ADB:Dalwigk zu Lichtenfels, Reinhard Freiherr von

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Artikel „Dalwigk zu Lichtenfels, Reinhard Karl Friedrich Freiherr von“ von Wilhelm Diehl in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 612–615, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Dalwigk_zu_Lichtenfels,_Reinhard_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 10:33 Uhr UTC)
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Dalwigk: Reinhard Karl Friedrich Freiherr von D. zu Lichtenfels wurde am 19. December 1802 in Darmstadt als Sohn des späteren Generallieutenants und Gouverneurs von Darmstadt Reinhard v. D. († 1844) und dessen Gemahlin, einer Tochter des berühmten Rechtsgelehrten Höpfner, [613] geboren. Seinen ersten Unterricht empfing er durch Privatlehrer im Elternhause, trat dann 1812 in das Gymnasium zu Darmstadt über, welcher Anstalt er bis zu seinem Abiturientenexamen (Herbst 1818) angehörte. Nachdem er hierauf seines jugendlichen Alters wegen noch ein volles Jahr im Elternhause privatisirt, bezog D. im October 1819 die Universität Göttingen und October 1821 Berlin, um Jurisprudenz zu studiren, siedelte dann im September 1822 nach Darmstadt und bald nachher nach Gießen über, um sich für das juristische Facultätsexamen vorzubereiten. Dieses bestand er allerdings erst Anfang 1826; der lebenslustige Jüngling hatte sich durch studentische Vergnügungen etwas zu viel in Besitz nehmen lassen. Er durchlief hierauf die üblichen Rangstufen des hessischen Juristen: 1826 wurde er zum Acceß beim Secretariat des großh. Hofgerichts in Darmstadt zugelassen, 1828 wurde er Landgerichtsassessor; er trat dann in das Verwaltungsfach über und fand Verwendung bei der großh. Provinzialdirection und dem Kreisamt Darmstadt, wurde 1839 mit dem Charakter als Regierungsrath ausgezeichnet, avancirte 1841 zum Kreisrath des Kreises Worms, 1845 zum Kreisrath des Kreises Mainz und Provinzialcommissär von Rheinhessen, in welcher Stellung er seitens der hessischen Regierung 1850 zum Bevollmächtigten der am 10. Mai eröffneten Bundesversammlung zu Frankfurt ernannt wurde. Bereits kurz nachher berief ihn unter Aufhebung des Auftrags bei der Bundesversammlung das Vertrauen des Großherzogs Ludwig III. (am 30. Juni) zum Director des Ministeriums des Innern und am 8. August auch zur Leitung des Ministeriums des großh. Hauses und des Aeußeren. Von da an war er, wenn auch der Titel vorerst dem nicht entsprach (1850: „Ministerialdirector“, 1852: „Präsident der unter ihm stehenden Ministerien und des Gesammtministeriums“, 1853: „wirkl. Geheimrath“, erst 1858 „Minister des Innern“) thatsächlich dirigirender Staatsminister in Hessen. Aus dieser Stellung schied er am 6. April 1871. Er besaß bereits seit langem alle hohen hessischen Orden und war in Anerkennung seiner Verdienste schon seit Jahren zum lebenslänglichen Mitglied der ersten hess. Kammer ernannt worden. Er starb nach 2½jährigem schwerem Leiden am 28. September 1880 in Darmstadt und wurde in der Familiengruft auf seiner Besitzung Campf im Fürstenthum Waldeck beigesetzt.

