ADB:Busenbaum, Hermann
Friedrich Spee benutzte. Die Bedeutung dieser Arbeit, von B. „Medulla theologiae moralis“ betitelt, bestand darin, daß zum ersten Male der specifische Lehrstoff der casuistischen Moraltheologie unter Ausscheidung der früherhin mit ihr so vielfach [647] vermengten juridisch-canonistischen Materien in einer übersichtlichen und concisen Zusammenstellung dargeboten wurde, deren Ordnung und System zum mustergültigen Typus für alle nachfolgenden Darstellungen der theologischen Moralcasuistik wurde und[WS 1] auch von Alphons v. Liguori[WS 2] adoptirt worden ist. Das Büchlein erlebte von 1645–1670 nicht weniger als 45 Auflagen, denen später noch viele weitere folgten. P. Lacroix[WS 3] schwellte das Büchlein durch seine Commentare und durch die Zusätze aus anderen Casuisten zu zwei Foliobänden an (1710, 2. Aufl.), erwies aber damit der Medulla Busenbaum’s keinen guten Dienst, indem man nun die an Lacroix bemängelten Ansichten und Grundsätze bezüglich des Mordes auch bei B. zu finden glaubte. Ob mit Grund, mögen folgende casuistische Lösungen Busenbaum’s ersichtlich machen: Ein hochansehnlicher Mann darf einem Schlage ins Gesicht oder einer anderen schmachvollen thätlichen Verunehrung durch Tödtung seines Widersachers zuvorkommen. Eine Gattin, die gewiß weiß, daß ihr Mann ihr nach dem Leben strebe, darf dem Mordanschlage durch Tödtung des Mannes zuvorkommen. Wenn ein Tyrann eine Stadt nur unter der Bedingung mit Zerstörung verschonen will, daß ein Unschuldiger getödtet werde, so darf man diesen zwar nicht selber tödten, aber man darf ihn zwingen, sich selber dem Tyrannen auszuliefern. Aus diesen Angaben läßt sich bereits entnehmen, worin die Grundursache der wirklichen Ausschreitungen der damaligen Moralcasuistik vornehmlich zu suchen sein wird, nämlich in der Accommodation an die Nothstände der unvollkommenen Erdenwelt und an die Schwächen und Unvollkommenheiten der Erdenmenschen, insonderheit der Weltleute, an welche man die Forderung, Heroen der Tugend zu sein, nicht stellen zu dürfen glaubte. So lehrt beispielsweise B. auch, es sei erlaubt, beim Eide sich einer Aequivocation zu bedienen, wenn man von jemand, dem ein Recht hiezu nicht zusteht, zu einem Eide gedrängt oder gezwungen werde, wenn z. B. eine Gattin ihrem Manne schwören soll, keinen Ehebruch begangen zu haben. Es ist ferner nicht zu verkennen, daß die Abtrennung der moralischen Gesetzeslehre von der christlichen Tugendlehre und die formaljuridische Behandlung der ersteren eine gewisse Aeußerlichkeit der Auffassung begünstigte, obschon man auch hierin vor Uebertreibung des Tadels sich zu hüten hat. B. lehrt z. B., den Geboten werde durch Befolgung derselben Genüge geleistet, wenn auch dem Gehorsam gegen sie das Motiv der christlichen Charitas fremd sei, es wäre denn, daß es sich um solche Gebote handle, welche die Charitas selber zum Inhalte oder Gegenstande haben; er fügt aber weiter noch bei, daß eine solche der Charitas ermangelnde Erfüllung der Gebote für das ewige Leben nicht verdienstlich sei. Ein heutiger Moralist würde eine derartige, der eigentlichen Seele der christlichen Pflichtleistung und Pflichterfüllung entbehrende Befolgung der Gebote überhaupt nicht eine „Erfüllung“ des Gesetzes nennen; B. nennt sie so (praecepta possunt „impleri“ sine charitate), nimmt sie aber nach seinen eigenen Worten nicht dafür. Damit ist wol mehr als hinlänglich constatirt, daß die gesammte Art und Manier der damaligen Behandlung der christlichen Gesetzeslehre an einem Mangel innerer Durchbildung litt, der sich dort überall zeigen wird, wo die legistische und christlich-innerliche Auffassung des Sittlichen sich nicht in der lebendig erfaßten Idee des Sittlichen durchdringen. Zurückführung des Gegebenen auf Ideen und Ableitung desselben aus Ideen war aber ein dem Zeitalter der probabilistischen Casuistik völlig fremdes und außerhalb des Gesichtskreises desselben liegendes Unternehmen; dem zufolge war auch die vollkommene und adäquate wissenschaftliche Selbstexplication des christlichen Sittlichkeitsbegriffes für jenes Zeitalter eine wissenschaftliche Unmöglichkeit. Dies ist nach unserem Dafürhalten das einzig mögliche, und zugleich gerechte und billige Urtheil über die auf das Gebiet der Pflichtenlehre sich beschränkenden moraltheologischen Arbeiten und Untersuchungen jener Zeit, deren [648] Wiederkehr durch den Fortschritt der philosophischen und allgemeinen Bildung wol für immer zur Unmöglichkeit gemacht ist. Das unvermittelte Auseinanderfallen der christlich-innerlichen und legistisch-casuistischen Auffassung des christlichen Lebens ist in Busenbaum’s eigener Schriftstellerei repräsentirt, wenn er neben seiner Medulla theologiae moralis ein ascetisches Werk erscheinen ließ: „Lilium inter spinas, d. i. Gottverlobter Jungfrauen und Wittwen Welt-geistlicher Stand.“ Köln 1660.
Busenbaum: Hermann B., vielgenannter Moralcasuist, geb. 1600 zu Nottelen in Westfalen, trat in seinem 19 Lebensjahre in den Jesuitenorden ein, lehrte in den Anstalten seines Ordens die Humaniora, die Philosophie, sodann in Köln die Theologia scholastica und die Moraltheologie; später leitete er die Collegien zu Hildesheim und Münster, und starb in letzterer Stadt 31. Januar 1668. Er ist Verfasser eines zu großer Berühmtheit gelangten Abrisses der casuistischen Moraltheologie, bei dessen Abfassung er vornehmlich die Hefte und Dictate zweier seiner Ordensgenossen, der PP. Hermann Nünning und- Biblioth. script. societ. Jesu, op. inch. a Ribadeneira etc. contin. a etc. Alegambe etc. recogn. etc. a Nath. Sotwello. p. 335.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: nnd
- ↑ Alfonso Maria de Liguori (1696-1787), italienischer Jurist, Moraltheologe, Bischof und Ordensgründer; 1839 heiliggesprochen und 1871 zum Kirchenlehrer erhoben.
- ↑ Claude Lacroix (1652-1714), Jesuit aus dem Bistum Lüttich.