ADB:Francke, Gotthilf August
August Hermann F. und Nachfolger desselben in der Direction des Waisenhauses, geb. den 21. März (a. St.[WS 1]) 1696, † den 2. Septbr. 1769. Er erhielt seine Jugendbildung zunächst durch Privatlehrer, dann von seinem 13. Jahre an auf dem königl. Pädagogium, welches er im Frühjahr 1714 verließ, um in Halle Theologie zu studieren. Nachdem er bald nachher und bereits als Lehrer am Pädagogium eingetreten war, begleitete er seinen Vater 1717 auf seiner Reise in das südliche Deutschland, und bezog nach seiner Rückkehr die Universität Jena, wo er unter Buddeus, in dessen Hause er mit dem ausgezeichneten J. J. Rambach wohnte, ein Jahr studirte und die Magisterwürde erwarb. Im J. 1720 trat er in das geistliche Amt, zuerst als Pastor am Zucht- und Arbeitshause in Halle; 1723 wurde er zum Adjunct bei der Kirche St. Marien daselbst erwählt und rückte allmählich auf, zuletzt 1740 in die Stelle des Archidiaconus an derselben, die er bis an seinen Tod inne hatte. In demselben Jahre, 1723, wurde er zugleich mit Rambach zum Adjunct der theologischen Facultät der Universität ernannt, und 1726 zum außerordentlichen, 1727 zum ordentlichen Professor zugleich mit eben jenem befördert. Im J. 1730 wurde ihm die Inspection der ersten Diöcese der Kirchen und Schulen im Saalkreise übertragen, und er endlich, nachdem er 1739 zum Dr. theologiae promovirt worden, 1767 zum Consistorialrath im Herzogthum Mageburg ernannt. Wichtiger als alle diese mannigfaltigen und mit vielfachen Arbeiten verbundenen Aemter war, daß er nach dem 1727 erfolgten Tode seines Vaters zugleich mit Joh. Anastasius Freylinghausen in die Direction des Waisenhauses und der damit verbundenen Anstalten eintrat. Hier lag der Schwerpunct seiner Wirksamkeit und Bedeutung. Er führte dieselbe bis zu seinem Lebensende, also 42 Jahre lang, zunächst mit Freylinghausen bis zu [232] dessen 1739 erfolgtem Tode, dann mit Joh. Georg Knapp, der, nachdem er bereits 1738 zum Subdirector ernannt war, nun als Condirector an jenes Stelle trat. Die lange Zeit des Directorats Francke’s war eine Zeit großer äußerer Blüthe der Stiftungen. Zunächst wurden eine große Zahl Bauten, theils bedeutende Reparaturen der früher leicht oder fehlerhaft aufgeführten Gebäude, theils nicht wenige Neubauten ausgeführt, so daß nun erst der gesammte Häusercomplex, wie er jetzt innerhalb der Ringmauern der Stiftungen besteht (mit Ausnahme der erst 1858 erbauten Realschule), sammt jener Ringmauer selbst vollendet wurde. Das letzte dieser Gebäude wurde 1747 aufgeführt. Außerdem wurden, abgesehen von nicht unbedeutenden Ackerstücken in der Nähe von Halle, 3 Landgüter zu Canena, Reideburg (unweit Halle) und Berga am Kyffhäuser erworben. Die Mittel zu so bedeutenden Ausgaben flossen aus den immer noch, namentlich in der ersten Zeit reichlich eingehenden größeren und kleineren milden Gaben und wiederholentlich den Stiftungen zugewandten Legaten, dann aber auch aus den in steigendem Maße wachsenden Erträgen der sogen. erwerbenden Institute, unter denen vor allen die Medicamenten-Expedition eine sehr hervorragende Stelle einnahm. Die hieraus erwachsenden Einnahmen stiegen bis gegen den Tod Francke’s fortwährend (1761 betrugen sie 36,106 Thlr., eine für jene Zeit enorme Summe) und setzten ihn vornehmlich in den Stand, nicht allein jene bedeutenden Ausgaben zu machen, sondern auch die hergebrachten Beneficien außerordentlich zu vermehren. Denn wie er sich aus innerster Ueberzeugung nicht weniger als aus Pietät gegen seinen Vater zum Gesetz gemacht hatte, nichts irgend wesentliches in den Einrichtungen der Stiftungen zu ändern, so hielt er es vor allem für Pflicht, die Mittel, die Gott ihm schenkte, zum Besten der Brüder, ebenso wie jener zu verwenden, und nicht etwa Schätze für die Zukunft zu sammeln, wie weise dies auch erscheinen konnte. Zu keiner Zeit sind so bedeutende Wohlthaten der verschiedensten Art von den Stiftungen erwiesen worden als zur Zeit seiner Direction. Im J. 1740, wo eine große Theuerung herrschte, so daß überall die öffentliche und Privatwohlthätigkeit eingeschränkt wurde, stieg die Zahl der an den Freitischen der Stiftungen Speisenden auf 666; die Zahl der in das Waisenhaus aufgenommenen Kinder wurde auf 200, 