Zum Inhalt springen

ADB:Jetzer, Johann

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Jetzer, Johann“ von Emil Blösch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 14 (1881), S. 1–4, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Jetzer,_Johann&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 13:01 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Jezler, Christoph
Band 14 (1881), S. 1–4 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johann Jetzer in der Wikipedia
Johann Jetzer in Wikidata
GND-Nummer 118776185
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|14|1|4|Jetzer, Johann|Emil Blösch|ADB:Jetzer, Johann}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118776185}}    

Jetzer: Johann J., in Bern, starb circa 1515. Unter Allen, deren Namen die allgemeine deutsche Biographie erwähnt, ist zuverlässig Hans J., das Opfer des Dominikanerordens, der persönlich Unbedeutendste und Einfältigste; nicht was er gethan hat, nur was mit ihm geschehen ist, machte ihn zu seiner Zeit bekannt und geschichtlich wichtig. Er war aus dem kleinen aargauischen Städtchen Zurzach am obern Rhein gebürtig und kam in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts als Schneidergeselle nach Bern, als ein „thorwitziger, ungelerter Schnydersknecht“, wie die Chronik in nennt. Um diese Zeit sollen aus Anlaß eines Ordenscapitels der Dominikaner zu Wimpfen eine Anzahl von Prioren und Lesemeistern über die Lage ihres Ordens sich berathen haben; sie fanden, daß die rivalisirenden Barfüßer an Einfluß und Ansehen gewannen, und suchten nach Mitteln, dem Heiligenschein ihres Ordens neuen Glanz zu verleihen. Die alte Streitfrage der unbefleckten Empfängniß der Gottesmutter kam ganz besonders in Betracht. Als das Wirksamste wurde erachtet, wenn es gelingen würde, einen stigmatisirten Predigermönch dem heiligen Franciscus gegenüber zu stellen, oder wenn Maria selbst für die Richtigkeit der Lehre des heiligen Thomas gegen die Behauptungen des Duns Scotus öffentliches Zeugniß geben würde. Der Gedanke reifte zu dem förmlichen Plane eines auf den Aberglauben der Menge speculirenden Gaukelspiels. Als der hierzu passendste Ort wurde die Stadt Bern ausersehen, in deren Mauern der Dominikanerorden seit dem Jahre 1269 Aufnahme gefunden und ein Kloster erbaut hatte, es hieß: „Es seien in Bern wenig Gelehrte, aber ein schlicht Volk, aber so das beredt (überredet) würde, mächtig und handfest, die Sache zu schirmen und zu erhalten.“ Hans J., der durch seinen Beruf öfters in das Kloster zu Bern geführt wurde, der schon einmal daselbst Aufnahme verlangt hatte, aber abgewiesen worden war, schien die geeignete Person, um das projectirte Spiel mit sich treiben zu lassen. Er trat, wahrscheinlich im J. 1506, in den Orden und soll noch ein kleines Vermögen dahin mitgebracht haben. – Bald wurde er durch allerlei nächtlichen Spuk in seiner Zelle erschreckt, so daß er den Wunsch aussprach, zu den Karthäusern nach Thorberg in der Nähe von Bern überzutreten; es wurde ihm dies abgeschlagen, aber, nachdem er an der Pest erkrankt und wieder genesen war, wies man ihm eine andere Schlafstelle an auf der Rückseite der Gebäude, „zum Spil wol gelegen“. Ende Februar 1507 begann der frevelhafte Betrug; er wurde ausgeführt durch die Häupter oder Väter des Hauses, den Prior, Johannes Vater aus Marbach im Kanton Luzern, den Lesemeister Stephan Bolzhurst aus Offenburg, den Subprior Franz Ueltschi aus Bern, und den Schaffner Heinrich Steinegger aus Lauperswyl im Emmenthal. Zuerst erschien Jetzer’n ein Geist, der von ihm Erlösung aus den Fegfeuerqualen verlangte und [2] nebenbei offenbarte, dass Scotus tief verdammt sei um seiner Lehre willen von der unbefleckten Empfängniß. Nachher erschien die hl. Barbara und dann die Gottesmutter selbst – der Lesemeister – die dem Schneider sehr vertrauliche Eröffnungen machte und namentlich erklärte, daß sie durch die lügenhafte Lehre der Barfüßer nicht etwa geehrt, sondern nur verunehrt werde. Zuerst