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ADB:Johann Moritz

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Artikel „Johann Moritz, Fürst von Nassau-Siegen“ von Pieter Lodewijk Muller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 14 (1881), S. 268–272, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Johann_Moritz&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 11:44 Uhr UTC)
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Johann Moritz, Fürst von Nassau-Siegen (der Brasilianer oder Amerikaner), geb. am 17. Juni 1604, war ein Sohn des Grafen Johann VIII. von Nassau-Dillenburg, und also ein Enkel des Grafen Johann, des Stammvaters der friesischen Linie. Wie fast seine sämmtlichen Verwandten suchte er den Dienst der Generalstaaten. 1621 trat er in denselben ein und stieg bald in Ansehen, namentlich bei Friedrich Heinrich, der dem Vetter die bedeutendsten Posten bei seinen Belagerungen anvertraute. So war er in den Niederlanden in jungen Jahren schon ein berühmter Kriegsmann. Kein Wunder, daß, als die westindische Compagnie einen hohen Offizier, dessen persönliches Ansehen alle subalternen Beamten überragte, zu ihrem Generalgouverneur suchte, die Wahl auf ihn fiel. Am 4. August 1636 ward er auf sehr vortheilhafte Bedingungen zu dieser hohen Würde mit Genehmigung der Generalstaaten ernannt. Noch im October desselben Jahres schiffte er sich nach Brasilien, dem Hauptsitz der Gesellschaft ein, wo er am 23. Januar des folgenden Jahres ans Land stieg. – Seit sechs Jahren hatten sich die Niederländer in Brasilien festgesetzt, seitdem 1630 der Admiral Loneq Olinda erobert, doch die Portugiesen unter Albuquerque’s und Bagnuolo’s Führung leisteten noch immer mit Hülfe der katholischen Indianer und theilweise auch der Negersclaven gewaltigen Widerstand, obgleich die Niederländer jedes Jahr mehr Boden gewannen. Der Krieg bezahlte [269] zwar bis jetzt sich selbst, da die Niederländer oft fabelhafte Beute, namentlich an gekaperten Schiffen machten; allein nur der Handel war geeignet die westindische Compagnie wie ihre ostindische Schwester in Stand zu setzen, ein Colonialreich zu gründen. Jedoch während der Eroberung war jener Handel äußerst gering und die Compagnie begann ihre Ausgaben soviel wie möglich zu beschränken, damit ihre Dividenden ansehnlich blieben. So gestalteten die Mittel, über welche J. zu verfügen hatte, sich ziemlich dürftig. Die Schiffsmannschaft der Flotte eingeschlossen, zählte er selten 6000 Mann unter seinen Befehlen. Jedoch mit dieser geringen Macht und dazu noch öfters sehr schlecht von den Behörden im Mutterlande und in den Colonien unterstützt, gelang es J. M. das brasilianisch-niederländische Reich auf eine nicht geringe Stufe der Blüthe zu bringen und auf ihr zu erhalten. Als er in Brasilien anlangte, umfaßte die niederländische Colonie nur Rio Grande, einen Theil von Parahiba und von Pernambuco, wo der Sitz der Regierung auf dem sogenannten Recife war. J. M. erbaute daselbst eine neue Festung, Mauritsstad, so daß die neue Hauptstadt Recife de Pernambuco eine ansehnliche Stadt wurde. Fünf Jahre später war die Größe der Colonie fast die dreifache; nördlich näherte sich die Grenze schon der Para, westlich war sie nicht soweit mehr von Bahia entfernt und nicht weniger als ungefähr 50 deutsche Meilen weiter als früher war dieselbe nach dem Innern des Landes hin vorgerückt. Sechs von den vierzehn Capitanias waren ganz im Besitz der Niederländer. Es gelang dieses durch unzählige Gefechte und Unternehmungen, an denen der Gouverneur sich oft persönlich betheiligte