ADB:Dientzenhofer, Kilian Ignaz von

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Artikel „Dinzenhofer, Kilian Ignaz“ von Bernhard Grueber in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 5 (1877), S. 245–246, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Dientzenhofer,_Kilian_Ignaz_von&oldid=- (Version vom 16. April 2024, 11:00 Uhr UTC)
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Dinzenhofer: Kilian Ignaz D., Architekt, geb. zu Prag 1. Sept. 1690, † 17. Dec. 1752. Sein Vater, der Baumeister Christoph D., erfreute sich in Prag eines großen Ansehens und hat eine beträchtliche Anzahl von Kirchen und Privatgebäuden ausgeführt. Die Familie stammte aus Bamberg; hier waren Justus, Johann und Johann Leonhard D. bereits um die Mitte des 17. Jahrhundert als Baumeister thätig und bekleideten verschiedene Aemter. Der heranwachsende Kilian gedachte sich erst dem geistlichen Stande zu widmen, legte das Gymnasium zurück und besuchte dann an der Prager Universität die Vorträge über Philosophie und Naturwissenschaften. Allmählich sich den mathematischen Studien zuwendend wurde er zuletzt fast gegen den eigenen Willen dem Fache der Architektur zugeführt, worauf ihn sein Vater, welcher damals die Kirche des Benedictinerstiftes Brzewnow von Grund aus neu erbaute, in den Anfangsgründen der Kunst unterrichtete. In seinem zwanzigsten Jahre begab sich der junge D. nach Wien und arbeitete dort unter Leitung des berühmten Fischer von Erlach längere Zeit als Polier, bereiste sodann Italien, Frankreich und England und ließ sich um 1722 nach dem Tode seine Vaters dauernd in Prag nieder. Das erste Gebäude, welches Kilian nach Rückkehr von seinen Reisen ausführte, war ein noch bestehendes Gartenhaus in der obern Neustadt zu Prag, ein in der Manier des Hardouin Mansard gehaltenes, zwar malerisches aber barok verschnörkeltes Werk. Diese Arbeit fand ungemessenen Beifall, der Künstler sah sich in kurzer Zeit mit den großartigsten Aufträgen überhäuft und übte fortan, obwol seine Thätigkeit zunächst dem Lande Böhmen gewidmet war, einen so entschiedenen Einfluß auf die architektonische Entwicklung in Oesterreich, daß ohne seine Zustimmung kaum ein größerer Bau begonnen wurde. Die Anzahl der von D. im Laufe seines dreißigjährigen Wirkens ausgeführten Gebäude ist unübersehbar, wozu noch kommt, daß er unzählige Entwürfe für auswärtige Bauten fertigte und mit seiner Erfindungsgabe andern Baumeistern aushalf. Eine bestimmte künstlerische Richtung hat er nicht eingehalten, doch wurde der französische Rococostil von ihm mit Vorliebe cultivirt. Seine Dispositionen sind immer schön und zweckmäßig, in dieser Beziehung hat er sich den Palladio zum Vorbilde genommen, sonst aber dessen reinen Stil nur ausnahmsweise befolgt. Mehrere seiner Bauten dürfen den edelsten Leistungen der Renaissance beigezählt werden, wie die Stiftskirche zu Braunau mit einer prachtvollen korinthischen Pilasterstellung, dann das ehemals fürstlich Piccolomini’sche, jetzt gräflich Nostitz’sche Palais am Graben zu Prag, dessen Treppenhaus und Höfe einem Baldassare Peruzzi oder Galeazzo Alessi Ehre machen würden. Ueberhaupt war D. in der Anordnung von Prachttreppen, Balkonen, Vestibulen und Sälen viel glücklicher, als im Façadenbau, wo er seinem Hange zu Künsteleien nur allzugern den Zügel schießen ließ. Als Hauptwerk des Meisters wird die Kuppel der St. Nikolauskirche in Prag genannt, ein höchst imposantes, mit seltener Virtuosität durchgeführtes und von Ueberladungen noch ziemlich freies Gebäude. Mit zunehmendem Alter neigte sich D. mehr und mehr dem eigentlichen Barokstil zu, erging sich nicht selten, um neues zu bieten, in den bizarrsten Formen, wobei jedoch seinen Anlagen immer jene Einfachheit und Größe eigen blieb, welche der Künstler unter allen Bedingungen einzuhalten verstand. Von seiner ungewöhnlichen Begabung und Vielseitigkeit spricht unter anderm die Thatsache, daß er sich sogar im gothischen Stil mit Glück versuchte. [246] So entwarf er für den Abt Maurus von Kladrau, welcher die abgebrannte Kirche seines Klosters wieder in Stand setzen wollte, den Plan zu einem gothischen über der Kreuzverzierung aufzustellenden Kuppelbau, ein ebenso eigenthümliches als in Anbetracht der Zeitverhältnisse bewunderungswürdiges Werk. Ausgeführt wurde diese Kuppel nach Dinzenhofer’s Plan von dem Italiener Giovanni Santini, welcher im Jahre 1726 den Bau vollendete. Mit den Einzelnheiten darf man es allerdings nicht genau nehmen; die Maßwerke erscheinen in der Nähe plump und das Krönungsgesimse abenteuerlich, aber der Gesammteindruck ist so überwältigend und einzig in seiner Art, daß man nur den Dom von Mailand mit der Kladrauer Stiftskirche vergleichen kann.

D. arbeitete außerordentlich leicht und besaß ein so ungewöhnliches Gedächtniß und solche Uebung, daß er aus freier Hand die Pläne für ein großes Gebäude anfertigen und durch eingeschriebene Maße aufs genaueste erklären konnte. Entwürfe von seiner Hand finden sich zu Prag und Wien in mehreren Sammlungen: sie sind mit breiten Strichen flüchtig hingeworfen, indem nur die Hauptpartien mit Zirkel und Lineal aufgetragen, alle Einzelheiten aus dem Augenmaße angegeben wurden. Wenige Künstler erfreuten sich einer so angenehmen und sorgenlosen Existenz als D.: von seinem ersten Auftreten an bis zu seinem Tode war er ununterbrochen mit Aufträgen der glänzendsten Art beschäftigt und jedes seiner Werke wurde mit Beifall aufgenommen. Er starb mit Ehren und Glücksgütern überhäuft, umgeben von einem blühenden Familienkreise, nachdem er zweiundzwanzig große Kirchen und wenigstens eben so viele Paläste ausgeführt hatte, abgesehen von zahlreichen Wohnhäusern, Pavillons und Luxusgebäuden, die sich in allen Theilen Böhmens finden.

Dobrowsky, Abbildungen und Lebensbeschreibungen böhmischer und mährischer Gelehrten und Künstler. J. Schaller, Topographie von Böhmen. B. Grueber, Charakteristik der Baudenkmale Böhmens.