durchstach sie seine Hand mit einem Nagel. Für den Schmerz, der ihn erschreckte, wußten die schlauen Mönche den armen Menschen zu trösten durch die erheuchelte Verehrung, die sie ihm und der Wunde bezeugten, und durch das Aufsehen, das sie nun mit Absicht überall von den unerhörten Wunderzeichen und dem neuen Heiligen erregten. Halb leichtgläubig, halb selbst in seiner Rolle sich gefallend, ließ J. sich sogar dann von neuem bethören, nachdem er einmal durch Zufall die künstliche Schwebemaschine ins Schwanken gebracht und die Spieler erkannt hatte. Aber auch diese letzteren ließen sich von der Verfolgung ihres Planes dadurch nicht abhalten; der Ordensprovinzial, die Priore zu Köln, Heidelberg, Basel, Pforzheim, Wimpfen, Stuttgart und Ulm, die sämmtlich mit im Geheimniß waren, riethen alle dazu, nur weiter fortzufahren in dem Trug, und so mußte J. vornehmlich während der Osterzeit mit seinen künstlich unterhaltenen Wundmalen und unter mancherlei Krämpfen und Verzerrungen ein abscheuliches Passionsspiel mit sich treiben lassen. Monate lang stand täglich um 12 Uhr, ja Freitags schon um 11 Uhr eine solche „Aufführung“ statt. Die Anstifter waren indessen nicht ohne Sorge und suchten ihr Opfer aus dem Wege zu schaffen, um einer möglichen Entdeckung zuvorzukommen. Eine vergiftete Suppe, wie hernach eine vergiftete Hostie verfehlten ihre Wirkung. Neue Erscheinungen sollten den Armen wieder sicher machen: um auch die gläubige Menge in Aufregung zu erhalten, mußte das in der Kirche aufgestellte Marienbild blutige Thränen weinen und sogar sprechen. Eine Untersuchung durch Rathspersonen blieb ohne Erfolg; von anderer Seite geäußerte Zweifel dienten nur zur Vermehrung der Unruhe unter dem Volke in immer weiteren Kreisen. Wiederholt merkte aber J. den schlecht gespielten Betrug; es wurde immer schwieriger, und als er einmal seine frommen Väter mit leichtfertigen Weibern überraschte, ließ er sich nur mit größter Mühe beschwichtigen, so daß die Mönche neue Mordversuche machten. Das Ordenscapitel hätte jetzt gern der Sache ein Ende gemacht, und den Schneider zum Schweigen verpflichtet; der Prior aber und seine Genossen griffen zu immer verzweifelteren Mitteln. „Der Teufel ist erschienen! Ihr seid Buben!“ rief J. einmal, als Maria sich ihm wieder nahte, um ihn von seiner hohen Mission zu überzeugen. Mehr wirkten Mißhandlungen und Bedrohungen; der Unglückliche gab sich von neuem zum Spiele her, durch einen furchtbaren Eid gebunden, jetzt nicht mehr Betrogener, sondern selbst mitschuldiger Betrüger. Im Volke war aber jetzt der Glaube an Jetzer’s Wunder dahin. Während das Kloster eine Abordnung nach Rom sandte, um den Papst ins Interesse zu ziehen, verlangte der Rath von Bern eine Untersuchung des Handels durch den Diöcesanbischof in Lausanne. J. wurde zu ihm geführt und erzählte, seines Eides feierlich entbunden, einen Theil dessen, was mit ihm geschehen war. In den letzten Tagen des J. 1507 kehrte er zurück und wurde – fast genau ein Jahr nach seinem Eintritt – aus dem Kloster gestoßen. Jetzt begann der Proceß gegen ihn selbst und gegen die vier Mönche. Wir heben natürlich auch hier, wie in der Erzählung des Geisterspukes, nur die Hauptmomente hervor, deren Einzelheiten an der Hand der Proceßakten bis ins kleinste Detail verfolgt werden könnten. Vor dem Rathe von Bern, der, um der großen Wichtigkeit des Falles wegen, 60 seiner Mitglieder mit vier Stiftsherren speziell hierzu verordnete, fand eine erste Untersuchung statt. J. wurde an der Folter verhört und bekannte am 5. Februar 1508 „allen Mißhandel, vom Geist, von [3] Unser Frowen, vom rothen Sacrament, von Tränkeren, von Wunden und Passion, vom Blutweinen, vom Gift, vom Rath in der Kappel, von der schwarzen Kunst Ueltschis, wie der die Wyber mit Handbieten verzauberte etc.“ Er versicherte, wenn man auch die Mönche zum Reden bringe, so werde die Wahrheit an den Tag kommen, welche er bisher um der Ehre seines Ordens und um der ihm auferlegten Eide willen nicht habe offenbaren dürfen.

