der ewigen Unruhen wollte man Ruhe um jeden Preis. Am 3. September 1604 war wieder eine Volksversammlung auf dem Hagenmarkte, während die Bürgerhauptleute auf dem Altstadtmarkte zusammenkamen. B. begab sich, als die Versammlung auf dem Altstadtmarkte sich aufgelöst hatte, im Bewußtsein seiner Schuldlosigkeit in das Gasthaus zum Einhorn, um dort den Ausgang des Tages abzuwarten, als gegen Abend, aufgestachelt von der Geistlichkeit und den Patriciern, vor dem Hause ein Volkshaufen erschien und die Hauptleute als „Schelme und Stadtverräther“ in [231] seine Hände zu bekommen suchte. Es gelang B. aus dem Hause zu entkommen und aus der Stadt zu fliehen. Bei dem Sprunge über die Stadtmauer aber brach er ein Bein, schleppte sich zwar bis zum Dorfe Broitzern fort und lag die Nacht hindurch hülflos unter einem Busche, schnell aber wurde er seinen Verfolgern verrathen und in die Stadt zurückgeführt. Nun begann ein Proceß gegen den unglücklichen Mann, bei dem die furchtbarste Folter zur Erpressung des Geständnisses angewendet wurde. Wie B. gefoltert ist, das ist in seiner ganzen Scheußlichkeit der Nachwelt aufbewahrt. Die Originalverhandlungen finden sich vollständig in mehreren Bänden im Stadtarchive zu Braunschweig. B. wurde am 17. Sept. 1604 mit einer so raffinirten Grausamkeit hingerichtet, daß die Hand zurückbebt, solche Gräuel der Vorfahren niederzuschreiben.

Vgl. Henning Braband und seine Zeitgenossen von F. K. v. Strombeck in: Braunschweigisches Magazin 1827 Nr. 21 bis 25, 1828 Nr. 40. Erweitert und berichtigt als besondere Schrift, Braunschweig und Halberstadt, 1829. 8. Ein wohlerhaltenes, während Brabant’s Anwesenheit zu Prag im J. 1602 gemaltes lebensgroßes Porträt befindet sich im städtischen Museum zu Braunschweig. Das tragische Geschick des unglücklichen Volksführers hat denselben mehrfach zum Gegenstande romanhafter und dramatischer Behandlung gemacht.