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ADB:Gropius, Martin

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Artikel „Gropius, Martin“ von Alfred Gotthold Meyer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 558–561, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gropius,_Martin&oldid=- (Version vom 21. Dezember 2024, 10:39 Uhr UTC)
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Gropius: Martin Philipp G., Architekt, geboren am 11. August 1824 in Berlin, † daselbst am 13. December 1880.

G. stammte aus einer angesehenen Berliner Familie, in der die Beziehung [559] zur freien und angewandten Kunst heimisch war. Am bekanntesten vor Martin G. ist Karl G. (1793–1870), einer der besten Dioramen- und Decorationsmaler seiner Zeit, nah verbunden mit Schinkel. Mit Schinkel’s Namen ist kunsthistorisch der Boden gekennzeichnet, auf dem auch noch Martin G. steht. Das persönliche Bindeglied ist Karl Bötticher, der in seiner „Tektonik der Hellenen“ den Geist des Schinkel’schen Classicismus in allgemein-gültige, geschichtlich begründete Lehre zu fassen suchte. Er ertheilte dem jungen G. den ersten Zeichenunterricht, zunächst nur als Vorbereitung für einen im wesentlichen kaufmännischen Beruf, denn G. sollte später die von seinem Vater geleitete Gabain’sche Seiden- und Tapetenfabrik übernehmen. In gleicher Absicht besuchte er dann von 1843–46 das durch Beuth und Schinkel organisirte Berliner Gewerbeinstitut. Dort aber entschied er sich für das Baufach, bestand 1847 die Feldmesserprüfung, wurde 1850 Bauführer und fünf Jahre darauf Baumeister. Bis dahin war G. fast ausschließlich bei der Ausführung der Bauten Anderer beschäftigt. Auf seinen eigenen Stil bestimmend wirkte neben der nur kurzen Thätigkeit im Atelier Heinrich Strack’s vor allem die neue Verbindung mit Karl Bötticher, dem er seit 1856 beim Unterricht im Ornamentzeichnen auf der Berliner Bauakademie als Assistent zur Seite trat. Schon im folgenden Jahrzehnt wurde G. in Berlin ein geachteter und vielbeschäftigter Architekt, insbesondere durch eine Reihe von Villen und Einfamilienhäusern und durch den vortrefflichen Bau der Provinzial-Irrenanstalt zu Neustadt-Eberswalde (1864), seine Hauptwirksamkeit aber beginnt erst 1866, als er sich mit dem Baumeister Heino Schmieden verbunden hatte. Die Firma „Gropius & Schmieden“ stand in der nach dem französischen Krieg so mächtig gesteigerten Bauthätigkeit der neuen Reichtshauptstadt in erster Reihe.

G. war ebenso praktisch wie künstlerisch begabt. Die Mehrzahl seiner Hauptwerke sind öffentliche Nutzbauten: Krankenhäuser (u. a. Friedrichshain in Berlin, 1868–74, Garnisonlazareth zu Tempelhof bei Berlin, 1875–77), die großen zugleich für Unterrichtszwecke dienenden Berliner Kliniken (Ziegelstraße), dazu Universitätsinstitute (Kiel), und öffentliche Bibliotheken. Die Zweckmäßigkeit dieser Bauten, deren Einrichtungen G. durch seine Studien im Auslande vervollkommnete, machte sie für ihre Zeit mustergültig und bewährt sich noch heute. Dabei sind sie in der charaktervollen Schlichtheit ihrer Ziegelarchitektur auch stilistisch nicht ohne Reiz. Die Fähigkeit, mit geringen Mitteln, schon allein durch die Gesammtvertheilung der Baumassen und durch das Verhältniß zwischen Wand und Oeffnung einen künstlerischen Eindruck zu erreichen, zeigt sich am besten naturgemäß bei Gropius’ Villen- und Wohnbauten (Victoria-Straße; später: Haus am Lützowplatz, Friedenthal’sches Haus in der Lennéstraße u. a.), deren Aeußeres meist nur schlichter Putzbau mit wenigen, jedoch besonders überlegt vertheilten Schmuckformen bleibt, und deren Inneres eine durchweg einfache, aber durch ihre Farbenstimmung ansprechende Decoration trägt. Diese Mäßigung wahrte G. auch, als nach den Kriegssjahren in die Berliner Privatarchitektur ein Zug zu repräsentativer Pracht gekommen war. Den größeren Mitteln entsprach er weniger durch äußeren Glanz, als durch die Gediegenheit und Feinheit im Stoff wie in Form und Farbe. Sein Lieblingsmaterial blieb der Verblendziegel, nun aber in Verbindung mit reichen selbst farbig glasirten Terracotten. Ueberall herrscht constructiver Ernst, der Lehre Bötticher’s entsprechend: „des Körpers Form sei seiner Seele Spiegel“.