Das Verfahren gegen die Mönche war natürlich schwieriger, sie wurden zwar sofort ins Gefängniß und Fußfesseln gelegt, zur Untersuchung aber wurde der Bischof von Lausanne berufen; von der Universität in Basel wurde ein Gutachten eingeholt, vom Papst Vollmacht zur Durchführung des Processes verlangt. Vom Papste wurden die Bischöfe von Lausanne und von Sitten und der Dominicanerprovinzial der Straßburger Provinz mit der Leitung der Verhöre beauftragt, worauf am 26. Juni mit einer großen Zahl von Notarien, Procuratoren, Offizialen und Räthen, unter Beobachtung der umständlichen canonischen Rechtsformen, in der Stiftskirche die Verhandlungen begannen. J. bestätigte hier seine Angaben in Beantwortung der 418 an ihn gerichteten Fragen. Die vier Mönche dagegen leugneten alles; die beiden Bischöfe erklärten indessen die Anwendung der Tortur für berechtigt, und nun legten auch sie ihr Geständniß ab, zuerst der Lesemeister, dann der Schaffner, hierauf, nach einer besonderen Ansprache des Bischofs von Sitten, des berühmten Cardinals Matthäus Schinner, auch der Prior, und zuletzt, am 4. September erst, der Subprior. Neue Schwierigkeiten bot die Form des Urtheilsspruches und der Urtheilsexekution; eine zweite Gesandschaft reiste nach Rom, dem Papste vorzustellen, daß Gewaltthaten zu besorgen seien, wenn die Uebelthäter ihrer Strafe entzogen würden. Im März 1509 kam entsprechende Antwort, und im April langte ein päpstlicher Specialcommissarius an, der Bischof von Castel, Achilles de Grassis von Bologna, nachher Cardinal. Ein neues Tribunal wurde nun bestellt, trotz wiederholter Proteste und großer Umtriebe des mächtigen Ordens: am 4. und 5. Mai bekräftigte J. seine Aussagen und am 15. und 16. Mai erneuerten die Mönche ihre früheren Geständnisse. „Wegen mancherley sündlicher und fast ärgerlicher Betrügnussen, vom christlichen Glauben abwychend, und fast grülichen, der Heiligkeit Verletzung, Vergiftung, Abgötterey, Gottesverläugnung und der Tüflen, Anrufung, und viel andrer Mißthaten und Verwürkungen“, forderte am 23. Mai, Mittwoch vor Pfingsten, der Prokurator die Verurtheilung der Schuldigen. Der einstimmige Ausspruch der Richter ging dahin, daß die vier Mönche der priesterlichen Weihe beraubt und dem weltlichen Gericht übergeben werden sollen, und schon am folgenden Morgen fand auf dem Hauptplatz der Stadt die feierliche Degradation der Geistlichen statt; einige Tage später, am letzten Mai, wurden dieselben auf einem Holzstoße lebendig verbrannt, „in Bywesen und Zusehen so großen Volks, als in Bern je gedacht; es waren, so weit zu sehen war, alle Fenster, Dächer und die Gassen drangvoll von Heimbschen und Frömden, wann deßglichen Handel in diesen Landen nie gesehen, noch gehört, ganz wunderbarlich war“. J. wurde verurtheilt: „daß sidtemal du durch gemeldte Stuck zu einem verlümbten, verächtlichen, lästerlichen, falschen Mann und zu einer Fabel und gemeinem Gassenred bist worden, so wyt, daß du ohne groß Aergernuß in tütschen Landen nit wohnen, noch sitzen magst, daß du von dessen wegen us allen hoch und niedern tütschen Landen sollt ewiglich vertriben und verbannt syn etc.“ Gegen J., den der Rath zuerst enthaupten wollte, regte sich das Mitleid; er wurde im Gefängniß gehalten, konnte bald mit Hülfe seiner Mutter in Weiberkleidung entkommen, blieb acht Wochen lang in der Stadt verborgen und floh endlich aus dem bernischen Gebiete. Er verheirathete sich nachher noch und betrieb sein Schneiderhandwerk, wie es scheint, in seiner [4] ursprünglichen Heimath. Als er später einmal die Grenzen bernischer Gerichtsbarkeit überschritt, wurde er von neuem festgesetzt; man ließ ihn indessen bald wieder los. „Hat hie nacher wenig Jar gelebt, wußt wol von vilen großen und seltsamen Wundern zu sagen, daß der wunderwürkend Gott und seine wunderbaren Gericht wol darin zu verwundern und zu erkennen“. Der Eindruck dieser Vorgänge war ein ganz ungeheurer; man betrachtet ihn als eine Hauptursache, welche die Bevölkerung von Bern zur Annahme der Reformation geneigt machte.

Originalprocessakten im Staatsarchiv Bern, 1 Band Fol. – Valerius Anshelms Berner Chronik, III. S. 369–484 u. IV. S. 1–52. – De quatuor heresiarchis ordinis predicatorum de observantia nuncupatorum apud Suitenses in civitate Bernensi combustis anno Christi MDIX., eine Schrift, welche ebenfalls Valerius Anshelm zugeschrieben wird. – Ueber die weitere populäre Literatur über diesen Handel ist zu vergl. Hallers Bibliothek der Schweizergeschichte, Bd. III. S. 17–32, wo nicht weniger als 30 verschiedene Schriften aufgeführt sind, in Prosa und Poesie, zum Theil mit Holzschnitten. Eine derselben hat Sebastian Frank zum Verfasser, eine andere soll von Nikl. Manuel herrühren. Ein Abdruck der letzteren, sammt den Holzschnitten findet sich in Scheible, Das Schaltjahr, Bd. V. S. 22 u. ff.