150 Knaben und 50 Mädchen, im darauf folgenden Jahre vermehrt; die an Arme gewährte freie Medicin erreichte damals oft den Werth von mehr als 3000 Thlr., die Zahl der in den Schulen, namentlich der lateinischen Schule unterrichteten Zöglinge, denen vielfache Wohlthaten gewährt wurden, nahm außerordentlich zu, in der letztgenannten bis auf 550 Schüler. Auch die der Mission, in deren Kreis auch die 1732 aus Salzburg vertriebenen und nach Amerika ausgewanderten Evangelischen gezogen wurden, gewidmeten Unterstützungen flossen reichlich und selbst in den schweren Zeiten, welche namentlich während des siebenjährigen Krieges einbrachen, wurde in alle dem nichts wesentliches geändert. Der Geist, in welchem dies alles geschah, war derselbe, welcher die Stiftungen ins Leben gerufen hatte. Freilich hatte F., der überdies von Jugend auf an Kränklichkeit und manchen leiblichen Schwächen litt, nicht die Energie und geistige Begabung seines Vaters, es fehlte ihm die originale Begeisterung und anregende Kraft, die diesem eine so hohe Bedeutung gab, aber er war ein Mann von aufrichtiger Frömmigkeit und großer Gewissenhaftigkeit, der sich, so weit seine Kräfte reichten, ernstlich bemühte, die mit seinen mannichfaltigen Aemtern verbundenen Pflichten mit voller Hingebung und größter Uneigennützigkeit zu erfüllen und namentlich als Director der Anstalten des Waisenhauses sich bestrebte, sie in dem Sinne seines Vaters fortzuführen. Allerdings wuchsen die inneren Schwierigkeiten im Laufe der Jahre mehr und mehr. Der an der Universität, auch in der theologischen Facultät herrschende Geist wurde allmählich ein anderer, [233] und trotz der Bemühung Francke’s für die außerordentlich zahlreichen Lehrstellen möglichst geeignete Persönlichkeiten zu finden, wurde dies immer schwieriger. Dies konnte nicht ohne Einfluß auch auf den in den Anstalten herrschenden Geist bleiben, der sich trotz dem, daß die Formen dieselben blieben, unvermerkt änderte. Doch hatte F. das Glück, auch nach dem Tode seines Schwagers Freylinghausen mehrere ausgezeichnete Männer als Mitarbeiter zur Seite zu haben, unter denen vor allen der Condirector J. G. Knapp und Joh. Ant. Niemeyer, der bald nach dem erfolgten Tode des ehrwürdigen Freyer die Leitung des kgl. Pädagogiums erhielt, zu nennen sind. Auch waren die in den Schulen erzielten Leistungen immer noch tüchtig. Von großer Wichtigkeit war endlich, daß Friedrich Wilhelm I. dem Waisenhause die Gunst, die er demselben von seiner Thronbesteigung an erwiesen hatte, bis zu seinem Tode erhielt. Er ließ Freylinghausen sowol als F. nach dem Tode des Vaters des letzteren nach Wusterhausen zu einem längerem Aufenthalte kommen, um sie kennen zu lernen (s. das Tagebuch Francke’s in Kramer, Neue Beiträge etc. S. 160 ff.), ein Besuch, der sich für F. später nochmals erneuerte. Friedrich II. dagegen war F. abgeneigt, was er ihm bei jenen Besuchen bereits als Kronprinz in empfindlicher Weise zu erkennen gegeben hatte. Doch trat dies in seinem späteren Verhalten gegen ihn in keiner wesentlichen Weise hervor. Bemerkenswerth ist jedoch, daß in dem Waisenhause auf seinen Befehl, wie in sämmtlichen Waisenhäusern Preußens, 1744 der Seidenbau eingeführt und bis zum Anfang des laufenden Jahrhunderts, indessen mehr mit Schaden, als mit Vortheil, betrieben wurde.
Francke: Gotthilf August F., Sohn vonSchriftstellerisch war F., abgesehen davon, daß er innerlich nicht darauf gerichtet war, in Folge der vielen auf ihm ruhenden Pflichten wenig thätig. Herausgegeben hat er eine Anzahl akademischer Programme, Predigten, mehrere theologische Bedenken und kleinere Abhandlungen; außerdem die Berichte der ostindischen Missionare, das 19.–107. Stück; endlich eine Anzahl Schriften seines Vaters und einige Freylinghausen’s. Verheirathet war er zwei Mal, doch blieb seine Ehe kinderlos.
- Joh. Georg Knapp, Denkmal der schuldigen Hochachtung und Liebe gestiftet dem etc. Dr. Gotthilf August Francke, Halle 1770.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ „a. St.“: „alten Stils“; die Gregorianische Kalenderreform von 1583, die 10 Tage übersprang, wurde in protestantischen Teilen Deutschlands erst 1700 eingeführt. Der 21. März alten Stils ist der 31. März oder 1. April nach heutigem Kalender