ADB:D’Elvert, Christian Ritter
d’Elvert: Christian Ritter d’E., k. k. Hofrath, mährischer Historiker, geboren am 11. April 1803 als Sohn eines französischen Sprachlehrers Friedrich d’E., der als kgl. französischer Capitain im Emigrantencorps des Prinzen v. Condé seine elsässische Heimath verließ und nach mehrjährigen Wanderungen durch Deutschland im J. 1796 nach Josefstadt in Böhmen kam, wo er sich mit Clara de Taintenier, die aus einer belgischen Adelsfamilie stammte, vermählte; bald danach wandte sich Friedrich d’E. nach Brünn und gründete hier seinen Hausstand. Christian, sein erstes Kind, absolvirte in Brünn das Gymnasium, sodann hier und in Olmütz das sogenannte philosophische Studium; schon hier pflanzten tüchtige Lehrer in den begabten Jüngling die Liebe zur Geschichte und Heimathskunde, sodaß er später auf den Universitäten zu Prag, Graz und Wien neben Jus, dem Brotstudium, eifrigst auch geschichtliche Collegien besuchte und in freien Stunden fleißig die Bibliotheken benutzte.
Mit 24 Jahren trat Christian d’E. in den Staatsdienst beim mährisch-schlesischen [654] Gubernium in Brünn ein und arbeitete sich im Laufe von 22 Jahren langsam und mühsam bis zur Stelle eines Kreiscommissars erster Classe empor. Kurze Zeit 1836–38 amtirte er in Iglau, dort lernte er auch seine nachmalige Gattin kennen, doch blieb die Ehe kinderlos. Nach den Stürmen des Jahres 1848/9 trat d’E. im J. 1850 aus dem politischen in den Finanzdienst über und erst nach weiterer 18jähriger Thätigkeit im J. 1868 als Oberfinanzrath in den Ruhestand. Die Bewegung des Jahres 1848 brachte d’E. wie so viele andere Männer ins politische Leben. Wenigstens für einige Sitzungen kam er als Ersatzmann für den vom Wahlbezirke Pohrlitz in Mähren gewählten Kromp nach dessen Resignation in die Frankfurter Nationalversammlung. Weit reger und bedeutsamer war seine Theilnahme an den Verhandlungen des ersten mährischen Provinziallandtages in Brünn (31. Mai 1848 bis 24. Januar 1849), in welchem er als Abgeordneter die Stadt Brünn vertrat, die ihm durch diese Wahl wohl auch den Dank für sein umsichtiges und verdienstliches Schalten als Kreiscommissär votiren wollte. In den mährischen Landtag gelangte er durch die Wahlen des Jahres 1871 wiederum als Abgeordneter der Landeshauptstadt und verblieb in dieser Corporation fortan ununterbrochen bis kurz vor seinem Tode. Die Stadt Brünn entsandte d’E. seit dem Jahre 1871 auch zu wiederholten Malen als ihren Vertreter in den Reichsrath, in welchem er einmal, in der Woche vom 4. bis 10. November 1873, als Alterspräsident die Verhandlungen zu leiten hatte. Im Jahre darauf wurde ihm vom Kaiser der Titel und Charakter eines Hofrathes zu den mannigfachen Auszeichnungen, die er schon besaß, verliehen.
Das Hauptverdienst um seine Vaterstadt erwarb sich jedoch d’E. in seiner Eigenschaft als Bürgermeister der Stadt, welche Stellung er in den Jahren 1861–63 und 1870–76 innehatte. Er selbst hat die Geschichte seiner Arbeit als frei gewähltes Oberhaupt der Stadt Brünn in einem Buche „Neu-Brünn, wie es entstanden ist und sich gebildet hat“, geschrieben und legt darin das hauptsächlichste Gewicht auf die Durchführung der Vereinigung der inneren Stadt mit den früher selbständigen Vorstädten zu einem einzigen großen und einheitlich verwalteten Gemeindewesen einerseits, sowie auf die Umwandlung der durch die Reste alter Befestigungsmauern eingeengten Stadt in eine frei nach allen Richtungen sich ausdehnende Großcommune, auf die Sanirung und Verschönerung dieser von hunderten von Schloten überragten Fabrikstadt. Bei all dieser öffentlichen Thätigkeit, die durch die Mitglied- und meist auch Vorstandschaft bei einer Anzahl humanitärer, künstlerischer und wissenschaftlicher Vereine noch erhöht wurde, hat d’E. noch überdies eine litterarische Wirksamkeit auf dem Gebiete der mährischen Landesgeschichte entwickelt, die wohl ihresgleichen sucht.