und in denen er seine militärische Befähigung eben so sehr bewies, wie er seine ausgezeichneten Fähigkeiten als Staatsmann in der Verwaltung der Colonialgebiete zeigte. So viel er vermochte, trat er dem engherzigen Colonialgeiste der Compagnie und den nicht weniger beschränkten Anschauungen der niederländischen Beamten und Colonisten, am meisten der protestantischen Geistlichkeit dabei entgegen. Aus den wenigen niederländischen Colonisten, den Portugiesen, soweit sie nicht aus Haß gegen die Ketzer ausgezogen waren, und den Eingeborenen suchte er eine einigermaßen einheitliche Bevölkerung zu bilden, die, ohne Unterschied der Religion, der Sprache und der Farbe, gleichem Recht unterworfen war und gleiche Rechte besaß. Namentlich vertrat er, obgleich der Heidenbekehrung gar nicht abgeneigt, die Ansicht, es sei überaus nothwendig, den Katholischen vollkommene Freiheit in der Religionsübung, den wohlhabender und rührigen jüdischen Kaufleuten wenigstens freie Ausübung in ihren Synagogen zu lassen, doch die intoleranten Herren des reformirten Consistoriums in Moritzstadt setzten es durch, daß beides arg beschränkt wurde. So entfremdete man sich die einheimische Bevölkerung und nur der Haß der portugiesischen Colonisten gegen die Spanier hielt dieselben in Gehorsam gegen ihre ketzerischen Beherrscher. So ging es in Allem; wo der Generalgouverneur ein liberales Auftreten empfahl, was allein die Bevölkerung hätte fesseln können, stieß er immer auf Widerstand. Dabei kamen persönliche Reibungen aller Art, namentlich der Streit mit seinem Unterbefehlshaber, dem Polen Artischofsky, der schon vor J. M. in Brasilien commandirend, sich als von demselben unabhängig betrachten wollte. Kein Wunder, daß er schon bevor die fünfjährige Frist seiner Regierung abgelaufen, um Enthebung von seinem schwierigen Posten im fremden Lande bat, und sich nur schwer bestimmen ließ, denselben weiter zu führen. Eher war es ein Wunder zu nennen, daß es ihm gelang, die Colonie zu solcher Blüthe zu bringen, daß die Einkünfte, meistens Zehnten der Zuckerfabriken, die Ausgaben so ziemlich deckten. Aber die Compagnie suchte fortwährend ihr Gebiet in den amerikanischen Inseln und an der afrikanischen Küste auszubreiten und vergeudete immense Summen auf zahlreiche Flotten, welche, meistens nur vom Klima überwunden, traurig und mit stark gelichteter Mannschaft heimkehrten. Dagegen hörte man nicht [270] auf die Warnungen des Generalgouverneurs und ließ sowohl die lebenden wie die todten Streitkräfte der Provinz im traurigsten Zustand. Nur der Tapferkeit der niederländischen Seeleute und den Talenten des J. M. war es zu danken, daß die wiederholten Versuche der Spanier und Portugiesen, die Colonie wieder zu erobern mißlangen, namentlich war dies mit der großen Expedition des J. 1639 der Fall. Die Seeschlacht von Itamaraca im J. 1640 von den Niederländern gegen die weit überlegene Flotte des Grafen la Torre gewonnen, rettete die Colonie aus einer ernstlichen Gefahr. In jenem Jahr fand die bekannte Revolution statt, welche die Unabhängigkeit Portugals wiederherstellte, auch die portugiesischen Colonialbehörden in Brasilien erkannten den neuen König an; die niederländische Colonie gerieth dadurch in das sonderbarste Verhältniß zu ihren Gegnern und auch zu ihren Unterthanen, welche aus Haß gegen Spanien, den gemeinschaftlichen Feind sich gefügt hatten. Natürlich war der König von Portugal zu sehr auf den Beistand der Generalstaaten angewiesen, als daß er nicht ihre Erwerbungen in Brasilien in einem Tractat anerkannt hätte, aber die Bevölkerung sann von