Auf dieser Grundlage blieb Gropius’ Architektur auch, als sie in seinen letzten, reifsten Jahrzehnten zu größeren Monumentalbauten berufen wurde. Abgesehen von mehreren Reichsbankgebäuden in der Provinz und öffentlichen wie größeren privaten Bankhäusern Berlins (Cassenverein in [560] der Oberwallstraße) sind die beiden bedeutendsten Zeugen seines Stiles daselbst die Königliche Kunstschule (1877–79) und insbesondere das Königliche Kunstgewerbemuseum (1877–81). Beide Bauten können als Weiterentwicklung der Principien bezeichnet werden, die zuerst Schinkel in seiner Bauakademie verkörpert hatte. Der Fortschritt beruht einerseits in der freieren Wahl und Behandlung der Formen, die nun vom Hellenismus zur Renaissance übergehen, andererseits in der Anpassung an die Bedingungen und Möglichkeiten der modernen Construction, insbesondere an die des Eisens. G. bevorzugte die Flachdecke und den Flachbogen. Das Aeußere des Kunstgewerbemuseums wahrt in seinem Gesammtorganismus die Strenge hellenischer Baukunst, allein schon hier paart sie sich mit freieren Formen im Sinne der Renaissance. In vorzüglicher Materialstilistik und seiner Abtönung sind die tragenden und umrahmenden Theile – Sockel, Portal und Fenster – aus Haustein, die Flächen aus Ziegeln gebildet, und dort heben einzelne Bronzetheile, hier figürliche und ornamentale Terracottafriese, sowie vor allem die zwischen den niedrigen Fenstern des dritten Geschosses angebrachten Mosaikbilder mit ihrem strahlenden Goldgrund die Farbigkeit und zugleich den tektonischen Rhythmus des Ganzen. Während an dieser Front die Grade und der Flachgiebel herrschen, spricht im Innern im Treppenhause, an den Decken der Sammlungsräume, vor allem aber im großen mittleren Lichthof die Statik des Eisens. Der Lichthof zählt in Raumgestaltung und Decoration zu deren glücklichsten und besonnensten Kunstschöpfungen. Flachbogen-Arcaden umziehen ihn emporenartig. Ihre Syenitpfeiler haben keinen quadratischen Querschnitt, sondern einen länglichen. Das stattliche Oberlicht, dessen Helle sich über einen polychromen Fries breitet, gleicht in seinem Mitteltheil einem umsäumten Velum. Auch hier eine besonders feine Farbenabstimmung, für die G. überhaupt in ganz ungewöhnlichem Grade begabt war. Der ganze Bau ist in Berlin ein Hauptdenkmal der „Stilkunst“ seiner Zeit: ein von persönlichem Takt fein und vornehm geleiteter Compromiß zwischen der classisch geschulten Tektonik Bötticher’s und den Bedürfnissen der Neuzeit. Den heutigen Forderungen eines Museumsgebäudes, vollends eines solchen für mannichfaltige kunstgewerbliche Sammlungen, genügt er freilich nur in bedingtem Grade, da seine im Anschluß an den italienischen Renaissancepalast gewählten Raumverhältnisse in ihrer Gleichartigkeit zu wenig theilbar und dehnbar sind. Eine besondere Schwierigkeit brachte die Vereinigung dieser Museumsräume mit denen einer öffentlichen Bibliothek und mit der kunstgewerblichen Unterrichtsanstalt nebst Ateliers unter gleichem Dache.