Sein Arbeitsgebiet, sowie seine Productivität sind immens. Von den 30 Bänden der „Schriften der hist.-stat. Section der k. k. mährischen Gesellschaft zur Beförderung des Ackerbaues, der Natur- und Landeskunde“, deren Vorstand er seit dem Jahre 1851 war, ferner von dem unter seiner Redaction stehenden „Notizenblatte“ ist weit mehr als die Hälfte seine eigene Arbeit. Vom 15. Bande der „Schriften“ angefangen, der 1866 erschien, war er der einzige Mitarbeiter und doch gab er durchschnittlich fast jedes zweite Jahr Bände heraus, die oft an die tausend Seiten stark waren. Zur Erklärung solcher Leistungsfähigkeit dient die Thatsache, daß sich d’E. schon in den Jahren vor 1850, da seiner Editionslust von amtswegen nicht geringe Schwierigkeiten bereitet wurden, besonders aus den Schätzen des Gubernialarchives in Brünn, sowie später aus den Archiven in Wien, die er während der Dauer seines Reichsrathsmandates fleißig besuchte, umfassende Sammlungen mit Abschriften [655] von Acten und Urkunden angelegt hatte. d’Elvert’s Schriften haben einen sehr ungleichmäßigen Charakter. Seltener einheitlich durchgearbeitete Darstellungen eines Themas, bilden die meisten umfangreiche Materialiensammlungen oft mit erläuternden Einleitungen oder allgemeinen Uebersichten versehen. Seine Werke sind durch die Unzahl von Daten, Litteraturangaben und Quellennachweisen, die sie bieten, als Nachschlagebücher von großem Werthe, andererseits durch Unübersichtlichkeit, mangelnde Kritik, ungenügende Citirweise und zahlreiche Fehler und Irrthümer stellenweise mit Vorsicht zu benutzende Quellen. Um nun auf einige seiner bedeutendsten Arbeiten hinzuweisen, heben wir zuerst seine beiden Stadtgeschichten, die von Brünn (1828) und die von Iglau (1850) hervor; die erstere in jugendlicher Begeisterung mit einem poetischen Anhauche geschrieben, die letzte ernst mit gründlicher Verwerthung des historischen Materials, das ihm im Iglauer Stadtarchiv in ziemlich vollendeter Form in mehreren handschriftlich erhaltenen Stadtmemorabilien vorlag. Werthvoll ist auch seine im J. 1850 erschienene „Historische Litteraturgeschichte Mährens und Schlesiens“, noch heute ein unersetztes Nachschlagebuch, in welcher er zeigen wollte, wieviel bis zu jenem entscheidenden Epochejahr von 1848 auf litterarisch-historischem Gebiete im Lande bereits geschaffen worden, wieviel noch zu leisten sei. Seine Vorliebe für culturelle Verhältnisse, vielleicht auch Rücksichtnahme auf seine industrielle Vaterstadt veranlaßte ihn in einer ganzen Reihe von Bänden unter dem Titel „Zur Culturgeschichte Mährens und Schlesiens“, seit dem Jahre 1866 Beiträge zur Geschichte der Industrie und ihrer einzelnen Zweige, des Verkehrswesens, der Heil- und Humanitätsanstalten, der Vereine, der Pflege der Künste und Wissenschaften zu schreiben. Allgemeinere Beachtung erlangten sodann seine „Beiträge zur Geschichte der Rebellion, Reformation, des 30jährigen Krieges und der Neugestaltung Mährens im 17. Jahrhundert“ (erschienen 1867), fortgesetzt im J. 1868, 1875 und 1878 in drei Bänden unter dem Titel: „Weitere Beiträge zur Geschichte der böhmischen Länder im XVII. Jahrhundert“, bezw. „Beiträge zur Gesch. der böhm. Länder, insbesondere Mährens, im XVII. Jahrhundert“. Er hat je einen oder mehrere umfangreiche Bände den „Beiträgen zur österreichischen Verwaltungs-, Finanz- und Rechtsgeschichte“ gewidmet, eine Geschichte des Deutschthums in Oesterreich-Ungarn, des Erzbisthums Olmütz, eine Geschichte der Juden in Mähren und Schlesien geschrieben u. a. m. Anläßlich seines 90. Geburtstages gab er selber sein Lebensbild in einem Bande von 220 Seiten u. d. T. „Christian Ritter d’Elvert, k. k. Hofrath a. D. Gedenkblätter zu seinem 90. Geburtstage“ heraus. Er starb am 28. Januar 1896 im 93. Lebensjahre.