jetzt an nur auf Abschüttelung des verhaßten Jochs der Ketzer. J. M. blieben die geheimen Umtriebe, Verschwörungen und Aufstandsversuche der portugiesischen und indianischen Einwohner nicht verborgen, er verstand vollkommen woher sie kamen. Die Directoren der Compagnie aber, die Herren XIX, wie sie ihrer Zahl nach hießen, hörten durchaus nicht auf seine Warnungen. Ihres Erachtens war das goldene Zeitalter des Friedens jetzt angebrochen; die Truppen, schon zu wenig an Zahl, wurden noch beträchtlich reducirt, viele Offiziere entlassen; die Vorräthe an Waffen, Munition und Lebensmitteln in Recife wurden gar nicht mehr ergänzt, Geld zum Bau neuer Festungen gar nicht zugestanden, selbst die Seemacht, welche bei dem weiten Küstengebiet der Colonie so ausnahmsweise wichtig war, ward verringert. Vergeblich wandte sich J. M. selbst an die Generalstaaten, bei denen er sich bitter über die Vernachlässigung in welcher Brasilien, wo ein allgemeiner Aufstand bevorstand, gelassen ward, beklagte. Endlich verdroß es ihn noch länger auf einem Posten zu verbleiben, in welchem ihm die Mittel zum zweckgemäßen Handeln so verkürzt wurden. Er forderte seine Entlassung und verließ Mai 1644 die Colonie, welche nur unter seiner Regierung zu einiger Blüthe gelangen konnte und dann rasch dem Verderben entgegen eilte. Zehn Jahre später war Brasilien wieder ganz in den Händen der Portugiesen. J. M. ward in den Niederlanden mit großen Ehren empfangen, von den Staaten sowol wie von der Bevölkerung. Er ward eine der populärsten Personen daselbst. Der berühmte gelehrte Caspar van Baerle (Barlaeus) feierte seine Dienste in Brasilien in einer vielfach gedruckten lateinischen Rede, welche mehrmals übersetzt eine der Quellen über diesen Abschnitt seines Lebens geblieben ist. Er ward Generallieutenant der Reiterei und Gouverneur von Wesel und nahm thätigen Antheil an den Feldzügen der nächsten Jahre. 1647 ward ihm von der westindischen Gesellschaft aufs Neue die Gouverneurstelle des jetzt arg bedrängten Brasiliens angeboten; allein M. war nicht mehr zu bewegen einen solchen hoffnungslosen Posten anzunehmen. Viel lieber nahm er die Statthalterstelle über Cleve, Mark und Ravensberg an, welche ihm vom großen Kurfürsten angeboten ward, zu dem er jetzt in ein ziemlich intimes Verhältniß trat, ohne daß jenes mit den Niederlanden gelöst ward. Während er als niederländischer General und Gouverneur von Wesel seine Functionen auch nach dem westfälischen Frieden behielt, widmete er sich größtentheils dem Wohl seiner niederrheinischen und westfälischen Brandenburger, bei denen er bald sehr beliebt ward, zu denen bald auch die Einwohner der Grafschaft Minden zählten. Seine gewöhnliche Residenz blieb Cleve, obgleich er fortfuhr, seinen bekannten Palast im Haag, das „Moritzhaus“ auszuschmücken, als ein [271] Muster des verkommenen Geschmackes des Jahrhunderts. Das Jahr 1652 sah ihn zu einer zweifachen Würde erhoben, der Kaiser ernannte ihn zu einem Fürsten des Reichs, der Johanniterorden zu seinem Heermeister in Deutschland. Das Wort des weithin bekannten erfahrenen Mannes galt viel; Friedrich Wilhelm wußte es, und bediente sich seines Einflusses namentlich bei den Fürsten und Ständen des Reichs. So führte er die brandenburgische Kurstimme bei der so entscheidenden Wahl des J. 1657, als nur sie die Krone dem Hause Oesterreich erhielt. In jenen Jahren blieb J. den niederländischen Angelegenheiten fern, auch in den Zänkereien in der oranischen Partei ward sein Name nicht viel genannt. Als aber der Krieg der Republik mit dem Münsterschen Bischof ausbrach, erinnerte