Dalwigk’s Persönlichkeit und Lebenswerk zu würdigen, ist grade heutzutage keine leichte Aufgabe. Es ist eine Thatsache, daß er eine andere Entwicklung des deutschen Reiches erstrebte, als die Geschichte der Jahre 1870/71 gezeitigt hat, und wenn er es in seinem Entlassungsgesuch auch als eine hohe Genugthuung bezeichnete, daß er in Vollmacht seines Souveräns die Versailler Verträge von 1871 unterzeichnen durfte, „welche bestimmt sind, Deutschland eine neue und glänzende Zukunft zu bereiten“, so ist doch die Thatsache, daß er sofort nach diesen Ereignissen um seine Entlassung bat und dieses Gesuch damit motivirte, daß „in den maßgebenden Kreisen der Bundesregierung das Vertrauen“ zu seiner Person zu fehlen scheine, auch ein Beweis dafür, daß er eine andere Gestaltung der Dinge lieber gehabt hätte. Diese Beobachtung können wir übrigens in seiner ganzen Ministerlaufbahn machen. Seine Anschauungen von der gedeihlichen Entwicklung der deutschen Frage gingen von allem Anfang an derjenigen entgegen, von welcher die preußische Politik beherrscht war. Getreu den Traditionen des hessischen Hauses war ihm der Zusammenhalt mit Oesterreich, welcher dazu noch durch viele persönliche Verbindungen mit dem österreichischen Herrscherhaus gefestigt war, die Richtschnur für Alles, was er in politischen Beziehungen vor dem Jahr der Katastrophe, 1866, that. Er sprach es schon bei Uebernahme der Ministerialgeschäfte offen aus, das Ziel seines Strebens sei Herstellung einer starken deutschen Bundesregierung, [614] einer Volksvertretung beim Bunde und eines Bundesgerichtes, und zwar dies Alles auf der Grundlage des historisch Gewordenen, d. h. also im Gegensatz zur preußischen Unionspolitik mittelst strenger Festhaltung des bisherigen föderalistischen Principes. Es lag in der Folge dieser Programmgedanken, wenn er sich sofort den Bestrebungen Oesterreichs nach Wiederherstellung einer das gesammte Deutschland umschließenden Verfassung rückhaltlos anschloß und alle Schritte Oesterreichs in der „deutschen Frage“ als einer der geistig hervorragendsten Mitarbeiter mitmachte (Wiederherstellung des Bundestages). Von Handlungen, bei denen sein Einfluß besonders hervortrat, sind erwähnenswerth sein freilich erfolgloses begeistertes Eintreten für eine sofortige Unterstützung Oesterreichs durch Gesammtdeutschland beim Ausbruch des österreichisch-französischen Krieges von 1859, seine Bemühungen um eine den geographischen Verhältnissen und der Stammesverwandtschaft besser angepaßte Eintheilung des Bundesheeres (wenigstens hinsichtlich des Großherzogthums) im Jahre 1852 und seine Versuche, dem Erbprinzen von Augustenburg die dauernde Verwaltung des Herzogthums Holstein nach den Ereignissen von 1864 verschaffen zu helfen. Dalwigk’s Politik machte mit derjenigen Oesterreichs im Jahre 1866 Fiasco. Sie mußten beide der Kriegskunst des Feindes weichen. Trotzdem muß man ihm nachrühmen, daß er gerade in diesem Jahre, aber auch in der Folgezeit sich als tüchtiger Politiker bewährte. Nächst der Verwandt- und Freundschaft des hessischen Hofes mit Rußland verdankt Hessen ihm die Erhaltung seiner Kernlande, der Provinz Oberhessen. Wäre, wie es beabsichtigt war, 1866 ganz Oberhessen an Preußen gefallen und mit baierischen Landestheilen aufgewogen worden, so wäre das Großherzogthum Hessen heute wohl noch ein Land, aber gleich einem Baum, den man im Alter in fremdes Erdreich verpflanzt hat. In dieser Beziehung hat Hessen dem vielgeschmähten Minister gegenüber die Pflicht der Dankbarkeit. Aber es hat diese Pflicht auch in anderer Beziehung. Zwar ist D. vielerlei vorgeworfen worden und wird ihm zum Theil gewiß auch mit Recht noch vorgeworfen. Man beschuldigte ihn, der persönlich der evangel. Kirche angehörte, einer zu weitgehenden Nachgiebigkeit gegen den Mainzer Bischof Ketteler, wie sie sich in dem Abschluß der geheimen Convention vom 23. August 1854 gezeigt habe. Insbesondere warf man ihm vor, daß durch diese Convention im Gegensatz zur bisherigen Praxis dem Bischof das Recht der Anstellung der Geistlichen eingeräumt, daß für die Studirenden der katholischen Theologie die Nothwendigkeit des Universitätsbesuchs aufgegeben und die katholisch-theologische Facultät zu Gießen aufgehoben worden sei, sowie daß der Staat auf sein Placet verzichtet habe. Wir verzichten hier darauf, auf diese Fragen einzugehen. Ihre Beurtheilung ist schon in dem Augenblick, da die ursprünglich „geheime“ Abmachung langem Drängen der Kammermitglieder zufolge im J. 1860 publicirt wurde, eine sehr getheilte gewesen und wird auch in alle Zukunft nach den verschiedenen Standpunkten der Beurtheiler verschieden ausfallen. Sicher ist, daß von diesen Vorgängen eine tiefgehende Bewegung über das ganze Land hin ausging, daß Dalwigk’s Person in dieser Agitation hart mitgenommen wurde, und daß man bei objectivster Beurtheilung nicht gut wird leugnen können, daß D. sich der Klugheit eines Ketteler beim Abschluß der Convention doch nicht recht gewachsen zeigte.

Ein weiterer Vorwurf, den man der Dalwigk’schen Regierung machte, ist der, daß sie durch Willkürmaßregeln gegen die Beamten, kleinliche, fast spionenhafte Beaufsichtigung der Unterthanen und einseitige Begünstigung aller reactionären Bestrebungen alle Regungen eines „fortschrittlichen und freien Geisteslebens“ lahm zu legen gesucht habe. Ist dieser Tadel berechtigt – [615] dies zu beurtheilen, ist für einen Nichtzeitgenossen nicht gut möglich – so wird doch auch nicht vergessen werden dürfen, daß es sich da um die Auswirkung eines geschichtlich gegebenen und bedingten Factors handelt, dessen Wirkungen niemals lediglich einzelnen Personen zur Last gelegt werden können.

Trotz all dieser Vorwürfe eines einseitigen Particularismus, einer unklugen Nachgiebigkeit und eines inferioren Reactionsstrebens wird der gerechte Beurtheiler sich nicht abhalten lassen, Dalwigk’s Thätigkeit als Minister auch als eine Zeit des Segens zu bezeichnen. Hessen hat in den 21 Jahren seines Ministeriums Jahre segensreicher Entwicklung durchgemacht, nicht zum mindesten auch durch die Reformen, die D. zur Vereinfachung des Geschäftsganges der Justiz- und Verwaltungsbehörden, zur Hebung der Landwirthschaft und des Gewerbes anstrebte und durchführte. Zu anderen Zeiten und unter günstigeren Verhältnissen hätte Dalwigk’s Wirken wohl noch tiefer gegriffen und sein Name sich ein besseres Andenken in den Kreisen erworben, die ihn jetzt vielfach schmähen.

Erinnerungsblätter an Frh. Reinhard von Dalwigk zu Lichtenfels. Eine Lebensskizze von einem alten Diplomaten. Mainz 1881 (bearbeitet zum Theil auf Grund einer Selbstbiographie Dalwigk’s bis zu seiner Studentenzeit). – Die Mainz-Darmst. Convention und die Großh. Hess. Verfassung, Frankfurt a. M. bei F. B. Auffarth. – Die katholische Kirchenangelegenheit im Großh. Hessen von Dr. Eduard Seitz, Mainz 1861. – Zeitgenössische Artikel und Nachrichten in den hess. Zeitungen und Zeitschriften.