Gerade an dieser Unterrichtsanstalt nahm G. aber auch persönlichsten Antheil: das zweite Hauptfeld seines Wirkens war der Kunstunterricht. Er hatte ihn als Gehülfe Bötticher’s an der Berliner Bauakademie begonnen, 1865 übernahm er dort den Vortrag über Baumaterialienlehre und Veranschlagen, sah sich jedoch schon im folgenden Jahre, das ihm den Professortitel brachte, durch Ueberhäufung mit Bauaufträgen genöthigt, diese Lehrthätigkeit einzustellen. Ein anderer Weg, wenigstens mittelbar erzieherisch zu wirken, bot sich ihm durch das 1867 begründete deutsche Gewerbemuseum, dessen Unterrichtsanstalt er begründete und leitete, und durch die Kgl. Kunstschule (Kunst- und Gewerkschule der Kgl. Akademie), zu deren Director er 1869 ernannt wurde. G. selbst hatte dem kunstgewerblichen Gebiet von jeher nahe gestanden. Seine Flachmuster, besonders für Tapeten, Textilstoffe und Fliesen, für Gefäßkeramik und Kunstschmiederei, folgen den Lehren Bötticher’s stets in Verbindung mit gesunder Materialstilistik und persönlichem Feingefühl. Ihre Formensprache selbst bleibt im wesentlichen antik (vgl. das von G. 1871 [561] herausgegebene „Archiv für ornamentale Kunst“, Text von Lohde). Bezeichnend für Gropius’ angewandte Ornamentik und für seine vornehme Coloristik ist auch die Ausstattung des Kunstgewerbemuseums selbst. Die Methode seines kunstgewerblichen Unterrichts blieb naturgemäß in den von Bötticher eröffneten und dann 1851 von Gottfried Semper erweiterten Bahnen. Ihren Zielen entsprach E. Jacobsthal’s „Grammatik der Ornamente“, deren Veröffentlichung G. gefördert hat. An der Kunstschule wirkte G. vor allem für eine bessere künstlerische Vorbildung der preußischen Zeichenlehrer, der die ebenfalls durch G. beeinflußten „Vorlageblätter für den Zeichenunterricht“ von Bräuer dienten. G. selbst hat sich litterarisch wenig betheiligt. In der „Zeitschrift für Bauwesen“ und im „Architectonischen Skizzenbuch“ veröffentlichte er eine Reihe seiner eigenen Bauten; eine Sammlung der Holzbauten des Harzes kam über den Anfang (Salzwedel) nicht hinaus. Wo er aber sich aussprach – so in der Einleitung zu „Schinkel’s Wanddecorationen“ und zum „Archiv für ornamentale Kunst“ –, legte er in klarer Form ein Zeugniß von seinem künstlerischen Wollen ab. „Nicht das Neue an sich“ – so lautet es in der Vorrede des Archives – „kann uns frommen, nur eine Erneuerung, eine Wiedergeburt im Sinne der alten Kunst kann die vielen sprudelnden Quellen vereinigen. Bötticher’s Tektonik enthält die Grammatik künstlerischer Formensprache der Alten nicht nur für die Architektur, sondern auch für die damit eng verbundenen Kunsthandwerke, die Gesetze einer Sprache, die für alle künstlerischen Erfindungen, für jede Aufgabe, für jedes Material den rechten Ausdruck darbietet“. Aber dieses einseitige Bekenntniß zur unbedingten Macht der „Tektonik“ erscheint in Gropius’ Schaffen von einem freien, künstlerischen Sinne belebt. Zuweilen – wie in seinem „mit rücksichtsloser Logik“ aus den Anforderungen des protestantischen Gotteshauses entwickelten Concurrenzentwurf für die Berliner Thomaskirche – wird seine tektonische Strenge allerdings fast zur Herbigkeit; doch seine Villen und vor allem das Kunstgewerbemuseum bleiben allem Regelzwang fern und Gropius’ Phantasie gewann immer mehr Bewegungsfreiheit. In diesem Sinne war seine letzte Arbeit, der Concurrenzentwurf für das Gewandhaus in Leipzig (1880), seine reifste und schönste. Sie trug ihm den Preis ein, aber er erlebte nicht einmal mehr die Vollendung des Berliner Kunstgewerbemuseums: am 13. December 1880 machte ein Herzschlag seinem reichen Wirken ein vorzeitiges Ende.

Einer der letzten und bedeutendsten Vertreter der durch Schinkel geschaffenen Kunst, steht G. als Architekt neben Strack und Stüler; als Ornamentist geht er Jacobsthal voran, als Farbenkünstler ist er mit Spielberg verwandt, ihnen allen aber war er an Einfluß wesentlich überlegen. Denn dieser kann überhaupt nicht nach seinen der Nachwelt überkommenen Werken bemessen werden: er ging von seiner strengen und umsichtigen Erfüllung der mannichfachen Tagespflichten aus, und dabei sprach Gropius’ persönlicher Charakter wesentlich mit, dem im Sinne Schinkel’s selbst das Kleinste nie zur flüchtig abzuthuenden Kleinigkeit wurde. Die Anerkennung dafür brachten ihm seine Zunftgenossen in höchster Schätzung, und die staatlich und fachlich geeinten Gesellschaften durch zahlreiche Ehrungen. In seltenem Grade vereinte G. einen echt künstlerischen Sinn mit praktischem Blick und mit den besten Eigenschaften des preußischen Beamten.

Maßgebend: Nekrolog in der „Deutschen Bauzeitung“ 1881, Nr. 55 und 57 von G. Jacobsthal und Festrede, gehalten im Architekten-Verein zu Berlin am 28. November 1892 (bei Enthüllung von Gropius’ Marmorbüste) von Hans Schliepmann.