ADB:Gentzkow, Nikolaus
Sastrow, bei Mohnike III, p. 43 seinen Plan vernehmen, in die Dienste des Herzogs zu treten, so scheinen diese Umstände gleichfalls auf seine mecklenburgische Abstammung hinzuweisen. In Stralsund fanden jedoch seine Tüchtigkeit und verdienstvolles Wirken eine so hohe Anerkennung, daß ihm der Rath am 5. August 1544 das Kirchenlehn zu Prohn verlieh, dessen Genuß ihm eine sorgenfreie Stellung und einen angenehmen Aufenthalt ländlicher Erholung gewährte. Im Herbste 1555 wurde er, nach dem Tode der Bürgermeister Nikolaus Steven und Christoph Lorber, mit Anton Lekow zu deren Nachfolgern gewählt, behielt aber, da er nachwies, daß das Syndicat ihm größere Einkünfte gewähre, auch dieses Amt, jedoch mit der Erleichterung, daß ihn der rechtsgelehrte und sehr geschäftsgewandte Protonotarius Bartholomäus Sastrow (s. d. Art.) in dessen Führung unterstützte. In seinem neuen Wirkungskreise hatte er, besonders seit 1559, in welchem Jahre sich der älteste Bürgermeister Franz Wessel in Folge eines Schlaganfalles von der Mehrzahl der Geschäfte zurückzog, Stralsund sowol am herzoglichen Hofe zu Wolgast und Stettin als auf den Landtagen und den Versammlungen des Hansabundes zu vertreten, nahm auch lebhaften Antheil an der Entwicklung der städtischen Verfassung, an der Ausübung der Gerichtsbarkeit und Einführung der neuen Kirchenordnung, in Folge welcher Stralsund eine kirchliche Selbständigkeit und ein besonderes städtisches Consistorium erhielt. In dem zwischen Friedrich II. von Dänemark und Erich XIV. von Schweden ausgebrochenen Kriege von 1563 bis 1568, in welchem Lübeck durch seine Vereinigung mit Dänemark so außerordentlich große Verluste erlitt, nahmen Stralsund und Greifswald, wesentlich durch den Einfluß ihrer ältesten Bürgermeister, Nikolaus G. und Bertram Smiterlow, eine neutrale Stellung ein und legten damit die erste Grundlage zu der engeren Verbindung, welche in der Folge mit Schweden angeknüpft wurde. G. wußte namentlich die Neutralität der rügisch-pommerschen Küste durch die Beschützung schwedischer Schiffe, welche die Dänen im Stralsunder Hafen zu kapern suchten, aufrecht zu erhalten und setzte auch die Festungswerke und Wehrkraft der Stadt, bei den Gefahren, welche der Zug des Herzogs Erich von Braunschweig nach Livland im J. 1563 für Pommern veranlaßte, in guten Stand, vereinigte sich auch mit den herzoglichen Räthen in Loitz zu demselben Zwecke. Ein besonderes Verdienst erwarb sich G. im Zusammenhange mit der neuen Kirchenordnung durch die Stiftung der städtischen Schule im Katharinenkloster, [594] deren ersten Rector, M. Lorenz Wydeman aus Königsberg in der Neumark, er am 20. April 1560 mit einer lateinischen Rede einführte. Durch seine eigene vielseitige Bildung und das Studium von Melanchthons Schriften angeregt, widmete er dieser Anstalt, sowie den kirchlichen Verhältnissen auch in der Folge eine lebhafte Fürsorge, sowol durch Einschreiten gegen den Schwärmer Peter Suleke und die Unduldsamkeit der rechtmäßigen Geistlichen als durch Einführung von Schulgesetzen und deren Anwendung namentlich bei Streitigkeiten zwischen den Lehrern und Anstellung von neuen tüchtigen Schulgenossen. In seinen letzten Lebensjahren trat die Meinungsverschiedenheit zwischen ihm und seinem jüngeren Amtsgefährten Bartholomäus Sastrow schroffer hervor, so daß er bei zunehmender körperlicher Schwäche allmählig von der Führung der städtischen Angelegenheiten zurücktrat, bis er am 24. Februar 1576 im 74. Lebensjahre starb, und Sastrow, 1578 zum Bürgermeister erwählt, den Vorsitz im Rathe übernahm. – Bewegt sich Gentzkow’s praktische Thätigkeit, wie solche nach seinem eigenen Tagebuch und anderen chronikalischen Aufzeichnungen seiner Zeit geschildert ist, vorzugsweise in dem Gebiete seiner engeren Heimat, so wird er durch die genannte historische Quelle, welche von Zober in Band III der Stralsunder Chroniken veröffentlicht ist, auch für weitere Kreise und namentlich für die allgemeine Culturgeschichte und niederdeutsche Sprachforschung wichtig. Das