man sich der Verdienste des nassauischen Fürsten und bot ihm für einen Feldzug einen ziemlich beschränkten Oberbefehl an. J. M. gab der Bitte des Regenten, welcher ihm die von vielen erstrebte erste Stelle im niederländischen Heere sicherte, nach, obgleich eigentlich die Felddeputirten der Generalstaaten das Commando führten und bei der damaligen Zerrüttung des Heeres gar nichts Gutes zu erwarten stand. Im nächsten Jahr in seinem Posten bestätigt, gelang es J. M. mit einem französischen Hülfskorps vereint, die Münsteraner zurückzutreiben. Der Feind beschränkte sich auf den kleinen Krieg, das großartigste was der Feldzug bot, war die Belagerung des kleinen geldrischen Städtchens Lochem. J. M. war aber aufs Neue mit den Niederländern verbunden. Als 1671 eine großartige Vermehrung des Heeres beschlossen ward und zwei Feldmarschallstellen zu ernennen waren, erhielt er ohne Schwierigkeit die erste derselben. Als solcher half er die Vertheidigung der holländischen Linie im Jahre 1672 gegen die Franzosen führen. Später kommandirte er in Friesland und trieb Münsteraner, Kurkölner und Franzosen über die Grenze seiner Provinz zurück. Obgleich ein Siebziger, scheute er sich nicht, im J. 1674 dem Feldzug persönlich beizuwohnen. Unter den Befehlen Wilhelms III. focht er in der blutigen Schlacht bei Senef, wohl die letzte aber großartigste Kriegsaction, welcher er in seinem langen Kriegerleben beigewohnt. Die Beschwerden des Alters verhinderten ihn an weiterer activer Theilnahme am Krieg. Seine letzten Jahre brachte er meistens in seinem geliebten Cleve zu, wo die schwierigen Verhältnisse Brandenburgs in jenen Jahren eine feste des Steuers gewohnte Hand erforderten. So wie er sich in dem zweiten Abschnitt seines Lebens dem Dienst eines deutschen Fürsten gewidmet und namentlich das Interesse von deutschen Ländern wahrte, so hatte er sich auch dem politischen Interesse Deutschlands zugewandt. Er zählte mit zu den wenigen kleinen Reichsfürsten, die eine energische Action Frankreich gegenüber, ohne sclavische Befolgung der Befehle der Hofburg, und namentlich Anschluß an Brandenburg wollten. Darum lieh er seinen Einfluß gerne seinem Collegen in niederländischem Dienst, dem Grafen Georg Friedrich von Waldeck (s. d.), mit dem er wie mit vielen seiner bekanntesten Zeitgenossen in intimer Correspondenz stand. In vollem Verständniß von dessen Entwürfen betheiligte er sich eifrig an der Association der vorderen Reichskreise, deren Ausbreitung und momentane Erfolge er zwar nicht mehr erlebte, jedoch gewiß gerne gesehen hätte. Denn nachdem er die letzten Jahre gekränkelt, verschied er am 20. December des J. 1679 in seinem kleinen Jagdschloß Berg en Dal gerade auf der clevisch-geldrischen Grenze, wie um zu zeigen, daß er beiden Ländern Holland und Deutschland gleichmäßig angehörte, den Ruf eines fähigen Generals und Staatsmanns, eines ausgezeichneten Verwalters und eines wirklich großherzigen und braven Fürsten, eines Beschützers von Kunst und Wissenschaft (er bezeugte es durch seine Sammlungen und Bauten) hinterlassend, einer der edelsten Sprossen des Hauses Nassau, in seinen beiden Vaterlanden gleich geehrt und gleich betrauert.

[272] Vgl. über ihn die gewöhnliche Litteratur über jenen Zeitraum, die Specialstudien, außer Barlaeus, Oratio; Driessen, Leben des Fürsten Johann Moritz von Nassau, Berlin 1849. Veegens, Johan Maurits van Nassau-Siegen gezegd de Amerikann in van Kampens Levens van beromde Nederlanders, Haarlem 1840. Netscher, Les Hollandais au Brésil, La Haye 1853. Varnhagen, Historia das lutas com Hollanderes no Brasil.