uns erhaltene Tagebuch, von ihm selbst in 2 Theile gegliedert, umfaßt die Jahre 1558–67, jedoch läßt die erwähnte Anführung von Sastrow III, 43: daß er in mecklenburgische Dienste treten wollte, und die, sofern Sastrow (der sich bisweilen in der Datirung irrt) hier zuverlässig ist, auf eine Stelle von Gentzkow’s Diarium von c. 1553 Bezug nimmt, die Vermuthung zu, daß noch ein früherer Band, der auch Aufzeichnungen aus seiner Jugend enthalten mochte, vorhanden gewesen sei. Aus den erhaltenen Theilen erfahren wir nur (III, 203), daß er am 6. December 1562 in sein 61. Jahr getreten ist. Dagegen unterrichtet uns das Tagebuch, abgesehen von den bereits erwähnten wichtigen Ereignissen über seine Familienverhältnisse, über seine Kinder aus drei Ehen, über seine juristische Praxis, städtische Verwaltung und Streitigkeiten mit Amtsgenossen, über ärztliche und körperliche Pflege, Alchemie und Zauberei, Kunst und Wissenschaft, sowie über ein reges geselliges Leben, das sich in festlichen Gelagen mit Fürsten und Standesgenossen, im Hause und zu Prohn behaglich ergeht. Mit Recht bemerkt Fabricius in den Hansischen Geschichtsblättern I, 1871, S. 178, daß uns G., in Uebereinstimmung mit seinem im Bürgermeistersaal des Stralsunder Rathhauses aufgestellten Porträt, in seinem Tagebuche als eine „derbkräftige, praktische Natur des 16. Jahrhunderts“ erscheine; wenn er jedoch jede Spur „von tieferem Gemüth und höherem Schwung“ in den Aufzeichnungen vermißt, so ist dagegen zu erinnern, daß dieser Mangel des Diariums keinen Schluß auf seine Person zuläßt, denn auch der gemüthvollste der deutschen Maler, Albrecht Dürer, erscheint in seinem Reisetagebuche trockener und realistischer wie G. Vielmehr glaube ich aus einer Nachricht von Berckmann (Strals. Chron. I, 86) sowie aus einigen kurzen Nachrufen beim Tode seiner Freunde (III, 378, 386 u. a.) schließen zu dürfen, daß G. mit Lebensfröhlichkeit ein freundliches Wohlwollen und tieferes Gemüth verbunden habe, während bei Sastrow, ungeachtet derselbe so zahlreiche Bibelsprüche und Moralvorschriften seiner Selbstbiographie eingefügt hat, mehr der Verstand und ein herberes Gemüth hervortritt. In Franz Wessel und Nikolaus G. treten uns gewissermaßen die letzten Repräsentanten des Mittelalters in den Vorzügen und Schwächen deutschen Gemüthes entgegen, während Sastrow, obwol er sie an Bedeutung überragt, schon mehr durch die Bildung der Renaissance beeinflußt erscheint.
Gentzkow: Nikolaus G., Dr. jur. und rechtsgelehrter Bürgermeister von Stralsund und als Chronist für die pommersche Geschichte wichtig. Er stammte vielleicht aus Mecklenburg, jedoch fehlen uns über seine Jugend und Ausbildung bestimmte Nachrichten, und vermögen wir nur aus der Uebersicht der in seinem Tagebuch von ihm erwähnten Bücher, sowie aus dem Umstande, daß er seine Fachgenossen und die Mitglieder der städtischen Schule mit lateinischen Reden begrüßte, den Schluß zu ziehen, daß er eine vielseitige humanistische Bildung erhielt, welche sich außer seiner Fachwissenschaft auf die lateinische und griechische Sprache, sowie auf Geschichte und Mathematik bezog, und die ihn auch ein lebhaftes Interesse für musikalische Aufführungen empfinden ließ. Genauere Nachrichten erhalten wir erst, seitdem er im J. 1540 das Syndicat beim Stralsunder Rathe erhielt, und neben demselben eine ausgedehnte Praxis als Rechtsanwalt führte. Wenn wir ihn als solchen häufig die Herzoge von Mecklenburg, die Fürstin-Aebtissin von Ribnitz, sowie die Stadt Rostock vertreten sehen, auch nach einer Nachricht von- [595] Nikolaus Gentzkow’s Tagebuch von 1558–67, auf der Strals. Rathsbibliothek, h. v. Zober, Strals. Chronikon III, 1870, mit Gentzkow’s Porträt. Mohnike, Sastrow’s Leben III, 1824, mit Anh. G. Dröge, Leben Franz Wessels. Mohnike und Zober, Strals. Chroniken, Bd. I, 1833, S. 86, 145; Bd. II, 1843, S. 12 ff. Mohnike, Joh. Frederus Leben, 1840, mit Wappen und Facsimilie Gentzkow’s. Zober, Gesch. des Strals. Gymnasiums I, S. 15–46; II, 18; III, 90. Dinnies, Stemmata Sundensia.